Erstveröffentlichung

Unbekannter Künstler:

Johannes Cochläus

71.27-Johannes-Cochläus240Das Münzkabinett, Berlin, verfügt über die Bildnismedaille (Ø 47 mm) eines Unbekannten Humanisten, die neben einem Kopf im Profil noch über zwei Initialen verfügt: I und C. Aus der Kopfbedeckung, einem von Gelehrten damals gern benutzten Barett mit Seitenklappen, schloß man, daß es sich bei der Person um einen Humanisten handeln würde; nur konnte man mit den vorgegebenen Initialen nichts anfangen. Tatsächlich lassen sich unter zur Hilfenahme von einschlägigen biographischen Nachschlagewerken rd. zwanzig Personen der Zeit aus dem Wissenschaftsbetrieb ermitteln, auf die diese Buchstabenkombination zutrifft. Aber zu entscheiden, welcher von den Kandidaten der zutreffende sein könnte, erwies sich als problematisch; und so blieb es beim Status quo d.h. es wurde für den Künstler der Hilfsname Meister des I-C erfunden. Die Entstehung der Medaille wurde auf um 1530 geschätzt.

Der Begriff Humanisten wurde in vielen Bedeutungen eingesetzt. Daher ist es zur Abklärung erforderlich zu beschreiben, wie er hier gemeint ist. In der Zeit um 1500 galt er vor allem für Wissenschaftler, die wie Erasmus von Rotterdam auf die Erneuerung der Philologie und der Theologie hin arbeiteten. Daher wurde vor allem das Umfeld dieses exemplarischen Humanisten abgesucht. Erasmus‘ Netzwerk allerdings erstreckte sich über ganz Europa. Da jedoch die Mode der Bildnismedaillen ─ in der Regel: Freundschaftsbezeugungen unter Prominenten ─ sich aus dem Gedanken der Wiederbelebung der Antike entwickelt hatte, breitete sie sich vor allem in Italien und Deutschland aus. Diese Geste leisteten sich agile Persönlichkeiten bzw. solche, die es sich wirtschaftlich leisten konnten, auf diesem Wege für sich Öffentlichkeitsarbeit zu machen.

Allem Anschein nach ist der auf der Medaille Abgebildete ein Mann mittlerer Jahre d.h. wohl ausgangs des 15.Jahrhunderts geboren. Insofern schälte sich bei der Sichtung heraus, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit Johannes Cochläus (1479 ─ 1552) der Gesuchte ist. Vom Aussehen her bestätigte sich diese Annahme durch einen, allerdings nicht ganz zeitgenössischen Stich (von Theodor de Bry. 1598. Kupferstich 13,5 x 10,6 cm. Wolfenbüttel A 3834), auf dem er mit demselben Barett mit Ohrenklappen zu sehen ist. Dieser scheint etwas später als die Medaille entstanden zu sein. Cochläus wurde als Johann Dobeneck in Wendelstein/Franken geboren und erhielt eine sorgfältige Ausbildung als Humanist. Daß er sich brieflich mit Ulrich von Hutten und Erasmus von Rotterdam in Verbindung setzte, deutet darauf hin, daß er ebenfalls eine moderate Kirchenreform anstrebte. Er trat auch mit Martin Luther in Kontakt, da er ─ ähnlich wie Luther und Melanchthon ─ für eine Reform des Schulwesens eintrat. »Unter den auf humanistischer Grundlage erarbeiteten neuen Lehrbüchern für den Lateinunterricht war die Germania des Cochläus (Nürnberg 1512) das erste für den Geographieunterricht konzipierte Schullehrbuch über Deutschland überhaupt« (F.M.: Franz Machilek in: Martin Luther und die Reformation in Deutschland). Insgesamt hat Cochläus vier Lehrbücher verfaßt in seiner Eigenschaft als Rektor der Lateinschule bei St. Lorenz in Nürnberg.
71.27 NEBCochläus240Unbekannter Künstler: Johannes Cochläus.
Kupferstich

Die Übereinstimmung in der Sache zwischen beiden Persönlichkeiten bezog sich allerdings nur auf die Didaktik. »Cochläus, der Luther zunächst im ganzen positiv gegenüber gestanden hatte, vollzog … 1520 den Schritt auf die Seite von dessen Gegnern« (Machilek S. 110). Merkwürdigerweise war Luthers Schrift An den christlichen Adel… der Anlaß für ihn, eine Erwiderung zu schreiben. Mit seinen verbalen Attacken trug er erheblich zur Verschärfung der Auseinandersetzung über die Reformation bei. »Cochläus, einer der Wortführer der altkirchlichen Opposition gegen Luther, hat in dem 1529 zugleich lateinisch und deutsch herausgegebenen Schmähschrift Martinus Luther Siebenkopff (Leipzig 1529) den Reformator als vielköpfigen Irrlehrer mit zahlreichen Widersprüchen hingestellt … Cochläus nutzt Erinnerungen an klassische und biblische Monstren zur Diffamierung Luthers« (Konrad Hoffmann in: Martin Luther und die Reformation in Deutschland). Blickfang ist ein Holzschnitt von Hans Brosamer, einem der sog. Kleinmeister, welche als Buchillustratoren arbeiteten, aber auch für Flugblätter, die damalige neue mediale Verbreitungsmethode.

Die Antwort der Lutheraner erfolgte prompt mit dem Flugblatt Das siebenhäuptige Papsttier (ca.1530. Holzschnitt 54,8 x 25,4 cm. Kupferstichkabinett, Berlin Nr. 282-10), dessen ausführender Künstler nicht namentlich bekannt ist. Die Nürnberger Zensur verbot dieses Pamphlet umgehend.

Cochläus war in Rom gewesen und wurde anschließend 1519 als Priester in Frankfurt/Main ordiniert. Nach einer Debatte in Luthers Räumen verfestigte sich bei ihm die Auffassung, die Einheit der Kirche könne nur durch einen Gegenangriff bewahrt werden. So wurde er zur Leitfigur der katholischen Kontroversalisten. Die Auseinandersetzung wurde vor allem publizistisch ausgetragen. Dabei stellte sich bald heraus, daß er Schwierigkeiten mit Verlegern bekam, seine Manuskripte unterzubringen. 1523 fuhr er erneut nach Rom, um sich vom Papst Rückendeckung zu erbitten, die er aber von Hadrian VI. nicht bekam. Anschließend bereiste er verschiedene Großstädte in Deutschland, um eine Gegenwehr gegen Luther zu organisieren. In Köln schien ihm das zu gelingen.

1528 stellte ihn der kompromißlos altkirchlich gesinnte Herzog Georg von Sachsen als Sekretär ein, dem die Politik seiner kurfürstlichen Verwandten gefährlich erschien. Auf dem Reichstag in Augsburg 1530 war er der Kopf der Gegner Luthers. Als Heinrich VIII. von England entschlossen war, eine eigene Kirche zu gründen, bezog Cochläus ihn in seine Polemik ein. Über zweihundert Schriften von ihm sind noch bekannt. 1539 war er beim Tod von Herzog Georg gezwungen, erneut auf Wanderschaft zu gehen bzw. sich eine neue Existenzgrundlage zu verschaffen. Er bekam eine Kanonikerstelle in Breslau. Dem als Vergleichsbild infrage kommenden, posthumen Kupferstich A 3834 ist ein lateinisches Distichon angehängt, dessen Text möglicherweise der Leichenpredigt entstammt. Es lautet übersetzt: „Meister Ruhm gebührt Dir wie dem Höchsten, denn Du tummelst Dich den Höchsten gleich mit Feder und Geist“.

Überblickt man den Lebensablauf von Cochläus in Erwägung, wann er seine Bildnismedaille in Auftrag gegeben haben könnte (sein Alter ist dabei nur schwer abzuschätzen), besteht die größte Wahrscheinlichkeit dafür in seiner Zeit als Sekretär des Herzog Georg. Dieser war für seinen Reichtum bekannt, der vorwiegend auf dem Bergbau basierte. Die Metallgewinnung und -verarbeitung zog auch nach sich, daß viele Medaillen aus dieser Region Deutschlands stammen. Damit wäre die Medaille wahrscheinlich zum Reichstag 1530 verfügbar gewesen. Ein Alter von rd. 50 Jahren erscheint in dem Profil außerdem wahrscheinlich.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2024

Literatur
Brecher. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Band IV Berlin 1968
Ilse Guenther. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 1985
Konrad Hoffmann/Franz Machilek. In: Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Frankfurt/M. 1983 S. 110, 227, 234/35

Bildnachweise
Georg Habich: Die deutschen Schaumünzen des XVI. Jahrhunderts. I, 1. München 1972 Tafel XCI Nr. 5
Die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Reihe A 3834 München u.a. 1984