Erstveröffentlichung

Bernardino de‘Conti

Serafino Aquilano

18.01 Conti - Aquilano 240Das Bonnefantenmuseum in Maastricht besitzt u.a. eine Sammlung von 75 Werken der italienischen Kunst aus der Zeit vor 1500 und verfügt darin über ein Portrait eines Musikers, wohl eines Lautenisten; das vermutlich von Bernardino de‘ Conti (ca. 1470─ca. 1523 Mailand) gemalt wurde (Öl auf Holz, 71,5 x 55 cm, datiert 1497). Allerdings ist die Signatur rechts unten auf dem Sockel nicht mehr deutlich zu lesen: BERNARDINUS DE … IVI bzw. DE LUVINUS, wie Venturi meint. Van der Sman wies allerdings Conti zurück. Das strenge, fast würdevolle Portrait eines Mannes mit schulterlangem dunklem Haar zeigt einen Musiker, der sich seines angesehenen Standes gewiß war. Nach der roten Kappe zu urteilen, war er an einem Hof beschäftigt, möglicherweise Mailand; im Jahr 1497 regierte hier der prunkliebende Herzog Ludovico il Moro (1452─1508). In Mailand befand sich auch der Vorbesitzer, die Galleria Crespi.

Auffällig ist an dem Portrait, daß das Instrument nur am Wirbelkasten erkennbar ist, während beim Mann mit Laute von Hans Holbein d. J. (s. I. S. 176ff) die Laute viel Raum im Bild einnimmt. Auch ist der Corpus hier von einem Mauervorsprung weitgehend verdeckt, und die unklare Halterung des aufrechten Instruments warf bislang Fragen auf. Nach Mitteilung des Museums ist die umstrittene Haltung nur so zu erklären: Von der 6-saitigen Laute ist der Wirbelkasten zu sehen. Der Ansatz des Knickhalses geht steil nach unten (d.h. die Laute steht wohl am Boden und wird mit der rechten Hand an den Körper gedrückt; evtl. hält auch der linke, herunterhängende Arm die Laute am unteren Hals).

Außer dem Wirbelkasten ist das Portrait von vier weiteren Accessoires umgeben, die für den Auftraggeber offenbar wichtiger waren als die Laute. Eine Besonderheit stellen die beiden Schrifttafeln im Stil des von Bellini gern benutzten cartiglio (Kärtchen) dar. Auf dem Schild links oben lautet der Text: SI COM EL VITIO / SOL VITA DESPER / RA (als ob das Laster/ allein am Leben verzweifeln läßt). Rechts unter dem Fenster steht auf dem anderen Täfelchen:
SOL VIRTU DOM / NA MORTE ORR / IDA E ALTERA (allein die Tugend beherrscht / des Todes Grauen / und das übrige). Der Literaturwissenschaftler Antonio Rossi war so freundlich, die Zeilen in heutiges Italienisch zu transkribieren. Darin lauten sie:
si come el vitio sol vita desperra (so wie das Laster die Hoffnung auf Leben ruiniert) und: sol virtù domma morte orrida et altera (nur die Tugend siegt über den schrecklichen Tod und das andere [Verächtliche, Zornige])

So drängt sich die Frage auf: War der Porträtierte wirklich ausschließlich Berufsmusiker? Die Person hält mit der von einem Ring geschmückten Rechten in bedeutungsvoller Geste ein entfaltetes Blatt Papier. Darauf sind, weil der Betrachter die Rückseite zu sehen bekommt, weder Noten noch Text angegeben. Auf der Fensterbank steht ein Tintenfaß und dahinter eine Schreibgarnitur; beides weist deutlich auf einen Schriftsteller hin.

Doch bevor der Frage nachgegangen werden kann, ist erst einmal ein Kreis infrage kommender Personen zu ziehen. Die Physiognomie zeigt einen noch jugendlichen Mann, aber keinen Jüngling mehr. Demnach ist sein Alter auf ca. 30 Jahre anzusetzen. Von der Datierung 1497 ausgehend kommen als Geburtsjahrgänge um 1470 infrage. Um diese Zeit war die Laute nicht nur in Oberitalien ein beliebtes Instrument, mit der die damals modischen Lieder wie frottola, strambotto und Sonette begleitet wurden. Volker Knapp (S. 152) weist auf »seine ´strambotti´, eine im späten 15. Jahrhundert sehr beliebte, für die Vertonung bestimmte Dichtungsform, als Hofdichtung« hin. Autoren der Texte waren Dichter, aber auch dilettierende Adlige sowie teilweise die Musiker selbst. Von der Markgräfin Isabella d’Este-Gonzaga (s. Beitrag Bartolomeo Veneto, Isabella) weiß man, daß sie in kleinem Kreis bei Hofe gesungen hat und sich dabei auf der Laute begleitete. Doch von ihren Texten ist leider nichts erhalten geblieben.

Nicht nur in Mantua waren die frottole beliebt ─ kleinere Texte zu Alltagsthemen, meist für Solostimme mit Lautenbegleitung. Sie bildeten die Vorstufe zum Madrigal. Es konnten freche Chansons sein, aber auch gereimte Liebesbriefe in der Umgangssprache, dem volgare. Als herausragende Vertreter dieser Gattung taten sich Bartolomeo Tromboncino (ca. 1470 Verona ─ 1535 im Veneto) und Marchetto Cara (ca. 1470─ ca. 1525) hervor, beide Sänger und Lautenisten. Obwohl der Notendruck noch in den Anfängen steckte, existieren dadurch allein 176 frottole von Tromboncino. Die Texte zu seinen Melodien holte er sich bei Petrarca und zeitgenössischen Autoren wie Francesco Galeotta (ca. 1446─1497), Cesare Gonzaga (s. Beitrag Bartolomeo Veneto, Cesare Gonzaga) … Sannazarro und von Michelangelo. Cara wird sogar in Castigliones Hofmann namentlich erwähnt. Doch es kommt keiner der beiden Musiker infrage, da sie sich vorwiegend in Mantua aufhielten d.h. feste Engagements bei Hofe hatten.

Zwar sind viele gängige frottole bis 1531 von Ottaviano di Petrucci (1466─1539) in Venedig gedruckt worden, der 1497 dazu ein Privileg bekam. Aber die Überlieferung dieser musikalischen Miniaturen ist sehr lückenhaft, d.h. es ist davon auszugehen, daß die Mehrzahl der Texte und Noten verlorengegangen ist (vgl. I., S. 65ff). Dementsprechend finden sich die beiden Textfragmente des Bildes nicht unter den durch Archive bzw. Publikationen edierten frottole. Antonio Rossi konnte daher nicht bestätigen, daß die Zeilen von Serafino Aquilano stammen. Für die zweite Zeile führt er einen Abschnitt von Antonio Tebaldeo (1463─1537) an, der beginnt mit »Dapoi che la caduca e fragil vesta« und in dem als Zeile 81 zu lesen ist: Sol virtù doma horrida e altera. Ein Zitat?

Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten: Serafino Aquilano kannte Texte von Tebaldeo und adaptierte diese Zeile für sich, weil sie ihm zusagte. Urheberrechtliche Skrupel kannte man um 1500 nicht. Zum anderen könnte Tebaldeo als Porträtierter angenommen werden. Die Schwierigkeit besteht dann nur in der Tatsache, daß er nicht als ausübender Musiker von den Historikern beschrieben wird. Das ist ein Argument für die vorhergehende Version.                                                          

Da im Gemälde die Laute sozusagen ´heruntergestuft´ wurde und die Texte zwei Drittel der bildbegleitenden Hinweise ausmachen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß unter der Vielzahl der beschäftigten Sänger und Lautenisten nur derjenige infrage kommt, der poeta e musicista war. Dies trifft auf Serafino Aquilano zu, auch de’Ciminelli dall’Aquila genannt. Er wurde 1466 in Aquila, der 2009 von Erdbeben zerstörten Stadt in den Abruzzen, geboren.

Wie bei all diesen Personen der höfischen Unterhaltung ist wenig von seinem Leben übermittelt. Seine erste Anstellung fand Serafino 1478 in Neapel bei Antoni de Guevara (ca. 1480─1545), dem Conte di Potenza. Interessanterweise betrieb dieser ein Studio für Poesie und Musik. Um sich als Musiker einen Namen zu machen, war es üblich, häufiger die Stelle zu wechseln. So gelang es Serafino 1484, von dem aus Mailand stammenden, weltläufigen Kardinal Ascanio Maria Sforza (1455─1505), dem Bruder Ludovico il Moros, nach Neapel engagiert zu werden. Schon damals war Serafino für sein Improvisationstalent bekannt als virtuoso improvisatore. Stilistisch ist Serafino den Petrarkisten zuzuordnen, die sich gegen den von Pietro Bembo (1470─1547) verfochtenen Purismus erklärten; Tebaldeo dagegen stand Bembo nahe.

Serafino folgte Ascanio Sforza 1490 ins Exil an den herzoglichen Hof in Mailand. »Im Mailand Lodovico il Moros erblickte man damals das unbestrittene Vorbild höfischer Lebensführung und moderner Eleganz für Oberitalien« (Jan Lauts S. 39). Hier war die Laute als Instrument ebenso geschätzt wie in Mantua, denn die Herzogin Beatrice war eine Schwester von Isabella d’Este-Gonzaga. Beide bestellten ihre Lauten beim Instrumentenbauer Lorenzo di Pavia. Von Serafino heißt es, er habe es in kurzer Zeit verstanden, für seine Gaben als Poet gewürdigt zu werden. Er wurde sogar der »der göttliche Serafino« genannt.

Da die Unterhaltungskünstler schon zu der Zeit sehr mobil waren, manchmal von Hof zu Hof für einige Zeit ausgeliehen wurden (wie von Mantua nach Mailand), bedeutet es keinen Widerspruch, daß Serafino vermutlich 1491 auch von dem päpstlichen Sekretär und Schriftsteller Paolo Cortese (1465─1510) engagiert wurde. Was ihn reizte, war die Tatsache der Literatengruppe, die sich um Paolo Cortese gebildet hatte. Innerhalb der Gruppe schloß er sich an Vincenzo Colli gen. Calmeta 18.01-Conti---Le-RimeEinzige lieferbare Buchausgabe der
Le-Rime von Serafino Aquilano 1999
ISBN 88 222 4766 3
(um 1460─1508) an. Serafino war in seinen Texten vielseitig; sie umfaßten auch gereimte Liebesbriefe, Eklogen, Pastorale, stramboti und Sonette. Zwei Jahre nach Serafinos Tod in Rom 1500 gaben seine Freunde seine rime heraus, welche 1999 als musikwissenschaftliche Ausgabe in Florenz neu ediert wurden. Diese Ausgabe hat jedoch in Deutschland keine Bibliothek anschafft. Beide Veröffentlichungen
enthalten 28 strambotti, eine antica forma poetica, die jeweils 8 Zeilen à 14 Silben umfaßt. Diese sind »eine im späten 15. Jahrhundert sehr beliebte, für die Vertonung bestimmte Dichtform als Hofdichtung« (Volker Kapp). Daher sind die viersilbigen Zeilen des Gemäldes im Buch nicht erfaßt. Es wäre allerdings auch merkwürdig, wenn sich Serafino im Bild selbst zitieren würde. Sein Werk muß also um ein vielfaches größer gewesen sein, als die 28 Gedichte, welche durch den Druck von 1502 erhalten blieben. Die in den Textzeilen des Gemäldes vorkommenden Kernbegriffe tauchen allerdings mehrfach in den 28 Gedichten auf, wenn auch in anderem Kontext. Daß die Zeilen im Porträt nicht in den rime vorkommen, spricht nicht gegen die Identifizierung Serafinos als dargestellter Person. Auffällig an ihm ist eben die Doppelbegabung für Text und Vertonung, die um die Zeit selten anzutreffen ist.

Es gibt eine anschauliche Schilderung vom Auftreten Serafinos: »Der anerkannte Fürst der Dichterlinge dieser Art, dessen Verse von allen Höfen eifrigst gesucht und gesammelt wurden, war jener Serafino d’Aquila… Er führte ein Wanderleben, war bald in Aquila oder Urbino, in Mailand, Mantua oder Genua. Überall nahm man ihn mit Begeisterung auf, bis er schließlich im Jahr 1500 als Hausdichter Cesare Borgias (1475─1507) erst vierunddreissigjährig sein kurzes Leben beendete. Siebzehn Ausgaben seiner Werke wurden allein während der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts veranstaltet. Seine Gesänge bewegen sich in den Formen des strambotto, einer lockeren volkstümlichen Dichtungsart des italienischen Südens, oder der behenden und gelösten barzelletta. Beide wurden durch sein Auftreten hoffähig gemacht. Später wandte er sich dann mehr dem strenger geformten Sonett zu. Vincenzo Calmeta (1460─1508), der Dichterkollege aus dem Kreis des Moro in Mailand, beschreibt Art und Aussehen dieser ergötzlichen Type lebendig genug. Ziemlich klein von Statur, robust und von kräftigem Knochenbau, überraschte Serafino dabei durch eine außergewöhnliche, gauklerhafte Lebendigkeit. Um das gebräunte Gesicht, aus dem ein Paar dunkler, lebhafter Augen blitzte, hingen lose die langen schwarzen Haare, alles, was er tat, geschah ´mit Feuer´... Immerhin wird seine freundliche und gesellige Art gelobt. Grundzug seines Wesens war offenbar die immense Eitelkeit des vollendeten Komödianten, der keinen Tag ohne den Applaus einer zum Beifall leicht geneigten Gesellschaft leben kann und sich um jeden Preis in Szene setzen muß. Die Laute in der Hand trat er vor seine Zuhörer hin und überschüttete sie mit anscheinend leicht hingeworfenen Improvisationen ─ die allerdings wohl oft sorgfältig vorbereitet waren ─; seine Worte, die er con grazia aussprach, wußte er zum Klang des Instruments mit wohllautender Stimme vorzutragen« (Lauts S. 223/24).

Die Beliebtheit Serafino Aquilanos drückt sich auch darin aus, daß er bei seinem Tod von seinen Kollegen und Freunden mit einer Hommage geehrt wurde, der Collettanee in morte di Serafino Aquilano, die heute noch in neuer Edition auf dem Buchmarkt angeboten wird.

Im Jahr der Entstehung des Gemäldes war Lodovico il Moro auf der Höhe seiner Macht, obwohl er eigentlich als Verweser für seinen Neffen fungierte. Aber er hatte die Rückendeckung des Kaisers Maximilian I., der 1493 Bianca Maria Sforza (1472─1510) geheiratet hatte. Niemand ahnte seinen plötzlichen Sturz durch den Einfall des französischen Königs Louis XI. im Jahr 1500.

Von dem Maler des Portraits sind nur wenige Werke bekannt und kaum etwas über sein Leben. Er scheint hauptsächlich für die Sforza gearbeitet zu haben und wurde ─ wie Leonardo da Vinci ─ nach dem Sturz Lodovicos dienstverpflichtet bzw. nach Frankreich geholt, um für den Mailänder Gouverneur des Königs, Charles d’Amboise (1473─1511) und den aus Mailand stammenden Heerführer Gian Giacomo Trivulzio (1436─1518) zu arbeiten.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2014

Literatur
Jaap van Benthem. In: Essays on Renaissance Music. Woodbridge 2011
Catalogue of the Italian Paintings in the Bonnefantenmuseum. Maastricht 1995. Hg. C. E. de Jong-Janssen
K. Dirkx: Bernardinus de …ivi…pinxit. Bonnefans. Bulletin van den Vereniging van Vrienden van het Bonnefantenmuseum # 5 1989 p. 14/15
James Haar. In: The New Grove. Dictionary of Music and Musicians. XXIII. London/New York 2001 S.109
C. E. de Jong-Janssen: Catalogue of the Italian Paintings in the Bonnefantenmuseum. Maastricht 1995
Volker Kapp. In: Italienische Literaturgeschichte. Stuttgart/Weimar 2007
Jan Lauts: Isabella d’Este. Hamburg 1952
Paul A. Merkley / Lora L. M. Merkley: Music and Patronage in the Sforza Court. Turnhout 1999
Le Rime di Serafino Aquilano in musica. ed. Giuseppina La Face Bianconi e A. Rossi. Firenze 1999
Antonio Rossi: Brief vom 26.10.2012
Catarina Santoro: Gli Sforza. o.O. 1968

Bildnachweise
Catalogue of the Italian Paintings in the Bonnefantenmuseum. Maastricht 1995. Hg. C. E. de Jong-Janssen Tafel 32
Le Rime di Serafino Aquilano in musica. ed. Giuseppina La Face Bianconi e A. Rossi. Firenze 1999 Cover