Erstveröffentlichung

Domenico Capriolo
Pierfrancesco di Lorenzo (II) de’ Medici  


14.01 Capriolo - Pierfr 240Dieses Halbportrait zeigt eine glänzende Selbstinszenierung eines betont eleganten jungen Mannes ─ nur welches Mannes? Eine überzeugende Auflösung des Bildes gab es bisher nicht. Angesichts der geradezu pompösen Garderobe muß es sich um einen begüterten Erben gehandelt haben. Aber auch die Identität des Urhebers wird unterschiedlich beurteilt. In der Dosso Dossi-Monographie, 1999 von Andrea Bayer ediert, wird das Gemälde als Selbstbildnis des Künstlers ausgegeben. Die Biographin von Capriolo S.C.M. (Silvia Colombo?) im Allgemeinen Künstlerlexikon erklärt jedoch: »zu Unrecht«. Die ´Marke´ bzw. Medaille unten rechts im Bild ist jedoch eindeutig die Signatur des Künstlers Domenico Capriolo. Da er einen Rehbock eingefügt hat, über dem Domenicus steht, gibt es eigentlich keinen Zweifel mehr: Es muß ein Werk des Capriolo sein, denn Capriolo ist mit Rehbock zu übersetzten. Übrigens ist ein Künstler-Selbstbildnis insofern unwahrscheinlich, weil das Bild ein repräsentatives Format besitzt; Dürer jedoch wählte wie viele andere für sich ein Mittelformat z.B. 56 x 44 cm oder 52 x 41 cm.

Das Werk (Öl auf Leinwand, 117 x 85 cm. 1511 datiert) befand sich um 1772 noch in der Sammlung Crozat in Paris; vermutlich gehört es zu den Bildern, die durch den Agenten Katharinas der Großen (1729─1796), dem Schriftsteller und Philosophen Denis Diderot (1713─1784) an den Zarenhof in St. Petersburg vermittelt wurde und so in die Eremitage (Nr. 219) gelangten, wo es heute ausgestellt ist.


Domenico Capriolo (*ca.1494) verbrachte seine Jugend in Treviso und war offenbar von Palma Vecchio (um 1480─1528) beeinflußt, ist aber trotz seines Könnens weniger bekannt geworden. Das mag darin begründet sein, daß er schon 1528 ermordet wurde. Seine Geburt in Treviso ereignete sich vermutlich 1487. Der Ausblick rechts im Bild auf zwei (angeblich) Kirchen spräche für einen Mann der Oberschicht, der als Stifter hervorgetreten wäre. Damit erklärt sich wohl auch das repräsentative Format. Die Suche nach infrage kommenden Personen ist jedoch mühsam. Ein biographisches Verzeichnis dieser Personen, wie sie die Städte Bologna und Parma herausbrachten, liegt bisher aber weder für Florenz noch für Venedig vor.

Das Ambiente der Person zielt auf Prachtentfaltung. Es deutet mit einem der Antike nachempfundenen weiblichen Torso, fünf pompösen korinthischen Säulen und der extravaganten Kleidung, insbesondere dem mit hellblauen Applikationen versehenen dunklen Barett auf einen Mann der reichen Oberschicht, der auch Kunstliebhaber gewesen sein muß. Seine Hände am rechten Bildrand halten ein Skizzenbuch und verleiteten wohl zu der Annahme, daß sich hier ein Künstler inszenierte. Aber solche Mappen verwenden auch Kunstsammler.

Dank der Medaille Capriolos war die Eingrenzung auf den erwähnten Personenkreises möglich. Neben der Datierung über dem Rehbock MDXII = 1512 gibt Capriolo auch das Alter des Auftraggebers an. Unter dem Rehbock steht XXV = 25. Daraus ergibt sich das Geburtsjahr mit 1487. Der elitäre Wohlstand der Person sowie der Geburtsjahrgang 1487 führten zu dem Bankier aus der jüngeren Linie der Familie de’Medici (die schon vor Cosimo dem Alten abzweigt): Pierfrancesco (II. di Lorenzo) de’Medici (1487─1525). Während es über die Herrscherfamilie eine ins Uferlose gehende Literatur gibt, sind die Angaben über die Nebenlinie leider spärlich. Pierfrancesco II. de’Medici wird deshalb auch nicht im Dizionario Biografico degli Italiani erwähnt.

Schon beim Vater dieses Pierfrancesco, Giovanni di Pierfrancesco de’Medici, wird von dessen attraktivem Aussehen berichtet: Er trug »wegen einer Tanzpartnerin einen Streit aus… mit 27 Jahren der jüngere der beiden Vettern, noch schöner als Piero [de’Medici] und genauso arrogant wie dieser« (James Cleugh S. 216). Piero bezichtigte ihn in der Folge, Parteigänger der in Oberitalien eingedrungenen Franzosen zu sein. Die Rivalität innerhalb der Familie setzte sich fort. »Nun stand nur noch Florenz den französischen Invasoren im Weg. In Piacenza stießen die Brüder Pierfrancesco zu König Charles VIII. ─ ein Beweis, daß sie … immer noch feindselig gesonnen waren. Zum ersten Mal waren die Medici in zwei unversöhnlich verfeindete Parteien gespalten« (Cleugh S. 218). Im weiteren Verlauf spitzte sich die Lage zu. »Pieros Späher berichteten, die Signoria habe [ihn] Piero di Lorenzo de’Medici soeben zum Aufrührer und Verfemten erklärt« (Cleugh S.219).

Für die Kunstliebe des jüngeren Zweigs der Familie Medici spricht: Botticelli »wäre verhungert, hätten ihn nicht die Medici der jüngeren Linie, Giovanni di Pierfrancesco und und sein Neffe Pierfrancesco di Lorenzo, unterstützt… 1493 kehrte sein Schüler Filippino Lippi aus Rom nach Florenz zurück. 1496 malte er für die Kirche San Donato eine Anbetung der Könige (Uffizien). Auf diesem Altarbild erkennt man die Portraits von Pierfrancesco de’Medici und verschiedener anderer Mitglieder der jüngeren Linie« (Cleugh S. 284). Leider ist die Möglichkeit, über die im Bildausblick wiedergegebene Kirchenfassade den Identitätsbeweis zu führen, durch den 1529 erfolgten Abriß der Kirche St. Donato der Scopetani (Augustiner-Mönche) ausgeschlossen. Aber das Jahr der Entstehung des Portraits ist dasselbe wie das der Heirat Pierfrancescos; von daher käme ein Brautbild infrage ─ ein besonders imponierendes.

Die Annäherung der beiden Familienzweige erfolgte erst später und auf wenig erfreulicher Ebene, als der Sohn des Papstes Clemens VII. (1478─1534), Alessandro de’Medici (1511─1537) sich zum Kumpanen seiner Ausschweifungen Lorenzino de’Medici (1514─1548), den Sohn von Pierfrancesco, aussuchte. Offenbar trat eine gewisse Laszivität in diesem Zweig der Familie auf. »Dieser Lorenzino war ein schlanker, lüsterner und ziemlich devoter junger Mann von 21 Jahren, der aber scharfsinnig und entschlossen seine persönlichen Ziele verfolgte. Von seiner Mutter Maria Soderini, der Tochter des standhaften Republikaners Tommaso Soderini, hatte Lorenzino einen abgründigen Haß gegen jede Tyrannei geerbt. Mit seinem Vater Pierfrancesco de’Medici … hatte er nichts als den geachteten Namen und eine Reihe berühmter Verwandter gemeinsam« (Cleugh S. 289/90).

Diese Ausschnitte müssen genügen, da ansonsten der Vater von Lorenzino nicht politisch hervortrat und infolgedessen in den Chroniken nicht über ihn berichtet wird; ausgenommen sind einige diplomatische Aufträge der Signoria für ihn als florentinischer Unterhändler beim Papst 1522. Auf anderen Missionen wird der Florentiner den venezianischen Maler kennengelernt und für sein Portrait ausgesucht haben.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2014


Literatur
James Cleugh: Die Medici. München/Zürich 1975
Tamara D. Fomichova: Venetian Painting. Moskau/Florenz 1992

Bildnachweis
Giuseppe Fiocco : Giorgione. Bergamo/Hamburg 1941 S. 353