Erstveröffentlichung

Giambattista Moroni
Cesare Baronio

52.03-Baronio-240Zu den namenlosen Bildnissen von Giambattista Moroni im Museum der Accademia Carrara (Öl auf Lw. 48 x 38 cm. 1567) in Bergamo gehört das Portrait eines 29jährigen, das 1866 als Legat seitens Guglielmo Lochi in die Sammlung kam. Der junge Mann ist streng in Schwarz gekleidet; sein Kopf wird von einem schmalen, ondulierten weißen Kragen ´gefaßt´. Das dunkle Augenpaar ist auf den Betrachter gerichtet, als ob er ihn herausfordern wollte. Hinweise auf die Person durch Beigaben finden sich nicht. Das Schwarz und die Strenge scheinen einem Asketen zu entsprechen.

Der ausführende Künstler, Giambattista Moroni (1520/25─1578) hat auch auf diesem Bildnis eine Zugabe gemacht, indem er unten an die Bildfläche anschließend eine Inschrift über die gesamte Breite angebracht hat. Sie lautet:

ANNO AETATIS . XXIX . / M.D.LXXVII

Daraus geht hervor, daß der Dargestellte sich als 29jähriger im Jahr 1567 porträtieren ließ. Sein Geburtsjahrgang ist infolgedessen 1538. Verwunderlich ist, daß von Seiten des Museums kein Versuch unternommen wurde, auf der Basis dieser Daten die Identität zu ermitteln.

Für den Jahrgang 1538 kommt Cesare Baronio aus Sora infrage, der aus dem mittleren Italien stammte, sich aber 1567 von einem Maler aus dem Norden porträtieren ließ. Er stammte aus dem Bürgertum; die Eltern sorgten für eine gute Ausbildung des Sohns in Veroli. Ein Studium der Rechte trat er 1556 in Neapel an, wechselte aber im folgenden Jahr nach Rom wegen der im Königreich Neapel tobenden Kämpfe. Im Dezember schrieb er dem besorgten Vater einen beruhigenden Brief, daß er nicht vagabundiere.

Offenbar traf er in Rom auf den Florentiner Filippino Neri (1515─1595), der in seiner Jugend noch Berichte von dem Dominikanerprediger Savonarola (1452─1498) und seinen Predigten gehört hatte und davon nachhaltig beeindruckt war, sodaß er selbst sich vornahm, für Askese und Caritas einzutreten. Neri kam 1532/33 nach Rom, hörte Vorlesungen an der Sapienza und war 16 Jahre Hauslehrer in der Familie von Galeotto del Caccia. Seine eigentliche Intention aber war, sich um Arme und Kranke zu kümmern und dazu Gleichgesinnte um sich zu scharen. 1548 gründeten Persiano Rosa und Neri die Bruderschaft der Heiligsten Dreifaltigkeit für die Pilger und Genesenden. Viele Jahre war er Laienprediger; 1551 ließ er sich zum Priester weihen und bildete eine Weltpriester-Gemeinschaft mit täglicher Eucharistie-Feier.

Daraus entwickelte sich ─ der Vatikan begegnete unter Papst Paul IV. Neri zunächst skeptisch ─ der Orden der Oratiorianer. Ein Vorbild für die Gruppierung waren die Brüder vom gemeinsamen Leben, die Geert Grote über hundert Jahre zuvor in Deventer ins Leben gerufen hatte. Die Oratiorianer bekamen ihren Namen von dem Gebäude, dem noch römischen Oratorium, dem ihnen überlassenen Versammlungsgebäude und Betsaal. 1575 waren sie schon so etabliert, daß sie einen Neubau für das Oratorio de’Filippini in Angriff nehmen konnten, »einem der großen römischen Barockbauten« (Anton Henze).

Während seines Studiums in Padua gab Baronio seinem Leben eine neue Richtung. Ende 1560 teilte er seine Entscheidung den Eltern mit, indem er sich seiner Mutter anvertraute. Sein Vater hatte gewünscht, daß er den Handelsbetrieb seines Verwandten übernommen und das Familienvermögen verwaltet hätte. Aber Baronios Entschluß, in den Minderorden einzutreten, stand fest. Er schloß zwar sein Studium ab, wurde aber 1561 Diakon in der Congregazione filippina. Baronios Tante Marzia bestärkte ihn in seinen Plänen.

Dazu gehörte, Ostern 1567 nach Loreto zu pilgern. Auf einem emblematischen Kreuz bezeichnete er sich (auf Latein) als ´Diener Mariens Caesar). Nun wechselte er unter dem Einfluß Neris nach Rom, zumal der Vatikan durch Papst V. Neri und seinem Orden die Kirche S. Maria in Vallicella übergab, damals noch ein Altbau. Neri liegt in der Kirche links des Chores begraben. Das Oratorium wurde zu einem Nucleus der neuen Kirchenmusik Italiens.

Heute gehört diese Kirche zu den bedeutenden Barockbauten der Stadt Rom, denn der Neubau von stammt von Francesco Borromini (1599─1667), der sie 1637-40 errichtete. Der Gebäudekomplex gehört dem Oratorio die Filippini und enthält die älteste öffentliche Bibliothek Roms, die 1581 gegründete Biblioteca Vallicelliana in der auch der schriftliche Nachlaß von Baronio aufbewahrt wird (Fuhrmann S. 246). Neri wurde für sein Wirken heiliggesprochen Interessanterweise enthält der Hochaltar Frühwerke von Peter Paul Rubens (1577─1640) von 1608, welche »in Führung des Lichtes das Studium Tintorettos und Caravaggios verrät« (Henze S. 245).

Der Bischof Tommaso Giglio versuchte, Baronio zu gewinnen, sich mit spekulativer Theologie zu beschäftigen, da der Orden auch die Mystik einbezog. Er lehnte auch die Angebote aus Parma ab. Er kam mehr und mehr zu der Erkenntnis, daß er Pfründen ablehnen müsse., auch das Kanonikat in Sora, das ihm 1577 der prominente Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo (1538─1584) anbot, der zugleich Bischof von Sora geworden war. Neri jedoch setzte Baronio an verschiedenen Orten ein, wo Filialen des Ordens gegründet wurden. Sein Schwerpunkt war für ihn die Katechismus-Lehre. Außerdem referierte er im Hause Parravicino über das Sterben und thematisierte lehrreiche Rechtsfälle.

Von der Motivation her liegen die Gründung eines Ordens und das frühe Christentum nahe beieinander. Dem entsprechend vertiefte sich Baronio in die Frühzeit der Kirchengeschichte. Dabei erfuhr er, daß der kroatische protestantische Theologe Matija Vlačič (Matthias Flacius 1520─1575), ebenfalls ein Jurist und Theologe, zusammen mit anderen eine neue Kirchengeschichte erarbeitete, allerdings aus lutherischer Sicht. Baronio hätte gern Vlačič als Mitarbeiter gewonnen; doch Baronio erkannte bald, welche Gefahr darauf einzugehen damit für ihn wegen der Inquisition verbunden wäre, und zog es vor, sich allein an die Arbeit zu machen.

Kirchenpolitisch gesehen befand sich der Vatikan damals in der ideologischen Defensive, als der Kreis um Vlačič in Magdeburg bereits mit dem Publizieren begonnen hatte. »Flacius wollte nachweisen, daß die wirklichen ´Wahrheitszeugen´ sich außerhalb der Amtskirche bewegten und Luthers Lehre den richtigen Weg weise« (Fuhrmann S. 244). Diese als ´Zenturiatoren´ bezeichnete Gruppe erhielt ihren Namen dadurch, daß sie die Kirchengeschichte in Jahrhunderte aufteilte. 13 Bände erschienen bei dem angesehenen Verlag von Johannes Oporinus in Basel; Band 14-16 existieren nur in Manuskripten. Aber das Gesamtwerk bildete für den Hl. Stuhl eine gewaltige Herausforderung.

Da die vorherige und unsystematische Geschichtsschreibung der Kirche tatsächlich viele Fehler und Angriffspunkte enthielt, war es für die katholische Kirche kirchenpolitisch enorm wichtig, mit einer eigenen Ausdeutung gegenzusteuern. Insofern war das Projekt von Cesare Baronio für die katholische Kirche ein Glücksfall, als er mit den Annales ecclesiastici eine revidierte und kirchenkonforme Sicht des 52.03-baronio-nebCesare Baronio: Annales ecclesiastici.
Nachdruck von 1705
Ablaufs der Kirchengeschichte vorzulegen begann. Unterstützt wurde er

dabei in Rom von Kardinalvikar Gicomo Savelli (1523─1587), aber auch von Kardinal Carlo Borromeo (1538─1584) und Carlo Sigonio (s. Beitrag Moroni, C. Sigonio), vor allem aber

Negri. Sie bemühten sich, seinen publizistischen Eifer noch zu befördern und ihn für seine Kontakte zu Häretikern gegen die Inquisition abzuschirmen. Gregor XIII. nutzte sogar Baronios Kontakte, als es 1583 um eine geheime Verhandlung mit Giacomo Manilara ging, einen häretischen Dominikaner in Neapel, um den sich Baronio gekümmert hatte. Außerdem versuchte Gregor XIII., Baronio zur Mitarbeit an einer groß angelegten Matyrologia (Plantin, Antwerpen 1586) zu gewinnen.

Alles deutet darauf hin, daß Baronio 1567, im Jahr seiner Pilgerfahrt nach Loreto, sich entschloß, ein Portrait von sich anfertigen zu lassen, möglicherweise gedacht als eine Art Vorbild für die Novizen. Soweit läßt sich die Provenienz jedoch nicht zurückverfolgen. Ein Vergleichsbild (Ausschnitt) von Baronio findet sich als Ausschnitt in der Papstgeschichte von Fuhrmann (S. 247). Es zeigt Baronio jedoch in hohem Alter (Datierung und Altersangabe fehlen leider dabei) mit deutlich längerem Bart. Es ist sogar möglich, daß es post mortem angefertigt wurde. Insofern trägt es zum Beweis wenig bei. Stilgeschichtlich ist das Portrait an Dürers Hl. Hieronymus orientiert.

52.03-baronio-ukUnbekannter Künstler: Cesare Baronio.
17. Jahrhundert

Papst Sixtus V. engagierte Baronio für die Riten-Kommission. Dort war er für die Überprüfung heikler Fälle zuständig wie z.B. für die Entscheidung, ob dem konvertierten Hugenotten, König Henri IV von Frankreich, die Absolution erteilt werden sollte. Entgegen der Fraktion befürwortete Baronio die Absolution. Trotzdem blieb die Wertschätzung Baronios über die Amtszeit mehrerer Päpste erhalten; so erhob Clemens VIII. Baronio 1595 zum päpstlichen Pronotar. 1597 kam seine Ernennung zum Bibliothekar des Hl. Stuhls hinzu. So wichtig war dem Vatikan die ´Richtigstellung´ der Kirchengeschichte im Sinne der katholischen Kirche.


Ein weiterer Stich zeigt Cesare Baronio sozusagen in der Pose des Hl.Hieronymus von Albrecht Dürer, vermutlich im Jahr 1596. Hier erscheint er als Kardinal und Autor von sechs Büchern, die ihn umgeben. Außerdem öffnet sich oben rechts ein Fenster mit der Darstellung der Kirche SS. Nereo e Achilleo, die ihm zugeordnet wurde.

Trotz seiner Altersbeschwerden bemühte sich Baronio, seinen vielfachen Verpflichtungen nachzukommen, bis er 1607 erhebliche Probleme durch Magenbeschwerden bekam. Sein Wunsch war ein Armengrab; er wurde aber in der Bernini-Kirche links des Altars bestattet. Bis dahin hatte er 12 Bände seiner Kirchengeschichte herausbringen können. Als 52.03-baronio-neb-IIUnbekannter Künstler: Cesare Baronio.
Kupferstich ca. 1596
Kardinal galt er als papabel und erzielte 1605 die einfache Mehrheit, lehnte aber aus Bescheidenheit das Amt ab. Bei mehreren Wahlen wurde er wegen seiner Darstellung der Kirchengeschichte von Sizilien von der spanischen Partei immer wieder ausgebremst.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2019

Literatur
Simone Facchinetti: Giovan Battista Moroni: lo sguardo sulla realtà 1560 – 1579 Mailand 2004

Horst Fuhrmann: Die Päpste. München 1998
Thomas Gandlau (zu Neri) in: Bautz: Kirchenlexikon. Bd. 6 Herzberg 1993
Ágnes Heller: Der Mensch der Renaissance. Köln 1982
Anton Henze u.a.: Rom und Latium. Baudenkmäler und Museen. Stuttgart 1974 S. 246
Alberto Pincherle. In: Dizionario Biografico degli Italiani. Vol. VI Roma 1964

Bildnachweise
Francesco Rossi: Accademia Carrara. Bergamo 1997 S. 226
wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f0/Cesare_Baronio.jpg (7.8.2019)