Erstveröffentlichung

Domenico Capriolo

Jacopo Bannisio


14.02 Capriolo Bannisio 240Die Galleria Nazionale di Parma verfügt über ein Portrait mit dem vorsichtig formulierten Titel ritratto di umanista (Öl auf Holz, 56 x 39 cm. Nr. 309). Es zeigt einen schwarz gekleideten Mann mit einem Birett eines Klerikers, »der ein Notenbuch [hält], in dem ein untextierter vierstimmiger Satz klar zu erkennen ist. Es kam dem Porträtierten offenbar darauf an, daß das Stück genau abgebildet wurde, denn der Notentext wird an der Stelle, wo die Finger das Buch halten, ausgespart… Hieraus ist zu schliessen, daß höchstwahrscheinlich ein Komponist mit einem eigenen Werk dargestellt wurde« (Volker Scherliess S. 40).

Folgerichtig wurde diese Spur bei der Suche nach der Identität des Dargestellten aufgenommen. In der Tat gibt es unter den zahlreichen Komponisten der Hochrenaissance einige, welche sich im geistlichen Stand befanden. Aber bei keinem griffen Lebensumstände und Bildinhalte überzeugend ineinander. Aber nicht nur die Identität des Dargestellten schien unlösbar; die Geschichte der Zuschreibung weist vielerlei Winkelzüge auf.

Als Scherliess das Portrait in seinem Buch (Abb. 41) abbildete, wurde es noch dem Künstler Girolamo Macchietti (1535─1592) zugeschrieben. Das Museum neigte jedoch der von Corrado Ricci 1896 vorgenommenen Zuschreibung zu, daß Filippo Mazzola (1460─ca.1505) der Urheber sei. Von der Vita des Malers ist wenig bekannt. Er soll 1460 in Parma geboren und dort 1505 gestorben sein. Doch kamen manchen Kunsthistorikern Zweifel, ob das Gemälde tatsächlich schon um 1500 angesetzt werden kann.

Ricci lieferte gleich noch die Identifikation der Person mit. Nach seiner Meinung ist der aus Parma stammende Literat und Musiktheoretiker Nicola Burzio (ca.1450─ca.1518), ein Jurist und Theologe, dargestellt, der am Hofe des Giovanni II. Bentivoglio, des Herrschers von Parma, angestellt war. Diese Lösung ist zwar räumlich naheliegend, aber aus mehreren Gründen zweifelhaft, vor allem wenn behauptet wird, die wiedergegebene Komposition stamme von Burzio. Dieser hat (lt. Musik in Geschichte und Gegenwart) selbst nicht komponiert und schätzte auch die neue Musik seiner Zeit gering ein, denn um 1500 kam in Mantua die frottola auf, ein eher kabarettistischer Song.

Scherliess publizierte 1972. Die Zeit ist fortgeschritten, und ein neues Jahrhundert hat begonnen. 2009 erschien eine umfangreiche Monographie   über Giorgione, die auch den Umkreis des Künstlers im Blick hat. Darin taucht das hier zur Debatte stehende Gemälde auf (S. 152) und wird dem Domenico Capriolo (ca.1494─1528 (s. Beitrag Capriolo, Pierfrancesco) zugeordnet.

Da es den Autoren um die Autorschaft Capriolos zu tun ist, klammern sie die Frage nach dem Dargestellten völlig aus. Diese steht aber hier im Vordergrund.

Immerhin kann das demonstrativ vom Dargestellten dem Betrachter hingehaltene Notenbüchlein einen Weg aufzeigen. Auf die gute lesbare Zeile »Ha, quante cose qui tacendo passo« wird im Begleittext überhaupt nicht eingegangen. Scherliess hatte noch festgestellt: »Rätselhafte Zeile mit einem nicht näher zu bestimmenden Text« (S. 111).

Sie ist allerdings auch in keinem der einschlägigen Verzeichnisse von Renaissance-Kompositionen bzw. Motti verzeichnet. Doch da heute die Datenverarbeitung von Texten Fortschritte gemacht hat, besteht die Möglichkeit, charakteristische Textausschnitte auch zu finden. Dies glückte in diesem Fall. Zum Vorschein kam, daß die Passage von dem hochangesehenen Literaten und Kardinal Pietro Bembo (1470─1547) stammt, einem wichtigen Vertreter des Petrarkismus. Daß dieser Zusammenhang nicht früher aufgeklärt wurde, erklärt der Experte für Renaissance-Musik, Allan W. Atlas (S. 433) ernüchternd mit wenigen Wörtern: »Bembo and music theorists seem to have paid little attention to one another«.

Die Suche ergab auch die Quelle für die Textzeile und damit einen Anhaltspunkt für die Datierung des Gemäldes. »Ha, quante cose…« stammt aus Bembos bekanntestem Werk Gli Asolani, das 1505 niedergeschrieben und schnell in aller Munde war, aber erst 1530 in Druck ging. Vor diesem Termin kursierten Abschriften und Ausschnitte des Werks. Im libro terzo beginnt der 4. Vers mit: »Il terzo è’l mio solingo alto pensero…,« und dort heißt es in der 7. Zeile: »O quante cose qui tacendo passo«. Daß der Auftakt im gemalten Notenbüchlein ein wenig abweicht, spricht explizit für die Zeit der mündlichen bzw. abschriftlichen Überlieferung.

Gli Asolani soll in den Jahren 1497 bis 1502 entstanden sein. 1498 bis 1502 hielt sich ihr Autor, Pietro Bembo, als Gast am Hof der ehemaligen Königin von Zypern, Caterina Cornaro (1454─1510) in Asolo auf. Die damals bei Hofe stattfindenden geistreichen Gespräche flossen offenbar in Bembos Text ein. Das Werk ist dadurch kulturgeschichtlich bedeutsam, denn es stellt in vielerlei Hinsicht ein grundlegendes Werk dar, sagt es doch eine Menge über Denken und Fühlen der gebildeten Kreise aus, sowie über Mode und Gelehrsamkeit. Sprachgeschichtlich entstand es zu einer Zeit, da der Gedankenaustausch der Humanisten fast nur auf Latein erfolgte. Insofern war die Nutzung der Volkssprache eine Neuerung. Wichtig ist das Werk auch deshalb, weil es der erste Liebesroman in volgare ist und dadurch literarisch weitreichende Folgen zeitigte.

Bembo wanderte 1504 weiter nach Ferrara, wo er eine Abschrift der Papsttochter, Lucrezia Borgia (1480─1519), überreichte, der Frau des Fürsten Alfonso d’Este. Benachbart und verwandt war der Hof in Mantua, wo Bembo Isabella d’Este (s. Beitrag Bartolomeo Veneto, Isabella) besuchte. Anschließend machte Bembo ihrer Schwägerin, Elisabetta Gonzaga (1471─1526), am Hof von Urbino seine Aufwartung. Mehrere Madrigalkompositionen haben Texte aus Gli Asolani verwendet, doch keine enthalten die Zeile des Gemäldes. Die Aussage bezieht sich auf die erhaltenen Manuskripte.

Naheliegend war es daher anzunehmen, die kleine Komposition könne von dem Niederländer Jacob Obrecht (ca. 1457─1505), einem Komponisten und Kleriker, stammen, der 1487 von Ercole I. d’Este nach Ferrara eingeladen wurde, 1504 als Nachfolger des Komponisten Josquin des Prez (ca.1450─1521) wieder nach Ferrara zurückkam und mit dem Bembo freundschaftliche Verbindung pflegte. Aber die Ähnlichkeit des Portraits mit dem kürzlich entdeckten Obrecht-Portrait aus der Memling-Schule ist nicht gegeben. Auch starb Obrecht schon 1505 an der Pest. Außerdem teilte die Expertin Nicole Schmidt (6.11.2008) brieflich mit: »Mit Sicherheit ist der Text nicht mit einer bekannten Komposition von Obrecht in Verbindung zu bringen«.

Die Suche nach einem infrage kommenden Kandidaten wurde erschwert, weil Bembo sowohl in Venedig als auch später in Rom mit vielen Musikern des Vatikan in Verbindung kam. Deswegen wurden alle Textanfänge archivierter Madrigale und frottole durchgesehen ─ ohne Ergebnis. Die im Bild benutzte Version taucht nirgendwo auf.

Schließlich stellte der Zufall den Zusammenhang her. Die Konzentration auf einen Komponisten hatte voreilig andere Musikliebhaber ausgeschlossen. Doch Humanisten durchliefen damals im Studium der artes liberales neben Mathematik auch ein Studium der Musik (der Grundlagen jedenfalls). Insofern mußte das Einzugsgebiet auch auf gebildete Laien ausgedehnt werden. Daß diese Annahme begründet ist, wurde durch die Qualität der Notenfolge bestätigt. Die Transkription der abgebildeten Noten in die neuzeitliche Version ergab nämlich keine in unserem Sinne sangbare Melodie. Das kann an dem musikalisch ungebildeten Maler gelegen haben, der es mit der Notenschrift nicht genau nahm; es kann aber auch an einem musikfreudigen Dilettanten gelegen haben.

Dieser war Jakob Bannissius (auch Jacopo Bannisio aus Korčula/Dalmatien 1467─1532 Trient; 1547 lt. Dizionario Biografico Italiano. Vol. 5. Roma 1963). Über seine Herkunft weiß man nur, daß er von der Insel Korčula stammte und seit 1498 Kanoniker war. Anscheinend gehörte er dem niederen Adel an und fiel wohl wegen seiner Intelligenz auf, denn Kaiser Maximilian I. stellte ihn 1493/94 als Sekretär ein. 1501 gehörte er zum Gefolge des Kardinals Raimondi Peraudi auf dessen Deutschlandreise. 1504 hielt er sich mit der kaiserlichen Gesandtschaft in Rom auf, agierte aber auch diplomatisch für Papst Julius II. Maximilian ernannte ihn zum lateinischen Sekretär, erhob ihn in den Adelsstand und sorgte dafür, daß er Dekan des Domkapitels in Trient wurde, wo sich in S. Maria 14.02-NEBPortraitmedaille Jacopo BannisioMaggiore Bannisios Grabmal befindet. 1515 bis 1522 reiste er als Diplomat mehrfach nach England und machte sich dort beliebt; infolgedessen sah ihn der englische Hof als ´Partisan´ am Kaiserhof an. Bannisio bekam mehrfach Pfründen, aber 1514 erst die kirchlichen Weihen. So konnte er 1518 Bischof von Lesina werden. Man könnte annehmen, daß das Portrait erst 1515 in Auftrag gegeben wurde, als er Kanoniker in Rovereto wurde, das von Venedig nicht allzu weit entfernt liegt. 1521 war Bannisio beim Reichstag in Worms anwesend und gewann die Gunst von Kaiser Karl V., da er eifrig am Edikt gegen Martin Luther mitwirkte. Auch am Mailänder Hof war er 1523─1527 als Diplomat erfolgreich.

Bannisio galt als Freund der Humanisten und Künstler. Es existiert eine Portraitmedaille von ihm in der Art von Hans Daucher, die ihn im Profil zeigt. Die deutlich wiedergegebene Nase entspricht in etwa dem Gemälde. 1520 traf Bannisio Albrecht Dürer in Antwerpen, und mit Dürers Freund Willibald Pirckheimer war auch Bannisio befreundet. Dürers Zeichnung von Bannisio scheint aber nicht mehr zu existieren. Ebenfalls stand Bannisio mit Erasmus von Rotterdam und mit Pietro Bembo in brieflichem bzw. persönlichem Kontakt. Es liegt daher nahe anzunehmen, daß Bannisio in Verehrung Bembos die kleine Begleitmusik zur Bembo-Zeile geschrieben hat, aber wohl auf die Korrektur der Noten im Bild verzichtet hat. Das Portrait jedenfalls läßt erkennen, daß Bannisio auf die Freundschaft mit Kardinal Bembo sehr stolz war.

Wie wenig Bannisio als Diplomat sonst Farbe bekennen wollte, ergibt sich aus dem Vorgang, daß Erasmus ihn brieflich bat, eine kaiserliche Maßregelung gegen den Kölner ´Dunkelmann´ Pfefferkorn zu bewirken, der im Reuchlin-Streit gegen humanistische Bücher und die Ausbreitung der Allgemeinbildung gewettert hatte. Aber Bannisio wiegelte ab, man solle Johannes Pfefferkorn sich selbst überlassen. Dagegen hob Erasmus ihm gegenüber lobend hervor, daß sich ein Herrscher wie Henry VIII in England für die Allgemeinbildung vehement einsetze.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2014


Literatur
Allan W. Atlas: Renaissance Music. New York/London 1998
GIORGIONE a cura die Enrico Maria Dal Pozzolo e Lionello Puppi. Castelfranco 2009
Georg Habich: Die Medaillen der italienischen Renaissance I, 1 Stuttgart 1922 S. 18 Nr. 86
Michael Rumpf (Hg. und Übersetzer): Dialoge über die Liebe. Heidelberg 1992 S. 153
Franco Maria Ricci (Hg.). Galleria Nazionale di Parma. Milano 1997 S. 118
Volker Scherliess: Musikalische Noten auf Kunstwerken der italienischen Renaissance. Hamburg 1972
treccani.it/enciclopedia/iacopo-bannisio_(Dizionario-Biografico)/ (11.8.2014)
TRD. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003

Bildnachweis
GIORGIONE a cura di Enrico Maria Dal Pozzolo e Lionello Puppi. Castelfranco Veneto 2009 S. 352
Kunsthistorisches Museum Wien