Unbekannter Künstler
Julius Caesar Scaliger

71.13-UK-Scaliger 240Das Portrait eines etwas grobschlächtig wirkenden Mannes, dessen linke Hand auf einer Brüstung im Vordergrund ruht, und dessen rechte selbstbewußt einen aufrechten Lorbeerzweig vorzeigt, war bisher ein Problemfall und zwar aus zweierlei Gründen: Wer der Künstler des Gemäldes ist, ist strittig und konnte nicht geklärt werden. Dosso Dossi wird von einem Bildervertrieb angegeben, doch spricht die Gestaltung eher für Cariani. Infolgedessen blieb die Aufklärung der Identität der dargestellten Halbfigur bislang offen. Der bärbeißige Mann mittlerer Jahre steht hinter einer Brüstung wie ein Professor am Katheder. Seine schwarze Robe scheint diesen Eindruck zu bestätigen. Ein früher Professor der Botanik also?

Aus dem dunklen Hintergrund treten links weitere Lorbeerzweige hervor; im oberen rechten Eck hängt der Zweig eines Pflaumenbaums mit Früchten ins Bild. Das Auftreten von Pflaumen ist in der damaligen Kunst eine Seltenheit; sie kommen erst später in Stilleben vor. Daher schreibt Manfred Lurker: »In der christlichen Ikonographie ist die Pflaume bedeutungslos, in der Renaissancemalerei nur von dekorativer Bedeutung«. Auch diese abwertende Auffassung verhinderte bisher eine Lösung.

Auf der Suche nach Botanikern bietet sich an, botanische Publikationen der Zeit zu bibliographieren. Dabei stößt man bald auf ein damals beliebtes Werk, das sich auf Aristoteles bezieht und ihm dediziert ist: De plantis, 1566 erschienen, aber offenbar erheblich früher verfaßt. Da das Buch bereits ein Register enthält, läßt sich leicht feststellen, daß die Pflaume ─ lat. prunus, Pflaumenbaum ─ etliche Male behandelt wird: p. 63,2 d, 151, 1,2, 219, 2 a, c ff, 267, 1, c. Im Original liest sich der latinisierte Autorenname IVLII CAESARIS SCALIGERI;

71.13-UK-Scaliger-240Unbekannter Künstler:
Julius Cäsar Scaliger.
Holzschnitt 1574 in der Aristoteles-Ausgabe
viri clarissimi in libros de Plantis Aristoteli inscriptos. Offenbar nicht ohne Abicht hat der Autor mit dem anspruchsvollen Namen durch seinen Drucker/Verleger CAESARIS in besonders großen Versalien setzen lassen, klein darunter SCALIGERI, viri clarissimi. Schon aus der Typographie geht hervor, daß der Autor J. C. Scaliger mit seinem anspruchsvollen Vornamen spielt, um vom Ruhm der antiken Größe Cäsars etwas auf seine Person abzuleiten. Theatralische Vornamen wie Ercole oder Michelangelo waren in der Zeit der Renaissance gängig. Vor- und Nachnamen geschichtlicher Größen zu vergeben, ist auch in der Gegenwart hin und wieder der Fall.


Die Familie des Täuflings Julius Cäsar waren Nachfahren der Fürsten della Scala, welche als Stadtoberhaupt von Verona schon seit 1387 nicht mehr regieren konnten, weil sie von den Bürgern gestürzt wurden. Diese schlossen sich 1403 freiwillig an die Republik Venedig an. J. S. Scaliger kam nach seinen eigenen Angaben am 23.4.1484 in Riva am Gardasee zur Welt. Sein Leben verlief auch streckenweise abenteuerlich, wohl weil er es darauf angelegt hatte. Daher ist bis heute nicht gesichert, was Erfindung, was Tatsache während seiner ersten 40 Lebensjahren waren. Er gab an, mit 12 Jahren von Kaiser Maximilian I. als Page aufgenommen worden zu sein ─ plausibel, weil er ein Namensträger der Familie des einstigen Scaligerfürsten Cangrande I. (1304─29) war, der von Dante als »hervorragender Feldherr und Freund der Gelehrten und Künstler« bezeichnet wurde (Erich Hubala S. 1013). Damit paßte er gut ins antivenezianische Machtkalkül des Kaisers. Daß unser Julius Caesar viel herumgekommen ist, mag ebenfalls zutreffen. »Gewiß ist es, daß er willens gewesen, den Franciscaner-Orden anzunehmen, durch welchen er bald Cardinal, und endlich Pabst zu werden soll gehoffet haben« (Zedler). Wenn auch aus dieser Karriere nichts wurde, scheint er dort jedoch viel über Botanik und Obstanbau gelernt zu haben (s. Beitrag Cariani, Martinengo über Zitronen).

Zutreffend ist dagegen sicherlich, daß er ein Mann rascher Auffassungsgabe war, lernbegierig und durchaus eigene Studien betreibend. Aber ob er dabei tatsächlich viele Künstler und Gelehrte kennenlernte, oder sogar bei Albrecht Dürer gelernt hat, wie er behauptete, ist wohl eher als Fabel anzusehen. Erstaunlich ist aber, wie gut er das Latein beherrschte. Allerdings verführte es ihn später dazu, sich publizistisch mit Erasmus von Rotterdam anzulegen und das Latein, wenn auch anonym, zur polemisch zu nutzen.

Als kräftiger Mann wurde er bei Hofe auch militärisch ausgebildet und nahm 1512 an der Schlacht der Liga von Cambrai gegen Venedig bei Ravenna teil. Doch verlor er in der Schlacht Vater und Bruder. Julius Caesar Scaliger, angespornt durch seine Hoffnung, bei dem Feldzug der Republik Venedig die Stadt Verona entreißen zu können und in der Stadt selbst wie seine Ahnen die Macht zu übernehmen, zeigte damit, wie sehr er sich immer wieder in Verwicklungen begab, weil er seine subjektiven Vorstellungen nicht mit der Realität in Einklang bringen konnte.

Unter dem Einfluß seines neuen Dienstherrn, des Herzogs Alfonso I., d’Este in Ferrara, der im Verlauf der Schlacht Ravenna eroberte, wandte er sich den Wissenschaften zu d.h. er nahm ein breit angelegtes Studium in Bologna auf, wo er bis 1519 blieb. Seine medizinischen Kenntnisse befähigten ihn danach, als Arzt in Agen (Lot-et-Garonne) zu praktizieren. Mit 45 Jahren heiratete er eine 16jährige, die ihm 15 Kinder gebar.

71.13-UK-Scaliger-Stich-240Portrait StichDer Ehrgeiz, als Wissenschaftler ernst genommen zu werden, führte zu verschiedenen Publikationen, von denen er erst mit 70 Jahren seine eigentliche Lebensleistung vorzulegen wagte: De plantis, in dem er u.a. den Obstanbau kenntnisreich beschrieb. Der Pflaumenzweig stellt also keine Dekoration, sondern eine wichtige Brücke zur Identifizierung seiner Person dar. Daß er im Portrait den Lorbeerzweig demonstrativ ergreift und nicht von anderen um die Stirn gelegt bekam, bestätigt sein Geltungsbedürfnis: Er publizierte zwischen 1533 und 1546 auch eine Menge neulateinischer Poesie, die ihm wegen seiner darin enthaltenen verbalen Ausfälle den Zugang zum Parnaß der Poeten blockierte.

Zudem existiert ein wohl authentischer Porträtstich, der ihn mit seinem voluminösen Vollbart, der hohen und geteilten Stirn und der insgesamt robusten Erscheinung bestätigt. Seine gute Konstitution ließ ihn 84 Jahre alt werden. Er starb am 21.10.1558 in Agen in mitten seiner vielköpfigen Familie; sein Sohn Joseph hinterließ eine Lebensbeschreibung seines Vaters.

©Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2021

Literatur
Manfred Lurker: Wörterbuch biblischer Bilder und Symbole. München 1987
Reclams Kunstführer Oberitalien Ost. Hg. Erich Hubala u.a. Stuttgart 1965
wikipedia.org/wiki/Julius_Caesar_Scaliger (27.2.2012)
Johann Heinrich Zedler: Das Grosse vollständige Universal-Lexicon der Wissenschaften und Künste. Leipzig
1732-54. Vol. 34 Sp. 511 ff

Bildnachweise
http://www.oceansbridge.com/paintings/styles/renaissance/big/Portrait-of-a-man-with-laurel-branch-and-plums-xx-Dosso-Dossi.JPG (3.2.2014)
summagallicana.it/lessico/s/Scaligero Giulio Cesare.htm (24.7.2021)
aus: Théodore de Bèze: Les vrais Pourtraits des hommes illustres. Genf 1581