Erstveröffentlichung

Hans Baldung Grien
Valentinus Curio

17.02-Curio 240Der Bestandskatalog von 2006 des Musée des Beaux-Arts in Straßburg enthält die charakteristische Arbeit von Hans Baldung Bildnis eines 25jährigen Mannes (Öl auf Lindenholz 52 x 39,2 cm. Musée des Beaux-Arts, Strasbourg Nr. 535. 1519) nicht. Dabei gehört das Portrait schon seit der Schenkung durch Johann von Liechtenstein 1899 zum Bestand des Hauses; er hatte es 1898 bei Lempertz in Köln kaufen können. Wegen seiner Namenlosigkeit ist es wenig bekannt.Zwar wurde es bei der großen Hans Baldung Grien-Ausstellung 1959 in Karlsruhe als Nr. 43 gezeigt, im Katalog jedoch nicht abgebildet. Es ist links oben mit 1519 datiert und rechts oben mit seinem Monogramm HGB signiert. Trotz dieser Angaben und einer Inschrift gelang es auch dem versierten Hans Haug nicht, die Identität der Person aufzuklären.

Eine lateinische Inschrift in Form eines Distichons war die Voraussetzung für die Titelgebung. Sie lautet:
QVINQVE BISDENOS VIVEBAM CIRCITER ANNOS / DVM FVIT HEC FORME NOTA FIGVRA MEE.
Die Übersetzung besagt: 25 Jahre etwa war ich, als man mich in dieser Gestalt kannte.

Daß sie auf Latein abgefaßt ist, deutet auf einen gebildeten d.h. studierten Mann hin. Welche Person gemeint sein könnte, wurde bisher kaum erwogen, da das Bild zwar vom Maler gut durchgearbeitet ist, aber keinerlei charakteristische Beigaben als Hinweise enthält, die bei der Namensuche wegweisend wären.

Vor schwarzem Hintergrund hebt sich die leicht gebeugte Haltung des Halbportraits gut ab. Die jugendliche Person trägt einen samtartigen Überwurf mit Pelzumhang. Das schließt einen Kleriker aus und deutet eher auf eine bürgerliche Existenz. Die Person mit Pagenkopf trägt ein flaches Barett ohne schmückende Applikationen, wie sie die Adligen um die Zeit trugen. Daher ist wohl dieser Personenkreis auszuschließen. Außerdem weist nichts auf einen Professor oder Schriftsteller hin. Sichtbar ist sein linker Arm, dessen Zeigefinger mit einem Ring geschmückt ist. Die Physiognomie enthält eine lange kräftige Nase, ein starkes Kinn und blickt aus den Augenwinkeln den Betrachter an. Das spricht für einen tatkräftigen Mann. Geert von der Osten gibt eine ausführliche Beschreibung des Bildes und kommt zu dem Schluß: »Ein Porträt von rücksichtsloser Kennzeichnung«.

Außer der lateinischen Inschrift mit der Aussage über einen 25jährige ist nur noch die Datierung ein Anhaltspunkt. Zieht man von der Datierung 1519 die 25 Lebensjahre der Inschrift ab, ergibt sich als Geburtsjahr 1494. Nun gibt es mit diesem Geburtsjahr eine ganze Reihe Personen, z. B. Hans Sachs, doch gehören sie durchweg anderen Regionen an (Franken, Sachsen). Von Baldung ist aber bekannt, daß seine Klientel am Oberrhein zuhause war; es gibt nur wenige Personen auf seinen Portraits, die außerhalb dieser Region lebten. Es empfiehlt sich also, im deutschen Südwesten zu suchen. Aber da Adlige und Kleriker ausscheiden, galt die Suche einem passenden Bürgerlichen aus dem Dreieck Basel/Freiburg/ Straßburg. In Mitteldeutschland wären mehrere Personen in die engere Wahl gekommen wie z. B. Ludovicus Decius (s. Beitrag Elsner, Justus Ludwig Decius), der 1519 heiratete und daher zunächst als agiler Unternehmer infrage zu kommen schien. Aber er lebte in Kraków, und seine angeheiratete Verwandtschaft ließ sich von Hans von Kulmbach porträtieren.

Über den Wissenschaftsbetrieb hinaus gab es um die Zeit Gebildete, die in Handel und Gewerbe, insbesondere im Druck von Büchern, tätig waren. Gerade in den genannten Städten blühte das neue Gewerbe auf, das neben der neuen Technik eine philologische Bildung verlangte. Unter dieser Voraussetzung stößt man schnell auf Valentin(us) Curio, über den der Vermerk vorliegt, er habe ab Sommersemester 1519 in Basel studiert. Wo er vorher eingeschrieben war, läßt sich leider nicht mehr rekonstruieren. Doch daß er lateinische und griechische Titel aus dem Bereich der artes liberales (7 freie Künste) verlegte (M. Germann), ist durch erhaltene Exemplare aus seiner Produktion belegt. Außer antiken Texten wie von Horaz gehörten Humanisten zu seinen Autoren: Oekolampad, Melanchthon u.a. Daß diese Autoren ihn beauftragten, bestätigt die Sachkompetenz von Curio. Erasmus von Rotterdam gab bei ihm 1521 sein Enchiridion militis christiani heraus, das Curio mit einem Titelholzschnitt von Hans Holbein d. J. schmücken ließ.

Leider gibt es ansonsten wenig biographisches Material über Curio; Das für diese Region nützliche Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne (Strasbourg 1998) übergeht ihn sogar. Immerhin erlangte Curio 1519 das Bürgerrecht in Basel und wurde 1520 »zu Safran zünftig«. Eine Druckerei einzurichten, war ein kostspieliges Unternehmen und gelang vielfach nur durch Einheirat. Demnach hatte Curio von Haus aus Vermögen. Er heiratete im gleichen Jahr Anna, die Tochter des Basler Zunftmeisters Jakob Meyer zum Hirzen. Diese Merkmale beweisen, daß er von Anfang an in Basel ein anerkannter und geachteter Mann war.

Dieses zeitliche Zusammentreffen von Bürgerrecht und Portraitauftrag ist ein starkes Argument für Curio, wenngleich kein direkter Beweis. Brautwerbebilder waren damals in gehobenen Kreisen eine Modeerscheinung, gleichfalls unter Humanisten die Latinisierung seines Familiennamens, der in seiner Heimatstadt Hagenau (heute Haguenau) Schaffner geheissen hatte. Lexikalisch wird Curio mit Kümmerling übersetzt, das heute eine negative Tendenz hat, damals jedoch noch: einer der sich um alles kümmert = Schaffner. Diese waren im Mittelalter Vertrauenspersonen und als Verwalter tätig.

Zurückrechnend hatte man bisher als Geburtszeit für Curio ca. 1500 angenommen, wie es die Universitätsbibliothek Basel tut. Dann wäre allerdings sein Studienabschluß sehr früh erfolgt; außerdem wurde dabei keine Zeit für das Erlernen der Drucktechnik eingerechnet. 1494 ist jedoch bei diesen Voraussetzungen sehr plausibel. Daß er ein ausführliches Studium absolviert hat, geht zusammen mit seinem Stolz auf seine Bildung, wie sie aus dem Distichon hervorgeht. Bei der Suche in den Matrikeln der Universität Freiburg/Breisgau ab 1512 ergab sich zwar eine Fehlanzeige für Curio; es werden aber (S. 40) Jo. Schaffner aus Wisenburg (Wissembourg), Michael Schaffner aus Freiburg (S. 732) und Petr. Wolfgang Schaffner aus Rottweil (S.126) erwähnt. Wieweit diese zur engeren Familie gehörten, läßt sich nicht aufklären, doch den Schluß zu, daß die Familie recht verzweigt und bildungsbeflissen war.

Curios Geburtsort Hagenau ist ein Ort, der heute an Bedeutung verloren hat; er war aber im Mittelalter namhaft. Damals stand noch die dortige Kaiserpfalz, oftmals Aufenthalt der Kaiser (Barbarossa, Heinrich VII. und Friedrich II. u.a.). Unter letzterem wurde die Stadt von dem bekannten Reichsvogt Wölflin verwaltet, »der die Interessen Friedrich II. vertrat und die umliegenden Städte befestigte«, so auch Kaysersberg. 1354 trat Hagenau der Dekapolis bei, »einer militärischen Vereinigung von 10 elsässischen Städten … [Hier] entfaltete sich in der Stadt ein reiches kulturelles Leben, besonders an der Buchproduktion deutlich, die hier zu einer Spezialität wurde. Unter den vielen Buchmalerei-Ateliers hebt sich zwischen 1449 und 1470 v.a. dasjenige von Diebold Lauber ab, das außerordentlich fruchtbar war« (Deuchler/Wirth S. 70f).

Damit liegt es nahe anzunehmen, daß Curio aus einer dieser Atelierfamilien stammte und von Hause aus entsprechendes Kapital besaß, aber den Zug der Zeit erkannte und in die neue Technik investierte, tunlichst nicht am selben Ort, um Schwierigkeiten mit der Familie zu vermeiden. Besonders bemerkenswert war die Edition 1520 eines griechischen Lexikons, dessen Finanzierung außer Curio auch Capito und Cratander übernahmen. Die Einführung stammt von Curio und zeigt seines altsprachliche Kompetenz. Zugleich war er als Buchhändler und Buchbeschaffer (u.a. von Pariser Druckern) tätig; zu seinen Kunden zählte z.B. Huldrych Zwingli). Curio hatte neben Geschäftssinn und Philologie auch Sinn für die Kunst der Zeit. Das beweist sein Portraitauftrag, von dem hier die Rede ist, den er ausgerechnet an den Künstler vergab, der in dem Städtedreieck durch seine Kontakte zu Humanisten 17.02-Curio-NEBHans Holbein d. J.: Verlagssignet
von Valentin Curio.(Ohne die vier
Sinnsprüche) 1522. Holzschnitt
Diese Druckermarke enthält lt. Index
Typographorum Editoriumque Basilensium
die "Linie des Malers Apelles".
aufgefallen war.


Lt. F. A. Butsch benutzte Curio vier verschiedene, aber ähnliche Verlagssignets, von denen das von 1522 nicht nur zweisprachig griechisch-lateinisch abgefaßt ist, sondern auf einen Entwurf von Hans Holbein d. J. zurückgeht (leider nicht in dem sonst so detailliert abgefaßten Katalog Die Malerfamilie Holbein in Basel abgebildet). Nach seiner Heirat nahm Curio unverzüglich die Druckarbeit auf und war offenbar darauf bedacht, den damals wichtigsten Künstler Basels heranzuziehen, der auch für andere Verleger wie Cratander, Adam Petri und vor allem Johann Froben (ca. 1460─1527) tätig gewesen war.

Buchgeschichtlich beachtlich ist, daß Curio ein Werk des Verlages Aldus Manutius, Venedig, das Lexicon Graecum,1522 mit einer Titeleinfassung von Hans Holbein d. J. auflegen konnte. Im gleichen Jahr erschien bei Curio eine Strabo-Ausgabe, für die Holbein eine Titeleinfassung mit der Krönung Homers lieferte. Geht man von den noch vorhandenen Editionen aus, endete die Zusammenarbeit mit Holbein 1523. Das kann aber auf Holbeins Reise an den französischen Hof 1524 zurückzuführen sein.

Über die hintergründigen Signets schreibt Heinrich Grimm: »…ausgeklügelte Signete spezieller Gelehrsamkeit, wie etwa des Basler Valentin Curio von Hans Holbein 1522 gezeichneten Schild, auf dem nach der Geschichte zwischen Protogenes und Parrhasios oder Apelles zwischen Geraden eine dritte gezogen
wird«. Mit dieser eigentümlichen Metapher wollte Curio wohl andeuten, daß er nicht unbedingt inhaltlich neue Bücher herausbrachte, sondern sich durch neue Editionen einfügte bzw. dazwischenschob, oder aber bei denen man ´zwischen den Zeilen lesen´ konnte.

Diese Fähigkeit ist auch gefragt, wenn man die ´Randnotizen´ um das von Holbein gestaltete Signet von 1522 heranzieht. Um diese Holzschnittvariante sind vier Zeilen gestellt, wobei je 2 Zeilen griechisch (oben und links) und lateinisch (unten und rechts) abgefaßt sind. Sie lauten-orthographisch nicht ganz richtig:

(1) ἀργοῖς ἀεί ἐορτή
Für Müßiggänger ist immer Feiertag.
(ἀργός: aus α privativum und ἔργον)

(2) καιρὸς δ' επί πᾶσιν ἄριστος
Der richtige Augenblick ist bei allem das Wichtigste.
Häufiger Spruch, kommt vor z. B. bei Hesiod und Theognis von Megara

aus THEOGNIDIS ELEGIAE  (6. Jh. v. Chr.)
Μηδὲν ἄγαν σπεύδειν· καιρὸς δ´ ἐπὶ πᾶσιν ἄριστος
ἔργμασιν ἀνθρώπων.
Nichts übereilt tun. Auf den richtigen Augenblick kommt es an bei den Handlungen der Menschen.

Übersetzungen aus dem Griechischen: Christian Graf

(3) Opportunitas in omnibus optima
Eine Gelegenheit ist immer bestens
Diese Zeile läuft auf eine Worterklärung von
καιρòς hinaus.

(4) Inertibus semper feriae
Durch Untätigkeiten entstehen Lücken
Dieser Ausspruch nähert sich dem alten Sprichwort an: Wer nichts macht, macht keine Fehler.

Zum gängigen Zitatenschatz gehören diese Sentenzen nicht. Aber sie geben einen Einblick in das Denken und die Lebensanschauung Curios. Ihm war kein langes Leben beschieden; die Gründe für seinen frühen Tod sind nicht bekannt. Er starb bereits 1533 mit 39 Jahren, vielleicht an einer der häufigen Epidemien. Da sich seine Firma nicht nachhaltig etablieren konnte, liegen nur wenige Angaben über sein Leben vor, z.B. seine Heirat 1545 mit Anna Petri, Tochter eines weiteren Buchdruckers. Die zunächst von Anna Curio weitergeführte Offizin übernahm Petrus Walder, mußte aber bei ihrem Tod 1564 an der Pest eingestellt werden.


© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2019

Literatur
Josef Benzing : Die Buchdrucker des 16. Und 17. Jahrhunderts. Wiesbaden 1982 S.32
Peter G. Bietenholz. In:Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 1997
Florens Deuchler/Jean Wirth: Elsaß (Reclams Kunstführer). Stuttgart 1980

Wilhelm M. Germann. In: Lexikon des gesamten Buchwesens. II. Stuttgart 1989
Heinrich Grimm: Deutsche Buchdruckersignete des XVI. Jahrhunderts. Wiesbaden 1965 S. 50
Hans Baldung Grien. Karlsruhe 1959 Nr. 43
Hans Haug: Catalogue des peintures anciennes. Strasbourg 1938 Nr. 26
Hermann Mayer: Die Matrikel der Universität Freiburg im Breisgau von 1460─1656. Bd. 2 Freiburg 1910
Gert von der Osten: Hans Baldung Grien. Berlin 1983 S. 252/53
Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Wiesbaden 2007 S. 80
Henning Wendland: SIGNETE. Die Drucker- und Verlegerzeichen 1457─1600. Hannover 1984 S. 95

Bildnachweise
www.kunstkopie.de/a/baldung-grien-hans/portrait-of-a-man-73.html (1.12.2019)
www.ub.unibas.ch/itb/druckerverleger/valentin-curio/ (1.12.2019)
Henning Wendland: SIGNETE. Die Drucker- und Verlegerzeichen 1457─1600. Hannover 1984 S. 95