Pietro de Marescalchi
Marco Guazzo

105.01-Marescalchi-Guazzo-240Das Portrait of a Gentleman, ursprünglich Veronese zugeordnet, wird der Hand Pietro de Marescalchis zugeschrieben und hängt seit 1951 im TheArt Institute of Chicago (Öl auf Lw. 115 x 95 cm. Coll. Lillian Timken. Nr. 1951.318). Ein recht alter Herr mit langem Vollbart schaut den Betrachter scharf bzw. prüfend an. Er trägt ein rötliches Samtgewand und darüber einen breiten, langen Luchspelz. Die Raclan-Ärmel seines Gewandes sind damit gefüttert. Er steht vor einer geöffneten Portiere; dahinter herrscht Dunkelheit. Daß er sich für eine gewichtige Persönlichkeit hält, läßt sich unschwer an der schweren, doppelten Goldkette ablesen. Zwei geschlossene Folianten ruhen auf der Tischdecke in seiner Nähe ─ ein Anzeichen für einen publizierenden Schriftsteller. Die Linke ruht auf den Büchern, offenbar seinem Lebenswerk, während die Rechte zu einer rhetorischen Geste ausholt, als wolle er berichten.

Bei dem Künstler Pietro de Marescalchi (ca.1503─1584) handelt es sich um einen Schüler Tizians, der als Venezianer auch Einflüsse von Bassano aufnahm, selbst aber nicht die Ausstrahlung seiner Vorbilder erreichte. Dennoch hat man es hier mit einem eindrucksvollen Portrait zu tun, das bisher jedoch nicht identifiziert werden konnte. Das liegt u.a. daran, daß das Werk nicht datiert ist. Man geht davon aus, daß es 1540/50 entstanden ist.

Das Alter des Schriftstellers läßt sich nur ungefähr auf rd. 70 Jahre taxieren. Schätzungsweise ist der Dargestellte also um 1480 in der Republik Venedig geboren. Infolgedessen kamen 24 Persönlichkeiten für das Bild infrage. Einige davon fielen aus, weil das Dizionario Biografico degli Italiani sie für nicht erwähnenswert hielt; weitere haben nicht das fragliche Alter erreicht und sind vor dem 70. Lebensjahr gestorben. Bei der Sichtung schälte sich daraufhin Marco Guazzo (Guazzi) heraus.

Dieser Literat kam in Padua zur Welt, der Universitätsstadt der Seerepublik Venedig. Der Vater stammte aus Mantua, während die Mutter Venezianerin war. Beide Teile kamen aus adligem Haus, was bei dem Dargestellten durch die goldene Kette bestätigt wird. Guazzo wird in einer Cronice von 1553 erwähnt und beschrieben. In einer Einleitung zu einem eigenen Werk bezeichnet er sich selbst als Marco di Guazzo Mantuano. Erzogen wurde er von der mütterlichen Großmutter, die zu diesem Zweck Privatlehrer für Philosophie und Rhetorik heranzog.

In Marcos Jugendzeit fiel der heftige Verteidigungskrieg der Republik Venedig gegen die Liga von Cambrai d.h. das Bündnis aus Frankreich, Deutschland, dem Papst sowie Spanien und England, bei dem Teile der terra ferma Venedigs von der Liga besetzt wurden. Anscheinend wurde dabei auch Marco Soldat anläßlich der Belagerung von Padua. Die Komplikationen der Zeit boten ihm als angehendem Schriftsteller eine Menge Stoff. Guazzo begann mit einer Ritterromanze, einer Komödie mit dem Titel Errori d’amore. Es folgte die Tragödie Discordi d’amore, aus der schließlich eine Trilogie wurde, gedruckt bei Nicolo Zoppino (Aristotele d’Rossi) in Venedig. Zoppino wechselte die Standorte und brachte rd. 100 Objekte mit Holzschnitten heraus sowie rd. 80 volkstümliche Schriften.

Die überragende literarische Figur der Zeit war Ludovico Ariosto (1478─1533), der mit seinem berühmt gewordenen Werk Orlando furioso (Der rasende Roland) die Szene beherrschte. Vom Epos Orlando fasziniert wagte sich Marco Guazzo an die Arbeit seines Hauptwerks Belisardo (fratello del Conte Orlando), dessen erster Teil 1525 bei Zoppino in Venedig verlegt wurde. Bei der Hauptfigur handelt es sich um den legendären Feldherrn Ostroms, Belisar (um 505─565), der mehrere erfolgreiche Feldzüge gegen die Vandalen in Nordafrika führte, aber auch gegen die Ostgoten, welche in Guazzos Heimat (in Ravenna) residierten. Das Werk schlug ein und wurde ab 1534 mehrfach nachgedruckt.

Nach damaligem Brauch widmete Guazzo sein Opus dem verstorbenen Markgrafen Francesco II. von Mantua (1466─1519; s. Beitrag Francesco Gonzaga), wohl um dessen Hof bzw. dessen Frau Isabella d’Este (1474─1539) als Sponsor zu gewinnen. Der Held von Fornovo, Francesco II., war in den Krieg gegen Venedig verwickelt, weil er als Markgraf Lehnsmann des Kaisers war und ihm Gefolgschaft leisten mußte. Francesco II. (s. Beitrag Bartolomeo Veneto, Francesco II.) geriet durch Unvorsichtigkeit in venezianische Gefangenschaft; erst nach längeren Verhandlungen seiner Frau Isabella d’Este kam er wieder frei.

Schon in der Formulierung des Titels wird deutlich, wie stark sich Guazzo an Ariosto in seinem nächsten Werk anlehnte: Astolfo borioso (Der aufgeblasene Astolf). Es erschien 1531 ebenfalls bei Zoppino und war dem Andenken des Fürsten Guidubaldo da Montefeltre (1472─1508) gewidmet. Dieser hatte die Schwester von Francesco, Elisabetta, zur Frau, die literarisch interessiert war. Auch diese Veröffentlichung wurde ein Erfolg und bis 1623 nachgedruckt.

Mit den Jahren hatte sich Guazzo zu einem Historiographen entwickelt und brachte 1535 ein Supplementum chronicarum heraus, das in volgare, der durch Pietro Bembo hoffähig gewordenen Umgangssprache, abgefaßt war. Es folgte 1540 die Historie… über den Krieg der Venezianer gegen Mahomet, den ´Kaiser´ der Türken. Diesmal dedizierte er sein Werk dem inzwischen auf die politische Bühne getretenen Herzog Cosimo I. de’Medici. Diesem Fürsten war auch die 1548 erschienene Historie… über den von ihm selbst miterlebten Kriegszug gegen die Liga von Cambrai (s.o.) gewidmet. Die Nacherzählung der Ereignisse reicht bis 1514 zur Hochzeit König Louis XII. mit Mary Tudor. Eine geradezu pompöse Dedikation für Cosimo I. erlebte das 1553 in Venedig erschienene Werk der Cronica… de gli huomini illustri antiqui, e moderni… a questi nostri tempi.

Es liegt nahe, daß diese beiden Werke als Folianten vom Auftraggeber des Portraits gemeint und im Bild herausgestellt wurden. Die Zeitgenossen wußten das und brauchten dazu keine Beschriftung. Somit rückt die Wahrscheinlichkeit näher, daß Cosimo I. zur Ehrung des Autors dessen Portrait gewünscht hat. Die Provenienz des Bildes reicht jedoch nicht so weit zurück, um noch die Herkunft aus Florenz zu klären. In Chicago befindet sich das Portrait erst seit 1952. Es ist davon auszugehen, daß das Portrait von Marco Guazzo auf 1553 angesetzt werden kann. Dazu paßt auch das Alter des Dargestellten; er war damals 73 Jahre alt. Danach folgten nur noch drei Lebensjahre. Wie sein früher Biograph, A. Zilioli, 1550 berichtete, starb Marco Guazzo um 1556 infolge einer schmerzhaften Magenvergiftung durch fehlerhafte Medikamentation.

Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2023

Literatur
Christoffer Lloyd: The Art Institute of Chicago. Italian Paintings before 1600. Chicago 1993
Dizionario Biografico degli Italiani. Vol. 60 Roma 2003

Bildnachweis
Christoffer Lloyd: The Art Institute of Chicago. Italian Paintings. Chicago 1993 S. 141
/www.artic.edu/artists/61600/pietro-marescalchi (24.1.2023)