Erstveröffentlichung

Hans Baldung Grien

Theobald Bapst

17.01-Babst 240Hans Baldung Grien: Bildnis eines
29jährigen Mannes /
Theobald Bapst. 1526. Öl auf Holz,
67,4 x 52,8 cm. Germanisches
Nationalmuseum, Nürnberg. Gm 1086
Nach Umwegen über England und Frankreich tauchte das Bildnis eines 29jährigen Mannes von 1526 (Öl auf Lindenholz, 67,4 x 52,8 cm) 1924 im Münchner Kunsthandel auf. Das Germanische Nationalmuseum erwarb die Tafel und ließ sie 1959 restaurieren (Nr. 1086). Die Signatur HB weist sie als Werk von Hans Baldung Grien aus. Die zusätzliche Angabe ANNO AETATIS SVUE 29 führte dennoch nicht zu einer Aufdeckung der Identität. Der damalige Leiter des Museums, Kurt Löcher, mutmaßte in seinem Begleittext von 1997: »… das gepflegte Äußere … sprechen für adlige Herkunft. Der Mangel an standesgemäßer Deutlichkeit kann darauf hinweisen, daß der Mann zu Baldung in einem freundschaftlichen Verhältnis stand, oder daß die Schmucklosigkeit auf den Verlust seiner Habe anspielt« (S. 56).

Diese Erwägung wurde von der ungewöhnlich langen Inschrift in Humanisten-Latein im Bild links über dem Kopf des Dargestellten ausgelöst. Sie lautet:

TEMPORE QVO IN CLERVM / NOBILESQVE SEVIEBAT IN OMNES / ARMIS GENS
RVSTICA NON / SANE INSTRVCTA FIDE / HEC MIHI TVNC FORMA TALIS /
QVOQVE FVIT IMAGO / QVAM ADIMET SOLVS / MIHI QVI CVNCTA POTEST.

In der Übersetzung lautet dieser Text: »Zur Zeit, da das Bauernvolk in Waffen gegen die Geistlichkeit und den ganzen Adel wütete, schlecht belehrt durch den Glauben, war so mein Antlitz, meine Gestalt, die mir nur der nimmt, der mir alles nehmen kann«.

Dieser Text läßt aufhorchen. Auf welchen Vorgang wird darin angespielt? Da Hans Baldung wohl aus seinem Umkreis den Auftrag zu dem Bild erhielt, stammt der Mann vom Oberrhein. 1512─16 hielt sich Hans Baldung in Freiburg/Breisgau auf, danach wieder in Straßburg. Das Elsaß war um 1525 Schauplatz heftiger Bauernunruhen. Dabei wurde dem Mann offenbar Schaden zugefügt. Zutreffend schreibt Kurt Löcher: »Der Verzicht auf das standesgemäße Barett …, auch auf Schmuck oder Abzeichen, machen es schwer, den Dargestellten einzuordnen« (S. 56). Doch die Annahme adliger Herkunft scheidet mit großer Wahrscheinlichkeit aus. Eine goldene Kette – Ausweis ritterlicher Abkunft – fehlt; malbar wäre sie trotz Beraubung gewesen. Außerdem hält der Portraitierte kein Schwert in Händen, sondern führt mit der Linken eine Geste aus, die Löcher als ´Geste des Redners´ einstuft – ein nützlicher Hinweis.

Leider bleiben zur Identifikation nur die Zahlenangaben übrig, die aber den entscheidenden Ansatz bilden. Natürlich sind 1496/97 (das rechnerische Geburtsjahr) vielerlei Leute geboren worden. Doch für einen Porträtauftrag kamen nur Namhafte infrage, die mit dem Porträt auch repräsentieren wollten und zahlungskräftig waren. Schaut man sich in den Jahrgängen um, trifft man auf einige Personen in dem oberrheinischen Territorium, darunter auf den Gelehrten Simon Grynaeus (ca. 1494─1541). Er hat zeitweilig in Basel gelebt; im fraglichen Jahr 1526 jedoch war er Professor an der Universität Heidelberg. Gegen die Möglichkeit, ihn als Dargestellten in Betracht zu ziehen, spricht die Tatsache: Es gibt ein Holzschnitt-Portrait von ihm, das eine besonders lange, scharfe Nase zeigt und so einen anderen Eindruck der Physiognomie bietet. Ein anderer möglicher Kandidat wäre der Drucker Johann Herwagen (1497-1559). Er weilte aber bis 1528 in Straßburg und floh nach Basel. Dort heiratete er noch in dem Jahr die Witwe des Druckers Johann Froben. Doch als Brautwerbebild kommt dieses Porträt mit politischer Aussage gewiß nicht infrage.

Durch seine Herkunft aus Guebwiller im Elsaß gerät der Jurist Theobald Bapst (auch: Babst) ins Visier; er wurde 1496/97 geboren und starb am 4.10.1564. Im Rückblick auf die Ortshistorie von Guebwiller schreiben Florens Deuchler und Jean Wirth: »1525 fand eine Plünderung durch die aufständischen Bauern statt, die auf dem Gebiet der Abtei allen Grund hatten zu revoltieren (S. 64)«.

Theobald Bapst hat ab 1515 in Freiburg studiert und 1517 dort seinen Magister gemacht. Dieses allgemeine Studium scheint ihm nicht genügt zu haben; er schloß ein Jurastudium bei Uldaricus Zasius (1461─1535) an. Obwohl er aus ärmlichen Verhältnissen stammte (famille pauvre et nombreuse de Guebwiller), arbeitete er sich energisch hoch und wurde nach 1522 mehrfach zum Rektor und 14mal zum Dekan der juristischen Fakultät gewählt. 1535─42 lehrte er als Jurist und war 1542 Senior-Lektor für Zivilrecht.

Während andere Professoren zu der Zeit sich gern mit einem Buch d.h. einer eigenen Publikation malen liessen, fehlt dieses in dem Gemälde, weswegen in dem Bild auch kein Literat vermutet wurde. Bapst hatte offenbar nicht den Ehrgeiz, sich durch Publikationen einen Platz in der Geschichtsschreibung zu verschaffen. Außer der Lehre lag sein Tätigkeitsbereich in Gutachten. Es ist überliefert, daß er als solcher am Oberrhein sehr begehrt war. Da diese, wie heute, gut bezahlt waren, gewinnt die Klage im Text des Bildes an Bedeutung. Bapst hatte sein Einkommen wohl im Elsaß angelegt und gehörte zu den. Psychologisch wird seine Klage verständlich. Außerdem sind Menschen, die aus bescheidenen Verhältnissen kommen, oft besonders ehrgeizig, sich ein Vermögen zu erwirtschaften.

Daß Bapst in der Bildinschrift Geistlichkeit und Adel als Opfer der Unruhen darstellt, ist insofern verständlich, auch wenn er beiden Gruppen nicht angehörte, als auch diese seine Klienten von dem Wüten betroffen waren.

Als Juristen, also als Wahrer von eigenen und fremden Rechtspositionen, war ihm die Infragestellung des überlieferten Rechts durch die Reformation sowie den Bauernkrieg selbstverständlich ein Gräuel. Der Zuschnitt des Textes wird mit der beruflichen Ausrichtung von Theobald Bapst erst plausibel. Löcher (S. 56) fügt hinzu und meint: „»… [es] lassen sich bei dem Dargestellten bis zu einem gewissen Grade Mißtrauen und bohrendes Interesse an der Reaktion 17.01-Bapst-NEB Hans Holbein d. J.: Bonifacius Amerbach.
1519. Öl auf Holz, 28.5 x 27.4 cm.
Öffentliche Kunstsammlung, Basel
des angesprochenen Gegenübers feststellen«. Doch ist überliefert, daß Bapst die Hälfte seines Vermögens einem Kolleg vermachte d.h. Studienförderung betrieb.

Leider sind die Angaben zu seiner Lebensgeschichte spärlich. Es existieren zwar zwei Portraits von Bapst, zu einem Vergleich taugen sie jedoch nicht, da beide postum entstanden, das gemalte Portrait wohl von Ausgang des 16. Jahrhunderts, das graphische Portrait sogar erst aus dem 19. Jahrhundert.

Bekannt ist jedoch, daß er mit dem Basler Juristen Bonifacius Amerbach (1495─1562) befreundet war und mit ihm korrespondierte. Das ist insofern aufschlußreich, weil sich Amerbach von Hans Holbein d. J. 1519 porträtieren ließ, unter dessen vielen Portraits eines der aussagekräftigsten. So ist es denkbar, daß Bapst einmal Amerbach in Basel besucht hat und dort das Holbein-Porträt gesehen hat. Doch als Porträtist kam Holbein nicht infrage, weil der 1526 in London weilte. Wie dieser starb Bapst 1564 an einer Pestepedemie.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2019

Literatur
Peter G. Bietenholz. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 1997
Florens Deuchler/Jean Wirth: Reclams Kunstführer Elsaß. Stuttgart 1980
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Die Gemälde des 16.Jahrhunderts. Bearbeitet von Kurt Löcher. Stuttgart 1997
Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne. Vol. I Strasbourg 1982

Bildnachweise
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Die Gemälde des 16.Jahrhunderts. Bearbeitet von Kurt Löcher. Stuttgart 1997 S. 56
http://www.wikipaintings.org/en/hans-holbein-the-younger/portrait-of- bonifacius-amerbach-1519 (6.1.2014)