Handbuch der Symbole in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts
Psychologie und Symbol

Inhalt

02.01 Handbuch-der-Symbole 240ISBN 3-7934-1625-9Einleitung
01 Die begriffliche Basis der Interpretationsliteratur
02 Das Repertoire der Symbole
03 Symbole und Mehrdeutigkeit
04 Philosophie und Symbol
05 Psychoanalyse und Symbol
06 Mythologie und Symbol
07 Strukturalismus und Symbol
08 Symbole in der modernen Kunst ─ Ein System von Zeichen?
09 Künstler und Symbol
10 Gesellschaft und Symbol
11 Symbole und Rezeption
12 Begriffsübereinstimmung zwischen Künstler und Betrachter?

Sachwörterbuch der Gegenstände und Figuren
Sachwörterbuch der Begriffe und Vorgänge
Namenregister ─ Künstlerregister ─ Literaturverzeichnis ─ Abbildungsverzeichnis

Auszug: Kapitel 05
Psychoanalyse und Symbol
Kunstwerk und Wesen des Künstlers hängen eng zusammen. Wie die Psychoanalyse kann die Kunstinterpretation bis zu einem gewissen Grade auch ´Aufarbeitung der Lebensgeschichte´ (Alfred Lorenzer) sein. Dabei hat die Psychoanalyse der Kunstinterpretation voraus, über ein konsequentes Instrumentarium zu verfügen. Am Beispiel G. Braques, M. Chagalls und R. Magrittes werden wir noch feststellen (S. 49), daß prominente Künstler des 20. Jahrhunderts eine symbolische Ausdeutung ihrer Bilder ablehnen, vermutlich weil sie eine Bloßlegung ihres innersten Bereiches fürchten. Doch es gibt auch gegenteilige Beispielewie etwa Antoine Pevsners Plastik ´Colonne symbolisant la Paix´, 1954.
Bezeichnenderweise heißt eines der wichtigsten Bilder von Jackson Pollock ´Suche nach einem Symbol´(datiert 1943). Wie Oskar Bätschmann (1970, S. 20) in seiner Pollock-Monographie schreibt, »geht Pollock nicht von einem literarischen Thema oder von Gegenständen aus, die er darstellen will, sondern vom Malen [als Vorgang] , das nach seiner Ansicht ´ein Weg des Suchens im Unbewußten´ ist und das in Symbole einmündet, in denen das Unbewußte freigelegt ist ... Im weiteren Verlauf des Malprozesses wird das Symbol .des Unbewußten mitgetragen und geklärt, aber nicht eindeutig festgelegt«.

Aus dem Begriffsschatz dieses Zitats geht hervor, daß der Begriff des Symbols in der bildenden Kunst des 20.Jahrhunderts nicht ohne Eerörterung de Symbolbegriffs der Psychoanalyse verwendet werden kann, zumal Pollock mit seiner Auffassung nicht allein steht. So berichtet Wieland Schmied (173a, S. 297) z. B. »Dali ... hat auch ...(lt. Thr. Soby) seine Bilder angefüllt und aufgeladen (und vielleicht auch überladen ) mit einem ganzen Arsenal von Symbolen und Fetischen, wie er sie etwa in den Krankengeschichten eines Krafft-Ebing (den er ebenfalls früh studiert hat) und in obskuren Traumbüchern fand. Er hat seine eigene Paranoia künstlich angeheizt und mit Elementen aller anderen Geisteskrankheiten, Verdrängungen und Zwangsvorstellungen, deren er irgendwie habhaft werden konnte, Ihre Klischees wurden ihm zu fixen Ideen.
Dalis Bilder enthalten die ganze Ikonographie der Psychoanalyse: Was immer er an Symbolen des Unterbewußtseins in der Literatur fand, machte er seinen eigenen Zwängen dienstbar. Er verwendete sie, aber verfremdete zugleich die diesen Fetischen und Klischees anhaftenden Bedeutungen, verdunkelte sie, verkehrte sie, löschte ihren Symbolcharakter  weitgehend und versuchte ihnen einen willkürlichen Sinn aufzuerlegen. Er behandelte diese übernommenen Zwangsbilder nicht anders als alle Elemente der Realitätm, integrierte sie in den disparaten Zusammenhang seiner Kompositionen, so daß oft schwer zu entscheiden bleibt, was bei ihm eigenes und was angeeignetes Trauma ist«.
Die Kenntnis psychoanalytischer Symbolforschung wird somit zum Verständnis der künstlerischen Absicht unerläßlich.

Zunächst ist anzumerken, daß der Symbolbegriff der Psychoanalyse einen von der bildenden Kunst abweichenden Ausgangspunkt hat. Das ist insofern nicht verwunderlich, als er vom Traumgeschehen ausgeht, das in der Therapie analysiert werden soll. Der Vorgang des Malens ist jedoch dem Traumverlauf nicht gleichsetzbar, trotz aller vehementen Anstrengungen der Surrealisten um André Breton (mit den Experimenten écriture automatique, cadavre exquis etc.). Dazu teilt Frantisek Smejkal (1974, S. 12 ) mit: »In Wahrheit war jedoch die unmittelbare Inspiration durch den Traum bei den surrealistischen Malern sehr selten, und die meisten Werke, die Breton zu ihr zählt, können dem Konto der aktiven, wachen Imagination zugeschrieben werden«. Der Malvorgang bleibt also ein zu ganz wesentlichem Teil vom Bewußtsein des Künstlers kontrollierter Vorgang. Daß S. Dalis Traumgemälde niemals im Zustand des Träumens gemalt wurden, dürfte hinlänglich bekannt sein. Schon die handwerkliche Präzision erfordernde altmeisterliche Technik verlangt dem Malenden ab, daß er sich im vorhinein völlig über die Programmierung des Bildes im klaren zu sein hat. Im Gegensatz dazu fanden sich eher einige Tachisten, wie neuerlich ermittelt wurde, während des im allgemeinen relativ kurzen Malprozesses in Situationen, die Trance, Haypnose oder Rauschzuständen vergleichbar sind.

Da der Traum ein vom Ich unkontrolliertes Geschehen wiedergibt, können also Traumsymbole - vom Es inszeniert - nicht deckungsgleich mit mit den Symbolen der bildenden Kunst sein, die zwar aus dem Unbewußten gerspeist werden, aber nicht ohne einen Akt des Bewußtmachens zustandekommen. Diesen Zusammenhang kann vielleicht eine Äußerung von Lucio Fontana aus dem ´Weißen Manifest´ (in: Guido Ballo 1971, S. 189) erhellen: »Eine Kunst, deren Formen vom Unterbewußtsein geschaffen und von der Vernunft kontrolliert werden, stellt den Ausdruck des wirklichen Seins und eine Synthese des historischen Augenblicks dar«.
Schließlich steht noch die Statik des gemalten Bildes im Widerspru h zum rasch abrollenden Traumgeschehen. Unbestritten bleibt jedoch, daß der Vorgangs des Maslens durch Vorgänge im Traumbereich in Gang gesetzt werden kann, da er Bildideen erzeugt.

Der Malvorgang wird aber immer seinen eigenen Verlauf nehmen. In den Malvorgang können sich allenfalls - ungewollt und damit unbewußt - Bildelemente einschleichen, die durch die Kontrolle des Ich geschlüpft sind. Die Bemühungen der Surrealisten, von denen die Rede war, stellen also Versuche dar, die Ratio zu überlisten. Aber die »Fixierung der Traumvorstellungen« unterliegt »den Gefahren der Interferenz rationaler Eingriffe und ästhetischer Retuschen«, wie F. Smejkal (1974, S. 12) meint. Heute sind diese Vorgänge lediglich von kunsthistorischem Interresse.

Festzuhalten bleibt: Es finden sich Bestandteile des Unbewußten - im Traum stärker, im Bild geringer -, die symbolischen Charakter annehmen können. Ob und wie sie zu deuten sind, mag hier offen bleiben. Im allgemeinen fühlen sich die Künstler selbst teils nicht in der Lage, teils sind sie nicht willens (einer möglichen Entzsuberung wegen), dazu Erklärungen abzugeben. Da aber sowohl die sog. Traumbilder als auch die im kontrollierrten Malprozeß entstandenen Bildelemente ihre Wurzeln im Unbewußten haben, ist das Traumgeschehen mit dem Ursprung des des Bildes verwandt. Von daher ist es aufschlußreich, sich die Wandlung des Symbolbegriffs der Psychoanalyse vor Augen zu führen.
   
S. Freund begann mit der primären Definition als Erinnerungssymbol ohne inhaltlichen Bezug; »er wird strikt als zeitliche Markierung benutzt« (A. Lorenzer 1970, S. 14). Bei Walter Winkler (1949, S. 92)  liest sich die Problemstellung noch relativ einfach und erscheint eigentlich geklärt: »Nun unterscheiden die psychoanalytischen Schulen aber zweierlei Arten von Symbolen. Die einen sind sozusagen ´Privatsymbole´. Sie stammen aus der Erlebniswelt und der Lebensgeschichte des einzelnen. Man muß sie von Fall zu Fall als Symbole diagnostizieren und individuell deuten. Bei der anderen Art von Symbolen handelt es sich um allgemein gültige Metaphern, die m an genau so gut an den Mythen der Vorfahren studieren kann. Nach C. G. Jung entspringen die einen Symbole den persönlichen, die anderen dem kollektiven Unbewußten«.

Aus dieser Feststellung geht nicht hervor, welche heftigen Auseinandersetzungen sich innerhalb der psychoanalytischen Forschung  in den zurückliegenden Jahrzehnten abgespielt haben. Die Symbolproblematik nahm nämlich innerhalb der psychoanalytischen Theorie von Anfang an einen zentralen Platz ein. Dementsprechend dauern die unterschiedlichen Auffassungen bzw. teilweise unüberbrückbaren Gegensätze bis heute an.

Die Richtungskämpfe im einzelnen zu referieren, würde im Rahmen dieser Abhandlung zu weit führen. Für den an der Entwicklung der psychoanalytischen Theorie Interessierten bietet sich die einschlägige Studie von A. Lorenzer, ´Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs´, an, in welcher die maßgeblichen Theorien der divergierenden Richtungen im Zusammenhang dargestellt sind. In Anlehnung an diese Studie soll nur insoweit auf Differenzierungen des Begriffs eingegangen werden, als sie für das Verständnis des Symbolbegriffs der bildenden Kunst beitragen können.

S. Freud selbst korrigierte seine anfängliche Auffassung (S. 21) der »eigentlichen« Symbolik, die durch Konstanz und überindividuelle Bedeutung gekennzeichnet ist, mit seiner Methode dee »freien Assoziation«, die J. I.Kants in der Philosophie vergleichbar) darstellt. A. Lorenzer (1970, S. 21/22) schreibt über diese Entwicklung: »Die Traumdeutung stützt sich mit den Mitteln der freien Assoziation nicht nur auf die Mitarbeit des Patienten, sondern sie läßt sich ihre Beobachtungen ausschließlich (oder doch vorwiegend) von dem untersuchten Subjekt vorschreiben. Freud gab diesem Verfahren sein Profil in Frontstellung gegen alle alten Traumdeutungskünste, deren Fehlerhaftigkeit nach seiner Meinung in der Willkür der Intuition der Traumdeuter und der ganz vom Individuum absehenden Dechiffriermethode lag«.

Demgegenüber stellte W. Stekel fest (in: A. Lorenzer 1970, S. 22): »Doch der Einfall versagt manchmal. Dem Träumer fällt wiederholt aus Gründen innerer Widerstände gar nichts ein. Über diesen toten Punkt hilft uns die Kenntnis der Traumsprache und der Symbolismen hinweg. Hier zweigen meine Forschungen von Freud ab… Ich habe Zusammenhänge gefunden (z.B. die Symbolik des Todes), die ich nie und nimmer von den Einfällender Träumer erfahren hätte. Ich habe die Traumdeutung unabhängiger vom Willen der Analysierten gemacht«.

Dieser Antagonismus der Lehrmeinungen ist bis heute nicht aufgehoben; er ist durch Ausbau und Differenzierung der Forschung nur vielgestaltiger geworden. Einem entscheidenden Einwand gegen die Stekelsche Linie formuliert A. Lorenzer (1970, S. 23) selbst folgendermaßen: »Das Symbol – deutlich wird das beim Traumsymbol – gewinnt in jenem Auffassungsrahmen einen Offenbarungscharakter, der alle Traumdeutung und jede psychologische Deutung überhaupt in den Rang einer unkritischen Exegese verweist. Psychoanalyse würde, folgte sie diesem Zug, mit derselben Wendung aus dem Bereich der Naturwissenschaften wie der Sozialwissenschaften zugleich ausgeschlossen«.

S. Freuds Intention bestand übrigens in der Zielsetzung, »Psychoanalyse eines Tages in Physiologie auflösen zu können« (A. Lorenzer 1970, S. 24), also gerade in die Naturwissenschaften zu integrieren. Aus naturwissenschaftlicher Sicht mußten sich aus den Symbolen ergebende Offenbarungen als »metaphysische« Aussagen verstehen lassen, »die Konstruktionen wie dem kollektiven Unbewußten Jungs den Boden bereitet« (A. Lorenzer 1970, S. 25) haben.

Die Zielvorstellung Carl Gustav Jungs liest sich in seinem Werk ´Symbolik des Geistes´ (1972 S. 351) so: »Es lag mir daran, zu zeigen, daß die archetypischen Ideen zu den unzerstörbaren Grundlagen des menschlichen Geistes gehören. Mögen sie auch noch so lange vergessen und verschüttet sein, immer kehren sie wieder, oft in seltsamen Verkleidungen und persönlichen Verrenkungen oder in vernunftgemäßen Entstellungen, wie die arianische Christologie und Homoiousie, immer stellen sie sich in neuen Formen wieder her als eine zeitlose, der menschlichen Natur eingeborene Wahrheit«.

Wie wir noch sehen werden, hatte und hat diese idealistische Auffassung großen Einfluß auf maßgebliche Interpreten wie auch Künstler (z.B. J. Pollock und auch Antoni Tàpies, der 1975 (S. 13) äußerte: »Im menschlichen Unterbewußtsein gibt es immer gewisse Konstanten, das, was man die Archetypen nennt, jene Symbole, die sich immer wiederholen zu allen Zweiten und in allen Kulturen, weil sie Schöpfungen unserer Natur sind, des ´kollektiven Unbewußten´«.  

Auf den Konflikt der psychoanalytischen Richtungen können wir uns hier nicht weiter einlassen, zumal er durch die Arbeit von Ernest Jones ´Die Theorie der Symbolik´(1916) relativiert wurde. Über die Eigenschaften schreibt er: (1978, S. 61): »Die konstante Bedeutung. Die hier mitgeteilte Feststellung bedarf einer Abänderung. Ein bestimmtes Symbol kann zwei oder gelegentlich auch mehr Bedeutungen haben« (S. 62). »Die Unabhängigkeit von individuellen Bedingungen… Statt Statt ´unabhängig´ sollte es besser heißen ´nicht allein abhängig von individuellen Bedingungen´«.

Damit ist nach A. Lorenzer »die Tendenz zu einer Ontologisierung von Symbol und Unbewußtem noch einmal zurückgewiesen. Das ´Objektive´ ist zurechtgerückt zu dem soziokulturell vorgegebenen Gehalt, der immer erneut angeeignet werden muß«.

Die Aneignung spielt übrigens - nun wieder bezogen auf die bildende Kunst - in der Tat eine große Rolle, wie das Beispiel Max Beckmann zeigen wird (s.S.39). Doch an dieser Stelle sollte vielleicht nach getragen werden, um welches Material es eigentlich bei der psychoanalytischen Forschung handelt. Joachim Scharfenberg (1974, S. 333/34) referiert darüber: »Die Psychoanalyse war nun tatsächlich der Meinung, daß es sich so verhalten müsse. Neben den individuell gebildeten Symptomen und Traumsymbolen gibt es zweifelhafte Symbolbildungen überindividueller Art, die nicht jedesmal neu geschaffen werden, sondern gleichsam bereitliegen, die ein für allemal fertig sind, deren sich das Individuum nur bedient. Der ersten Psychoanalytikergeneration sprang geradezu ins Auge, daß diese kollektiven Symbole fast ausschließlich mit der Sexualität zu tun hatten. Das ließ den Schluß zu, daß der Mensch den Umgang mit seiner eigenen Sexualität vornehmlich in verschlüsselter Form vornimmt«.

Dabei ist es mit einem unkritischen Symbolbegriff nicht mehr getan, und J. Scharfenbergs (1976, S. 335) Formulierung »Symbole sind gespeicherte Bedeutung« reicht nicht aus. Auch Lawrence S. Kubies Definition von 1958 bleibt ziemlich allgemein: »Der symbolische Vorgang stellt stets eine Verdichtung von bewußten, vorbewußten und unbewußten Symbolwerten dar« (in: A. Lorenzer 1970, S. 61). 

Sandor Ferenczi (in: A. Lorenzer 1970, S. 28) schränkt stärker ein und stellt fest: »Nicht alles, was für etwas anderes steht, ist ein Symbol. Ursprünglich mag das Sexuelle sowohl im eigentlichen als auch im übertragenen Sinne im Bewußtsein vertreten sein; die Sexualität freut sich gleichsam, sich in allen Dingen der Außenwelt wiederzufinden, ´das All wird sexualisiert´. Zum Symbol im Sinne der Psychoanalyse wird ein solches Gleichnis erst vom Moment an, wo die Zensur die ursprüngliche Bedeutung des Gleichnisses ins Unbewußte verdrängt. Darum kann z. B. der Kirchturm nach der einmal vor sich gegangenen Verdrängung wohl einen Phallus, nie mehr aber der Phallus einen Kirchturm ´symbolisieren´«.

Die Symbolbildung von Verdrängung abhängig zu machen, wurde jedoch im Laufe der fortschreitenden Entwicklung der Psychoanalyse immer problematischer. Dazu noch einmal J. Scharfenberg (1974, S. 334): »Die daraus [aus der Urhordentheorie Freuds] sich ergebenden Konsequenzen für die Symboltheorie blieben jedoch über Jahrzehnte hinweg Allgemeingut der psychoanalytischen Theorie. Sie lassen sich auf die kurze Formel bringen: Nur was verdrängt ist, bedarf der Symbolisierung - das Symbol ist das Ergebnis eines menschheitsgeschichtlichen Verdrängungsvorgangs. Das hieß aber in der Konsequenz, die Vorstellung von seelischer Gesundheit mit der Abwesenheit von Symbolen zu verbinden«.

Hier sind wir auf die entscheidende Abweichung des psychoanalytischen Symbolbegriffs von dem der bildenden Kunst gestoßen. Derenb Symbole kommen zumeist als Folge des gedanklich vorbereitete3n Malvorgangs zustande (W. Morgenthaler nahm an, daß dem Triebhaften eine normative und eine formale Funktion gegenüberstehen, vgl. Leo Navratil ´Schizophrenie und Kunst´ 1965, S. 112) und wohl selten als Produkt der Verdrängung, im Gegenteil: der Malvorgang ist ein Prozeß des Hervorkehrens. Allerdings fragt es sich, ob das Abstreiten vieler Künstler, ihre Malerei enthielte Symbole, eine Form der Verdrängung ist. Träfe das zu, wäre A. Lorenzers (1973, S. 110) These übertragbar, die er für die Sprachsymbole konzipiert hat: »Die verschiedenen Sprachformeln stehen mit den verdrängten Interaktionsformen in Korrespondenz, sie sind Kompromißbildungen und in das Geschehen  so einbezogen, daß sie privatistisch verzerrt aufs Verborgene verweisen. Gerade ihre privatistische Verzerrung ist ein Wegweiser zu den verdrängten Inhalten … In der Deutung wird schrittweise der Zusammenhang mit den verpönten Interaktionsformen hergestellt, womit zugleich der Konflikt aufgearbeitet wird. Interaktionsformen und Sprachfiguren müssen aufgefunden und zusammengebracht werden … ist eine noch so treffende Formulierung wertlos, solange sie nicht, der konkreten Lebensgeschichte des Individuums entsprechend, mit den Interaktionsformen lebensgeschichtlich exakt verknüpft wird« (Weitere Ausführungen über die Interaktionstheorie A. Lorenzers in Kap.10).

Dieser Denkanstoß von seiten der modernen Psychoanalyse ist für die Symbolinterpretation  der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts in mehrfacher Hinsicht ergiebig, auch wenn vielleicht nicht jeder sprachliche und malerische Inhalte gleich zu behandeln bereit ist.

Zunächst einmal wird eine Erklärung gegeben für - prima vista - unverständliche Bildinhalte, die offenbar verschlüsselt sind. Darüber hinaus wird »mit den privatistischen Verzerrungen« eine Erklärung angedeutet, »warum sich in vielen Fällen der Generalschlüssel der Archetypen des kollektiven Unbewußten als untauglich erwiesen hat.

Schließlich weist A. Lorenzer auf einen besonders wunden Punkt hin, an dem ein Großteil der Interpretationsliteratur krankt (auch wenn er nicht die der bildenden Kunst, sondern der Psychoanalyse meint, hat er recht). Sie ist oft ein Tummelplatz der gekonnter Formulierungen,  vor allem dort, wo man Quellenforschung glaubt vernachlässigen zu können, in dem man auf die »kosmischen Zusammenhänge« verweist. Eine aus diesem Denken resultierende Feststellung trifft Herbert Read (1959, S. 156) über P. Picasso (überraschenderweise, denn hinsichtlich Henry Moore gibt es z.B. sehr fundierte Aussagen von ihm): »Es S. Freund begann mit der primären Definition als Erinnerungssymbol ohne inhaltlichen Bezug; »er wird strikt als zeitliche Markierung benutzt« (A. Lorenzer 1970, S. 14). Bei Walter Winkler (1949, S. 92)  liest sich die Problemstellung noch relativ einfach und erscheint eigentlich geklärt: »Nun unterscheiden die psychoanalytischen Schulen aber zweierlei Arten von Symbolen. Die einen sind sozusagen ´Privatsymbole´. Sie stammen aus der Erlebniswelt und der Lebensgeschichte des einzelnen. Man muß sie von Fall zu Fall als Symbole diagnostizieren und individuell deuten. Bei der anderen Art von Symbolen handelt es sich um allgemein gültige Metaphern, die m an genau so gut an den Mythen der Vorfahren studieren kann. Nach C. G. Jung entspringen die einen Symbole den persönlichen, die anderen dem kollektiven Unbewußten«.

Aus dieser Feststellung geht nicht hervor, welche heftigen Auseinandersetzungen sich innerhalb der psychoanalytischen Forschung  in den zurückliegenden Jahrzehnten abgespielt haben. Die Symbolproblematik nahm nämlich innerhalb der psychoanalytischen Theorie von Anfang an einen zentralen Platz ein. Dementsprechend dauern die unterschiedlichen Auffassungen bzw. teilweise unüberbrückbaren Gegensätze bis heute an.

Die Richtungskämpfe im einzelnen zu referieren, würde im Rahmen dieser Abhandlung zu weit führen. Für den an der Entwicklung der psychoanalytischen Theorie Interessierten bietet sich die einschlägige Studie von A. Lorenzer, ´Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs´, an, in welcher die maßgeblichen Theorien der divergierenden Richtungen im Zusammenhang dargestellt sind. In Anlehnung an diese Studie soll nur insoweit auf Differenzierungen des Begriffs eingegangen werden, als sie für das Verständnis des Symbolbegriffs der bildenden Kunst beitragen können.

S. Freud selbst korrigierte seine anfängliche Auffassung (S. 21) der »eigentlichen« Symbolik, die durch Konstanz und überindividuelle Bedeutung gekennzeichnet ist, mit seiner Methode dee »freien Assoziation«, die J. I.Kants in der Philosophie vergleichbar) darstellt. A. Lorenzer (1970, S. 21/22) schreibt über diese Entwicklung: »Die Traumdeutung stützt sich mit den Mitteln der freien Assoziation nicht nur auf die Mitarbeit des Patienten, sondern sie läßt sich ihre Beobachtungen ausschließlich (oder doch vorwiegend) von dem untersuchten Subjekt vorschreiben. Freud gab diesem Verfahren sein Profil in Frontstellung gegen alle alten Traumdeutungskünste, deren Fehlerhaftigkeit nach seiner Meinung in der Willkür der Intuition der Traumdeuter und der ganz vom Individuum absehenden Dechiffriermethode lag«.

Demgegenüber stellte W. Stekel fest (in: A. Lorenzer 1970, S. 22): »Doch der Einfall versagt manchmal. Dem Träumer fällt wiederholt aus Gründen innerer Widerstände gar nichts ein. Über diesen toten Punkt hilft uns die Kenntnis der Traumsprache und der Symbolismen hinweg. Hier zweigen meine Forschungen von Freud ab… Ich habe Zusammenhänge gefunden (z.B. die Symbolik des Todes), die ich nie und nimmer von den Einfällender Träumer erfahren hätte. Ich habe die Traumdeutung unabhängiger vom Willen der Analysierten gemacht«.

Dieser Antagonismus der Lehrmeinungen ist bis heute nicht aufgehoben; er ist durch Ausbau und Differenzierung der Forschung nur vielgestaltiger geworden. Einem entscheidenden Einwand gegen die Stekelsche Linie formuliert A. Lorenzer (1970, S. 23) selbst folgendermaßen: »Das Symbol – deutlich wird das beim Traumsymbol – gewinnt in jenem Auffassungsrahmen einen Offenbarungscharakter, der alle Traumdeutung und jede psychologische Deutung überhaupt in den Rang einer unkritischen Exegese verweist. Psychoanalyse würde, folgte sie diesem Zug, mit derselben Wendung aus dem Bereich der Naturwissenschaften wie der Sozialwissenschaften zugleich ausgeschlossen«.

S. Freuds Intention bestand übrigens in der Zielsetzung, »Psychoanalyse eines Tages in Physiologie auflösen zu können« (A. Lorenzer 1970, S. 24), also gerade in die Naturwissenschaften zu integrieren. Aus naturwissenschaftlicher Sicht mußten sich aus den Symbolen ergebende Offenbarungen als »metaphysische« Aussagen verstehen lassen, »die Konstruktionen wie dem kollektiven Unbewußten Jungs den Boden bereitet« (A. Lorenzer 1970, S. 25) haben.

Die Zielvorstellung Carl Gustav Jungs liest sich in seinem Werk ´Symbolik des Geistes´ (1972 S. 351) so: »Es lag mir daran, zu zeigen, daß die archetypischen Ideen zu den unzerstörbaren Grundlagen des menschlichen Geistes gehören. Mögen sie auch noch so lange vergessen und verschüttet sein, immer kehren sie wieder, oft in seltsamen Verkleidungen und persönlichen Verrenkungen oder in vernunftgemäßen Entstellungen, wie die arianische Christologie und Homoiousie, immer stellen sie sich in neuen Formen wieder her als eine zeitlose, der menschlichen Natur eingeborene Wahrheit«.

Wie wir noch sehen werden, hatte und hat diese idealistische Auffassung großen Einfluß auf maßgebliche Interpreten wie auch Künstler (z.B. J. Pollock und auch Antoni Tàpies, der 1975 (S. 13) äußerte: »Im menschlichen Unterbewußtsein gibt es immer gewisse Konstanten, das, was man die Archetypen nennt, jene Symbole, die sich immer wiederholen zu allen Zweiten und in allen Kulturen, weil sie Schöpfungen unserer Natur sind, des ´kollektiven Unbewußten´«.  

Auf den Konflikt der psychoanalytischen Richtungen können wir uns hier nicht weiter einlassen, zumal er durch die Arbeit von Ernest Jones ´Die Theorie der Symbolik´(1916) relativiert wurde. Über die Eigenschaften schreibt er: (1978, S. 61): »Die konstante Bedeutung. Die hier mitgeteilte Feststellung bedarf einer Abänderung. Ein bestimmtes Symbol kann zwei oder gelegentlich auch mehr Bedeutungen haben« (S. 62). »Die Unabhängigkeit von individuellen Bedingungen… Statt Statt ´unabhängig´ sollte es besser heißen ´nicht allein abhängig von individuellen Bedingungen´«.

Damit ist nach A. Lorenzer »die Tendenz zu einer Ontologisierung von Symbol und Unbewußtem noch einmal zurückgewiesen. Das ´Objektive´ ist zurechtgerückt zu dem soziokulturell vorgegebenen Gehalt, der immer erneut angeeignet werden muß«.

Die Aneignung spielt übrigens - nun wieder bezogen auf die bildende Kunst - in der Tat eine große Rolle, wie das Beispiel Max Beckmann zeigen wird (s.S.39). Doch an dieser Stelle sollte vielleicht nach getragen werden, um welches Material es eigentlich bei der psychoanalytischen Forschung handelt. Joachim Scharfenberg (1974, S. 333/34) referiert darüber: »Die Psychoanalyse war nun tatsächlich der Meinung, daß es sich so verhalten müsse. Neben den individuell gebildeten Symptomen und Traumsymbolen gibt es zweifelhafte Symbolbildungen überindividueller Art, die nicht jedesmal neu geschaffen werden, sondern gleichsam bereitliegen, die ein für allemal fertig sind, deren sich das Individuum nur bedient. Der ersten Psychoanalytikergeneration sprang geradezu ins Auge, daß diese kollektiven Symbole fast ausschließlich mit der Sexualität zu tun hatten. Das ließ den Schluß zu, daß der Mensch den Umgang mit seiner eigenen Sexualität vornehmlich in verschlüsselter Form vornimmt«.

Dabei ist es mit einem unkritischen Symbolbegriff nicht mehr getan, und J. Scharfenbergs (1976, S. 335) Formulierung »Symbole sind gespeicherte Bedeutung« reicht nicht aus. Auch Lawrence S. Kubies Definition von 1958 bleibt ziemlich allgemein: »Der symbolische Vorgang stellt stets eine Verdichtung von bewußten, vorbewußten und unbewußten Symbolwerten dar« (in: A. Lorenzer 1970, S. 61).

Sandor Ferenczi (in: A. Lorenzer 1970, S. 28) schränkt stärker ein und stellt fest: »Nicht alles, was für etwas anderes steht, ist ein Symbol. Ursprünglich mag das Sexuelle sowohl im eigentlichen als auch im übertragenen Sinne im Bewußtsein vertreten sein; die Sexualität freut sich gleichsam, sich in allen Dingen der Außenwelt wiederzufinden, ´das All wird sexualisiert´. Zum Symbol im Sinne der Psychoanalyse wird ein solches Gleichnis erst vom Moment an, wo die Zensur die ursprüngliche Bedeutung des Gleichnisses ins Unbewußte verdrängt. Darum kann z. B. der Kirchturm nach der einmal vor sich gegangenen Verdrängung wohl einen Phallus, nie mehr aber der Phallus einen Kirchturm ´symbolisieren´«.

Die Symbolbildung von Verdrängung abhängig zu machen, wurde jedoch im Laufe der fortschreitenden Entwicklung der Psychoanalyse immer problematischer. Dazu noch einmal J. Scharfenberg (1974, S. 334): »Die daraus [aus der Urhordentheorie Freuds] sich ergebenden Konsequenzen für die Symboltheorie blieben jedoch über Jahrzehnte hinweg Allgemeingut der psychoanalytischen Theorie. Sie lassen sich auf die kurze Formel bringen: Nur was verdrängt ist, bedarf der Symbolisierung - das Symbol ist das Ergebnis eines menschheitsgeschichtlichen Verdrängungsvorgangs. Das hieß aber in der Konsequenz, die Vorstellung von seelischer Gesundheit mit der Abwesenheit von Symbolen zu verbinden«.

Hier sind wir auf die entscheidende Abweichung des psychoanalytischen Symbolbegriffs von dem der bildenden Kunst gestoßen. Derenb Symbole kommen zumeist als Folge des gedanklich vorbereitete3n Malvorgangs zustande (W. Morgenthaler nahm an, daß dem Triebhaften eine normative und eine formale Funktion gegenüberstehen, vgl. Leo Navratil ´Schizophrenie und Kunst´ 1965, S. 112) und wohl selten als Produkt der Verdrängung, im Gegenteil: der Malvorgang ist ein Prozeß des Hervorkehrens. Allerdings fragt es sich, ob das Abstreiten vieler Künstler, ihre Malerei enthielte Symbole, eine Form der Verdrängung ist. Träfe das zu, wäre A. Lorenzers (1973, S. 110) These übertragbar, die er für die Sprachsymbole konzipiert hat: »Die verschiedenen Sprachformeln stehen mit den verdrängten Interaktionsformen in Korrespondenz, sie sind Kompromißbildungen und in das Geschehen  so einbezogen, daß sie privatistisch verzerrt aufs Verborgene verweisen. Gerade ihre privatistische Verzerrung ist ein Wegweiser zu den verdrängten Inhalten … In der Deutung wird schrittweise der Zusammenhang mit den verpönten Interaktionsformen hergestellt, womit zugleich der Konflikt aufgearbeitet wird. Interaktionsformen und Sprachfiguren müssen aufgefunden und zusammengebracht werden … ist eine noch so treffende Formulierung wertlos, solange sie nicht, der konkreten Lebensgeschichte des Individuums entsprechend, mit den Interaktionsformen lebensgeschichtlich exakt verknüpft wird« (Weitere Ausführungen über die Interaktionstheorie A. Lorenzers in Kap.10).

Dieser Denkanstoß von seiten der modernen Psychoanalyse ist für die Symbolinterpretation  der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts in mehrfacher Hinsicht ergiebig, auch wenn vielleicht nicht jeder sprachliche und malerische Inhalte gleich zu behandeln bereit ist.

Zunächst einmal wird eine Erklärung gegeben für - prima vista - unverständliche Bildinhalte, die offenbar verschlüsselt sind. Darüber hinaus wird »mit den privatistischen Verzerrungen« eine Erklärung angedeutet, »warum sich in vielen Fällen der Generalschlüssel der Archetypen des kollektiven Unbewußten als untauglich erwiesen hat.

Schließlich weist A. Lorenzer auf einen besonders wunden Punkt hin, an dem ein Großteil der Interpretationsliteratur krankt (auch wenn er nicht die der bildenden Kunst, sondern der Psychoanalyse meint, hat er recht). Sie ist oft ein Tummelplatz der gekonnter Formulierungen,  vor allem dort, wo man Quellenforschung glaubt vernachlässigen zu können, in dem man auf die »kosmischen Zusammenhänge« verweist. Eine aus diesem Denken resultierende Feststellung trifft Herbert Read (1959, S. 156) über P. Picasso (überraschenderweise, denn hinsichtlich Henry Moore gibt es z.B. sehr fundierte Aussagen von ihm): »Es erübrigt sich  die Bedeutung der Symbole aufzuzeigen: sie wirken in ihrer geheimen Integrität am stärksten. Sie kommen aus dem Unbewußten und sprechen zum Unbewußten. Wenn wir sie rational zu erfassen suchen, geschieht dies auf eigene Gefahr«.

A.Lorenzer verweist statt dessen erfreulicherweise auf die Lebensgeschichte und die Aufklärung der stattgehabten Interaktionen hin. Daß nur auf diesem Wege eine verantwortungsvolle und profunde Symboldeutung möglich ist, hat Friedhelm W. Fischer am Beispiel Max Beckmann vorbildhaft unter Beweis gestellt (s. S. 39).


Copyright Christoph Wilhelmi 1980

In diesem Handbuch finden sich 19 Interpretationen von symbolhaltigen Gemälden von Mikulás Medek.