Lucas Cranach d.Ä.
Philipp Engelbrecht


05.06-Cranach-dÄ-Engelbr240Die National Gallery in Washington verfügt innerhalb der H. Kress Collection (Nr.1959.9.1) über ein besonders ausdrucksstarkes Portrait, das Bildnis eines bartlosen Mannes (Öl auf Holz, 58,7 x 43 cm). Hier ist Cranach d. Ä. eine Charakterstudie gelungen. Er hat es 1522 datiert und oben links mit der Flügelschlange, dem Markenzeichen Cranachs, signiert.

Glücklicherweise hat sich auch das zugehörige Bildnis einer Frau (Nr. 1559.9.2), also der Frau des Dargestellten und ebenfalls in Washington beheimatet, erhalten ─ beide charakteristische Werke von Cranach d. Ä. Friedländer/Rosenberg haben sie unter Nr. 145/46 registriert. Wegen der geringen Details in den Gemälden gelang es bisher nicht, die Identität des Paares zu ermitteln. Hier soll nun ein begründeter Versuch dazu gemacht werden.

Cranach hat hierbei nicht, wie in sonstigen Portraits von ihm, neben dem Entstehungsjahr auch das Alter der Person verzeichnet. So bleibt nur die Möglichkeit der Schätzung: Es dürfte sich um einen etwa 30 Jährigen handeln. Auch findet sich in dem Bild kein Accessoire, von dem auf die berufliche Tätigkeit des Mannes Rückschlüsse möglich wären. So ist verständlich, daß das Paar anonym blieb. Bei der feinsinnigen Physiognomie des Mannes ist immerhin von einem Akademiker auszugehen, was durch den schwarzen Rock in gewisser Weise bestätigt wird.

Rechnet man von dem Entstehungsjahr 1522 rd. 30 Jahre zurück, kommen Personen aus den Jahrgängen 1492─1495 infrage. In Betracht zu ziehen ist ferner eine Person, die sich 1522 im kursächsischen Territorium aufgehalten hat und 1522 verheiratet war, denn offenbar waren beide Dargestellten beim Porträtieren damals schon Eheleute. Dementsprechend wurde das Personenregister der Veröffentlichung von Werner Schade im Hinblick auf die Altersstufe herangezogen.

Die genannten Voraussetzungen treffen zu auf die Person von Philipp Engelbrecht gen. Engentinus (d.h. aus Engen stammend, damals einer Stadt unter österreichischer Herrschaft nahe der heutigen Schweizer Grenze), dessen Geburtsjahr von P. G. Bietenholz noch mit ca. 1499 angegeben wird. Doch da Engelbrecht nachweislich sein Studium 1508 in Leipzig begann, kommt nur ein Geburtsjahr Anfang der 90er Jahre in Betracht. Außerdem stand Engelbrecht mit Ulrich von Hutten (*1488) und Georg Spalatin (*1484) in Kontakt und kann daher vom Alter nicht erheblich differieren. Immerhin wird Engelbrecht dreimal (S.27, 379, 386) bei Werner Schade erwähnt. Ein zur Klärung erwünschtes Vergleichsportrait gibt es allerdings nicht.

Philipp Engelbrecht wechselte im Herbst 1508 an die Universität Wittenberg. 1512 machte er dort zusammen mit Martin Luther seinen Magister. Dessen Engagement muß ihn beeindruckt haben, denn es ist ein Brief von ihm an Jacobus Bedrotus (1495─1541) von 1526 erhalten, in dem er sich für Luther einsetzte. 1514 ging Engelbrecht wieder nach Freiburg zurück, weil Uldaricus Zasius (1461─1535) ihm an der Universität ein Lektorat für Poesie verschaffte ─ sein eigentliches Metier. Da diese Tätigkeit nicht für seinen Lebensunterhalt ausreichte, arbeitete er wie so viele Scholaren damals für Drucker bzw. Verleger als Lektor und Übersetzer. So war er um die Zeit bei dem Drucker Johann Froben tätig, in dessen Werkstatt er die Bekanntschaft mit Erasmus von Rotterdam machte, mit dem er auch später korrespondierte. Als die Pest ausbrach, floh er nach Konstanz, wo ihn der Humanist Thomas Blarer ( 1567), der spätere Bürgermeister, aufnahm. Diesen und Luther begleitete Engelbrecht 1521 zum Reichstag nach Worms.

Während das Portrait von Engelbrecht sich betont schlicht gibt, scheint er 1522 wirtschaftlich einen Schritt nach vorn getan zu haben. Es wird berichtet, daß er sein Salär an der Universität von 40 auf 60 florin (Gulden) jährlich steigern konnte. Außerdem ist überliefert, daß er seinen Bart geschoren habe. Diesen Sachverhalt bestätigt das Gemälde. Ob die Heirat ihm ebenfalls zu Wohlstand verhalf, ist ungeklärt. Über seine Frau Magdalene Pfister sind keine persönlichen Daten überliefert. Ihre etwas asthenisch wirkende Gestalt ist wirkungsvoll gegen das Grün des Hintergrunds platziert, die Farbe sparsam eingesetzt: schwarzes Barett, schwarzes Wams und schwarz verschnürte rote Taille. Das Doppelportrait weist eine Besonderheit für Cranach auf: Beide Personen werfen einen leichten Schatten auf die monochrom grüne Rückwand. Außerdem ist diese oben und jeweils an einer Seite am Rand verschattet.

Allem Anschein nach hatte Engelbrecht Neider an der Universität; besonders die altgläubigen Dozenten versuchten, ihm am Zeug zu flicken, z. T. auch an seinen neulateinischen Versen, die er drucken ließ. Publizistisch blieb Engelbrecht in Erinnerung durch Übersetzungen antiker Autoren wie Valerius Flaccus und Persius. Ferner verfaßte er eine Vita von St. Lambert, dem Stadtheiligen von Freiburg im Breisgau, der noch heute durch eine Statue von 1719 vor dem Münster präsent ist.

Der Wohlstand beschützte Engelbrecht nicht vor Krankheit. Leidend zog er sich nach Straßburg zurück, wo er 1528 starb. So ist sein hinterlassenes Werk infolge des kurzen Arbeitslebens vergleichsweise schmal.

Literatur
Peter G. Bietenholz. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
John Oliver Hand: German Paintings of the fifteenth through seventeenth centuries. Washington 1993
Werner Schade: Die Malerfamilie Cranach. Dresden 1974

Bildnachweise
John Oliver Hand: German Paintings of the fifteenth through seventeenth centuries. Washington 1993 S. 42

Anmerkung
Im CranachDigitalArchive hat das Portrait die Kennung
USNGA1959-9-1. Der Inhalt wurde noch nicht aktualisiert.