Mikuláš Medek

01.01 Pan-Enterprise 240Mikuláš Medek: Pan Enterprise. 1968.
Soukr. Sbirka
Die ideologische Teilung Europas von Mitte bis Ende des vorigen Jahrhunderts hat nicht nur politische Folgewirkungen gehabt, sondern auch im Bereich der Kultur. Während es im literarischen Sektor manchem Schriftsteller östlich des Grenzverlaufs gelang, wenn auch mit Risiken, Werke in Westeuropa zu veröffentlichen, waren die bildenden Künstler stärker
benachteiligt, da sie von aktuellen Schauplätzen des Kulturbetriebs abgeschirmt wurden. Bei der Ausfuhr von Gemälden z.B. waren sie in der Tschechoslowakei von der vielfach inkompetenten, staatlichen Organisation art centrum abhängig, die es auf Devisen abgesehen hatte, nicht auf die Förderung zeitgenössischer Künstler.

Zu diesen gehörte auch der aus Mähren stammende Mikuláš Medek (*1926 - 1974). Obwohl er unter seinen Kollegen als einer der talentiertesten angesehen wurde und an drei tschechischen Künstlergruppen beteiligt war (Šmidrové, Surrealistická Skupina und Znameni Zvĕrokruhu bzw. Signes de Zodiaque), kamen nur selten Einzelausstellungen im Westen zustande; diese waren in der Regel auf die Hartnäckigkeit einzelner Galeristen gegenüber den tschechischen Institutionen zurückzuführen wie z.B. die Galleria La Bertesca in Genua, welche schon 1967 Medek zu einem Aufenthalt in der Stadt einlud und die in der Phase entstandenen Bilder ausstellte. 1969 brachte es der Leiter des Museum der Stadt Regensburg fertig, eine umfangreichere Ausstellung zu bewerkstelligen, allerdings vor minimalem Publikum.

1970 gab art centrum der gebündelten Initiative der Galerie am Klosterstern, Hamburg, und des Kunstkreis Leinfelden nach und bewilligte den Transport von Gemälden ins westliche Ausland. Die beiden Ausstellungen begannen einige Sammler zu interessieren. Das einzige Museum in Deutschland, das auf Medek aufmerksam machte, war die Kunstsammlung des Museum Bochum 1976 ─ zwei Jahre nach Medeks frühem Tod und damit die erste Retrospektive. Diese machte der, infolge des Prager Frühlings in die Bundesrepublik gekommene Dr. Petr Spielmann, Brno, möglich, dem die Leitung des Museums übertragen worden war. In dem zur Ausstellung erschienenen Katalog wurde erstmals im Ausland die Doppelbegabung Medeks sichtbar, indem darin Texte aus seinem lyrischen Werk abgedruckt wurden, das thematisch stark mit seinen Gemälden der 60er Jahre korrelierte.

Mikuláš Medek hier einzubeziehen, beruht auf dem Motiv Portrait. Zur Zeit des Informel war ein Portrait eigentlich nicht denkbar. Aber auch der Surrealismus und das Portrait kamen kaum zusammen, sieht man von André Bretons Selbstportrait ab. Doch für Medek bestand gerade in dem Paradox das malerische Problem. Er sah in Spuren, Abdrücken oder auch Hinterlassenschaften Bestandteile für die Möglichkeit, einen Menschen auf neue Weise zu porträtieren.

Mit großer Verspätung erschien 1995 ─ also Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ─ die Publikation Mikuláš Medek Texty (ISBN 80-85639-56-4), versehen mit etlichen Fotos seiner Frau, der namhaften surrealistischen Fotografin Emilá Medková (*1928─1985) aus der Zeit der fast illegalen 2. Phase des Prager Surrealismus. Politische Rückendeckung bekam Mikuláš Medek nur einmal, als der tschechische Staatspräsident Václav Havel 2002 im historistischen Rudolfinum in Prag nahe der Moldau eine große Gedenkausstallung für Medek initiierte. Der dazu erschienene große Katalog, von Eva Kosáková und Antonín Hartmann erarbeitet, bietet das reichste Bildmaterial über den Künstler; die Interpretation Medeks in der Propyläen-Kunstgeschichte (Supplement 2: Kunst der Gegenwart. Berlin 1978) hat noch Bestand.

In einer Zeit, welche Events bevorzugt, wurde ein solcher, geradezu surrealer, 2002 von der Natur frei Haus geliefert: Das Ausstellungsgebäude, das Rudolfinum, stand während des Elbe-Hochwassers buchstäblich im Wasser; die Gemälde nahmen glücklicherweise keinen Schaden. Doch die Kulturredaktionen der großen deutschen Zeitungen nahmen von der Ausstellung keine Notiz; auch liessen sich die Museen der Prag nahe gelegenen Großstädte Dresden und Leipzig nicht zu einer Folgeausstellung inspirieren.
Es spricht für Mikuláš Medek, daß seine Genialität und seine kulturhistorische Vernetzung (Theoderich von Prag, Leonardo u.a.) sich nur wenigen erschließt.                                                                                                                                              
Christoph Wilhelmi:
Katalogtext zur Eröffnung der Mikuláš Medek-Ausstellung 1970 im Kunstkreis Leinfelden


01.02 Medek 240Mikuláš Medek             Foto: Evelyn Richter»Das Bild ist eine gewisse sensitive Fläche, über die eine psychische Begebenheit hinüberstürmte, und die, im Bewegungsprozeß fortschreitend, eine sachliche Nachricht über ihre Existenz in einem System von Spuren und Abdrücken hinter sich gelassen hat«.

Mikuláš Medek umreißt mit dieser Aussage zu seiner ersten Ausstellung 1963 in Teplice seine Konzeption erstaunlich distanziert. Er weist sich damit als ein hypersensitiver Künstler aus. Dem Außenstehenden unerheblich erscheinende Ereignisse haben für ihn symptomatischen Charakter, dazu einen dramatischen Verlauf, der ihn zur Wiedergabe zwingt. Antonín Hartmann beschreibt den Ablauf: »Mikrodetonationen einer psychischen Aktivität türmen diese farbige Materie auf, kratzen sie, zerreißen die Nerven, perforieren und dematerialisieren durch Dekalkieren«.

Alle Gefühle und Gedanken werden von Mikuláš Medek einer komplizierten Sublimierung unterzogen. Durch den Eingriff seiner Imagination versteht er sie umzuwandeln in sensitive Signale d.h. Nachrichten über psychische Ereignisse: Schmerz, Angst Schrecken …

Zum Prozeß der Objektivierung durch den Malvorgang äußert Medek: »Das Ereignis wird realisiert in unmittelbarem Kontakt mit der Materie des Kunstwerkes, mit dessen Material«. Seine Bildflächen gleichen Quadratzentimeter für Quadratzentimeter geschundener Haut, da die Farbmembran stellenweise aufgerissen wird, so daß sich Farbkrusten bilden.

01.03 Frau-Medek 240Emila Medková            Foto: Evelyn Richter»Eine komplizierte Maltechnik von einigen übereinandergelegten Farbschichten, wobei einige Schichten im resultierenden Gemälde mehr, andere weniger und manche überhaupt nicht zur Geltung kommen« schreibt Bohumír Mráz [desssen Medek-Monographie leider nicht beendet und daher nicht publiziert wurde]. »Die Materie des Bildes ist bei Medek ein hochaktives Element, ihr Widerstand beeinflußt den Charakter der Aussage, sie ist geradezu Stoff zu poetischer Träumerei. Und so werden die ursprünglich unpoetischen Emotionen im Verlauf der Realisierung mit einem hohen poetischen Potential geladen und in Malmaterie geformt schließlich eine selbständige künstlerische Realität, ein emotionaler Appell ästhetischer Ordnung«. So definiert Jíří Padrta die Genese von Medeks Bildern.

Daraus wird deutlich, daß Medeks Malerei der psychischen Struktur wenig gemeinsam hat mit der surrealistischen Traumsymbolik, bei der auch er begonnen hat (in der frühen Periode bis 1948), die aber nach Freud eine Regression bedeutet. In seiner zweiten Phase von 1949 bis 1951 sind Anlehnungen an den magischen Realismus von Max Ernst und S. Dalí erkennbar. Nach der dritten, sog. existenzialen Periode leiten die Venus-Gemälde (hier vertreten durch die Blaue Venus) 1958 über zu den für Medek von nun an charakteristischen Sinnbildsystemen. »Zum malerischen Grundmaterial wird die synthetische Emaille, zum technischen Hauptverfahren die Perforation« stellt B. Mráz fest. Sensitive Signale und sensitive Manifeste sind die Reaktion auf die Großstadtumwelt, deren verwirrend kompliziertes Kommunikationssystem.

Medek ist physisch ein Produkt der Großstadt, intellektuell der traditionsreichen Weltstadt Prag. Es bedeutet Unbehagen für ihn, die Großstadt zu verlassen, wie sehr er auch unter der Beeinträchtigung der Großstadt leidet. In seiner neuesten Phase tritt daher die Stadt in zunehmendem Maß in ihren vielfältigen Sinnbildern auf. Aus den Symbolformen des Turmes, des technischen Details von Zangen, Schrauben, Kugeln und Scharnieren gestaltet er ─ darin dem [seinerzeit in Prag tätigen] Manieristen Arcimboldo vergleichbar ─ Abbilder des Menschen unserer Gegenwart. Bei dieser neuen Konzeption des Menschen handelt es sich nicht mehr um Portraits im üblichen Sinn, sondern der Sachen, die den Menschen symbolisch vertreten. »Wenn Arcimboldo aus Gegenständen der Natur zusammengesetzte menschliche Portraits malte, dann faßt Medek den Menschen als eine Stadtarchitektur auf ─ als ein Haus oder als Gebilde technischer Zivilisation« (B. Mráz). Die Experimentierphase der Materialbilder hat Medek dabei übersprungen.

Mikuláš Medek läßt sich nicht einordnen. Seine Arbeiten weisen ihn als einen bedeutenden Einzelgänger in unserer Kulturlandschaft aus. Trotz seines Alleingangs hat er sich nicht isoliert. Seine Thematik ist beziehungsreich und trotz mancher Verschlüsselungen zugänglich. Sein Umgang mit Farbe und Material löst spontane Sympathien aus: »Malerische Vorstellung dringt direkt in malerische Masse durch und appelliert als farbiges Leuchten, als farbiges Strahlen an den Betrachter« (B. Mráz).

Literatur
Bohumír Mráz: Mikuláš Medek. Praha 1970

01.04-Medek-und-Wilhelmi 580Mikuláš Medek und Christoph Wilhelmi im Atelier Medek                                                    Foto Evelyn Richter