Erstveröffentlichung

Hans Holbein d. J.

Thomas Culpeper                              


06.07 Culpeper AKTUELL»Die Perle aller Museen ist das Mauritshuis. Das Haus am Vijver ist selbst ein schöner Bau« (Josef Rast, S. 94). Es befindet sich in s’Gravenhage, der Hauptstadt Hollands und verfügt über ein erlesene Sammlung Alter Meister. Dort ist Holbein d.J. mit zwei Portraits vertreten, die etwas gemeinsam haben: beide Männer halten jeweils einen Falken. Das bekanntere davon stellt den Falkner des englischen Königs Henry VIII dar, Robert Cheseman (von 1533, Nr. 276).

Hier soll von dem kleineren, 1542 entstandenen Portrait of a nobleman die Rede sein (Öl auf Holz, 24,6 x 18,8 cm, Nr. 277), dessen Falke am Fußgelenk eine Schelle trägt; der Porträtierte hält mit der Rechten die abgenommene Kappe. Es wird behauptet, daß das Gemälde einst zur berühmten Bildersammlung von König Charles I von England (1600─1649) gehörte und 1688 in die Sammlung des zeitweiligen englischen Königs Wilhelm III. (von Oranien) überging. Rückforderungen der Queen Anne blieben aber erfolglos (Ganz S. 239). 

Während Cheseman kein Höfling war, sondern eine, bei Hofe angestellte Fachkraft, welche für die Jagdfalken Verantwortung trug, wird allgemein angenommen, daß in der Nr. 277 ein Höfling porträtiert wurde, bei dem die Falkenjagd zur Liebhaberei gehörte. Leider gibt es unter den zahlreichen Zeichnungen Holbeins von Personen des englischen Hofes kein Porträt, das ihm gleicht bzw. von dem aus man auf die Person rückschließen kann. Es bleibt daher nur die Möglichkeit, eine adlige Person zu finden, die dem im Bild in Höhe des Mundes angegebenen Lebensalter von XXVIII d.h. 28 Jahren entspricht. Da das Bild mit 1542 datiert ist, muß die Person 1514 geboren sein.

Die Falkenjagd war damals noch ein beliebter Zeitvertreib des höheren Adels. In höfischen Kreisen berühmt gemacht hatte sie Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen (1192─1250), der sie von orientalischen Herrschern her kennengelernt hatte. Er war nicht nur Liebhaber sondern auch Professioneller, denn er schrieb das berühmte Buch De Arte Venandi cum Avibus. Wenn sich nun hier ein Adliger auf seinem Portrait mit einem Falken schmückt, muß er nicht nur Liebhaber, sondern auch Kenner gewesen sein. Bei der gleichzeitigen Eingabe ins Internet von King Henry VIII und hawk (wikipedia 5.3.2011) kam sofort ein Text über einen englischen Adligen zum Vorschein, der für seine Falkenkennerschaft – aber auch noch ganz anderes - bekannt war: Hier wird Thomas Culpeper genannt oder Colepeper, wie die Encyclopedia Britannica  schreibt.  Der Chronist Johann Heinrich Zedler teilte um 1740 mit: »Der König Henricus VIII. ließ die Wappen zweyer Colopeper, welche sich bei Tournay und in dem Treffen bey Guinegast sonderlich tapfer erwiesen hatten, in der Galerie zu Whitehall setzen«. 

Thomas Culpepers Geburtsjahr wird mit ca. 1514 angegeben; ein weiteres Portrait von ihm zum Vergleich scheint nicht zu existieren. Im Oxford Dictionnary of National Biography findet sich die Passage: »In 1538, Honor presented Culpeper with a hawk«. Auch Antonia Fraser (S. 380) bestätigt diesen Sachverhalt »Culpeper gehörte der Sorte junger Männer an, die der Tudor-Hof allzu leicht nach oben gebracht hatte: ehrgeizig und in skrupelloser Weise persönliche Reize zur Beförderung der Karriere einsetzend«  und liefert damit den Beweis, daß die Annahme zutreffend ist (S. 386). Die Autorin schreibt: »…ging Culpeper immer noch ´fröhlich auf  die Falkenjagd´«. Somit kann die Identität des abgebildeten Falkners als gelöst gelten, wäre da nicht das frühe Todesdatum des Mannes: Er wurde 1541 verhaftet und am 10.12.1541 in Tyburn enthauptet. 

Der Vater hieß Alexander Culpeper of Bedgebury in Kent (U 1541) und war zweimal verheiratet. Aus zweiter Ehe mit Constance Harper stammte der hier erwähnte Thomas. Allem Anschein nach wurde er als Page ausgebildet. Seine Zeit als Höfling begann 1537 im Dienst des Viscount und seiner Frau Honor in Calais. Offenbar hatte er sich als Falkner ausbilden lassen, denn 1538 wird vermerkt, daß Culpeper für Richard Cromwell einen Falken beschaffte, der für Henry VIII bestimmt war. Diesem gefiel der junge Höfling so gut, daß er ihn bald zum gentleman oft he Privy Chamber ernannte. Er stand so sehr in Gunst beim König, daß ihm sogar ein schwerer Übergriff auf eine Dorfbewohnerin verziehen wurde. Dabei stieg er weiter auf und wurde mit der Aufsicht der Rüstkammer betraut. Außerdem überließ ihm Hernry VIII etliche Ländereien aus Kirchenbesitz, weil Culpeper ein angenehmer Gesellschafter für ihn war.

Um die Zeit war Henry VIII mit Catherine Howard verheiratet, die sich als junge Hofdame an ihn herangemacht hatte, als Henry von der jungen Anna von Kleve enttäuscht war. Er wußte damals nicht, daß die junge Hofdame trotz ihres jugendlichen Alters bereits voreheliche Erfahrungen mit einem Höfling namens Dereham gesammelt hatte. Beide hatten sich, wie sich später bei den Vernehmungen herausstellte, ein Eheversprechen gegeben. Zuvor wurde Culepeper 1540 dem Dienst bei Königin Catherine zugeteilt. Damit hatte auch er Zutritt zu den Gemächern der Königin. Diese machte den Fehler, Dereham als Sekretär einzustellen. 

Im Oktober 1541 wurde dem Erzbischof Cranmer zugetragen, daß Katherine intimen Kontakt mit mehreren Höflingen gehabt haben sollte. Der König konnte das nicht fassen. Er brach sofort die Beziehung zur Königin ab, während die Ermittlungen anliefen. Trotz noch vorhandener Protokolle ist die Geschichte aber so verworren, daß sich die Historiker bis heute nicht einigen können, welchen Beteiligten eine Schuld zuzuordnen ist.

Im Laufe der Zeit wurde auch Culpeper in die Ermittlungen einbezogen, weil ein Brief der Königin an ihn zutage kam, der ihn belastete. Ob es sich dabei um einen regelrechten Liebesbrief handelt, gehen immer noch die Ansichten auseinander. Culpeper warf zu seiner Verteidigung der Königin vor, daß sie die Treffen gewollt habe. Aber Fraser (S. 380) meint, »Charme war seine beste Waffe«. 

Der König war so außer sich und entschied, daß alle in Verdacht geratenen hingerichtet werden sollten. Das geschah auf eine besonders grausame Weise bei Dereham. Henry’s frühere Sympathie ersparte Culpeper die Torturen. Seine Enthauptung erfolgte am 10.12.1541 in Tyburn. Die Königin kam ebenfalls unter das Fallbeil. Auf der Fahrt zum 
Tower mußte sie unter den aufgespießten Köpfen von Dereham, Culpeper u.a. hindurch fahren. Da Gruselgeschichten immer gefragt sind, wurden diese Vorkommnisse in etlichen Stücken und Nacherzählungen verarbeitet.

Zurück zur Diskrepanz von Sterbedatum und Datierung des Porträts von Culpeper. Er erscheint auf dem Gemälde nicht wie einer, dem der Absturz aus des Königs Favoritenrolle bereits bekannt war. Hier gibt er sich noch selbstbewußt und stolz auf seine Fähigkeiten. So ist denkbar, daß Holbein 1541 vor Bekanntwerden des ihm vorgeworfenen Ehebruchs den Auftrag hatte, ihn zu porträtieren, und Holbein ihn, wie manche anderen Höflinge, erst einmal mit dem Zeichenstift erfaßt hat. Vielleicht war auch das gemalte Porträt schon begonnen, bevor die Affäre ruchbar wurde, und Holbein hat zunächst einmal abgewartet, wie sich die Krise entwickeln würde, und für diese Zeit seine Arbeit unterbrochen. Es spricht vieles dafür, daß nach Culpepers Hinrichtung ein Mitglied der Familie aus Kenntnis der Arbeit an Holbein herangetreten ist und ihn gebeten hat, das angefangene Bild zu vollenden. Dies geschah offenbar im Laufe des  Jahres 1542. 

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2014
                                                                                                                                                             

Literatur
Antonia Fraser: Die sechs Frauen Heinrich VIII. Hildesheim 1994
Retha M. Warnicke [über Königin Katherine]. In: Oxford Dictionary of National Biography. Vol. 58. Oxford 2004
Alison Weir: Henry VIII. King and Court.  London 2001

Bildnachweis

www.picsearch.de/Hans-Holbein-bilder.html (27.1.2014)