Erstveröffentlichung

Bartholomäus Bruyn d. Ä.(?)
Karl Harst


12.23-Bruyn-dÄ-HARST 240Aufschlußreich wäre zu erfahren, wie dieses Portrait of a young man aged 49 in die Galleria S
abauda in Turin gelangt ist. Doch dieses Werk (Öl auf Holz), für das wohl Bartholomäus Bruyn d. Ä. verantwortlich ist, kommt nicht im Bruyn-Werkverzeichnis von Hildegard Westhoff-Krummacher vor. Im Turiner Katalog von 1971 wird das Gemälde nicht erwähnt; infolgedessen sind dazu keine näheren Angaben verfügbar.

Das Portrait zeigt einen jüngeren Mann mit dunkler Schaube und einem braunen Schulterpelz, bei dem die Altersangabe zweifelhaft erscheint. Auf seinem dunklen Pagenkopf trägt er ein kräftiges Barett. Sein ein wenig grobschlächtiges Gesicht könnte auf einen Mann aus dem Volk schliessen lassen. Er hat beide Hände übereinander gelegt. Die Linke hält einen Brief und gibt damit zu erkennen, daß der Dargestellte Sekretär war oder ein Mann der Feder. Damit bleiben die Angaben jedoch im Allgemeinen. Einen Ansatz zur Lösung bietet nur die für Bruyn typische Inschrift zu beiden Seiten des Kopfes: oben links A° 1542 und oben rechts AETATIS SVAE 49. Dementsprechend ist nach einer Person zu suchen, die 1492/93 geboren wurde und 1542 noch am Leben war. Von diversen Kandidaten entfallen allein fünf, die vor 1542 schon gestorben waren, aus. So kristallisierte sich Karl Harst heraus.

Dieser Mann wurde 1492 in eine mittelständische Familie in Wyssenbruch bei Kleve geboren. Er konnte es sich leisten, 1509 ein Jura-Studium aufzunehmen, das er 1512 in Heidelberg fortsetzte und mit einer Promotion in römischem Recht abschloß. Da er sich auch philologisch hatte ausbilden lassen, stellte ihn der Herzog von Kleve-Jülich ein.

Schon damals war Harst ein Anhänger des Erasmus von Rotterdam (1466/69─1536), ein Erasmianer also, und gab sich den Wahlspruch: Nosce te ipsum (erfahre dich selbst). Als dieser große Philologe 1521 nach Basel übersiedelte, begleitete ihn Harst bis Koblenz. Beide verstanden sich offen bar sehr gut, denn von April 1524 bis Ende 1525 lebte Harst mit im Hause des Erasmus als dessen Famulus. Er beförderte u.a. Briefe an die Freunde des Erasmus im Städtedreieck Basel-Freiburg-Straßburg. Bei dieser Tätigkeit lernte Harst die prominenten Humanisten Bonifacius Amerbach (1495─1562) und Uldaricus Zasius (1461─1535) kennen. Offenbar zählte Harst zu den Hörern der Vorlesungen von Amerbach. Jedenfalls schenkte dieser ihm einige juristische Werke; Bücher waren damals wertvoller als heute. Warum sich seine Promotion bei Amerbach zerschlug, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Möglicherweise bekam er in den Jahren eine Beraterstellung am Hofe des Herzogs Johann von Kleve angeboten. Dieser suchte Kontakt zu Erasmus und entsandte Harst 1532 zu ihm nach Freiburg. »Dort übersetzte er [Harst] die niederdeutsche Fassung der mitgebrachten klevischen Kirchenordnung ins Lateinische, damit Erasmus, dessen Urteil gefragt war, sie besser verstehen konnte (Kloosterhuis S. 597/98). Als wirtschaftliche Grundlage verschaffte der Herzog Johann Harst eine Pfründe als Kanoniker an St. Viktor in Xanten.

Seit der Zeit setzte der Herzog Johann Harst »vorzugsweise zu diplomatischen Missionen« (Harlaß) ein: 1537 beim Reichstag in Speyer, 1538 bei König Ferdinand von Böhmen, 1539 bei Kaiser Karl V. in Toledo bzw. Madrid, »in welchen er sich durch Gewandtheit, Scharfblick und große Treue gegen seinen fürstlichen Herzog … hervorthat« (Harlaß S. 648). Der Herzog mußte lavieren, da er zum mißliebigen protestantischen Flügel der Fürsten im Reich gehörte. Diese trafen 1540 in Paderborn zusammen.

Harst kehrte 1540 an den Niederrhein zurück und gehörte neben Johann Gogreve ( 1554) und Konrad Heresbach (1496─1576) gleichrangig zu den engsten Beratern des jungen Herzogs Wilhelm (1516─1592), während mit dem Schmalkaldischen Bund über das gemeinsame Vorgehen beraten wurde. Außerdem führte er einzelne Aufträge für den Herzog aus, vorwiegend in England, als es um die Heirat König Heinrich VIII. mit Anna von Kleve ging. Diese Verbindung wurde angestrebt, weil der Herzog die Rückendeckung Englands in dem Dauerkonflikt mit dem Kaiser in der Geldernfrage suchte. Doch das alles endete im Desaster der Scheidung des Königspaars (vgl. Beitrag Holbein, Culpeper).

1546-48 weilte Harst häufig zu Verhandlungen am Hof von Sachsen und in der Pfalz, da die Konfessionsstreitigkeiten in den Jahren auf die Entscheidung zutrieben. Auf den Reichstagen war Harst der Bevollmächtigte des Herzogs von Kleve und mußte 1559 des Kaisers Einverständnis für die Rechtsreform im Herzogtum Kleve einholen; diese knifflige Angelegenheit überließ der Herzog lieber seinem erfahrenen Juristen.

In dieses Jahr fiel auch seine Heirat mit Katharina von der Klusen, mit der er drei Kinder hatte. Obwohl sein Wohnort Düsseldorf war, starb Harst 1563 in Xanten, wo er für seinen unehelichen Sohn gleichen Namens ein Kanonikat erwirkt hatte. Sein eigenes hatte er in den 50er Jahren aufgegeben. Ob jedoch sein Portrait mit diesem Schritt in Zusammenhang steht, ist nicht mehr zu klären. Eher ist anzunehmen, daß es sich um ein Standesportrait von Karl Harst handelt, das seiner Verdienste wegen bei Hofe seinen Platz fand.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2016


Literatur
Harlaß. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. X Berlin 168
Fehmi Ismail. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
Elisabeth M. Kloosterhuis: Erasmusjünger als politische Reformer: Humanismusideal und Herrschaftspraxis am Niederrhein im 16. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2006

Bildnachweis
http://www.kunstkopie.de/a/bruyn-bartholomaeus/portrait-of-a-man-aged-49.html (16.6.2014)