Erstveröffentlichung


Jacob Elsner

Justus Ludwig Decius

27.02-Decius 240Schon seit Jahrhunderten befindet sich dieses, aus Anlaß einer Brautwerbung bestellte Bild von Jacob Elsner (ca.1460/65─1517) Bildnis eines Bräutigams (Pergament auf Holz, 25 x 20 cm) in Nürnberg und hat dadurch heute im Germanischen Nationalmuseum (Nr. GM 163) eine niedrige Nummer. »Die Zuweisung an Elsner hat sich durchgesetzt. Mit Recht. Trotz der Härten und Ecken darf es als das ansprechendste und impulsivste Bildnis des Illuministen Elsner gelten. Das Temperament des Dargestellten scheint auf den oft recht trockenen Maler übergesprungen zu sein« (Buchner S. 142).

Der noch junge Lockenkopf ist gekleidet wie ein Prinz; es hat sich aber kein passender Kandidat finden lassen, zumal die Hilfestellung eines Wappens im Bild fehlt. Auch wäre für einen Prinzen das Schwert eigentlich obligatorisch. Ein kostbarer Ring prangt am Mittelfinger der linken Hand. In der Rechten hält er nicht die für die Brautwerbung obligate Nelke, sondern ein Vergißmeinnicht. An einem schwarzen Band hängt eine Medaille vor seiner Brust im Ausschnitt des Spatenkragens. »Das hellblaue, braunkarmin nuancierte Wams quert ein fröhlich bestickter Randstreifen, der eine bekrönte Frauensperson zwischen Blumenstauden hinter einem Zaun zeigt« (Buchner S. 141). Zudem trägt der Jüngling eine Medaille am Barett über dem rechten Ohr, deren Dekor nicht erkennbar ist. Diese Mode der Imprese war im Adel um 1500 aktuell, besonders in Oberitalien und Frankreich. »Man mag sich auch wundern, daß der blonde Jüngling mit dem Vergißmeinnicht einmal ernstlich Dürer zugeschrieben werden konnte, so eignet doch dem kecken, aus der meist schweigsamen und ernsten Schar gleichzeitiger Bildnisse herausfallenden Konterfei ein besonderer Reiz … Es ist ein Zeitdokument ersten Ranges« (Buchner S. 141). Die Haartracht des Dargestellten mit langen Locken entspricht eher dem Portrait des selbstbewußten Handelsherrn Hans Schellenberger von Hans Burgkmair d. Ä. von 1505/07 (Wallraf-Richarz-Museum, Köln Nr. 850). Insofern muß man einen weltläufigen Mann annehmen, der zwischen 1480 und 1490 geboren ist. Das Museum wagte keine Datierung. Der ausführende Künstler ist jedoch 1517 gestorben. Dadurch pendelt sich die Datierung wohl um 1515 ein.

Die reiche Ausstattung und auch die gestickte Borte des Hemdes könnten zu einem Höfling gehören. Ob der Dargestellte von Adel war, bleibt jedoch unklar, denn statt der kräftigen Goldkette der Ritter weist das Portrait nur eine zwar lange, aber zierliche Kette auf. Dieser Umstand läßt eher auf einen sehr vermögenden Kaufmann schließen, der bei Hofe akzeptiert wurde; tatsächlich nahm er damit etwas vorweg, denn 1531 wurde er in den polnischen Adelsstand erhoben. Insofern glich er einem Mann vom Schlage Jakob Fuggers, der es sich als Bürger leisten konnte, eine goldene Netzkappe zu tragen, wie sie auf seinem Portrait von Albrecht Dürer zu sehen ist (s. Beitrag L. Beck, Rehlinger). Doch welcher junge Mann ohne Standesprivilegien war mit ca.25 Jahren gesellschaftlich schon so hoch angesiedelt?

Unter den zahlreichen Persönlichkeiten zu Beginn des 16.Jahrhunderts ragt eine Gestalt auf besondere Weise hervor: als Kaufmann und Humanist, als Weingutbesitzer und königlicher Sekretär (ab 1518) und sogar Träger des Titels comes palatinus. Sein Name lautet: Justus Ludwig Decius (auch Jost Dietz, Jodok Ludwik Dycz/Decjúsz). Sein Geburtsjahr wird auf 1485 geschätzt; seine Eltern waren begüterte Weinbauern in Weissenburg/Elsaß (heute Wissembourg), die ihren Sohn auf die Lateinschule schickten.

Den guten Ausgangsbedingungen standen die sich hinziehenden Territorialkämpfen des Pfalzgrafen bei Rhein gegen den Erzbischof von Trier bzw. die Abtei Weissenburg entgegen. Dieser hatte zur Folge, daß die Patrizier der Stadt überwiegend emigrierten. Viele suchten ihr Heil im damals starken und geordneten Königreich Polen. Decius ging schon mit 14 Jahren nach ´Moravien´ d.h. nach Mähren, Schwaz in Tirol und anschließend nach Ungarn. Offenbar engagierte er sich im Bergbau, der in Ungarn vor allem von einem Konsortium der Handelshäuser Bethmann, Fugger und Thurzo betrieben wurde. Diese Gesellschaft arbeitete auch als Kreditinstitut.

Decius (ca.1485─1545) trat 1507 in den Dienst von Johann Boner aus Landau ( 1523), ebenfalls ein Emigrant seiner Region, der schon seit 1485 in Krakau geschäftlich aktiv war. Im Auftrag von Boner ging Decius auf Geschäftsreisen, die ihn 1511 nach Frankfurt/Main, 1513 nach Venedig, 1515 nach Wilna (heute Vilnius), 1516 nach Brüssel, 1517 nach Venedig und Neapel und 1519 nach Rom führten. Dort wurde er mit dem Ehrentitel eines comes sacri Lateranensis palatii ausgezeichnet, ohne diesen später zu tragen. Parallel dazu wurde er vom Kaiser mit dem Titel eines vicecomes palatii ausgestattet.

In das Jahr 1518 fiel ein besonderer Auftrag. Auf Weisung von König Zygmunt I. von Polen (1467─1548) bereitete Decius die Heirat seines Herrn mit Bona Sforza (1494─1557) vor. Davon gab er in einem schriftlichen, öffentlich zugänglichen Bericht vom Mai 1518 Kenntnis, den er an den Vizekanzler Piotr Tomicki (1464─1535) richtete, und begann damit seine zusätzliche Karriere als Historiograph. Durch Tomickis Gunst wurde er 1520 zum königlichen Sekretär ernannt.

Trotz seiner vielen Aufgaben widmete er sich der Geschichtsschreibung. 1521 veranlaßte er den Druck der Chronica Polonorum (von 1504) des Maciej Miechowita (ca.1457─1523), einer Zusammenfassung verschiedener Chroniken, hauptsächlich jedoch von De vetustatibus Polonorum. Es folgte eine Geschichte der Dynastie der Jagiellonen (De Jagellonum familia, ein Resumé aus Maciej Miechowitas Manuskripten. Darin werden die ersten zehn Jahre der Herrschaft von Zygmunt I. (s. Beitrag Cranach d. Ä., Zygmunt I.) beschrieben (De Sigismundi regis temporibus). Sie wird als Hauptquelle der Periode angesehen. Darin berichtet Decius auch von der Emigration der rd. 20 Weissenburger Familien nach 1440 nach Polen. In seinem Werk plädiert Decius für eine Entente zwischen Polen und deutschen Immigranten, fordert die Schonung der Juden und Armenier und mahnt seine neuen Mitbürger zur Eintracht, ohne die das Königtum ruiniert sei. Im negativen Fall sei mit einer Überschwemmung von Moskowitern, Tartaren und Türken zu rechnen. Decius pflegte viele Freundschaften, auch mit dem Humanisten Johannes Dantiscus (1485─1548), von dem es heißt: »Dantiscus war seit seiner Studienzeit mit vielen Krakauer Kaufleuten, u.a. mit Jost Ludwig Dietz, befreundet, der ihm, wie es scheint, 1522 bei der Kontaktaufnahme mit den Fuggern behilflich war« (Tomasz Ososiński).

Als königlicher Sekretär wurde er auch als Diplomat auf Auslandsmissionen eingesetzt, so 1520 nach Italien, Aachen und 1522 nach Nürnberg. Er wollte auch Martin Luther in Wittenberg kennenlernen. Anschließend reiste er 1523 nach Rom. Im folgenden Jahr fuhr er nach Neapel und stabilisierte für die Königin die Verwaltung des Herzogtums Bari, das Bona Sforza mit in die Ehe eingebracht hatte. 1517 hatte er bereits Polen einer Finanzreform unterzogen. Auch das Schatzamt Polens unterstand ihm von 1525─1530; 1530─1540 war er auch für die Finanzen der Stadt Königsberg zuständig.

Über die Heiratsverhandlungen mit Bona Sforza verlor Decius seine Brautwerbung nicht aus den Augen. Im Hause seines damaligen Chefs, Johann Boner, hatte er dessen Mündel, Anna Krupka (s. Beitrag Krupka) kennengelernt und um sie geworben. Um diese Zeit wird auch der Portraitauftrag von Decius anzusetzen sein. Offenbar entstand das Bild 1517 noch vor einer längeren Abwesenheit, denn mit dem Vergißmeinnicht wollte er sich ihrer Zuneigung versichern. 1518 fand die Hochzeit der beiden statt. Aus der Ehe gingen drei Söhne und fünf Töchter hervor. Da die grossen Kaufmannsfamilien gern untereinander heirateten, um ihr4e Vermögen zusammenzuhalten, ist es nicht ausgeschlossen, daß auf diese Weise das Portrait von Decius nach Nürnberg gelangte.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2019

Literatur
Ernst Buchner: Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit. Berlin 1953
Maria Cytowska. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 1965
Tomasz Ososiński. In: Humanismus und Renaissance in Augsburg. Berlin 2010 S. 518
Jean Rott. In: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne.Vol. VII Strasbourg 1986
Wielka Encyclopedia Powszechna PWN. Vol. 2. Warszawa 1963

Bildnachweis
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