Erstveröffentlichung / bearbeitet Februar 2016

Hans Döring

Johannes Schneidewein


71.08-UK---Schneidewein 240Im Landesmuseum Hannover (früher: Niedersächsische Landesgalerie) befindet sich ein Bildnis eines 20jährigen (Öl auf Eiche, 57 x 40,7 cm. 1539. Nr. KM 334) von einem unbekannten Künstler. Es stellt einen jungen Mann vor mit sanftem Gesicht und kräftiger Nase, doch namenlos, denn für ihn gab es bisher keine Auflösung seiner Identität. Das Museum hat die Herkunft des Portraits als oberdeutsch eingestuft. Offenbar blieb bisher die Möglichkeit, über die im Bild enthaltenen Daten hinauszukommen, ungenutzt.

Oben rechts hat der Maler das Bild auf 1539 datiert; oben links wurde das Alter der Person mit XX d.h. 20 Jahren angegeben. Somit kommt ein Mann des Jahrgangs 1519 infrage. Um im Alter von 20 Jahren einen Portraitauftrag zu finanzieren, war eine vermögende Herkunft Voraussetzung. Unter diesen beiden Vorgaben wurde die Suche aufgenommen. Für Oberdeutschland fand sich ein Schweizer Theologe und Schwiegersohn Huldrych Zwinglis, Rudolph Gwalther (1519─1586). Ein Altersportrait dieses Mannes ist zwar vorhanden (Wolfenbüttel A 8488), zeigt aber einen Mann mit völlig anderen Zügen sowie Vollbart und langer spitzer Nase. Selbst bei Berücksichtigung des großen Zeitabstands ist keine Ähnlichkeit zu erkennen. Im übrigen befand sich Gwalther seit 1517 in Frankreich.

Somit wird die Einstufung des Portraits als oberdeutsch fraglich, zumal die weitere Suche einen Mann des Jahrgangs 1519 aus Mitteldeutschland ins Spiel brachte, der mit dem Dargestellten deutlich in Verbindung gebracht werden kann. Es handelt sich um Johannes Schneidewein (1519─1568), der im Harz geboren wurde. Dieser kam als Jüngster von 15 Geschwistern im Haus ´Der reiche Winkel´ in Stolberg zur Welt. Es wird nicht überliefert, aus welchem Grund die Eltern ihren Sprößling mit neun Jahren fortgaben. Offenbar fiel seine Intelligenz schon frühzeitig auf, denn er wurde bereits im zehnten Lebensjahr an der Universität Wittenberg immatrikuliert; d. h. vier bis sechs Jahre früher als üblich Er wird als letzter auf S. 136 als Joannes Schnydewin de Stolberg im Album Academiae Vitebergensis I verzeichnet. Martin Luther nahm sich ─ trotz eigener Kinder ─ seiner an d.h. Schneidewein lebte während des Studiums als familiaris mit in seinem Haus.

»Im 20.Lebensjahr verließ S. Luthers Haus und schloß frühzeitig ─ der Zeit üblicher als heute ─ die Ehe mit Anna Döring. Luther vermittelte und betrieb diese Eheschließung sehr ernsthaft. Die schon verwittwete Mutter Schneideweins widerstrebte längere Zeit« (von Jacobi).

Kulturgeschichtlich aufschlußreich sind die in Luthers Briefen zu dieser Angelegenheit enthaltenen Ansichten zu den Themen: elterliches Einverständnis und ungerechtfertigte Ablehnung des Einverständnis. »Die ´schöne Braut von guter Extraction´ entstammte einer angesehenen Familie in Wittenberg. Ihr Vater, Christian Döring (Döringk, wie er sich selbst schrieb) war ursprünglich Goldschmied, handelte aber auch mit anderen Artikeln, trieb Geldgeschäfte und verlegte in Gemeinschaft mit Lucas Cranach einen großen Theil von Luther‘s Werken. Mit Döring‘s Wagen und Pferden wurde Luther nach dem Reichstage zu Worms befördert« (v. Jacobi). Diese Angabe erscheint nicht ganz zutreffend, da Werner
Schade (S. 410, Fußnote 171) anmerkt: »Dank an den Rat der Stadt für die gestellte Fuhre«. Dazu muß man wissen, daß Döring (wie Cranach) im Rat der Stadt saßen, Döring also für den Transport Luthers plädiert hatte. »Cranach und Goldschmied Christian Döring, mit dem der Künstler und Ratsherr zusammengewirkt hatte, waren die Geldgeber bei Luthers erster Teilübersetzung der Bibel, dem berühmten Septembertestament von 1522« (Schade S. 43).

Der Anlaß zum Portraitauftrag war demnach bei Schneidewein die Brautwerbung, auch wenn hier die sonst meist abgebildete Nelke fehlt. Offenbar sah sich Schneidewein veranlaßt, durch diese, in vermögenden Kreisen übliche Werbung standesgemäß aufzutreten, um Dörings Einverständnis zu erlangen. Es überrascht allerdings, daß sich Schneidewein als ausführenden Künstler nicht Lucas Cranach ausgesucht hat, mit dem Luther befreundet war, sondern einen anderen gewählt hat.

Hier wird ein Einschub erforderlich. Einige Monate nach Veröffentlichung der Erstfassung dieses Beitrags erschien eine Künstlermonographie über ´Hans Döring (um 1483 ─ 1558). Im Schatten von Lukas Cranach d. Ä. Studien zu einem Renaissancekünstler´. In dieser Broschüre wird Christian Döring (vor 1490─1533) erwähnt: »Cranachs Kompagnon, besaß das Haus Schlossstr. 4, gleich neben Cranachs Immobilie« (Heinz-Peter Mielke S. 33). Der Autor gab dankenswerterweise den Hinweis, daß Hans Döring stilistisch als Maler des vorliegenden Portraits infrage kommt. Die familiären Bande sprechen ebenfalls stark dafür.

Da Johannes Schneidewein in der Familie seiner Braut offenbar wohl gelitten war, lag es für ihn nahe, zu seinem Portrait den Onkel (?) seiner Braut, Hans Döring (s.o.) heranzuziehen, zumal ein Portrait von dessen Hand gewiß preislich günstiger angesetzt wurde, als eines von dem renommierten und vielbeschäftigten Lucas Cranach. Damit ist neben der Entdeckung der Identität von Johannes Schneidewein zugleich der ausführende Künstler des Portraits wiedergefunden: Hans Döring. Dieser stand in Kooperation mit der Werkstatt Cranachs. Schade (S. 69) berichtet jedenfalls, daß Hans Döring Werke Cranachs kopieren durfte, wahrscheinlich, um die Nachfrage des Marktes zu befriedigen. Schade nennt S. 69 als Beispiel die Lucretia; »diese ist in zwei Exemplaren in Schweizer Privatbesitz und in Basel bewahrt und bereits 1514 von Hans Döring kopiert worden«.

Doch zurück zu Johannes Schneidewein. Luthers Autorität ebnete seinem seinem Pflegesohn den Weg, und die beiden durften heiraten. Schneidewein studierte Jura bei den Wittenberger Kapazitäten, u.a. bei dem Juristen Hieronymus Schurpf (1481─1554). »Wegen seines ´sonderbaren Fleißes´ bald bekannt geworden, wurde er 1544, nachdem er zum Licentiaten promoviert war, von dem Grafen Günther von Schwarzburg an dessen Hof nach Arnstadt berufen. 1549 ist er sodann Professor der Institutionen in Wittenberg geworden, 1551 zum Doctor juris utrique creirt… Die Scripta publice proposita a gubernatoribus studiorum in academia Witebergensi (1560─1572 in Wittenberg gedruckt) geben Zeugniß von seinem großen mit Wohlwollen gepaarten Ernst, mit welchem er wiederholt die Rectorats- und Decanatswürde bekleidete« (v. Jacobi). Seine umfangreiche Publikationsliste ist bei Zedler abgedruckt.

71.08-UK---Schneidewinius NEBTobias Stimmer (?): Johannes Schneidewein.
Holzschnitt
Sein Arbeitspensum bestand jedoch nicht nur aus Lehre und Publikationen. Der sächsische Kurfürst zog ihn auch als Unterhändler heran, um Streitfragen mit den Nachbarterritorien zu schlichten. Auf einer dieser Dienstfahrten starb Schneidewein Ende des Jahres 1568 in Zerbst. Er wurde dicht neben Luther in der Schloßkirche von Wittenberg beigesetzt. In der Nähe der Kanzel wurde ein Epitaph für ihn und seine ebenfalls abgebildete Familie (16-18 Kinder, von denen 9 überlebten) aufgehängt, das im Siebenjährigen Krieg 1760 beim Brand vernichtet wurde. »Joh. Schneidewein’s Thätigkeit ist auch auf die bedeutendsten Gesetzgebungen des 16. und 17. Jahrh.: die sächsischen Constitutionen von 1572 und das württembergische Landrecht, Ausgabe von 1610 von wesentlichem Einfluß gewesen« (v. Jacobi).

Die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel verfügt über ein graphisches Portrait Schneideweins von 1568 (A 19450), das ein etwas durchschnittliches Gesicht zeigt und ihn als jurisconsultus bezeichnet. Da fast eine ganze Generation zwischen beiden Portraits liegt, kann es zu einem Vergleich wenig beitragen. Weil Schneidewein im Gemälde nach links (heraldisch rechts) blickt, könnte es ein Seitenstück mit dem Portrait der Döring-Tochter gegeben haben, das aber bisher nicht aufgetaucht ist.

© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2016


Literatur
Album Academiae Vitebergensis I 1502─1602. Aachen 1976
Die deutschen und nie
derländischen Gemälde bis 1550. Hannover 1992. Nr. 74
von Jacobi. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 32 Berlin 1971
Hans-Peter Mielke: Hans Döring (um1483-1558). Bunsoh 2015 S. 33
Werner Schade: Die Malerfamilie Cranach. Dresden 1974
Johann Heinrich Zedler: Das Grosse vollständige Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Leipzig 1732-54

Bildnachweise
Verzeichnis der ausgestellten Gemälde in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover. Hannover 1968
Die Porträtsammlung der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. München u.a. 1989 Reihe A Bd. 21
A 18850