Erstveröffentlichung

Unbekannter Künstler

Alban Thorer

71.38 Thorer 240In der National Gallery in London, wo dieses Portrait (Öl auf Eiche 97,2 x 75,6 cm. Nr. NG 195) mit dem provisorischen Titel A Man with a Skull beheimatet ist, gelang es nicht, den Dargestellten auf Grund des im Gemälde oben links angebrachten, vierteiligen Wappens zu identifizieren. Da das Werk nicht signiert ist, wurde von der National Gallery eine Behelfsherkunft eingeführt: Style of NICOLAS NEUFCHATEL. Dieser flämische Künstler lebte von ca. 1527 bis ca. 1600 und kann folglich das Portrait nicht schon um 1530 gemalt haben.

Dem Betrachter steht ein resoluter Mann mittlerer Jahre gegenüber, der sich im Gemälde beinahe herrisch aufbaut. Er trägt einen hochgeschlossenen schwarzen Überrock, aus dem ein ─ an der spanischen Mode orientierter ─ ondulierter weißer Hemdkragen hervorscheint. Über den ausgepolsterten Schultern trägt die Person einen schmalen, aber sehr langen Luchspelz, der von einigen Fürsten getragen wurde (vgl. Beitrag Bartolomeo Veneto, Charles de Bourbon).

Der rechte Arm ist angewinkelt und bildet eine Faust, die Handschuhe umgreift, so daß sein Fingerring auffällt. Auch die linke Hand trägt einen Ring am Zeigefinger. Diese stützt sich auf einen Totenschädel. Ein derartiger Hinweis im Bild auf ein memento mori kommt am Niederrhein bzw. in Köln mehrfach vor (vgl. Essay Bartholomäus Bruyn d. Ä. und das Umfeld des Künstlers). Da Neufchâtel dort in der Grafschaft Bergen zur Welt kam, ist man wahrscheinlich als Urheber auf diesen Künstler verfallen. Ursprünglich wurde das Gemälde sogar Hans Holbein d.J. zugeschrieben; doch da dieser ab 1532 in London engagiert war, kommt er schon zeitlich nicht infrage.

Das schwarze Barett deutet an, daß sein Träger kein Fürst, sondern ein Wissenschaftler war. Die Handschuhe in der Rechten legen nahe, daß es sich bei ihm um einen Juristen handelt. Zieht man das Programm mateo der Universität Mannheim zu Rate, in dem viele Renaissance-Wissenschaftler erfaßt sind, stößt man auf Alban Thorer bzw. Albanus Thorinus. Dieser wurde 1489 in Winterthur geboren und kam 1516 nach Basel zum Studium. Offenbar belegte er zunächst philosophische Vorlesungen, denn seine Fähigkeiten in Latein und Griechisch werden lobend hervorgehoben. Auf dieser Grundlage durfte er an der St.Peter-Schule in Basel alte Sprachen und Rhetorik an der Universität unterrichten.

Diese Tätigkeiten scheinen ihn nicht befriedigt zu haben, denn er brach dort ab und reiste nach Frankreich, um in Paris ein Medizinstudium aufzunehmen; sein Kommilitone war Paracelsus. Als er nach seiner medizinischen Promotion 1529 in Montpellier im Jahr 1537 nach Basel zurückkehrte, bekam er an der Universität einen Lehrstuhl für Theoretische Medizin. Zu diesem Zeitpunkt scheint Thorer sein Portrait in Auftrag gegeben zu haben. Demnach wäre der Totenschädel weniger als memento mori anzusehen als eine Dokumentation seiner anatomischen Spezialkenntnisse.

Von Paris aus war er auf die Insel Maguelone bei Montpellier gekommen und hatte dort eine Handschrift des Feinschmeckers Apicius (um 25 v. Chr. ─ vor 42 nach Chr.) ausfindig gemacht, die er 1541 in Basel veröffentlichte und Herzog Christoph von Württemberg dedizierte. »Er ließ sich sein Amt wohl angelegen seyn, und lehrte nicht nur fleißig bey der Academie, sondern trieb auch eine starke Praxis« (Zedler). »Infolge seiner humanistischen Gelehrsamkeit vermochte Thorer seinen Berufsgenossen die Schriften griechischer Ärzte in lateinischen Übersetzungen und die Werke römischer Heilkundiger in zweckmäßigen Ausgaben darzubieten« (wikipedia). » Das Verdienst, das er sich hierdurch erworben hat, wird noch dadurch übertroffen, dass er von dem epochemachenden Werke des größten Anatomen seiner Zeit, der fabrica humani corporis des Andreas Vesalius (s. Beitrag Mor, Andreas Vesalius), eine deutsche Übersetzung besorgte, die 1551 zu Nürnberg im Druck erschienen ist. Ohne Zweifel haben auch zwischen ihm und dem Verfasser der Fabrica nähere persönliche Beziehungen bestanden; bekannt wenigstens ist, dass der damals 28-jährige Vesalius sich 1542, gerade als Thorer Rektor war, in Basel immatrikulieren ließ und dort den Druck seines Werkes – dasselbe erschien 1543 bei Oporino in Basel – überwachte« (wikipedia). Vesalius‘ Epitome übersetzte Thorer ins Deutsche.

Jahrelang war die Universität Basel wegen der konfessionellen Schwierigkeiten in der Stadt geschlossen. Erasmus von Rotterdam, den Thorer 1532 besuchte, war deswegen nach Freiburg/Brsg. emigriert. Thorer bemühte sich um eine Stellung als Hofarzt, mit der er 1535 Erfolg beim badischen Markgrafen Ernst hatte. Doch er wurde im Folgejahr vom Rat der Stadt Basel an die Universität zurückgerufen. »Seine akademische Tätigkeit nahm ein jähes Ende, als er 1545 ohne Urlaub zu einer ärztlichen Konsultation nach Mömpelgard zum Herzog Christoph von Württemberg geritten war. Der Basler Rat setzte ihn ab, obwohl er seine plötzliche Abreise mit der Eile, die nötig gewesen sei, entschuldigte. Sein Gesuch um Wiederanstellung wurde abgewiesen. Thorer lebte dann nur noch kurze Zeit. Er starb in Basel am 23. Februar 1550« (wikipedia),

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2018

Literatur
Peter G.Bietenholz. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2009
wikipedia.org/wiki/Alban_Thorer (15.4.2017)
Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 43. Leipzig 1733ff

Bildnachweis
The National Gallery. Complete Catalogue. London 1995/2001