Cornelis Ketel

Lawrence Tomson

37.01-Ketel-Tomson-240Das Rijksmuseum Amsterdam verwahrt eine, mit einem Halbportrait kombinierte Vanitas-Darstellung auf einem Rundbild mit dem Titel Portreet van een man (Nr. A 4046) von 43 cm Durchmesser. Es ist von dem niederländischen Maler Cornelis Govertsz. Ketel (1548─1616) auf der Rückseite datiert mit: CK ANO DNI 1574 / AETATIS SVAE 35. Der Künstler war gerade im Jahr vorher nach London übersiedelt und heiratete 1574 Aeltje aus Gouda. In London bekam er viele Portraitaufträge. Bei diesem Tondo ergibt sich aus den Daten für die dargestellte Person das Geburtsjahr 1539. Das ansonsten durchschnittlich erscheinende Portrait eines Bärtigen weist Besonderheiten auf: Der originale Rahmen blieb erhalten; er trägt umlaufend eine Beschriftung. Außerdem ist die Rückseite bemalt.

Der Dargestellte präsentiert sich in schwarzem, eng anliegendem Gewand mit einem elisabethanisch hochstehenden Kragen und einer schmalen Halskrause. Er stemmt seine linke Hand in die Hüfte und schaut den Betrachter trotz ¾ Portrait fast frontal an. Sein dunkles Haar geht in einen kräftigen, dunklen und langen Bart über, welcher sogar den Mund verdeckt. Die Gestalt hat mit der rechten Hand einen Brief von der Schreibplatte genommen, den er dem Betrachter vorweist. Ein weiteres Schriftstück liegt angerollt noch auf dem Tisch. Da außer einem Ring am linken Zeigefinger wenige Dekorationsstücke vorkommen (Uhr, Federhalter und Tinte), läßt sich schliessen, daß man es mit einem Mann zu tun hat, der beruflich als Sekretär tätig war. Daß er kein bloßer Schreiber bzw. Kopist war, belegt sein Bekenntnis durch eine gelehrte Umschrift:


SERMO DEI AETERNVS CAETERA OMNIA CADVCA
(Das Wort Gottes ist ewig; alles andere vergänglich).

Dreht man die Eichenholzplatte herum, wird die zweite Besonderheit der bemalten Rückseiten sichtbar. Diese hat sich erstaunlich gut erhalten und zeigt einen muskulösen Putto nackt, der auf einer Kuppe aus Gras und Blumen steht und gerade ein Röhrchen mit Seifenlauge anhaucht. Die Szene hat Ähnlichkeit mit einem farbigen Glasfenster von ca. 1530 aus dem Schnütgen-Museum (Nr. M572) in Köln: Seifenblasende Knaben. Im Rundbild steht im Bogen über dem Putto im wolkigen Hintergrund eine zweite Beschriftung, diesmal in Griechisch:

ΠΟΜΦΟΛϒΣ Ο ΑΝΘΡΩΠΟΣ
übersetzt: Einer Seifenblase entspricht der Mensch.

Diese Aussage geht auf den antiken Dramatiker Terenz zurück und wurde um die Zeit häufig lateinisch verwendet: homo bulla (der Mensch ─ eine Wasserblase), so u.a. bei Jost van Cleve in einer seiner Hieronymus-Darstellungen.

Spielte schon der Text der Vorderseite auf die Vergänglichkeit an, wird hier dafür eine fast drastische Metapher gefunden. Sie entspricht dem Lebensgefühl der Zeit; schließlich fällt das Gemälde in die Zeit des französischen Denkers Michel de Montaigne (1533─1592). Außerdem wird u.a. mit Erscheinen des Buechle der verschroten Werck (Paris 1542) das Aufkommen der Emblematik angesetzt, in der bildhafte Metaphern für Begriffe und Vorgänge eingesetzt wurden. Damit wird zwar der geistesgeschichtliche Hintergrund deutlich; aber die Zuordnung ist erschwert, weil für die beiden Sprüche leider kein Autor der Zeit feststellbar ist, so daß sich daraus kein Schluß zu einer Identifikation ziehen läßt.

Lateinische Sprüche waren zur Zeit des Humanismus gängig und wurden von vielen genutzt; griechische Sentenzen dagegen kamen seltener vor, da die Kenntnis dieser antiken Sprache wegen ihrer fremdartigen Schrift weniger verbreitet war. Die wenigen Kenner waren unter Theologen und Philologen zu suchen. Gegenstände mit klerikalem Bezug lassen sich im Bild jedoch nicht ausmachen, obwohl der Vorderseitentext auf einen Theologen deuten könnte. Doch die Zeile ist kein Satz aus der Bibel. Immerhin geht daraus hervor, daß der Porträtierte eine vorzügliche, humanistische Ausbildung durchlaufen haben muß.

Damit ist zwar der Bildungsgrad der Person geklärt, es tritt aber das Problem seiner Landessprache bzw. Nationalität auf. Aus der Garderobe geht kein Hinweis hervor; sie kann als westeuropäisch eingestuft werden. Um das Heimatland der Person herauszufinden,

müßte erst geklärt werden, wo der Treffpunkt zwischen Maler und Modell gelegen hat. Kommen die nördlichen Niederlande infrage, oder Frankreich bzw. England?

Cornelis Ketel (1548─1616) wurde in Gouda geboren und in Amsterdam bestattet. Doch daraus muß noch nicht das Ursprungsland des Bildes hervorgehen, da Ketels sich von 1573─81 in London aufhielt. Aus diesen Gründen konzentrierte sich die Suche infolge des Entstehungsjahrs des Portraits auf englische Personen mit dem Geburtsjahr 1539. Da um die Zeit schon die Taufen registriert wurden, geraten mehr Personen des Jahrgangs in den Blick als um die Zeit von 1500. In diesem Fall kamen sechs Männer in die engere Wahl: ein Bischof, ein hoher Offizier, ein Historiker, ein Homer-Übersetzer, ein Jura-Professor und ein Parlamentsabgeordneter. Bei letzterem kamen die meisten zum Bild passenden Lebensumstände zusammen.

Der Parlamentarier Lawrence Tomson (1539─1608) entstammte einer bürgerlichen Familie aus Northampton. Durch günstige Umstände konnte er mit 14 Jahren das Magdalen College in Oxford besuchen und bekam nach sechs Jahren den bachelor. Tomson wurde dort fellow und legte 1564 seinen master ab. Ab 1565 studierte er auf dem Kontinent. Doch die Stationen auf dem Festland sind außer Genf nicht überliefert. Danach schloß er sich dem Stab des Botschafters Sir Thomas Hoby (ca.1530─1566) an und reiste mit ihm nach Frankreich, setzte jedoch sein Studium in Heidelberg fort. Der theologische Lehrkörper der Universität Heidelberg war um die Zeit calvinistisch orientiert. Als günstig für Tomson erwies sich, daß zahlreiche Politiker Englands enge Kontakte mit dem calvinistischen Genf unterhielt.

Welchen Weg Tomson nach seiner Heidelberger Zeit einschlug, ist nicht überliefert. Vermutet werden Reisen nach Rußland und Skandinavien. Ab 1573 gehörte er jedenfalls zum Stab des Earl of Huntington in Leicester, der politisch gesehen zum puritanischen Flügel gehörte. Dieser Gesinnung entspricht auch das auf Schmuck verzichtende Portrait.

Sein Biograph, Luke McMahon, hebt hervor, daß Tomson als Kosmopolit anzusehen sei, denn er habe 12 Sprachen beherrscht. Die beiden antiken Sprachen bildeten für einen Humanisten die Grundlage als Tor zur Wissenschaft. Tomson hoffte offenbar, wegen seiner Mehrsprachigkeit als Botschafter engagiert zu werden. Spätestens ab 1575 wurde er von Sir Francis Walsingham (1532─1590), dem Begründer des englischen Geheimdienstes, als Sekretär eingestellt und blieb dort 15 Jahre tätig. Sekretär zu sein, bedeutete damals nicht bloß, Briefe aufzusetzen und zu verschicken. Die Tätigkeit eines Sekretärs bei einem Prominenten war vor allem eine Frage des Vertrauens. Vielerlei Vorgänge waren dabei zu übernehmen. Tomson steuerte die Verwaltung des Büros und war in alle ─ auch geheime ─ Vorgänge eingeweiht, wie heute ein Staatssekretär bei seinem Minister.

Selbstverständlich oblag ihm der Schriftverkehr von und in die europäischen Staaten; außerdem war er zuständig für die Informationsbeschaffung. Damals waren die Verhandlungen zwischen den Hansestädten und der Gilde der merchant adventurers in einem wichtigen Stadium, der im 14. Jahrhundert entstandenen, englischen Kauffahrer-Gilde. Tomson lieferte dazu ein lateinisches Gutachten. Die Kaufleute der Gilde wurden nämlich von einem puritanischen Pfarrer seelsorgerlich betreut.

Tomsons Aufgabenbereich war vielschichtig und beinhaltete auch Reisen z.B. ein Treffen mit einem Abgesandten des Vatikans in Boulogne, da ein Vatikanvertreter nicht nach England einreisen durfte. Außerdem wurde Tomson MP d.h. member of parliament 1578─1587, zunächst als Vertreter für Melcombe Regis, später als Abgeordneter für Downtown. Der Tod seines Dienstherrn Walsingham 1590 beendete aber abrupt seine Karriere. Er siedelte sich in Middlesex an und starb 1608 dort.

Inwiefern wird der von Ketel Porträtierte durch den Lebensverlauf von Tomson bestätigt? Außer dem erforderlichen Geburtsjahrgang 1539 sagt das Portrait auch etwas über die puritanische Geisteshaltung aus z.B. die tadellose, aber schmucklose Kleidung. Die Haltung der Puritaner war auf Grund ihrer religiösen Überzeugung durch ein starkes Selbstbewußtsein geprägt, gepaart mit der Gewißheit, jederzeit abtreten zu müssen d.h. »vor Gottes Thron zu treten« und für ihr Tun dort Rechenschaft abzulegen. Das ist aus dem griechischen Text herauszulesen. Summiert geht die Haltung der Puritaner aus dem lateinischen Text hervor: Gottes Wort ist ewig ─ alles andere ist nichtig. MacMahon macht jedoch geltend, daß Tomson zu intelligent war, um allzu einseitig aufzutreten. Daher rührt wohl auch die Verkleidung in eine Metapher. Er hebt an Tomson hervor, daß er als angehender Diplomat auch einen ausgesprochenen sense of caution hatte.

Daß Tomson rückseitig einen kräftigen Putto malen ließ, wirft die Frage nach seinen Kindern auf. Davon weiß man nichts mehr, nur daß er 1579 geheiratet hat, also verhältnismäßig spät.

Seine Briefschaften zeigen an, welche Hauptfunktion ihm oblag. Offenbar übte er dabei Zurückhaltung, wenn er seine publizistischen Arbeiten hier nicht vorzeigte. Seine Sprachbegabung erleichterte ihm das Übersetzen von lateinmischen theologischen Schriften wie von Théodore de Bèze (1519─1605) und Johannes Calvin (1509─1564) ins Englische.

So bleibt die Frage nach dem Anlaß für ein Portrait übrig, wenn ein Brautbild wegen der späten Heirat ausfällt. Ganz offenbar war er 1574 schon sicher, den Posten bei Walsingham antreten zu können, der ihn seinem Ziel, Botschafter zu werden, ein großes Stück näher brachte, denn 1575 wurde er Sekretär eines Botschafters.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2017

Literatur
Angelica Dülberg: Privatporträts. Berlin 1990 Nr. 206
Luke McMahon. In: Oxford Dictionary of National Biography. Vol. 31, 54. Oxford 2004

Bildnachweis
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c6/Wachendorff_cornelis_ketel.jpg (26.7.2014)

Postskriptum. In wikipedia.org/wiki/File:Wachendorff_cornelis_ketel.jpg (März 2013) findet sich ein Beitrag von Barbara Schoonhoven und Arie Wallert vom Rijksmuseum, Amsterdam, die sich farbtechnisch mit dem Rundbild von Ketel auseinandergesetzt haben. Darin bieten sie auch eine Antwort auf die Frage nach der Identität der abgebildeten Person an. Apodiktisch geben sie Adam Wachendorff von der Gilde der Tuchhändler am Stalhof in London als Identität an. Die Belege dafür fehlen jedoch: Geburtsjahr, Lebenslauf, Bildungsgrad. So liefern sie auch keine Begründung dafür, daß ein damaliger Kaufmann auf seinem Portrait sprachlich so versiert gewesen sein soll, lateinische und griechische Sentenzen zu verwenden. Bedauerlicherweise bleiben die Autoren also die wesentlichen Argumente für ihre These schuldig.

Da Wachendorff weder in der Enzyklopädie von Zedler, noch im Oxford Dictionary ofNational Biography und auch nicht in der Allgemeinen Deutschen Biographie Erwähnung findet, handelt es sich bei der Person ihrer ´Identifizierung´ wohl um eine Fiktion. CW