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Christoph Wilhelmi


Europäische Akademien
seit der Renaissance bis ca. 1800

siehe Katalog der Akademien


Ein wichtiger, wenn nicht gar entscheidender Faktor der gesellschaftlichen Erneuerung bei der Durchsetzung der Renaissance waren die nach antikem Vorbild (Athen) gegründeten Akademien. Heute versteht man unter Akademien öffentliche Bildungseinrichtungen für Kunst, Musik etc. oder gar nationale Spitzenorganisationen von Wissenschaftlern; im Ansatz war ursprünglich ein erheblich anderer, nämlich ein deutlich bürgerschaftlicher Gedanke war damit verbunden.

Eigenartigerweise ist dieser Sachverhalt nur selten Thema von Darstellungen der Renaissance geworden. Das mag daran liegen, daß es kaum Quellenwerke gibt und die Aktenlage meist außerordentlich lückenhaft ist, weil Akademien in der Frühzeit Privatinitiativen waren. Jedenfalls kommen die meisten der neueren, beschreibenden Autoren wie Ágnes Heller, Lisa Jardine u.a. nicht auf dieses Gebiet zu sprechen. Die Ursache dafür ist wohl darin zu suchen, daß über die Zusammensetzung und die internen Abläufe dieser privat organisierten Akademien kaum Material überliefert wurde und es daher später als nicht beschreibbar erschien.

Es ist üblich geworden, die Akademie der Medici als erste ihrer Art zu bezeichnen. Florenz erwies sich Mitte des 15. Jahrhunderts als kulturell fortgeschrittenste Stadt, die sich selbst nach sozusagen römischem Vorbild verwaltete. Hier gab eine bürgerliche Familie aus der Finanzwirtschaft damals den Anstoß zur Wiederbelebung einer Versammlungsform, welche sie in der antiken Literatur beschrieben vorgefunden hatte, der Akademie des Platon. Dieser versammelte sich mit seinen Freunden und Zuhörern im Hain des Heroen Akademos in Athen; daher rührt also der Begriff; aber auch Cicero bezeichnete z. B. sein Landgut als Academia. Zum Heros wurde Akademos übrigens, weil er den Ruin Athens durch Castor und Pollux abwendete. Innerhalb Italiens gab es jedoch einige Vorläufer (→ Accademia Bessarionea, Rom, → Porticus Antoniana, Neapel u.a.). In  Vergessenheit geriet aber, daß eigentlich der Stauferkaiser Friedrich II. im 13. Jahrhundert in Palermo bzw. Melfi diese Bildungsform wiedererweckte, allerdings ohne sich dabei auf Platon zu beziehen.

Platons erhalten gebliebenes Dialogwerk Symposion/Gastmahl liefert ein anschauliches Vorbild dafür, wie Bildung in einer Gruppe von interessierten Menschen befördert und erzielt werden kann. Schließlich ist zu bedenken: Bis dahin waren kirchliche Organisationen (z.B. Bruderschaften) die einzigen Bildungseinrichtungen. Insofern war der Akademie-Gedanke ein erheblicher Schritt zu bürgerlicher Selbständigkeit im Denken des aufsteigenden Bürgertums. Auf diese Weise breitete sich die Renaissance vor allem in den Städten aus, obwohl auch einige Grafen und Herzöge wie die Este, Gonzaga und Pio sich auf diese Weise engagierten.

Mehrere Mitglieder der Familie der Medici übernahmen öffentliche Funktionen im Stadtstaat. Da sie die Erfahrung gemacht hatten, daß antike Schriften nützliche Hinweise auf Verbesserung von Abläufen in Wirtschaft und Politik liefern konnten, waren sie bereit, Räumlichkeiten für Zusammenkünfte von bildungsbeflissenen Zeitgenossen zur Verfügung zu stellen. Bei Caterina Cornaro in Asolo, Ippolito de’Medici und Christina von Schweden war es wohl mehr das Prestige, das sie dazu bewegte. Zur starken Bildungsorientierung trug auch bei, daß z.B. die Medici ihre Kinder optimal ausbilden wollten, um ihnen weiteren gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen; Lorenzo de’Medicis Lehrer, Cristoforo Landino (1424─1498) war in dieser Hinsicht tätig, denn in der Generation nach Lorenzo wurde die Familie sogar papabel.

Zentrale Figur der Gruppierung war der Philosoph Marsilio Ficino (1433─1499), von der Ausbildung her Arzt, später Bischof. Er hatte sich auf die Lektüre von Platon spezialisiert und wollte seine Kenntnis und Einsichten weitertragen. Daher heißt die 1459 gegründete Gruppe →Accademia Platonica. »Die Platonische Akademie … hatte weder eine feste Organisation noch einen erkennbaren Lehrkörper, noch irgendwelche Einkünfte. Sie bestand aus einem Symposion wechselnder Mitglieder; diese kamen gelegentlich zusammen, unterhielten sich ungezwungen über die Philosophie von Platon und hörten sich die Ideen Marsilio Ficinos an, des bedeutendsten Platonikers jener Zeit. Lorenzo persönlich und seine engsten Freunde gehörten zu den treuesten Besuchern dieser Zusammenkünfte« (James Cleugh: Die Medici. München 1975 S. 189).

Diese Colloquien fanden auf hohem Niveau statt, und jeder Teilnehmer hatte den Ehrgeiz, dazu beizutragen. Man muß sich daher vorstellen, daß ─ wie bei einem Lesekreis ─ Abschnitte aus Platons Schriften vorgelesen wurden und sich daran eine Diskussion anschloß. Platons Werke sowie die des späteren Plotin waren bereits von der Kirche adaptiert d.h. sie galten nicht mehr als heidnisch bzw. ketzerisch. Sehr bald danach wurden aber die Werke des Aristoteles gedruckt und verbreitet, welche einen stark naturwissenschaftlichen Ansatz aufweisen und dadurch von der Kirche zunächst sehr kritisch beurteilt wurden.

Sehr bald setzte ein Wettbewerb zwischen den Städten ein. 464 wurde die →Accademia Romana gegründet, die ebenfalls philosophisch orientiert war. Doch regte sich bald das Mißtrauen des Vatikans. 1468 wurde sie auf Weisung des Papstes Paul II. aufgelöst, der die Deutungshoheit in der Philosophie für die Kirche zu behalten beanspruchte. Diese Maßnahme wiederholte sich bei vielen späteren Akademiegründungen, weil die meisten Akademie-Initiatoren mit einem emanzipatorischen Ansatz antraten.

War anfänglich die philosophische Thematik der bevorzugte Anlaß zur Akademiegründung, erweiterte sich sehr bald das Spektrum. Die zeitgenössischen Literaten erblickten in den Akademien die Möglichkeit, eine Plattform von Gleichgesinnten um sich zu bilden. Auslöser dafür war in erheblichem Maße der kleine Hof in Asolo, wo die zyprische Ex-Königin Caterina Cornaro, eine venezianische Patrizierin, gebildete Höflinge und Literaten um sich scharte. Zur Ausweitung in die Fläche trugen zwei Buchveröffentlichungen bei, welche die literarische Schilderung lieferten: Il Cortegiano von Baldassare Castiglione, gedruckt 1528, und Asolani, ein Text des Poeten Pietro Bembo (1505).

Europaweit gesehen hatte Italien einen enormen Vorsprung in der kulturellen Entwicklung zur Renaissance. Doch durch die damals starken Verflechtungen zwischen den deutschsprachigen Territorien und Italien ─ sowohl wirtschaftlich als auch kirchlich ─ wurden deutsche Intellektuelle frühzeitig auf diese Innovation in Italien aufmerksam. Die Vermittlung ist einigen Wanderhumanisten (Max Wehrli) zu verdanken. Die Attraktivität der Spitzenuniversitäten Bologna (vor durch Jura) und Padua (durch Medizin) sorgte für einen ständigen Zustrom von deutschsprachigen Studenten, so vielen, daß an den Universitäten sog. nationale Fraktionen gebildet wurden. Von diesen Studenten drangen einige Neugierige bis Florenz (Celtis) und Rom (Reuchlin) vor; sie haben es durch ihren Bildungsspürsinn geschafft, sich in die beiden Akademien, die bisher als Start-Akademiengalten, einführen zu lassen. Der Umtriebigere von beiden war Konrad Celtis, der das italienische Vorbild nach Nürnberg, Ingolstadt, Heidelberg, Wien, Budapest vermittelte und dort Akademien initiierte. So wurde bald ganz West- und Mitteleuropa von dieser kulturellen Neuerung erfaßt.

Heutzutage herrscht über die Leistung der von Humanisten betriebenen Bildungsoffensive in der Renaissance durch Schulen und Universitäten kein Zweifel. Daß aber im Bereich der Erwachsenenbildung ebenfalls Enormes geleistet wurde, ist nicht ins allgemeine Bewußtsein gelangt. Offenbar ist dies darauf zurückzuführen, daß Jacob Burckhardts Standardwerk Die Kultur der Renaissance in Italien, das 1860 erschien und bis heute unzählige Male nachgedruckt wurde, so nachhaltig die Weichen des Wissens gestellt hat. Dort kommen die Akademien zwar vor, werden aber nur unter der Überschrift Sturz der Humanisten im 16. Jahrhundert abgehandelt. Hier zeigt sich, daß damals der soziologische Blickwinkel fehlte; dominant waren und blieben die Intrigen, die Machtpolitik, die Kämpfe, gerade auch im Bereich der Religion, welche in der Tat viel der Aufbauarbeit zerstörten, oftmals auch die Bibliotheken `säuberten`.

Schon bei Pietro Bembo beginnt die Debatte unter den Poeten, welche Sprache für ihr Werk angemessen ist. Instinktiv lehnten sie Latein ab, damals die Kirchen- und Wissenschaftssprache, weil sie von der Allgemeinheit besser verstanden werden wollten. So tendierten sie überwiegend zum Toskanischen, wohl weil Latein die vorherrschende Sprache der Kirche war, von der sie sich emanzipieren wollten. Dieser Prozeß zog sich über Generationen hin ─ bei gleichzeitig florierender neulateinischer Poesie, die besonders in Flandern in Blüte stand.

Die praktischen Voraussetzungen zur Bildung von Gesprächskreisen lieferten in der Regel kulturell interessierte Patrizier, wie in Venedig, oder ehrgeizige Adlige der Provinz wie die Herzöge in Ferrara und Markgrafen in Mantua, die zur höfischen Unterhaltung Literaten und Musiker um sich scharten. Dadurch dehnte sich die Bildung von Akademien stark auch auf das Feld von Tanz und Musik aus und bald damit auch auf den Sektor Theater (Beispiel Vicenza). Den Rahmen lieferten die Städte, in denen kulturell Aktive räumlich wie wirtschaftlich die Voraussetzungen schafften. Anlässe zu Aufführungen waren städtische Feste wie auch private Feiern, u.a. Hochzeiten.

Es liegt auf der Hand, daß die unterschiedlichen kulturellen Sektoren auch zu unterschiedlichen Ausformungen der Akademien führten, insbesondere im Bereich der Musik. Durch die sich entwickelnde Oper kam es zu einem engen Miteinander von Theater und Musik. Entsprechend war die →Acccademia degl’Intronati ein Vorreiter. Verständlicherweise waren diese Gruppen stark von ihren Gründern abhängig. Durch die Beteiligung von führenden Komponisten ergab sich durch deren Schüler der Übergang zur systematischen Ausbildung, die später Kommunen oder der Staat in Musikakademien übernahmen.

Feierliche Musik und rühmende Ansprachen waren bei Begräbnisfeiern gefragt. So bildeten sich mancherorts Akademien für Oratorien aus Anlaß der Trauer. Insofern spricht man auch von Begräbnis-Gesellschaften. Wollten manche Akademien sich in der Zeit des Manierismus und später in der Empfindsamkeit von der profanen Gesellschaft abheben, führten sie unter sich schäferliche Namenspiele (Werner Kohlschmidt) ein d.h. sie verliehen sich Phantasienamen für die Zeit ihrer Zusammenkünfte. Besonders extensiv zeigt sich diese Spielregel bei der → Fruchtdbringenden Gesellschaft.

In Venedig war um 1540 der Arzt Tommaso Rangone (*1493) der Motor zur Bildung einer Fachgruppe Medizin, dem Collegium Medicum; in Augsburg kam ein Gleiches um 1567 zustande. Diese Art Zusammenschluß hatte jedoch mehr den Typus eines Fachverbands, wobei sich dieser auch um die Ausbildung des Nachwuchses kümmern sollte.

Die ersten Akademien entstanden in den größten Städten Italiens. Doch schon sehr bald wurden auch in kleineren, regionalen Städten Akademien gegründet; in Ferrara, Mantua und anderen waren Mitglieder der dortigen Hofgesellschaft die Aktiven. In den deutschen Territorien gab es einen anderen Verlauf. Die Wanderhumanisten waren am Oberrhein aktiv und hatten die Universitäten Basel, Freiburg, Heidelberg und Straßburg als Rückhalt. Erst nach dem 30jährigen Krieg und der Entwicklung der Kleinstaaterei kam es im 17. Jahrhundert durch Sprachgesellschaften zu einer stärker regionalen Ausbreitung (Köthen, Nürnberg, Wedel u.a.). In der Provinz zu agieren, bedeutete aber nicht unbedingt, isoliert zu sein, denn es begann ein ´edler Wettbewerb´ unter den Gruppen, sei es, daß Persönlichkeiten abgeworden wurden, sei es, daß Aktivitäten anderer Gruppen inspirierend wirkten (→ Accademia dei Gelati, Bologna) d.h. andere herausforderten.

Aber nicht überall wurde die Bezeichnung Akademie verwendet; so bevorzugte Celtis noch die kirchliche Bezeichnung sodalitas(Bruderschaft), beabsichtigt wurde jedoch dasselbe: nämlich gemeinschaftlich die Bildung voranzubringen. Da es sich bei den Beteiligten vorrangig um Humanisten handelte, kann man von einer frühen Bürgerbewegung sprechen. Zwar waren vereinzelt auch Adlige darin engagiert wie de’Bardi, Pico, von Hutten; die hauptsächlichen Träger waren jedoch gut ausgebildete Bürger bzw. Patrizier wie Willibald Pirckheimer, der z. B. mit Bedacht keine akademische Laufbahn einschlug, sondern bezeichnenderweise auf akademische Grade verzichtete, weil er sonst nicht in den Rat der Stadt Nürnberg aufgenommen worden wäre.

Die mit Höfen verbundenen Akademien kümmerten sich bei ihren Zusammenkünften vorwiegend um Unterhaltungsprogramme für höfische Feste, wie Leonardo. und musikalische Darbietungen. Während die philosophischen Zirkel Lesungen und Diskussionen bevorzugten, tauschten andere sich aus über Neuentwicklungen. Das war vermutlich einer der thematischen Schwerpunkte der Nürnberger ´Akademie´, → sodalitas Celtis, unter ihnen der Berater des portugiesischen Königs, Martin Behaim d.h. einem ihrer Mitbürger. Damit verfügten sie über einen europaweit erstklassigen Informanten, was vor allem für die in Nürnberg tätigen Kartographen wichtig war. Es ging weniger um Geschäfte, sondern z.B. um Orientierung für die Seefahrt nach Übersee und damit die Kartographie, welche in Nürnberg auch mehrere Werkstätten hatte. Überhaupt spielten die angewandten Naturwissenschaften für die damalige Entwicklung eine enorme Rolle. Aus dem Kreis der Nürnberger wurde z.B. die Schedelsche Weltchronik entwickelt und finanziert ─ ein überaus erfolgreiches, orientierendes und bebildertes Druckwerk.

Daß durch Celtis und Staupitz die Bezeichnung sodalitas (Bruderschaft) auftritt statt Akademie, hängt mit der vor 1500 dominanten Rolle der Kirche zusammen. Wenn sich Laien organisieren wollten, wurde dies nur unter kirchlicher Aufsicht geduldet. So berichtet der Kunstführer (S. 21) z.B. für das Musée de Picardie in Amiens von der Confrèrie de Puy de Notre-Dame (1388 gegründet, 1789 aufgehoben): »Diese Bruderschaft veranstaltete jedes Jahr gemäß ihren Statuten einen literarischen Wettbewerb, dessen Hauptthema das Lob der Jungfrau war. Der Meister der Bruderschaft mußte das Thema anschließend in einer allegorischen Bildtafel darstellen lassen… doch sind einzig die 15 Tafelbilder des Museums von Amiens erhalten geblieben«. Dieser Brauch setzte sich fort bis ins 17.Jahrhundert. Die literarisch-philosophischen Gruppierungen der Renaissance wollten sich jedoch der kirchlichen Kontrolle entziehen (→ Accademia degli Accesi, Palermo) und wählten daher zumeist ─ in Anlehnung an die Antike ─ die Bezeichnung Akademie. Doch wollten die kirchlichen Autoritäten nicht ihre Deutungshoheit verlieren und setzten alles daran, im Zuge der Gegenreform (u.a. von den Jesuiten) ebenfalls Akademien zu gründen bzw. sich als Zensoren einsetzen zu lassen, um den Einfluß auf regsame Bürger nicht zu verlieren.

»Darüber bildet sich aber eine Res publica litteraria, eine Gelehrtenrepublik, eine nationale und internationale Gemeinschaft, von der aus hergebrachte Standesunterschiede relativiert werden können. Man kann sich an Hochschulen oder in Freundschaftszirkeln oder in Sodalitäten locker organisieren, identifiziert sich aber vor allem im dichten Zusammenhang der gelehrten, literarischen, politischen Publizistik, der Episteln, Satiren, Freundschafts- und Huldigungsgedichte, Widmungen und Reden, die vom einen zum anderen gehen und stets zum Fenster hinaus gesprochen sind« (Wehrli S. 935). »Diese Weltlichkeit geht mehr gegen die Theologen als gegen die Theologie, mehr gegen die Kirche als gegen den Glauben. Sie sieht im gebildeten Laien eine autonome Lebensform und will sich in persönlicher Freiheit entfalten und darstellen« (Wehrli S. 935). Formal gab es von vornherein zwei Versionen von Akademien, in denen die Veranstaltungen abliefen: das Colloquium als geselliges Gespräch unter Gleichen und das Seminar, bestehend aus einem Vortragenden, um den sich der Kreis scharte, und Hörern im Status von Wißbegierigen.

Noch praxisorientierter, als die Nürnberger Gruppe bildete sich die →Accademia Aldina in Venedig heraus. Als Aldus Manutius 1490 von Ferrara nach Venedig kam, stellte er fest, daß es zwar etliche Druckwerkstätten in Venedig gab, aber keine, die in der Lage gewesen wäre, griechische Texte drucken zu können. Diese Marktlücke zahlte sich für ihn aus. Dabei scharte er lauter Fachleute, Lektoren sowie griechische Schriftsetzer um sich bis hin zu dem Star der Humanisten, Erasmus von Rotterdam, der dort als Autor, Lektor und Korrektor zugleich tätig war. Die Werkstatt bildete projektbezogen eine Art Kommune, die sich verschworen hatte, philologisch erstklassige Ausgaben antiker Autoren hervorzubringen.

Als dieser Konstellation vergleichbar ist die Arbeitsgruppe der Enzyklopädisten in Paris anzusehen. Hier verfolgten die Beteiligten einen gemeinsamen Editionsplan, nämlich das vielbändige Lexikon Encyclopédie (1751─1772). Diderot, d’Alembert u.a. griffen jedoch nicht zum Begriff Akademie, weil er sich maßgeblich zu einer staatlichen Institution gewandelt hatte wie der Académie française. An dieser Akademie war d’Alembert nämlich secrétaire perpétuel, und soziologisch hatten sich die Verhältnisse so entwickelt, daß die Enzyklopädisten »in einer europäischen Gelehrtenrepublik verkehrten« (Bettina Rommel). Denis Diderot war Leitfigur der »société des gens et de lettres, jener tendenziell allen Ständen offenen Gesellschaft der Gebildeten, die in Rede und Schrift das Projekt Aufklärung betreibt« (B. Rommel).

Wie sich aus einem sonst wenig beachteten graphischen Blatt ergab, war auch Leonardo da Vinci Kopf einer Akademie und zwar in Mailand. Dieser vielseitige Künstler und Techniker befand sich stets auf der Suche nach neuen Erkenntnissen und Zusammenhängen. Während er für den Herzog Ludovico il Moro arbeitete, unterhielt er einen Kreis von Spezialisten, Architekten, Bildhauern und Militäringenieuren um sich, um neue Methoden und Verfahren in ihren Fachbereichen zu erörtern, die die Beteiligten beruflich weiterbrachten. Da es sich um Diskurse handelte, war kein Anlaß, sie aufzuzeichnen; dementsprechend gibt es auch fast keine Protokolle darüber. Das ist bedauerlicherweise das Manko bei den meisten frühen Akademien, weswegen sich auch kaum Schilderungen von Akademien erhalten haben. So gingen aus der Stadt Viterbo fünf Akademien hervor; heute beklagt das Stadtarchiv, daß sie über keinerlei Unterlagen von deren Tätigkeit verfügt. Die Quellenlage ist weitgehend lückenhaft. Das ist wohl auf die weitgehend private Organisation zurückzuführen. So existieren z.B. von der → Accademia dei Gelati, Bologna, nur die Decknamen der Beteiligten, nicht aber ihre eigentlichen Namen.

In der Regel kam die Gründung einer Akademie durch Initiative einer Person zustande, die den Anstoß gab und Mitstreiter zu gewinnen suchte, die das Projekt wirtschaftlich ermöglichten. Für die weniger aktiven Beteiligten war der durch die Akademie gewonnene Rahmen aber attraktiv, weil Gleichgesinnte unter sich waren: außerhalb der Regie der Kirche und der jeweiligen Obrigkeit. Aus diesem Blickwinkel ist es reizvoll, sich einen Überblick über die Namensbildungen zu verschaffen.

Eine der ältesten italienischen Akademien, deren Teilnehmer sich in Neapel im → Porticus Antoniana traf, wurde von Antonio Beccadelli geleitet. Sie ist ein Beispiel für die Wandlung der Gruppennamen. Antonio Beccadelli und Giovanni Pontano begründeten die Gruppe. Damals trug Beccadelli den Decknamen Panormita, aus Palermno stammend, weswegen die Gruppe auch →Accademia Panormita genannt wurde. Als Beccadelli starb und Pontano die Gruppe allein weiterführte, bürgerte sich die Bezeichnung → Accademia Pontaniana ein. Er führte die Gruppe über weitere Jahrzehnte und prägte sie.

In der Regel haben es Gruppierungen an sich, unter sich zu bleiben. In Italien bestanden nach der Ausbrreitung in der Fläche jedoch viele Querverbindungen zu anderen Akademien. Ein so prominenter Autor wie Torquato Tasso wurde von vielen Akademien umworben. Michele Maylender hat ermittelt, daß Tasso mit zehn verschiedenen Gruppierungen in Verbindung stand: Addormentati in Genua, Animosi in Padua und in Rom, Assorditi in Urbino, Catenati in Macerata, Eterei in Padua, Ferrarese, Innomanti in Parma, Insensati in Perugia und Sciolti in Fermo. Analog gab es in den Akademien vielfach Mehrfach-Mitgliedschaften, allein schon durch die korrespondierenden Mitglieder.

Nicht aus allen Gruppennamen ging herfvor, daß es sich um eine Akademie handelte. Daher gibt es zahlreiche, anderslautenden Gründungen mit Akademiecharakter (wie sodalitas, Coro u.a.), die daher wegen ihrer gleich orientiurten Intention einzubeziehen sind, obwohl in ihrer Namengebung das Wort Akademie nicht vorkommt: »Der höfischen Herrschaft des Französischen widersprach man in bürgerstarken Städten wie Hamburg oder Leipzig mit der Gründung von Gesellschaften zur Pflege der deutschen Sprache. Zu diesen Versammlungen gehörten die 1715 von Barthold Heinrich Brockes mit- begründete Teutsch-übende Gesellschaft in Hamburg und in Leipzig die Teutschübende poetische Gesellschaft ab 1717, die zehn Jahre später von Johann Christoph Gottsched in Deutsche Gesellschaft umfirmiert wurde« (Preisendörfer S. 103).

Die Faszination des aus dem Italienischen übernommenen Begriffs ´Akademie´ muß enorm gewesen sein. Das zeigt der Sonderfall von 1550-68 des von »einem für die Geschichte der Kunst und seiner Zeit wichtigen Quellenwerk, das Künstlerbiographien nach dem Muster Vasaris [Vite de’più eccelenti pittori, scultori ed architetti italiani] enthält« (Robert Darmstaedter) und lt. Titelblatt →L’Academia Todesca oder Teutsche Academie… heißt. Der Autor, Joachim Sandrart bemüht sich darin um eine Bestandsaufnahme aller Künstler seit der ägyptischen und griechisch-römischen Antike. Zugleich liefert er eine Beschreibung ─ als schulendes Vorbild gedacht ─ der antiken Skulptur und Architektur als Grundlage für die Ausbildung heranwachsender Künstler. Diese etwas kurios anmutende Kombination zeigt einerseits, welch dehnbarer Begriff Akademie um die Zeit war, andererseits aber auch, woher die Wandlung des Begriffs Akademie von der bürgerschaftlichen Gruppe zur ─ uns heute geläufigeren ─ Institutionalisierung herrührt.

Überhaupt bildeten von Anfang an (→Accademia della Crusca) Sprachgesellschaften einen wichtigen Bestandteil innerhalb der damaligen Akademien. Das hatte einerseits mit der Konkurrenz kleinerer und größerer Dialektbereiche zu tun, andererseits mit dem aufkommenden Nationalismus. Dieser Prozeß war in Italien langwierig, zumal er unter den Schriftstellern, allen voran durch Pietro Bembo, verbunden war mit der Ablösung des Lateins als Sprache der Gebildeten und mit dem Vordringen des volgare (der toskanischen Mundart), um sich mehr Lesern außerhalb der Eliten verständlich zu machen. Im deutschen Sprachraum verlief diese Entwicklung infolge des rasch sich ausdehnenden Buchdrucks und der Reformation (Luther) rascher; allerdings unterschied sich die Problematik. Zu Beginn des Barock bildeten sich Sprachgesellschaften, weil eine Überfremdung der deutschen Sprache durch das Französische befürchtet wurde. Sie entstanden ebenfalls im Rahmen von Akademien, selbst wenn sie sich nichtexplizit so bezeichneten. »Deutlich aber zeichnet sich ihre geschichtliche Genese aus den Renaissance-Akademien des italienischen Quattrocento ab. Hier ist der sprachpflegerische Gedanke aus dem Geiste des Humanismus geboren« (Werner Kohlschmidt S. 28).

Die thematische Vielfalt der Gründungen wäre ein eigenes Thema. In der Tat wurden nicht nur in Florenz durch die Medicis, sondern gerade in der nacheifernden Provinz überall um die Zeit Akademien gegründet, in der sich poetisch, musikalisch, philosophisch, naturwissenschaftlich Interessierte gesellig zusammenschlossen. Die Zahl der aus freier Vereinbarung geschlossenen Vereinigungen ist Legion ─ und ein Thema, das noch nicht zur Genüge aufgearbeitet ist.

Ende des 16. Jahrhunderts kam es ─ möglicherweise im Zuge des Manierismus ─ mehr und mehr zu sozusagen farbig umschreibenden Titelformulierungen wie Accademia degli incitati (der Anreger bzw. Angeregten) oder Accademia Crusca, wobei Crusca zwar Kleie heißt, aber Cruscata Plauderei bedeutet; auch der Gedanke, Wortmaterial durch die Mühle zu drehen, spielt hierbei eine Rolle.█ Abb. Auffällig ist an derartigen Gründungen, daß mehr und mehr eine Zustandsbeschreibung der Beteiligten die Regel wird: Accademia degli Alterati, degli Amelanti, degli Ardenti etc. Offenbar soll sich im Namen bereits die Stimmungslage der Beteiligten ausdrücken. Das geht aber soweit, daß auch in ihrer Tendenz riskante Bezeichnungen herangezogen wurden wie Accademia degli Addolerati, degli Agitati, degli Assorditi, dei confusi, dei Disprezzati.

Einerseits zeichnet sich an den gewählten Namen eine zeitgemäße manieristische bzw. barocke Tendenz ab, andererseits scheint von den Mitgliedern vielfach eine provokative Tendenz beabsichtigt gewesen zu sein. Generell wurden wohl Gruppennamen gewählt, welche Ordnungshüter irreführen sollten, denn welche Kulturträger bezeichnen sich selbst gern offiziell als ´die Unverschämten´ (Audaci) bzw. ´die Geräucherten´ (Affumicati)? So ist zu vermuten, daß von den Gründern damit nach außen eine Nebelwand gezogen werden sollte. Offenbar spielte das Mißtrauen gegenüber der Obrigkeit bei der Wortwahl eine Rolle, der man vielleicht auf diese Weise ein Schnippchen schlagen wollte. Bei manchen wurde wohl eine, an der Gesellschaft empfundene Mangelerscheinung in vielen Fällen zum Antrieb einer Gruppenbildung, denn so wählten fünf Bürger 1561 in Viterbo für ihre Gruppe die Bezeichnung Accademia dei Desiderosi (der Wünschenden), eine römische Gruppe nannte sich Accademia dei Delicati (der Zartfühlenden).

Jede Organisation ist nur funktionsfähig, wenn die materielle Ausstattung geregelt ist. Anfänglich waren Patrizier die Gastgeber und stellten ihre Räume zur Verfügung. Da es generell an Akten über die innere Struktur fehlt, waren entweder Sponsoren aktiv, oder es wurden Mitgliedsbeiträge von den meist wirtschaftlich gut gestellten Anwesenden erhoben. Vereinzelt gab es auch originelle Finanzierungen. So machte sich Leibniz stark praxisbezogene Gedanken: »In Berlin etwa wurde 1700 auf Vorschlag Leibnizens ein Edikt erlassen, das der zu gründenden wissenschaftlichen Sozietät, der nachmaligen Akademie der Wissenschaften, Produktion und Alleinvertrieb von Kalendern in Brandenburg zusagte, um damit die neue Institution zu finanzieren ─ was nicht gelang« (Preisendörfer S. 168/69).

Wenn sich Menschen heutzutage zusammenfinden, sei es mit sportlichem Ziel oder politischer Intention, ist die Organisationsform ein Verein. Es gibt auch den Typus des Kulturvereins; interessant daran ist, daß eine Definition dieses Stichworts bei wikipedia fehlt. Auch dieser muß eingetragen werden und dem geltenden Vereinsrecht entsprechen, will er anerkannt werden. Diese Situation hat Kurt Tucholsky 1926 unnachahmlich treffend in Das Mitglied beschrieben. Demgegenüber war die Akademie der Renaissance noch vergleichsweise frei von solchen Regularien, wenngleich manche Akademien schon Zugangsregeln kannten d.h. der Eintritt in die Gruppe war von der Zustimmung der bisherigen Teilnehmer abhängig. Insofern ähnelten die frühen Akademien dem englischen Club, welcher der abendlichen Geselligkeit der Teilnehmer dient. Das wohl bekannteste Beispiel ist das Tabakskollegium des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I., wenngleich dort die Gespräche vermutlich nicht gerade hochkarätig waren. Der Club kann ein Ort des Meinungsaustauschs, aber auch der Beziehungspflege von Geschäftsleuten sein wie auch die Logen der Freimaurer und entsprechender Vereine. Näher an die Akademie reichte dagegen die Geselligkeit des Staufers Friedrich II., der mit ausgesuchten Höflingen intellektuelle Diskurse mit esprit anstrebte. Ihm lagen Debatten, welche die Vorstellung Heinrichs von Kleist, Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, umsetzten.

Wie zu sehen, verlief die Entwicklung der Akademien bzw. ihre organisatorische Ausrichtung bald nicht mehr konsequent im Sinne der bürgerschaftlichen Verselbständigung, zumal sich erst die Kirche, dann die Gegenreform und später der Staat sich dieses Modells immer wieder bediente. Insofern ist interessant, wie eine von der Obrigkeit geschätzte Autorität wie Gottfried Wilhelm Leibniz agierte. »Er regte wissenschaftliche Sozietäten an (die späteren Akademien), von denen die in Berlin, mit Intrigen und Rangstreitigkeiten belastet, nur schwerfällig und die in Petersburg erst nach seinem Tod zu arbeiten begannen… Die Aufgaben der Sozietäten sollten darin bestehen, „theoriam cum praxi zu vereinigen, und nicht allein die Künste und Wissenschaften …zu verbessern“« (Preisendörfer S. 160/61

In diesem Zeitrahmen ─ von 1440 bis Ende des 18.Jahrhunderts ─ soll hier Schritt für Schritt versucht werden, Angaben zu den in die Zeit fallenden Akademien als work in progress zusammentzutragen. Bei der vorfindlichen, weitgehend lückenhaften Dokumentationslage kann das Unternehmen zunächst nur ein Torso sein, wenn auch mehr als das bisherige Vakuum.

Literatur (Auswahl)
Frankreichs Museen. München 1972
Werner Kohlschmidt: Geschichte der Deutschen Literatur vom Barock bis zur Klassik. Stuttgart 1965
Bruno Preisendörfer: Als in Deutschland die Musik spielte. Berlin 2019
Max Wehrli: Geschichte der Deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Stuttgart 1980



Die Übersetzung lagteinischer Motti besorgte freundlicherweise Christian Graf.



Beachten Sie bitte, daß die Abfolge der Akademien bzw. akademieähnlichen Gruppierungen vom üblichen alphabetischen Schema abweicht, da hier ein Alphabet aus den jeweiligen Kernnamen gebildet wurde.