Erstveröffentlichung
Girolamo Mazzola Bedoli
Giulio Gerolamo Cardano
![90.01-Cardano 240](/images/Katalog_11/90.01-Cardano_240.jpg)
Im 15.Jahrhundert gab es bei Gallarate eine altadlige Familie, aus der Fazio Cardano (1445 ─ 1524) hervorging. Vermögend und als angesehener Jurist in Mailand pflegte er eine cultura enciclopedica (G. Gliozzi). Er war auf der Höhe seiner Zeit und veröffentlichte einen Kommentar zu De Perspectivis Communis des Erzbischofs John Peckham (ca.1230 ─ 1292) Dabei stand er in Kontakt mit Leonardo da Vinci. Fazio Cardano hatte drei Söhne mit Chiara Micheri, die gleichzeitig an der Pest starben. Daraufhin erkannte er seinen unehelichen kleinen Sohn Gerolamo (*1501) an und zog ihn bei sich groß.
Der hochgebildeten Familie entsprechend wurde Girolamo Cardano sorgfältig erzogen. Ab 1520 studierte er in Paris, Mailand und Padua Medizin bei Andrea Camuzio und Mathematik bei dem Philosophen Branda Porro. Gerolamo wandte sich nach Padua, weil ihm dort ein Lehrstuhl angeboten wurde, der mit dem Rang des Dekans verbunden war. 1529 wollte er nach Mailand zurückkehren; er wäre dort aber als Unehelicher nicht zur Lehre zugelassen worden. Deshalb arbeitete er vorerst als Arzt an einem Armenkrankenhaus, bis ein Senator sich für seine Anerkennung einsetzte und er 1539 in die Ärztekammer von Mailand aufgenommen wurde. Schließlich konnte er 1543 einen Lehrstuhl an der Universität Pavia übernehmen.
Cardano begann zu publizieren und konnte 1539 ein Handbuch der Mathematik herausbringen, das bald darauf von dem geachteten Verleger Johann Petreius in Nürnberg nachgedruckt wurde. 1541 veröffentlichte er ein astronomisches Werk De supplemento ephemeridum (vgl. Beitrag Cariani, Johannes Stöffler) und 1545 Ars magna über Algebra. Es folgten philosophische und pädagogische Betrachtungen. Inzwischen reichte sein fachlicher Ruf soweit, daß er mehrere internationale Angebote bekam, als Leibarzt für Papst Paul III., für den König von Dänemark und den Erzbischof von Edinburgh zu arbeiten. Trotz der damaligen Wirren blieb er in Italien, zumal er in einen wissenschaftlichen Streit über kubische Gleichungen mit dem Venezianer Nicolò Tartaglia (1499─1557) verwickelt war (beschrieben in de.wikipedia.org./wiki/Nicolo_Tartaglia vom 15.11.2009). Außerdem erschien sein Hauptwerk De subtilitate, das in fünf Büchern angelegt war und das er 1534 begonnen hatte, 1550 ebenfalls in Nürnberg.
1563 gelangte Cardano an sein eigentliches Karriereziel als Professor für Medizin an der altehrwürdigen Universität von Bologna. Dazu war allerdings die Protektion des Kardinals Carlo Borromeo erforderlich, denn in Bologna war die Universität des Kirchenstaates angesiedelt. Dieser Zeitpunkt kommt auch für das Gemäldeinfrage; erst sehr viel später wurde Cardano sogar Ehrenbürger der Stadt. 1570 wurde er jedoch wegen seiner Forschungen von der Inquisition verhaftet und mit Publikationsverbot belegt; der Vorwurf lautete: Magie. Dazu kam es, weil Cardano ─ wie vordem Johannes Stöffler (s.o.) ─ auch Horoskope stellte. Im Zusammenhang mit seinem Ptolemäus-Kommentar sagte er nicht nur seinen Todestag voraus, sondern erkühnte sich, für Jesus Christusein Horoskop zu verfassen. In dieser riskanten Situation kam ihm kaum einer zur Hilfe, zumal er viele Feinde hatte, die er vordem mit seinem schroffen Wesen vor den Kopf gestoßen hatte. Diese Haltung entstand vielleicht, weil er miterleben mußte, wie sein geliebter, hoffnungsvoller Sohn Giovanni Battista (*1534) der 1556 sein Studium der Medizin mit Auszeichnung abgelegt hatte, 1560 vom Senat von Mailand verurteilt und geköpft wurde, weil er seine Frau vergiftet hatte.
Worauf beruht nun die Zuweisung des vorliegenden Portraits an Gerolamo Cardano? Zunächst läßt sich der Dargestellte auf ein Alter von etwa 60 Jahren taxieren. Außerdem deuten die wuchtigen Folianten im Hintergrund eher auf einen Wissenschaftler, als auf einen Antiquitätenhändler. Damals waren die römischen Ausgrabungen deren vorrangiges Handelsgut. Der sich zurücklehnende Wissenschaftler zeigt aber den Stolz auf sein publiziertes Wissen, das hier mit zwei Bänden aus Platzgründen nur pars pro toto erscheinen kann.
Die Schauseite des vorderen, ledergebundenen Folianten zeigt als Goldprägung ein klassisches Labyrinth. Es kann von Cardano als Symbol für Irr- und Umwege seines Lebens gedacht sein (s. Beitrag Bartolomeo Veneto, Charles de Bourbon), aber auch eine Metapher für seine verzweigten, sehr unterschiedlichen Forschungen. Im Zentrum des Labyrinths erscheinen drei Buchstaben: EXI. Kern bietet folgende Deutung an: »die Aufforderung: gehe hinaus, finde einen Weg nach außen (exire heißt auch sterben; exitus = Tod)«. Diese Version hat einiges für sich, da der Dargestellte zugleich mit der linken Hand die nahezu abgelaufene Sanduhr hält. Demnach sei ihm bewußt gewesen, daß er sich zu dem Zeitpunkt am Lebensende befand. Das Museum nennt neuerdings ca. 1542 als Entstehungszeit des Portraits; es kommt aber wohl eher 1562/63 infrage.
![90.01-Cardano-Ausschnitt 240](/images/Katalog_11/90.01-Cardano-Ausschnitt_240.jpg)
Auf dem Tisch neben dem Dargestellten ist als Blickfang eine skulptierte Vase aufgestellt, eine Amphora, jedoch keine Ausgrabung einer Bauchhenkelamphore, sondern eine Abwandlung der Renaissance. Die beiden Ganzfiguren auf dem Corpus wurden bisher nicht aufgelöst; denkbar wäre, die drei reliefartigen Gestalten als Verkörperungen der Wissenschaften anzusehen. Zu der Plakette mit dem Januskopf äußerte Kern, sie bezöge sich auf den Philosophen Marcantonio de‘Passeri (s.o.), der den Zunamen ´de Janua´ trug. Aber ist damit schon die Identifizierung gelöst? Ist der Januskopf nicht auch ganz allgemein aus der Rückschau am Ende des Lebens und zugleich im Angesicht des Todes denkbar? Parallel dazu verhält sich die Beschriftung der Vase: EC CE. Das lateinische Ecce bedeutet: siehe ─ eine
Aufforderung an den Betrachter, aus dem Bild herauszulesen, was es anbietet.
![90.01-Radierung-1727 240](/images/Katalog_11/90.01-Radierung-1727_240.jpg)
Giulio Cardano.Radierung 1727Es bleibt das Feld in der linken oberen Ecke. Dort hängt von oben ein schmales Tuch mit Applikationen herunter, das an den Rändern zwei farbige Bahnen in Schwarz/Rot/Gold aufweist, dazu unten eine wappenähnliche Form, die wohl ungeklärt bleiben muß, da in dem großen Wappenwerk von Rietstap die Familie Cardano nicht verzeichnet wurde.
Darüber hinaus gibt es drei Vergleichsabbildungen, die nicht alle zeitgenössisch sind; doch weisen zwei davon Charakteristika der Physiognomie Cardanos im Portrait auf, die auch auf dem Portrait von Bedoli vorkommen: schmales Gesicht und Vollbart. Der Holzschnitt in Medaillenform ist am verläßlichsten, denn er erschien 1553 in der Basler Ausgabe von de Subtilitate. Bedauerlicherweise macht wikipedia keine Angaben zu den beiden Bildquellen. Der Holzschnitt wird sogar als ´Selbstbildnis´ ausgegeben; diese Aussage erscheint höchst zweifelhaft, denn auf kunsthandwerkliche Fähigkeiten gibt es bei Cardano Hinweis. Auf dem undatierten Stich ist die physiognomische Übereinstimmung mit dem Gemälde besonders deutlich.
![90.01-UK-Girolamo-Cardano-240.-Holzschnitt-o.J](/images/Katalog_11/90.01-UK-Girolamo-Cardano-240.-Holzschnitt-o.J.jpg)
Holzschnitt o.J.Der Nachhall von Cardanos Forschungen reichte bis zum Philosophen und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646─1716). Dieser resümierte: »Cardano… der war wirklich ein Giulio Cardanogroßer Mann, trotz aller Fehler, ohne die wäre er wirklich unvergleichlich gewesen« (in: Rettung des Cardano). Im 19. Jahrhundert griff Bernhard Riemann (1826─1866) in seiner Differentialgeometrie auf Cardano zurück. Vielfach wird Cardano auch als einer der letzten großen Universalgelehrten angesehen. Er starb 1576 in Rom.
Cardano hat noch im Alter von 75 Jahren »Das Buch von meinem Leben (de vita propria liber) geschrieben. »Dieses ist freilich weniger eine Lebensbeschreibung als eine Art von Selbstporträt: ein einzigartiges Dokument von fesselnder Lebendigkeit. Jacob Burckhardt hat es unübertrefflich charakterisiert« (Markus Fierz S. 19). Von Cardano selbst stammt der Ausspruch: »Es genügt nicht zu wissen, was nötig ist, sondern man muß das Nötige wissen« (Fierz S. 42). In Cardanos Wissen war auch Albrecht Dürer integriert, den er bewunderte, offenbar wegen seines Kupferstichs Melencolia.
![90.01-Lattanzio-585--Gambara-5-Antonio-Lalatta-Fresco-in-Parma](/images/Katalog_11/90.01-Lattanzio-585--Gambara-5-Antonio-Lalatta-Fresco-in-Parma.jpg)
© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2021
Literatur
Markus Fierz: Girolamo Cardano. Basel/Stuttgart 1977
Galleria Nazionale di Parma. Catalogo delle opere del Cinquecento. Vol. II. Milano 1998
G. Gliozzi. In: Dizionario Biografico degli Italiani. Vol. 19 Roma 1976
Hermann Kern: Labyrinthe. München 1983
J.-B. Rietstap: L’Armorial général. Berlin 1934
Johann Heinrich Zedler: Das Grosse vollständige Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Leipzig 1732/34
wikipedia.org/wiki/Gerolamo_Cardano#/media/File:Cardano.jpg (18.1.2016)
Bildnachweise
Markus Fierz: Girolamo Cardano. Basel/Stuttgart 1977 S. 2
Galleria Nazionale di Parma. Catalogo delle opere del Cinquecento. Vol. II. Milano 1998 S. 72/73
La pittura in Italia. Il Cinquecento I. Milano 1988 S. 244
kollectium.com/product/ritratto-di-antiquario/ ()10.6.2021)
Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel A 3432 (HABhttp://diglib.hab.de/?portrait=a034323 (9.6.2021)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d5/San_lorenzo_brescia_autoritratto_gambara.jpg (31.1.2016)