10 Jahre website
PORTRAITS DER RENAISSANCE
Die Kunstgeschichte versteht sich zumeist als Kunstwissenschaft und grenzt infolgedessen das Thema Kunstgewerbe aus; ähnlich wurde mit der Kulturgeschichte verfahren. Dadurch gibt es Bereiche, die vakant bleiben. So ist zu erklären, daß eine erhebliche Anzahl an namenlosen Portraits in den Kunstmuseen anonym geblieben ist trotz rd. 150 Jahren kunstgeschichtlicher Forschung. Land auf Land ab stößt man auf das nichtssagende Schild »Portrait of a Man«. Hat man sich also schon längst mit dem Defizit abgefunden, daß sich nicht mehr sagen läßt, wer der jeweils Dargestellte ist, obwohl damit eine entscheidende Dimension eines Portraits fehlt? Jedenfalls waren Aufklärungsfälle innerhalb dieser Wissenslücke eine Seltenheit und blieben marginal. Darüber kann man sich nur wundern, daß die kunstgeschichtliche Forschung dieses weite Feld unbeackert gelassen hat. Die Suche kann streckenweise sehr mühselig werden; die Funde jedoch machen dies wett durch Einsichten in vorher unbekannte Zusammenhänge. Das hat sich vor allem bei Lukas Cranach, Tintoretto und weiteren Künstlern gezeigt. Schließlich gibt es nach wie vor ein großes Publikum, das Innovation in diesem Bereich zu schätzen weiß.
Aber immer noch haben namenlose Portraits, insbesondere der Renaissance, bis heute einen schlechten Stand. Nur wenn ein herausragender Künstler der Urheber ist, gelangen sie in den Präsenzbestand der Dauerausstellung. Fehlt bei einem Gemälde auch der Urheber, verharrt das Bild im Depot. Aber auch im Kunsthandel schneiden diese Gemälde schlecht ab. Auf die Suche nach dem Urheber macht man sich nur, wenn eine Chance besteht, daß man es mit einem der Namhaften zu tun hat. So blieb nicht aus, daß bei der Zuschreibung manches Gemälde auch falsch etikettiert wurde.
Aus kulturgeschichtlicher Sicht ist dieser Umstand schon lange bedauerlich, zumal es sich ─ allein für die Renaissance ─ um viele hunderte Gemälde handelt. Dabei haben sogar einige Künstler der Renaissance ─ und das sind nicht nur zweitrangige ─ die Praxis eingeführt, neben der Datierung (mit der Jahreszahl der Entstehung) auch das Alter des Porträtierten im Bild zu erwähnen. Damit ergibt sich bei der Suche für die Recherche nach dem Dargestellten ein geschickter und zugleich wichtiger Einstieg d.h. eine Vorauswahl an Kandidaten.
Merkwürdigerweise wurde dieses ‚Schlupfloch‘ aber selten genutzt. Allerdings kann dieses bei der Aufdeckung der Identität nur der Einstieg sein; weitere Hinweise müssen dazukommen. Aber dadurch wird die Suche nach der passenden Person immerhin zeitlich fokussiert; ausschlaggebend sind dann die zusätzlichen Indizien.
Der Grund für dieses Defizit könnte sein, daß es kein umfassendes Personenregister nach Geburtsjahren in Europa gibt, nicht einmal für die Prominenz. Zu dieser zählten jedoch in der Regel die Auftraggeber der Portraits. Schließlich war der Auftrag ein kostspieliger Vorgang, vor allem bei den damals namhaften Malern. Ohnehin begann die Wertschätzung von Portraits, zunächst der Heiligen, danach der Herrscher, die sich verewigt sehen wollten, erst im 15.Jahrhundert. Ende dieses Jahrhunderts entwickelte sich das Privatportrait (A. Dülberg) durch den Adel und etliche Unternehmer, die vermögend geworden waren und in ihrem Ehrgeiz, es den Adligen gleich zu tun, Portraitaufträge erteilten. In Albrecht Dürers Œuvre überwogen bereits die Patrizier die Adligen, und zu den Unternehmern kamen Stadtärzte und Humanisten hinzu.
Diese Elite hat vor allem zur hohen Qualität der Sparte und zur Ausweitung des Sujets beigetragen. Man denke an die musealen Säle mit Portraits der Renaissance wie in Madrid im Museo Thyssen-Bornemisza sowie an die Vielzahl von Portraits des Erasmus von Rotterdam. Damals entwickelten sich manche Ateliers sogar zu Manufakturen. Die Nachfrage nach Bildnissen des geschätzten Landesherrn Friedrich des Weisen führte zu 90 noch erhaltenen Versionen des Cranach-Portraits von ihm.
Doch trotz der günstigen Voraussetzung der kombinierten Lebensdaten blieb die Anzahl von vielen Hundert namenlosen Portraits über Generationen erstaunlicherweise etwa gleich. Das gloriose Ereignis im Jahr 1900, als Mary F. S. Hervey mittels eines Dokumentenfunds Hans Holbein d. J. Ambassadors aufklären konnte, führte nicht, wie man hätte erwarten können, zu einer Initialzündung in der Sparte. Das hat sich erst im 21. Jahrhundert geändert. Am 21.3.2009 stellte die Neue Zürcher Zeitung ganzseitig die Aufklärung eines anonymen aber ungewöhnlich aussagekräftigen Portraits von Bartolomeo Veneto heraus, eines Freunds von Albrecht Dürer, und legte dabei die Identität eines französischen Connetable offen, dessen Abbild jedoch bis auf den heutigen Tag in Cambridge/UK als Portrait of a Gentleman schlummert.
PORTRAITS DER RENAISSANCE
Die Kunstgeschichte versteht sich zumeist als Kunstwissenschaft und grenzt infolgedessen das Thema Kunstgewerbe aus; ähnlich wurde mit der Kulturgeschichte verfahren. Dadurch gibt es Bereiche, die vakant bleiben. So ist zu erklären, daß eine erhebliche Anzahl an namenlosen Portraits in den Kunstmuseen anonym geblieben ist trotz rd. 150 Jahren kunstgeschichtlicher Forschung. Land auf Land ab stößt man auf das nichtssagende Schild »Portrait of a Man«. Hat man sich also schon längst mit dem Defizit abgefunden, daß sich nicht mehr sagen läßt, wer der jeweils Dargestellte ist, obwohl damit eine entscheidende Dimension eines Portraits fehlt? Jedenfalls waren Aufklärungsfälle innerhalb dieser Wissenslücke eine Seltenheit und blieben marginal. Darüber kann man sich nur wundern, daß die kunstgeschichtliche Forschung dieses weite Feld unbeackert gelassen hat. Die Suche kann streckenweise sehr mühselig werden; die Funde jedoch machen dies wett durch Einsichten in vorher unbekannte Zusammenhänge. Das hat sich vor allem bei Lukas Cranach, Tintoretto und weiteren Künstlern gezeigt. Schließlich gibt es nach wie vor ein großes Publikum, das Innovation in diesem Bereich zu schätzen weiß.
Aber immer noch haben namenlose Portraits, insbesondere der Renaissance, bis heute einen schlechten Stand. Nur wenn ein herausragender Künstler der Urheber ist, gelangen sie in den Präsenzbestand der Dauerausstellung. Fehlt bei einem Gemälde auch der Urheber, verharrt das Bild im Depot. Aber auch im Kunsthandel schneiden diese Gemälde schlecht ab. Auf die Suche nach dem Urheber macht man sich nur, wenn eine Chance besteht, daß man es mit einem der Namhaften zu tun hat. So blieb nicht aus, daß bei der Zuschreibung manches Gemälde auch falsch etikettiert wurde.
Aus kulturgeschichtlicher Sicht ist dieser Umstand schon lange bedauerlich, zumal es sich ─ allein für die Renaissance ─ um viele hunderte Gemälde handelt. Dabei haben sogar einige Künstler der Renaissance ─ und das sind nicht nur zweitrangige ─ die Praxis eingeführt, neben der Datierung (mit der Jahreszahl der Entstehung) auch das Alter des Porträtierten im Bild zu erwähnen. Damit ergibt sich bei der Suche für die Recherche nach dem Dargestellten ein geschickter und zugleich wichtiger Einstieg d.h. eine Vorauswahl an Kandidaten.
Merkwürdigerweise wurde dieses ‚Schlupfloch‘ aber selten genutzt. Allerdings kann dieses bei der Aufdeckung der Identität nur der Einstieg sein; weitere Hinweise müssen dazukommen. Aber dadurch wird die Suche nach der passenden Person immerhin zeitlich fokussiert; ausschlaggebend sind dann die zusätzlichen Indizien.
Der Grund für dieses Defizit könnte sein, daß es kein umfassendes Personenregister nach Geburtsjahren in Europa gibt, nicht einmal für die Prominenz. Zu dieser zählten jedoch in der Regel die Auftraggeber der Portraits. Schließlich war der Auftrag ein kostspieliger Vorgang, vor allem bei den damals namhaften Malern. Ohnehin begann die Wertschätzung von Portraits, zunächst der Heiligen, danach der Herrscher, die sich verewigt sehen wollten, erst im 15.Jahrhundert. Ende dieses Jahrhunderts entwickelte sich das Privatportrait (A. Dülberg) durch den Adel und etliche Unternehmer, die vermögend geworden waren und in ihrem Ehrgeiz, es den Adligen gleich zu tun, Portraitaufträge erteilten. In Albrecht Dürers Œuvre überwogen bereits die Patrizier die Adligen, und zu den Unternehmern kamen Stadtärzte und Humanisten hinzu.
Diese Elite hat vor allem zur hohen Qualität der Sparte und zur Ausweitung des Sujets beigetragen. Man denke an die musealen Säle mit Portraits der Renaissance wie in Madrid im Museo Thyssen-Bornemisza sowie an die Vielzahl von Portraits des Erasmus von Rotterdam. Damals entwickelten sich manche Ateliers sogar zu Manufakturen. Die Nachfrage nach Bildnissen des geschätzten Landesherrn Friedrich des Weisen führte zu 90 noch erhaltenen Versionen des Cranach-Portraits von ihm.
Doch trotz der günstigen Voraussetzung der kombinierten Lebensdaten blieb die Anzahl von vielen Hundert namenlosen Portraits über Generationen erstaunlicherweise etwa gleich. Das gloriose Ereignis im Jahr 1900, als Mary F. S. Hervey mittels eines Dokumentenfunds Hans Holbein d. J. Ambassadors aufklären konnte, führte nicht, wie man hätte erwarten können, zu einer Initialzündung in der Sparte. Das hat sich erst im 21. Jahrhundert geändert. Am 21.3.2009 stellte die Neue Zürcher Zeitung ganzseitig die Aufklärung eines anonymen aber ungewöhnlich aussagekräftigen Portraits von Bartolomeo Veneto heraus, eines Freunds von Albrecht Dürer, und legte dabei die Identität eines französischen Connetable offen, dessen Abbild jedoch bis auf den heutigen Tag in Cambridge/UK als Portrait of a Gentleman schlummert.
Es gibt kaum ein Gemälde, das durch die Vielzahl der darin enthaltenen Anspielungen diesem gleichkäme. Dieses Hintergrundwissen aufzudecken gelang Christoph Wilhelmi; für ihn wurde der Fall zum Paradebeispiel. Hierzulande wurde es einem größeren Kreis publik, als 2011 die Gemäldegalerie, Berlin, die Ausstellung Gesichter der Renaissance eröffnete, unter dem Titel Porträts der Renaissance · Hintergründe und Schicksale. Mit dieser Anthologie von 24 Lösungen namhafter, bisher namenloser Portraits der Renaissance wurde die Basis des neuen Arbeitsgebiets verbreitert. Doch statt drei dieser Lösungsvorschläge aufzugreifen (die Bilder hängen in der dortigen Dauerausstellung) und den Zugewinn an Bildinformation für die Öffentlichkeitsarbeit der Gemäldegalerie zu nutzen, blieben die Konservatoren stumm. Sahen sie ihre Chance nicht, oder zogen sie den status quo ante vor?
Christoph Wilhelmi ließ sich durch dieses Defizit der öffentlichen Hand nicht entmutigen und trieb auf diesem ´weiten Feld´ die Aufklärung stetig weiter voran (zufälligerweise wurde um die Zeit die Aufklärung in der europäischen Philosophie gerade abgewertet). Er richtete 2013 diese website ein, die alle paar Monate um vier weitere Identifikationen erweitert wird. Dadurch hat sie gegenwärtig das Volumen von rd. 170 Lösungsbeispielen erreicht, zu denen weitere rd. 100 Lösungsvorschläge in den drei Buchveröffentlichungen zu dieser Thematik zu zählen sind. Mittels das Surplus an Hintergrundwissen über die Porträtierten würden die Gemälde aufgewertet, denn die erläuternden Texte liefern vielerlei kulturhistorische Einblicke. Von manchen Prominenten bieten sie erstmalig deren authentische Physiognomie (Beispiele: Abraham Farissol, Kasim Çavus, Dr. Johann Rehlinger u.a.)
Die ´Halde der Namenlosen´ ist jedoch immer noch beträchtlich und wird aber bei den weiteren Identifikationen noch manche Überraschung bieten. Eines Tages alle anonymen Portraits der Renaissance aufgeklärt zu haben wird jedoch nicht möglich sein, da nicht alle Portraits Altersvermerke als Ausgangsmerkmal aufweisen; zumal für Kandidaten vor 1500 zumeist keine Geburtsdaten überliefert sind. CW
zum 550. Cranach-Jubiläum im Jahr 2022:
Christoph Wilhelmi
CRANACH
40 Portraits aufgeklärt
Seit dem Œuvre-Verzeichnis Cranachs von Friedländer-Rosenberg 1932 und dem stark dokumentarisch unterfütterten Werk Werner Schades ´Die Malerfamilie Cranach´ 1974 war es publizistisch sehr ruhig um die beiden Cranachs geworden. Der enorme Bilderschatz beider Künstler wurde zwar verwaltet; von ihm ging offenbar keinerlei Innovation aus. Damit stellte die große Anzahl namenloser d.h. anonymer Portraits in beider Werk ein immer drängendes Problem der Aufarbeitung dar. Schon 2011 hat Christoph Wilhelmi mit drei Fällen den Anfang gemacht, Lösungsvorschläge für die Namenlosen zu publizieren, und seither 13 weitere, von ihm aufgeklärte Anonyme ins Internet gestellt. Mit der jetzt vorliegenden Neuerscheinung konnte er die Anzahl der von ihm aufgeklärten Portraits auf insgesamt 40 erhöhen.
Auf diese Weise treten jetzt Persönlichkeiten ins Rampenlicht, von denen bisher im Zusammenhang mit Cranach nie die Rede war. Der Vorzug ihrer Identifizierung besteht darin, daß somit zahlreiche, für ihre Zeit wichtige Persönlichkeiten auftreten und dadurch erstaunliche Einblicke in das Netzwerk Cranach ermöglichen:
Ausländische Politiker ─ von Königen bis hin zu Diplomaten ─ treten u.a. als Auftraggeber auf, an die bisher gar nicht gedacht wurde. Sogar Frauen konnten namentlich identifiziert werden, obwohl aus der Zeit kaum historische Lebensbilder von Frauen überliefert sind, an denen sich die Identität überprüfen ließe. Ferner erweisen diese Funde, daß Cranach sen. stärker in die mitteleuropäische Politik involviert war, als bisher angenommen wurde. Außerdem werden durch die Identifizierungen kulturhistorische Einblicke und Rückschlüsse vieler Art ermöglicht. Schließlich fällt ein neues Licht auf die Werkstattübergabe des Vaters an den Sohn.
Hier die Liste der identifizierten Persönlichkeiten
Einführung in das Hauptthema
der identifizierten Persönlichkeiten
Der Ausspruch Man sieht nur, was man weiß, gilt auch hier. Dementsprechend wurden bisher unzählige gemalte Portraits aus der Zeit von vor 500 Jahren buchstäblich übersehen, weil man nicht mehr wußte, wen sie darstellen, und die Personen auf den Bildern blieben unerforscht.Wer durch Museen geht, dem wird auffallen: Neben vielen Portraits hängen Beschriftungen, die à la longue unbefriedigend sind, solche wie Junger Mann oder Portrait of a Man. Man wüßte doch gern, welche Person die Bilder eigentlich abbilden. Mit solch nichtssagenden Auskünften werden die Betrachter aber bisher abgespeist, und das schon länger als ein Jahrhundert. Von den 168 Portraits der Berliner Ausstellung Gesichter der Renaissance, die von Hunderttausenden besucht wurde, fehlten z.B. bei 65 Bildern die Namen. Daraus ergeben sich für die Epoche unter den noch erhaltenen Portraits immerhin rd. 40% nobodies. Aber zu ihrer Zeit waren die Dargestellten sehr geachtete bzw. wichtige Persönlichkeiten. Doch welche?
Selten genug gelang es, wie vor gut einem Jahrhundert Mary F. S. Hervey, eines der namenlosen Bilder aufzuklären. In ihrem Fall lieferte ein altes Dokument den Hinweis, daß die beiden Gesandten in Hans Holbeins berühmtem Gemälde The Ambassadors einmal Menschen von Fleisch und Blut waren ─ ein adliges Brüderpaar aus Frankreich. Ansonsten und sehr vereinzelt halfen Außenseiter als Geburtshelfer bei der Idenitifzierung.
Anläßlich des Tintoretto-Jubiläums gab es einige große Ausstellungen seiner Werke in Köln, Venedig u.a. Dabei dominierten seine mythologischen Werke; seine Portraits waren allenfalls nebenbei vertreten. Diese sind in Sammlungen über die ganze Welt verstreut. Daß nie eine zusammenfassende Ausstellung der Portraits gewagt wurde, liegt aber an dem Manko, daß von den rd. 150 noch erhaltenen Portraits nur etwa 30% den Namen des Dargestellten aufweisen ─ und auch diese Angabe ist in einigen Fällen fragwürdig. So haben die Portraits in den Museen nur eine Statistenrolle; immerhin ist der große Name in der Sammlung vertreten.
Mit dieser Veröffentlichung wurde erstmalig eine Bresche in die ´Dunkelkammer´ der Tintoretto-Portraits geschlagen. Dabei ergaben sich aufschlußreiche Einblicke in die venezianische Gesellschaft, denn Tintoretto war zeitlebens so beschäftigt, daß er die Lagunenstadt Venedig nicht verließ. Wie schon bisher bei einigen Portraits angenommen, kamen weitere Funktionäre der Seerepublik hinzu. Überraschenderweise stellte sich aber heraus, daß Tintoretto Unterschiede machte: Repräsentationsportraits fertigte er in größerem Format, die kleineren und oft skizzenhaften Formate galten Personen aus seinem Umkreis: Vertretern des Kulturlebens in Venedig d.h. Akademiker, Schriftsteller, Musiker, Ärzte. Aus den Lebensläufen der Dargestellten geht so ein erstaunliches Beziehungsgeflecht der Kulturschaffenden in der Stadt hervor, wie es sich bisher nicht abzeichnete. Eine illustre Gesellschaft aus Literatur und Kunst tritt auf diese Weise vor den Leser.
Ein überaus reizvolles kulturgeschichtliches Lesebuch.
Hier die Liste der identifizierten Persönlichkeiten
2011 erschien anläßlich der Ausstellung Gesichter der Renaissance in Berlin ein wichtiger Vorreiter in Sachen investigativer Kunstgeschichte. Darin wurden 24 Namenlose identifiziert:
Hier veröffentlichte Christoph Wilhelmi seine, sich über Jahre hinziehenden Recherchen zu Portraits von Cranachs, Holbein, Bartolomeo Veneto und weiteren namhaften Meistern der Hochrenaissance. Peter Dittmar gab ihnen in Kunst & Auktionen den Titel Who is who der Renaissance. Es sind durchweg solide recherchierte Analysen, die zur Identifizierung der dargestellten Person führten. Das museumsjournal schrieb: »Der Leser wird dabei Zeuge vieler kleiner Forschungsreisen in die Vergangenheit und erhält Einblick in die akribische Arbeit eines Kunsthistorikers«. Vom Kulturradio des Rbb war zu hören: »Diese Kombination der Disziplinen macht dieses Buch so überaus spannend ─ und geradezu einzigartig. Eine solche Arbeit kann nur ein Universalgelehrter leisten«.
Im Jahr 1957 schrieb Alfred Stange (in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Berlin XX S. 260ff) die prophetisch anmutende Aussage: »Die erhaltenen Bestände der deutschen Malerei des 16. Jahrhunderts werden uns, wenn man sie systematisch zu erforschen sucht, noch eine Fülle mannigfaltiger Überraschungen schenken«. Diese Prognose wird jetzt bestätigt.
Ein amüsantes Rezeptionsergebnis auf literarischem Gebiet zog diese Buchpublikation nach sich. Eine Gruppe von Schriftstellern um Hans Zischler erfand für 15 solcher namenloser Portraits der Renaissance jeweils eine literarische Gestalt und »brachte sie zum Sprechen«. So kann es in absehbarer Zeit Überschneidungen zwischen den Projekten geben: hier Fakten ─ dort Fiction.
Aus der Antike stammt das später verkürzte Zitat: habent sua fata libelli. Es bedeutet: Bücher haben ihre Schicksale. Nach Erscheinen verschwinden sie in Magazinen und in Bücherschränken von Liebhabern; auf dem Bildschirm taucht das Buch nur mit einem knappen Werbetext auf. Aus dieser Erfahrung wurde der Schluß gezogen, weitere Identifizierungen sogleich ins Internet zu stellen d.h. alle Interessierten an dem Fund teilnehmen zu lassen, ihnen die Entdeckungen zur Verfügung zu stellen.
So entstand der Gedanke zur Galerie bisher unbekannter Portraits der Renaissance im Netz. Hier kann jeder beqem den mühsamen Weg der Recherchen, der zur Identifikation führte, nachvollziehen.
Überraschende Resultate kamen dabei zum Vorschein. Oftmals erwies sich auf diese Weise das Bild als einziges Portrait einer historischen Persönlichkeit, von der man bisher nur über Schriftstücke wußte. Von einigen Personen erhielt man sogar über das dechiffrierte Bild erst Kenntnis vom tatsächlichen Geburtsjahr der Person.
Während die Druckrechte der im Buch versammelten 24 Identifikationen beim Verlag liegen, werden jetzt die in der Galerie auftauchenden Portrait-Analysen für den user honorarfrei sein; das Copyright bleibt beim Autor. Es ist geplant, alle drei Monate vier neue Beiträge ins Netz zu stellen, vorausgesetzt, der Fortschritt der Aufarbeitung macht dies möglich. Es handelt sich also um ein work in progress. Das Netz hat den Vorteil, daß aufmerksame Leser direkt darauf reagieren können. Sollte es konstruktive Kritik oder weiterführende Hinweise zu Identifizierungen geben, sind diese erwünscht und könnten ambulant eingearbeitet werden, sofern sie überzeugen. So ist die Galerie nach zehn Jahren bereits auf über 200 Fallstudien angewachsen.
Die Galerie ... der Renaissance ziert ein zeitlich adäquates Signet. Es bot sich das Zeichen des ersten englischen Druckers an: William Caxton (1422─1491). Dieselben Initialen hat auch Christoph Wilhelmi, nur in der umgekehrten Reihenfolge. Übrigens druckte Caxton 1476 die Canterbury Tales in seiner Druckerei in Westminster. Technisch begründete er die Tradition der black letters, der holländisch beeinflußten gotischen Schrift. Diese internationale Verflechtung ist charakteristisch für die Zeit des Humanismus, wie auch Caxton's Vielseitigkeit; er war sowohl als Drucker und Buchhändler, als auch als Übersetzer und Herausgeber tätig und gilt zudem durch seine Arbeit am Text als Sprachreformer Englands.
Weitere Publikationen von Christoph Wilhelmi
Dürers Burgen
Dürers Burgen herausgestellt von Christoph Wilhelmi und Jim Zimmermann
99 Seiten. 85 Abbildungen. Gebunden. Format 18.8 x 12,5 cm ISBN: 978-3-947198-47-4
»Ein feste Burg …« lautet der Beginn eines berühmten Liedes von Martin Luther und bildet zugleich eine Metapher des Protestantismus. Albrecht Dürer bekannte sich frühzeitig und offen zur Reformation Luthers; doch es erscheint fraglich, ob die zahlreichen Burgansichten im Hintergrund seiner Holzschnitte und Kupferstiche diese reformatorische Begründung haben. Eher läßt sich eine Passage im Alten Testament (Psalm 91) als versteckte Absicht des Künstlers heranziehen: »meine Zuversicht, meine Burg…«, die Dürer motiviert haben könnte. Schließlich war er stolzer Nürnberger Bürger >Weiterlesen unter Essays
Handbuch der Symbole
Christoph Wilhelmi ist durch einschlägige Handbücher bekannt geworden. 1979 erschien das originell konzipierte Handbuch der Symbole in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts. Anschließend entwickelte er nach jahrelangen Recherchen ein voluminöses Projekt, von dem 1996 der 1. Band erscheinen konnte: Künstlergruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit 1900. In einem Abstand von jeweils fünf Jahren folgte Band 2: Künstlergruppen im östlichen und südlichen Europa 2001 und Künstlergruppen in West- und Nordeuropa 2006 ─ insgesamt 1864 Seiten mit nahezu über tausend namhaften Künstlergruppen aus ganz Europa. Für viele Länder ist dies Werk die einzige Übersicht ihrer künstlerischen Gruppenaktivitäten in der Moderne überhaupt ─ und das gilt sogar für Länder wie Großbritannien, Italien u.a. Über die Aktivitäten der Gruppe wird jeweils referiert; anschließend sind die Akteure mit ihren Lebensdaten aufgelistet. Zu jeder Gruppe wird, sofern vorhanden, Literatur angegeben. Peter Dittmar schrieb in der Weltkunst dazu: »Die Geschichte der Kunst ist in wesentlichen Momenten zugleich eine Geschichte der Künstlergruppen. Das Ergebnis erweist sich als bemerkenswert erhellend«.
Leseprobe: Psychologie und Symbol
Künstlergruppen
Der im November 2013 verstorbene Schriftsteller und Verleger
Wolf Jobst Siedler (*1926) äußerte sich seinerzeit in einem Artikel für den Tagesspiegel, Berlin, über das dreibändige Nachschlagewerk Künstlergruppen seit 1900 wie folgt:
In aller Zerspaltenheit war Europa eben doch eine geistige Einheit
Der Privatgelehrte Christoph Wilhelmi arbeitet seit Jahren an einer Gesamtdarstellung der Künstlergruppen seit 1900. Der Ertrag ist ein geradezu monumentales Handbuch geworden. Das Gesamtwerk stellt den Aufbruch der Moderne in Gesamteuropa dar.
Dies ist ein Nachschlagewerk, das nicht zur Lektüre gedacht ist, aber in dem der künstlerische Ertrag auch der Randnationen vom Baltikum bis zum Balkan erfasst ist. Wer wissen will, wie es mit dem Aufbruch des Neuen in Polen, Russland und Slowenien bestellt war, wird hier alle Gruppierungen und Personen verzeichnet sehen. Das ist auch da interessant, wo es scheinbar Abgelegenem gilt, den Gruppierungen in Rußland oder den widerstreitenden Künstlerbünden in Italien.
Das Werk ist ein unvergleichliches Informationsinstrument für Museumsleute, Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Galeristen und natürlich auch für die Künstler selber: Maler Bildhauer oder Architekten. Das sieht auf den ersten Blick nach einer übertrieben akribischen Sammlung von puren Materialien aus, und doch ist das auch in einem höheren Sinne interessant. Der Leser sieht, wie dieser so vielfältig zerspaltene Kontinent eben doch eine geistige Einheit war und ist. Was in Paris gemalt und modelliert wurde, hatte seine Wirkung auch in St.Petersburg, und die Moderne im Habsburger Reich beschränkte sich nicht auf die verschiedenen Nationen im Vielvölkerstaat, sondern wirkte auch auf die mediterrane und iberische Welt. Die revolutionären Künstler in Italien oder Spanien wurden durch das inspiriert, was in Berlin oder Wien stattfand.
Insofern ist dieses dreibändige Kompendium Wilhelmis eine Ehrenrettung Europas. Ein Jahrhundert lang hat Europa sich zwar zerfleischt und fast ruiniert, aber an seinem Ende eine Wiederauferstehung erlebt, die man nicht unbedingt triumphal nennen wird, die sich aber doch als ein bewegendes Element der Neuzeit erweist. Was bei uns zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts geschah, interessiert uns doch am meisten.
Die Brücke, der Blaue Reiter, das Bauhaus und die Secession in Wien. Das hat das ganze Jahrhundert geprägt. Es sind diese Künstler gewesen, die sich am Ende als die grossen Gestalten des ganzen Jahrhunderts erwiesen haben, was übrigens auch für Bildhauerei und Architektur gilt… Alle diese Rebellen von 1905 sind dann die grossen Klassiker des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts geworden, und wenn die altmodische Vokabel angemessen wäre, könnte man sie die Götter der Moderne nennen.
Christoph Wilhelmi geht ihren Freundschaften und Feindschaften nach, ihren vielfältigen und immer wieder wechselnden Zusammenschlüssen. Das Buch ist nicht als Lesebuch angelegt und will es nicht sein. Aber man liest sich dennoch fest darin, und insofern ist es mehr als ein Nachschlagewerk.
Leicht gekürzte Fassung
An dieser Stelle sage ich Dank an den Fotografen und Layouter Jim Zimmermann (www.jim-zimmermann.de), der hilfreich der Materialfülle und den Bildern dieser website eine Struktur zu geben verstand sowie seit über 10 Jahren die Datei pflegt und aktualisiert.
Bildnachweis
Eröffnungsbild aus: Laura Pagnotta: Bartolomeo Veneto. Firenze 1997 S. 131