Erstveröffentlichung

Unbekannter Künstler

Jasper van Halmale

71.39-Halmale 240In Brüssel befindet sich ein Flügelaltar eines sog. Flämischen Primitiven, dessen Mitteltafel eine Beweinung (La Lamentation) zeigt (Öl auf Lw. 109,7 x 142,6 cm. Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique Nr. 333). In früherer Zeit wurde Bernard van Orley (1487/88 ─ 1541) als Urheber angenommen; heute bezeichnet das Museum den Künstler als Anonymus. Auf dem linken Flügel hat sich der Stifter zu Füßen seines Schutzheiligen St. Moritz abbilden lassen. Hinter ihm sind seine fünf Söhne, lauter Standardphysiognomien, aufgestellt. Sie unterscheiden sich in ihren schwarzen Röcken mit Spatenkragen nur durch ihre Haarfarbe. Der Familienvater ist als Halbfigur kniend zu sehen, während er mit beiden Händen ein geöffnetes Gebetbuch vor sich hält, geht sein Blick nach rechts in die Ferne.

Offensichtlich handelt es sich nicht nur um einen vermögenden Mann, sondern auch um eine Person der Öffentlichkeit, denn er trägt über seinem schwarzen Überrock einen dunkelbraunen Schulterpelz. Aus den weiten Ärmeln ragen die Unterarme heraus und lassen ein rotes Gewand erkennen, ebenfalls im Halsausschnitt. Auch er trägt einen, allerdings sehr gepflegten Pagenkopf, der blond erscheint, aber wohl altershalber weiß leuchten soll. Um einen Adligen kann es sich hier nicht handeln, denn sein einziger Schmuck ist nur ein dünner Ring am rechten Zeigefinger. Das Alter des Stifters läßt sich nur vage mit 40-50 Jahren angeben.

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Insofern sind die Voraussetzungen für eine gelingende Identifikation äußerst gering, zumal der Altar nicht datiert ist. Er wurde bisher als in den 1520er Jahren entstanden angesetzt. Leider ist nicht einmal bekannt, aus welcher Stadt bzw. Kirche der Altar stammt. In dieser Situation blieb nur die Möglichkeit übrig, einen vermögenden Flamen ausfindig zu machen, der um 1475 geboren wurde und fünf Söhne vorweisen kann. Entsprechend langwierig gestaltete sich die Suche. Allem Anschein nach ist Jaspar van Halmale (ca. 1475─ca.1530) dieser familienbewußte Mann.


Als Gebildeter hatte er seinen Namen auch latinisiert in Halmalus. Zu seinen Freunden zählt der bedeutende niederländische Humanist und Erasmus-Freund Pieter Gillis (ca.1486─1533). Dieser war auch sein Lommilitone gewesen, denn van Halmale studierte Jura in Orléans ab 1501. Dort lernten sich die beiden kennen. Gillis dedizierte ihm seine Ausgabe von Briefen an Erasmus von Rotterdam. In Padua, der Universitätsstadt der Republik Venedig, setzte van Halmale seine Studien fort. Dort promovierte er 1507 in kanonischem und römischem Recht. Allem Anschein nach stammte er aus Antwerpen und gehörte der Oberschicht an, denn 1520 engagierte ihn der Rat der Stadt als Syndikus. Wann er Maria Andriessen heiratete, ist nicht bekannt, aber wohl um 1510/12. Nach dem Tod seiner Frau ging er 1522 eine zweite Ehe ein mit Cornelia de Heyter (s. Beitrag Unbekannter Künstler: Cornelia de Heyter).

Dreimal hintereinander (1524, 1526, 1528) wurde er zum Bürgermeister gewählt (teils binnenburgemeester, teils buitenburgemeester); sosehr vertrauten die Bürger Antwerpens ihm. Insofern kann man wegen des roten Gewandes davon ausgehen, daß der Altar in diesem Zeitraum gestiftet wurde, möglicherweise schon 1528. Aus erster Ehe hatte er einen Sohn und eine Tochter; die anderen Kinder gingen aus der zweiten Ehe hervor.

In den vorhandenen Berichten steht zu lesen, daß van Halmale ein geschickter, sehr angesehener Verhandlungsführer war. Zusammen mit seinem Kollegen Jakob de Voocht (1477─15,36) (s. Beitrag Engebrechtsz. J. de Voocht), der ebenfalls in Orléans Jura studiert hatte und mit dem englischen Kanzler Thomas More (1477/78─1535) befreundet war, vereinbarte er 1514 einen wichtigen Handelsvertrag zwischen Antwerpen und den beiden führenden Hansestädten Hamburg und Lübeck. Der Vertrag wurde von der kaiserlichen Statthalterin der Niederlande, Margarete von Österreich (1480─1530) befürwortet. Gelegentlich hatte van Halmale auch mit dem Raad van Brabant zu verhandeln.

Wie es bei so versierten Prominenten oft der Fall ist, wurden ihm verschiedene Ehrenämter angetragen, so auch die Funktion des opperkerkmeester der O.-L.-Vrouwe-Kerk in Antwerpen, einer Augustinerkirche. Daher liegt es nahe anzunehmen, daß der Altar für diese Kirche vorgesehen war.

Die Freundschaft zwischen van Halmale und Pieter Gillis blieb lebenslang erhalten. Dieser zog ihn auch heran zur Edition der Korrespondenz mit Erasmus von Rotterdam. Darüber hinaus war van Halmale selbst publizistisch tätig und verfaßte in drei Bänden die Geschichte der Stadt Antwerpen ab 1301 bis 1530. Dafür hatte sein Großonkel Gaspar bereits Vorarbeit geleistet.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2020


26.01 NEBAnsicht von Antwerpen. Kupferstich des 17. Jahrhunderts


Literatur

Marcel de Nauwelaerts. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
H. de Ridder-Symoens. In: Nationale Biografisch Woordenboek. Vol. IV. Brussel 1970

Bildnachweis
Alexandre Galand: The Flemish Primitives. Vol. VI. Brussel 2013 S. 375
193.190.214.119/art-foto/old/internet/vanOrley-333dig-L.jpg (13.8.2020)
Antwerpia/Antwerpen. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (13.12.2008)