Erstveröffentlichung

Unbekannter Künstler
Stanisław Sauer


71.07-UK-StanSauer 240Im Jahr 2006 tauchte zur Auktion bei Sotheby, London, dieses Portrait von 1530 (Öl auf Holz, 55,5 x 47,6 cm) für kurze Zeit auf und verschwand wieder in einer Privatsammlung. Das Auktionshaus tippte bei der Einlieferung auf Netherlandish School; nähere Begründung lieferte sie nicht für diese Annahme. Direkte Analogien zu dortigen Porträtisten finden sich in dem Bild nicht. Ein älterer Mann mit ernstem Gesicht und etwas groben Zügen erscheint als Dreiviertelportrait nach rechts vor monochrom olivfarbenem Hintergrund. Zur schwarzen Kappe trägt er ein dunkles Gewand und könnte ein Kleriker sein. Beide Hände ruhen auf einem ockerfarbenen Sims am unteren Bildrand. Sie sind mit drei Ringen an der rechten Hand und einem an der linken Hand geschmückt. Ein Ring am rechten Zeigefinger könnte ein Siegelring sein, doch läßt sich in der Reproduktion kein bestimmtes Wappen erkennen.

Als Annäherung an den Porträtierten steht daher nur der Vermerk im Sims zur Verfügung: links von den Händen steht die Datierung 1530, und rechts wird das Alter des Mannes mit 62 angegeben. Daraus ergibt sich sein Geburtsjahr mit 1468. Nun gibt es nur wenige Personen aus dieser Zeit, bei denen man den Geburtsjahrgang kennt; Register existierten damals noch nicht. Die Wahrscheinlichkeit, den richtigen zu finden, war bei dem Minimum an Angaben gering.

Die schwarze Gewandung und die schwarze Kappe lassen an einen Humanisten denken, der kirchennah tätig war. Da die Ringe Wohlhabenheit signalisieren, ist ein Kanoniker in Betracht zu ziehen. Läßt man die Vorgabe der niederländischen Entstehung außer Acht, die ohnehin willkürlich erscheint, findet sich unter den Kontaktpersonen von Erasmus von Rotterdam (ca.1466─1536) ein Kanoniker, von dem bisher das Geburtsjahr mit 1469 angenommen wurde: Stanisław Sauer, auch Sawr oder Saurus. Die latinisierte Form des Namens bestätigt die humanistische Bildung des Mannes.

Sauer wurde um 1469 in Löwenberg/Schlesien (heute Lwówek) geboren und kam aus einer gutsituierten Familie. Der Vater war Ratsherr in der Stadt und konnte seinem Sohn eine gehobene Ausbildung bieten. Dieser ging zum Studium zunächst nach Krakau und anschließend nach Bologna ─ eine der Spitzenuniversitäten im damaligen Europa. Als er zurückkam, bekam er 1502 in Ratibor/Oberschlesien die Stelle eines Kanonikers an St. Thomas. Da tüchtige Personen gesucht waren, holte ihn sich Breslauer Bischof Jan II. Thurzo (1464/65) als Notar in seine Kanzlei. Sauer wollte jedoch sein Studium noch vervollständigen und reiste nach Wien, anschließend wiederum nach Italien. In Padua promovierte er zum Doktor des kanonischen Rechts. Das mit dem Titel verbundene Fachwissen war für den Bischof vorrangig wichtig; so wurde sein neuerliches Studium möglicherweise vom Domkapitel finanziert.

Seine Tätigkeit ließ ihm ausreichend Zeit für eigene Studien. Er spezialisierte sich auf die Schriften des Kirchenvaters Hieronymus (340 in Dalmatien─420 Bethlehem) und identifizierte sich offenbar stark mit dessen Lehre. Jedenfalls ist überliefert, daß er in der Kirche Hl. Kreuz in Breslau ein Denkmal für Hieronymus aufstellen ließ. Der Rückschluß von den Fingerringen auf sein Vermögen bestätigt sich hiermit.

Ob Sauer gereist ist, läßt sich zwar annehmen, aber darüber finden sich keine Belege mehr. Jedenfalls war er mit einigen namhaften Humanisten wie Mutianus Rufus (1470─1526), der sich in Hessen und Sachsen aufhielt, seinem Landsmann Ursinus Velius (1539), der in Bayern tätig wurde, und Joachim Vadianus von St. Gallen (1484─1551) persönlich bekannt und pflegte den Kontakt durch Briefe weiterhin, so auch mit Erasmus von Rotterdam. Insofern ist nicht ganz auszuschliessen, daß er auch in die Niederlande gekommen ist. Somit könnte das Portrait tatsächlich von einem Niederländer geschaffen worden sein.

Außerdem betätigte sich Stanisław Sauer auch als Historiograph sowie als Sammler von historisch relevanten Dokumenten aus Schlesien, Polen und Ungarn, die er in sein Manuskript integrierte, das (wohl durch Vermittlung von Ursinus Velius) heute in München gelagert ist, aber nie publiziert wurde. Veröffentlicht wurden jedoch eine weitere Arbeit über den seit 1520 regierenden Breslauer Bischof Jakob von Salza (1482─1539) sowie ein Report über die Reformbewegung in Schlesien, den eine Delegation des Bistums mit nach Rom nahm. Demnach stand Sauer wohl den Neuerungen in der Kirche positiv gegenüber wie sein Freund Mutianus Rufus. Sauer starb zu Beginn des Jahres 1535. In der polnischen Enzyklopädie wird er nicht erwähnt.

© Christoph Wilhelmi 2015

Literatur
Michael Erbe. In: Contemporaries of Erasmus. Buffalo/Toronto/London 1985
Gerhard Zimmermann: Das Breslauer Domkapitel im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation. Weimar 1938

Bildnachweis
Sotheby's Auction 6.7.2006. London 2006 Nr. 137