Erstveröffentlichung
Andrea del Sarto
Antonfrancesco Doni
Andreas del Sarto (auch: Andrea d’Agnolo, 1486─1533) hat auch ein sog. Portrait of a young man (Öl auf Lw. 66,7 x 50,5 cm. Metropolitan Museum of Art, New York Nr. 1982.60.9. Jack & Belle Linsky Coll.), in der Haltung mit dem Blick über die linke Schulter, gemalt. Dieser Mann trägt ein blauschimmerndes, rundes Barett und ist bekleidet mit einem seidig erscheinenden Gewand, von dem der Ärmel hellblau und der ärmellose Überrock grau wirken. Die bärtige Person wurde vor einen grün schattierten Hintergrund platziert. Das Halbportrait zeigt nur die angewinkelte rechte Hand, die ein schmales Büchlein umfaßt. Vermutet wurde in der Person des Dargestellten ein Kanoniker, ohne daß die Aussage an eine damals lebende Person geknüpft werden konnte. Es fehlen jedoch Anspielungen bzw. christliche Anzeichen im Bild. So ist eher ─ als pars pro toto ─ von einem Bücherliebhaber oder Autor auszugehen. Sein Alter dürfte mit etwa zwanzig Jahren einzustufen sein.
Andrea del Sarto hat offenbar nicht nur Auftragsportraits gemalt, sondern möglicherweise hat hier der Künstler einen Freund porträtiert. Die schmucklose Kleidung spricht nicht gerade für einen Begüterten. Allerdings blieb die Suche unter den bildenden Künstlern im Umkreis von del Sarto erfolglos; stattdessen verdichtete sich die Annahme bei einer Person aus dem Bereich Literatur und Musik. Manches deutet darauf hin, daß Antonfrancesco Doni (1513─1574) offenbar der Gesuchte ist, nachdem sieben andere Personen ausschieden.
Dieser umtriebige Florentiner war Sohn eines Scherenmachers, gebildet, jedoch ohne Mittel, und trat als Fra Valerio ins Serviten-Kloster der Stadt ein. Aber da er sich selbst sehr wichtig nahm, wurde er bald ausgestossen und führte ein Leben auf Wanderschaft in Norditalien. Um 1540 waren seine Stationen Genua, Alessandria, Pavia und Mailand. Zeitweilig nahm ihn der Marchese Soncino als Gast auf, der ihm ab 1543 ein Jurastudium in Piacenza ermöglichte. Da Doni vielseitig und beredt war, rief er nach Florentiner Muster eine Akademie, die Accademia Ortolana, ins Leben, an deren Treiben jedoch die Kirche Anstoß nahm, so daß sie bald aufgelöst wurde. Damals beschrieb er sich selbst als Schriftsteller, Instrumentalist, Sänger und Maler. Die musikalische Begabung scheint tatsächlich ausgeprägt gewesen zu sein, denn er nahm eine Publikation in Angriff, die sich über Jahre hinzog. Unter dem Titel Dialogo della Music legte er eine musiktheoretische Schrift vor. Offenbar in Anlehnung an das berühmt gewordene Buch von Baldassare Castiglione (1478─1529) Il Cortegiano von 1528 ─ einem anspruchsvollen Dialog über Sinn und Wert des höfischen Lebens ─ entwickelte Doni eine Plauderei über Musik, wobei er Liedbeispiele einarbeitete, da es thematisch um die Einübung eines achtstimmigen Madrigals geht. Um 1543 hielt Doni sich in Venedig auf, wo er von dem lebhaften musikalischen Leben in der Stadt fasziniert war. Als er sein Manuskript abschloß, setzte er dem Verleger Girolamo Scotto (ca. 1505─1572) zu, es zu veröffentlichen. Das erforderte erhebliche Investitionen, denn der Notendruck war damals äußerst aufwendig. Da der zögerte, ging Doni 1545 wieder nach Florenz zurück. Dort stellte ihn die Accademia Fiorentina als Sekretär ein; daraufhin glaubte er, selbst als Verleger und Drucker auftreten zu können. Er lieh sich sogar das Inventar einer Druckerei. Aber an den technischen und finanziellen Problemen einer solchen Aufgabe mußte er mangels fachlicher Kenntnisse scheitern. So existiert zwar ein gedrucktes Frontispiz einer von ihm zusammengestellten Madrigal-Sammlung, aber der Buchinhalt blieb ungedruckt als Manuskript erhalten. Enttäuscht reiste Doni wieder nach Venedig zurück und verfaßte nach dem Vorbild von Pietro Aretino (1492─1556) Schmähschriften, um von den Betroffenen Geld abkassieren zu können. Als Dichter und Sänger zog er weiter über Ancona, Pesaro und Ferrara schließlich nach Monselice, wo er 1574 starb.
Da Andrea del Sarto 1533 an der Pest starb, kommt also als Entstehungszeit des Bildes nicht die Rückkehr von Doni nach Florenz infrage, sondern entweder seine Jugendzeit vor seinem Eintritt ins Kloster, oder unmittelbar vor seiner großen Wanderung. Leider liegt über diese Phase kein biographisches Material vor. Dafür ist ein Vergleichsbild aufschlußreich. Es ist in der De Agostini Picture Library verfügbar, aber nicht kopierbar. Es zeigt den gealterten Doni, der einen kräftigen, gelockten Vollbart trägt, ganz ähnlich dem Erscheinungsbild von seinem del Sarto-Portrait. Außerdem existiert ein Stich von Enea Vico (1523-1567), der Doni ebenfalls bärtig, aber insgesamt indifferent zeigt, jedoch mit einer kräftigen Nase, wie sie auch del Sarto präsentiert.
Daß das Standardwerk der Musikgeschichte, The New Grove. Dictionnary of Music and Musicians, Doni eine ganze Spalte widmet, liegt daran, daß zwar das publizierte Material von der musikalischen Sache her wenig ergiebig ist, dafür aber die Aufzählung der damals erschienenen Musiknoten-Sammlungen, soweit sie Doni bekannt waren, wichtige Einblicke in die damalige Musikszene liefert. Durch Doni verfügt man jedenfalls über die Titel etlicher Editionen, von denen viele im Laufe der Jahrhunderte leider verloren gegangen sind. Sie finden sich hauptsächlich in seiner bibliographischen Auflistung La Libraria von 1550/51 und geben somit ein Bild von den musikalischen Aktivitäten der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts: »Doni gave a list of all printed collections of music he knew; as one of the few such lists surviving from the period, it is a valuable source of information about the editions and works now lost« (James Haar).
© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2016
Literatur
James Haar. In: Dictionary of Music and Musicians. Vol. VII. Oxford 2001
European Paintings in the Metropolitan Museum of Art. Hg. Katherine Baetjer. New York 1995
wikipedia.org/wikipedia/commons/Anton_Francesco_Doni_by_Aenea_Vico.jpg (19.2.2016)
Bildnachweise
wikiart.org/en/andrea-del-sarto/portrait-of-a-man (19.2.2016)
upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/20/Anton_Francesco_Doni_by_Enea_Vico.jpg (19.2.2016)