Erstveröffentlichung

Hans Schäufelein     
Melchior Pfinzing

64.01-Schäuff-Pfinzing 240Schon 1821 wurde dieses, von Hans Leonhard Schäufelein (1480/85─1538/40) gemalte Portrait (Öl auf Linde 30 x 24 bzw. 32,5 x 24,5 cm) vom Staat Preußen für die Vorgängerinstitution der heutigen Gemäldegalerie in Berlin Nr. 595) erworben. In den fast 200 Jahren konnte aber die dargestellte Person mit dem hellen Pelzkragen nicht ermittelt werden. Ausweichend verfiel man darauf, in dem Portrait ein Selbstbildnis des Künstlers zu vermuten. Als Dürer-Mitarbeiter »bildete er seine Formen weniger streng aus als dieser, und seine Grundhaltung ist, wohl unter dem Einfluß schwäbischer Kunst, weicher und malerischer« (Gemäldegalerie Nr. 171). Daß sich Schäufelein nach dem Vorbild des Meisters einmal selbst porträtiert hat, ist zwar nicht auszuschliessen. Aber woher sollte die Gelehrsamkeit kommen, welche sich in dem lateinisch formulierten Wahlspruch am unteren Bildrand dokumentiert? Es ist eine kunstvolle, sonst von niemand benutzte Sentenz, die deutliche Vanitas-Gedanken artikuliert. Der Text in Form eines Distichons lautet:

ORTA CADVNT NEQVIS POTIS EST SERVARE CADUCA
OSTENDVNT VVLTVS HOC SIMVLATQUE MANVS. Hs

In der Übersetzung von Christian Graf liest sich der Text so:
    Was entstanden zerfällt, und keiner kann es bewahren,
    es zeigen dies das Gesicht, gleichermaßen die Hände.

Gerade diese lebenskritische Auffassung deutet eher auf einen fränkischen Humanisten, als einen Kaufmann oder Handwerker. Bei der Fülle der infrage kommenden Personen erschien die Suche von vornherein aussichtlos. Erschwerend kam hinzu, daß das Portrait nicht datiert ist, und im Bildnis, außer einer durch den Pelz angedeuteten gewissen Vornehmheit, kein berufsständischer Hinweis vorkommt. Somit erklärt sich die bisherige Ergebnislosigkeit früherer Recherchen.

Übrig blieb daher nur die Möglichkeit, die Vita des Künstlers nach Bezugspersonen abzusuchen in der Hoffnung, eine dieser Personen könnte der Auftraggeber für das Portrait gewesen sein. Es müssen allerdings sehr viele gewesen sein, wenn man Christian Meyer Glauben schenken kann: »Eine kaum übersehbare Masse von Malereien und Holzschnitten trägt die zweifellosen Merkmale seiner Hand«. Aber er fährt fort: »Schon Sandrart (1675) klagte, er habe von Schäufelin’s Leben so wenig Kundschaft erlangen können, daß er lieber davon geschwiegen hätte«. Weder ist Schäufeleins Geburt fixierbar (man geht von 1480/85 aus), noch ist sein Tod aktenkundig (es wird 1538/40 vermutet). Also ist »man über den Lebensgang dieses Meisters nur mangelhaft unterrichtet« (Meyer).

Um überhaupt einen Schritt vorwärts zu kommen, wurden in der Fachliteratur kommentierte Arbeiten von Schäufelein auf einen Zusammenhang mit dem Künstler abgesucht. Dieser Weg erwies sich tatsächlich als gangbar, denn unter den Namen tauchte ein Nürnberger Patrizier, Sohn eines Senators, auf, der über eine adäquate Gelehrsamkeit verfügte ─ Humanist, Schriftsteller und zugleich ein Mann der Kirche: Melchior Pfinzing (1481─1535), im Hauptberuf Geheimsekretär des Kaisers.


64.01-Zeichnung-240Hans Schwarz: Melchior Pfinzing um 1530.
Kohlezeichnung


Von diesem Mann gibt es eine Kohlezeichnung von Hans Schwarz (ca.1492─ca.1532), die ihn als Klerikalen zeigt. Sie ist nicht datiert; aber aus dem Lebensverlauf geht hervor, daß sie um 1530 entstanden sein muß, als Pfinzing sozusagen im Ruhestand war. Ein etwas resignierter Zug um seinen Mund ist unverkennbar. Unter dem Barett zeigt sich ein fülliger, dunkler Pagenkopf wie auf dem Gemälde von Schäufelein. Die Zeichnung scheint auch die Vorlage für ein Pfinzing-Portrait von ca. 1770 gewesen zu sein, denn der Stich A 16385 in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel zeigt ihn in ebenfalls klerikaler Garderobe.


Hilfreicher waren Bildnismedaillen in Berlin bzw. im British Museum (Durchmesser 6,85 cm) von Melchior Pfinzing im Profil. Hier zeigt sich wieder sein volles Haupthaar. Durch das Profil nach rechts ergibt sich eine gute Möglichkeit, mit dem gemalten Portrait zu vergleichen. Der Typus der Nase, der Schatten unter dem rechten Auge, die Formung der Lippen stimmen überein mit dem Bildnis von Schäufelein. Darüber hinaus dokumentiert die Medaille einen Kenner der Antike 64.01 NEB Medaille 240Medaille von Hans Schwarz
ca.1492 - nach 1501
durch die Konzentration auf den menschlichen Kopf, ohne Mütze oder Hemd, und zugleich einen großen Ästheten, der sich den antiken Schönheitsbegriff angeeignet hatte. Die umlaufende Schrift
PREP · S · ALBANI · M O G · MELCHIOR · PFINCZING · gibt an, daß die Medaille in Auftrag gegeben wurde, als er Propst des Ritterstifts St. Alban im Dekanat St. Viktor zu Mainz geworden war. Das geschah im Jahr 1517. Damals hatte er ein Alter von 26 Jahren.


Melchior Pfinzing war ein charakteristischer Fall für die Ämterhäufung, welche einer der Anlässe für die aufkommende Reformation war, da er 1512 auch Propst von St. Sebald in Nürnberg wurde. Aber wie ist er selbst zu beurteilen? In seiner Geschichte der Deutschen Literatur erwähnt ihn Max Wehrli im Zusammenhang mit dem Teuerdank (in der damaligen Orthographie: Ritter Tewrdannckh) auf charakteristische Weise. »Dieser erschien als Prachtwerk mit den 118 z. T. großartigen Holzschnitten von Hans Burgkmair d. Ä., Schäufelein und Leonhard Beck im Druck. Im Text hatten, auch hier auf Grund genauer Anweisungen und wohl auch Diktate des Kaisers [Maximilian I.], verschiedene Autoren … mitgewirkt, was sich auch in einer uneinheitlichen Handhabung des Vierhebereimpaars verrät. Die Schlußredaktion besorgte Melchior Pfinzing, Nürnberger Patrizier, Hofmann, Geistlicher und Gelehrter. Teuerdank ─ der mit hohen Gedanken, der nach hohen Zielen Strebende ist wieder Maximilian«. »In jedem Fall hat Pfinzing die Entwürfe stilistisch gelättet, aufeinander abgestimmt, teils länger ausgearbeitet und die meisten vierhebigen, frei gefüllten Reimpaarverse (überwiegend) zu regelmäßigen Achtsilbern umgeformt… Die kunstgerechte sprachliche Fassung begründet den Anspruch auf Autorschaft« (Jan-Dirk Müller). Außerdem soll Pfinzing auch nach 1541 am Weiskunig beteiligt gewesen sein.

Die zahlreichen Funktionen des vielseitigen Melchior Pfinzing können hier nicht alle genannt werden, sind aber bei Gustav (?) Roethe nachlesbar. Er wurde als zweiter Sohn des Baumeisters Seyfriedt Pfinzing, der auch im Rat saß, in Nürnberg geboren. Die Patrizierfamilie war kunstsinnig (vgl. Beitrag Pencz: Martin Pfinzing). Bei seiner Ausbildung in Wien hatte er das Glück, den tirolischen Hofkanzler Cyprian von Northeim genannt Sernstein kennenzulernen, der ihn schätzte und zu einem der privaten Sekretäre des Kaisers machte. Der Kaiser sorgte dafür, daß er in Nürnberg die vakant werdende Stelle als Propst von St. Sebald bekam, um den bambergischen Einfluß auf diese Kirche zu blockieren. Nach dem Ritterstift folgten weitere Kanonikate, so in Trient, Bamberg und Mainz. Dabei stand Pfinzing weiterhin vorrangig dem Kaiser zur Verfügung, dessen volles Vertrauen er hatte. Dieses erlangte er auch von seinem Nachfolger Karl V. Der Nürnberger Humanist Willibald Pirckheimer (1470─1530) schätzte ihn. »Das kompetente Urteil, dasWillibald Pirckheimer ihm für seine Übersetzung aus dem Griechischen (Lukian) unterstellt, weisen ihn als gebildeten Hofmann aus«, »so scheint er selbst doch nur in der Volkssprache literarisch tätig gewesen zu sein« (Jan-Dirk Müller).

Es ist aufschlußreich, daß Pfinzing relativ rasch und pragmatisch auf die Reformation reagierte d.h. 1521 gab er seine Posten in Nürnberg gegen eine kleinere Pension auf und siedelte in das ´goldene´ Mainz über, in die Stadt des Kardinals Albrecht von Brandenburg, welcher sich in Fragen der Reformation schwankend verhielt, sich aber vor allem als Mäzen und Kunstkenner gefiel. Hier kommt nun das in Schäufeleins Bildnis enthaltene Distichon ins Spiel. Es sagt aus, daß der Mensch mit dem Zerfall seiner selbst und seiner Welt konfrontiert wird. Die glorreichen Jahre bei Hofe waren vorbei; bei Karl V. tat er keinen Dienst als Sekretär mehr. Seltsam an dem Text ist in der zweiten Zeile die Aussage über die Veränderung von Gesicht und Händen. Schäufelein hat ihn in ähnlich geglätteter Weise wie auf der Medaille von 1517 gemalt. Demnach wäre das Gemälde frühestens 1521 anzusetzen, denn wenn es bereits Alterspuren gab, hat sie Schäufelein für das Bild retuschiert. Die Gemäldegalerie stellte den Bezug zu Dürer her: »Doch bildet er [Schäufelein] seine Formen weniger streng aus als dieser, und seine Grundhaltung ist, wohl unter dem Einfluß schwäbischer Kunst, weicher und malerischer«.

64.01-Vase 240Melchior Baier: Pfinzing-Schale. 1534

Die von Melchior Pfinzing ausgesprochene Skepsis hat sich glücklicherweise nur bedingt bewahrheitet. Das Versepos
Theuerdank, das ihm enorme redaktionelle Arbeit abverlangt haben muß, blieb in etlichen Exemplaren erhalten und hatte insofern eine erstaunlich nachhaltige Wirkung, als der hohe Standard der Buchkunst um 1500 kulturgeschichtlich eine bleibende Ausstrahlung behalten hat, die sich u.a. in der Existenz einer 1911 gegründeten bibliophilen Gesellschaft manifestiert, welche als Maximiliangesellschaft unverändert aktiv und produktiv ist.


Die Einkünfte aus seinen Pfründen gab Pfinzing nicht nur für seinen Lebensunterhalt aus. Sein Sinn für Ästhetik zeigt sich z.B. an einem edlen Gegenstand im Germanischen Nationalmuseum, der Pfinzing-Schale (Nr. HG 8397), gestaltet von Melchior Baier (ca.1495─1577). Sie entstand 1534 auf Veranlassung von Melchior, der seine Brüder bzw. Verwandten dabei namentlich einbezog. Über sechs Zeilen unterschiedlicher Emailleeinfärbung ließ Pfinzing den guten Gebrauch des Weines (OPTIMA RES VINV Z BONVS USVS) preisen, jedoch auch vor dem Übermaß warnen. Melchior selbst ist mit seinem getriebenen Bildnis auf dem Deckel eingefügt.

© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2016


Literatur
Gemäldegalerie Berlin. Berlin 1975 S. 393
Christian Meyer. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Berlin 1968
Jan-Dirk Müller. In: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Bd. 7 Berlin/New York 1989 S. 568/59
Gustav? Roethe. In. Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 25. Berlin 1970
Verfasserlexikon (Die deutsche Literatur des Mittelalters). Berlin/New York 1989

Max Wehrli: Geschichte der Deutschen Literatur. Bd. I Stuttgart 1980
Hermann Wiesflecker: Kaiser Maximilian I. Bd. IV München 1981

Bildnachweis
Gemäldegalerie Berlin. Berlin 1975
Georg Habich: Die deutschen Schaumünzen des XVI. Jahrhunderts. München 1929 I,1 Nr. 133, 136 und 136a Tafel XX Nr. 6
Die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Reihe A. Bd. 18. Nr. A 16385
objrektkatalog.gnm.de/objekt/HG8397_1 (19.11.2016)