Anmerkung
zu den Portraits von Mor und Fontana anlässlich des 100sten entschlüsselten Renaissance-Portraits / Aktuell Nr. 19 Mai 2018


Der Bestand der Galerie bisher unbekannter Portraits der Renaissance ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen und umfaßt jetzt über 100 identifizierte Portraits. Ermöglicht wurde dies durch die intensiven Recherchen von Christoph Wilhelmi, der dieses Projekt seit rd. zehn Jahren betreibt. Seine Resultate bereichern viele Museen des In- und Auslands. Seine investigativen Beiträge brachten aber auch viele Institutionen etwas in Verlegenheit, hielten sie doch die Dargestellten für unwiederbringlich verschollen und fanden sich mit Titeln wie Portrait of a man ab. Wilhelmi hat nun den Zugang zu über 100 Gemälden eröffnet, die Jahrhunderte aus Unkenntnis namenlos und damit verschlossen blieben.                               

Blickt man 100 Jahre zurück, stößt man auf die spektakuläre Identifikation von Holbeins Ambassadors durch Mary Hervey. In der langen Zwischenzeit gab es nur sehr sporadisch weitere Fälle solcher recoveries. Allem Anschein nach trifft zu, was 2016 Rose-Marie und Walter Hagen analog in ihren Bildbefragungen (S. 127) formulierten: »Werke ohne Zuschreibung und Datum gleichen Findelkindern - unleugbar vorhanden, aber nicht legitimiert. Auch die Museumsbesucher widmen dem elternlosen Werk meist wenig Aufmerksamkeit … Der Nimbus des Namens fehlt«.
Man könnte hinzufügen: Die Öffentlichkeit hatte sich längst an solche Defizite gewöhnt.

Die neue Vierergruppe stellt etwas Ungewöhnliches vor. Die drei Männer waren maßgebliche Anatomen, Schrittmacher ihres Fachs. Allen voran steht dabei die Entdeckung des authentischen Portraits von Andreas Vesalius - des eigentlichen Begründers der Anatomie. Man kannte bisher nur graphische Portraits von ihm, die wenig aussagekräftig waren. Sein anatomischer Atlas mit den hochrangigen Skelett-Holzschnitten des Johannes von Calkar von 1543 wurde bahnbrechend.

Überraschenderweise kommen sie aber nicht in dem St. Petersburger Portrait von Andreas Vesalius vor, sondern in dem Bildnis des Paduaner Anatomen Giulio Cesare Aranzio, der Vesalius verehrte und möglicherweise sogar dessen Druck-Vorlagen besaß. Als dritter im Bunde tritt Alban Thorer auf als Anatom des menschlichen Kopfes. Dieser wurde von einem bisher noch Unbekannten porträtiert und (s.o.), sein Werk leider falsch etikettiert und in der Folge mißachtet.

Christoph Wilhelmi, Mai 2018