Erstveröffentlichung

Cornelis Engebrechtz
Jakob de Voocht

26.01-Eng-Voocht 240Das Musée Royale des Beaux-Arts in Brüssel verwahrt ein Mans- Vrouwenportret (Öl auf Holz 94 x 56 cm bzw. 95 x 35 cm), die beide 1518 datiert sind. Sie zeigen ein wohlsituiertes Paar, denn im Hintergrund sind Kanäle, Boote und Speicher zu erkennen. Ob es sich um einen Kaufmann und seine Frau handelt, ist zweifelhaft, da das Umfeld erstaunlich opulent angelegt ist. Auf beiden Tafeln hat Engelbrechtz. eine Architektur-Illusion bzw. eine prächtige Kulisse entworfen, wie man sie eher von den Brüdern Holbein kennt. Jeweils mittig ragt eine korinthische Säule auf, an der ein Feston hängt. Angrenzend ist jeweils eine Nische ausgemalt, deren Wölbung einer Muschel ähnlich gestaltet ist. Auf der Säule sitzen links ein Äffchen und rechts ein Basilisk. Aus der Wölbung hängt jeweils eine edle Lampe.

Die Zuschreibung der Tafeln erfolgte vor langer Zeit durch Grete Ring an Cornelis Engebrechtz. (1468─1533). Er gehört lt. Robert Darmstaedter zu den Bahnbrechern des holländischen Manierismus. Bedauerlicherweise ist aber die Kenntnis der Namen der Dargestellten schon lange verloren gegangen; ob Nachforschungen dazu angestellt wurden, ist nicht bekannt. Allerdings wurde im Ausstellungskatalog Karl V. und seine Zeit ein Ausschnitt des Portraits veröffentlicht und in der Legende als Dargestellte der Leidener Bürgermeister Dirck Ottens und seine Frau genannt. Eine Herleitung dafür liegt nicht vor. Sonderbar daran ist nur, daß dieser Mann trotz offenbar exponierter Stellung nicht in dem Nieuw Nederlandsch Biografisch Woordenboek aufscheint, das 1937 erschienen ist und die einzig zugängliche █personelle Quelle für die Niederlande darstellt. Der Clou daran: Das maßgebliche biographische Lexikon ist sogar in Leiden erschienen.

Glücklicherweise hat der Künstler auf der unteren Brüstung jeweils das Lebensalter der beiden Personen angegeben: links 42 für den Mann, rechts 40 für die Frau. So läßt sich für den Mann der Jahrgang 1476 ermitteln und damit die Suche eröffnen. Aber da in der Zeit vor 1500 Jahren Geburtsdaten noch nicht offiziell registriert wurden, muß man Personen mit ca.-Angaben einbeziehen.

Als ´um 1477 geboren´ bezeichnet wird Jacques Tutor (auch: Jacobus Traiectus), der von Geburt her eigentlich Jacob de Voocht (auch Voecht oder Vocht) hieß. Von dieser Familie gab es auch Mitglieder in Arnhem und Utrecht. Die Wahl eines latinisierten Namens (Tutor bedeutet Wacht bzw. Wächter) signalisiert einen Humanisten. Voocht wurde in Antwerpen geboren und ist dort auch 1551 gestorben. Sein Stolz auf die Heimatstadt kommt deutlich im Hintergrund der beiden Tafeln zum Ausdruck. Offenbar stammte er aus gut situiertem Hause, denn er ging 1491 zum Studium nach Leuven, wurde 1493 baccalaureus und legte 1494 seine Magisterprüfung ab, wahrscheinlich fanden alle seine Examina in Leuven statt. Er hatte dort bürgerliches Recht belegt, denn ab März 1498 ging er nach Orléans, um sein Studium mit kanonischem Recht zu vervollständigen.

Voocht muß hervorragend vernetzt gewesen sein, denn er konnte seine Haushaltung in Orléans dadurch finanzieren, daß er prominente Zöglinge allererster Familien in einem kosthuis beherbergte wie zwei Söhne von Graf Johann von Nassau-Dillenburg, Graf Henri de Breda sowie die Prinzen von Oranien, von denen Wilhelm Titel und Domänen erbte.

Obwohl Voocht sich auf Jura spezialisiert hatte, stand er auch mit Erasmus von Rotterdam (1466/69─1536) in Kontakt. Als im September 1500 in Paris die Pest ausbrach, flüchtete Erasmus nach Orléans und freundete sich mit Tutor an. Dieser muß ein großzügiger Gastgeber gewesen sein. Es entwickelte sich eine dauerhafte Freundschaft, wie aus erhaltenen Briefen hervorgeht. Erasmus schätzte die Gelehrsamkeit, Aktivität und Integrität von Tutor. Wohl durch Erasmus‘ Vermittlung und die Fürsprache von Anton van Berghe wurde er Präzeptor von dessen Bruder Dismas van Berghe, der damals in Orléans unter nicht standesgemäßen Bedingungen lebte. Erasmus kehrte 1501 nach Paris zurück und revanchierte sich auf seine Art: Er dedizierte Tutor seine Edition Officia Ciceronis, gedruckt bei Jean Philippi. Danach ließ er nichts mehr von sich hören. Erst als Tutor nach Antwerpen zurückkehrte, machte Erasmus bei ihm hin und wieder Station und bezog ihn in den Kreis seiner Freunde ein, darunter Pieter Gillis, mit dem er schon in Orléans zusammen kam, Cornelius Graphæus (vgl. Beitrag Gossært, Cornelius Graphæus) und Erasmus Schets (vgl. Beitrag. B. Bruyn, Gaspar Schets).

Voochts Ansehen nahm in diesen Jahren zu. Als Antoine Ysenbrant 1502 starb, bekleidete sein Nachfolger Voocht das ehrenvolle Amt des pensionnaire de la ville (Rechtsberater der Stadt). Dabei arbeitete Voocht eng mit dem stadtsgriffier Pieter Gillis zusammen. Der Hafen von Antwerpen hatte sich in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet, weil Brügge zu versanden drohte. Zwei Jahre später leistete Tutor den Schwur als thoendere. Damit gehörten er und seine Frau, auf die De Vocht leider nicht eingeht, zu den Spitzen der großen Kaufmannsstadt. Voocht und G. van Halmale (s. Beitrag Unbekannter Künstler: G. van Halmale) waren auch als Botschafter für die Statthalterin der Niederlande, Margarete von Österreich (1480─1530), vermittelnd tätig, als der Konflikt zwischen König Christian von Dänemark, einem Schwager Karls V., und seinen Landvögten schwelte. Auch außerhalb gewann er an Ansehen und Sympathien, insbesondere durch seine Eloquenz. Seine Berufung führte zu einer weitreichenden Erneuerung der Rechtsprechung und Verwaltung in den damals noch vereinten Niederlanden.

26.01 NEBAnsicht von Antwerpen. Kupferstich des 17. Jahrhunderts


Die beiden Portraits spiegeln das erstarkte Bürgertum in den Niederlanden wider und ihren Reichtum, den sie in Bauten und ihrer burgundischen Ausstattung sichtbar werden ließen. Es ist die Zeit, in der Dürer mit wachen Augen die Niederlande bereiste und mit hochrangigen Vertretern des Landes ins Gespräch kam. Dieses opulente Ambiente tritt deutlich in den Umrahmungen der beiden Portraits hervor. Außerdem zeigen sie exemplarisch das Selbstbewußtsein dieser Exponenten einer großen Handelsstadt. Durch die Umsicht des Auftraggebers des Portraits erfährt man nebenbei das tatsächliche Geburtsjahr 1496 von Voocht und außerdem, über welch solides Bildungsfundament damals die Exponenten einer Handelsstadt verfügten. Außerdem machte die Bildauffassung Schule: Pieter Pourbus malte 1551 in einem Portraitpaar Jan van Eyewerve und Frau mit einem ganz ähnlichen Fensterausblick.


© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2020

Literatur
Godefridus J. Hoogewerff: Noord-Nederlandsche Schilderkunst. s’Gravenhage. Bd. III 1939
Karl V. und seine Zeit. Köln 2000
Henri De Vocht. In: Biographie Nationale de Belgique. Vol. XXV. Bruxelles 1930/32
H. de Ridder-Symoens. In: Nationaal Biografisch Woordenboek. Vol 4. Brussel 1970

Bildnachweis
Godefridus J. Hoogewerff: Noord-Nederlandsche Schilderkunst. s’Gravenhage. Bd. III 1939 Abb. 94/95
Antwerpia/Antwerpen. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (13.12.2008)