Ambrosius Holbein
Jakob/Giacomo di Erlach

32.01-Holbein-Erlach240Hans Holbeins d. J. älterer Bruder Ambrosius (*ca. 1494) ist wenig bekannt geworden, weil er schon 1519/20 in Basel starb. Sein gesichertes Oeuvre blieb daher klein. 1911 erschien in Straßburg eine Monographie über Ambrosius Holbein von Willy Hes, in dem auch das zur Debatte stehende Bildnis eines jungen Mannes von 1518 (gefirnißte Tempera auf Holz, 44 x 32,5 cm) abgebildet ist. Es befindet sich schon lange in der Eremitage in St. Peterburg (Nr. 685), denn es wurde von Katharina der Großen (1729─1796) angekauft.

Das Portrait weist zwar eine große Nähe zu Arbeiten von Hans Holbein d. J., z. B. dem Portrait der Dorothea Kannengießer von 1516 im Kunstmuseum Basel auf; aber die fast erdrückende, auf jeden Fall pompöse Architektur, welche den jungen Mann umgibt, ist nahezu einmalig. Doch obwohl im Gemälde ein cartiglio in der Art einer Schiefertafel links an der Säule angebracht ist, das sein Alter (ETATIS SVAE XX) und die Signierung AH als Ligatur sowie die Datierung des Gemäldes (1518) angibt, gelang es bisher nicht, die abgebildete Person zu identifizieren.

Wenn auch kein heute bekanntes Gebäude im Hintergrund dargestellt ist, so sind sich die Kunsthistoriker einig, daß auf eine italienische Stadt am Fuße eines Gebirges angespielt wird d.h. südlich der Alpen. Diese Vermutung erhält eine Verstärkung durch den kassettierten Bogen, der sich zur Hälfte über dem jungen Mann wölbt. Wenn es sich auch um ein Werk mit Schmuckformen der Renaissance handelt, so ist doch die Assoziation mit dem antiken Titusbogen auf dem forum romanum in Rom naheliegend. Das führte bei W. F. Lewinson-Lessing und seinen Mitarbeitern zu einer Bestärkung ihrer Vermutung, Hans und sein Bruder Ambrosius hätten im Jahr 1517 eine Italienreise unternommen. Eine Bestätigung durch Dokumente findet sich allerdings dafür nicht.

Die Anspielung auf die italienische Renaissance in dem Portrait läßt annehmen, daß es sich bei dem Porträtierten um einen Mann handelt, der sich zu der Zeit in Italien aufhielt. Im Basler Katalog heißt es: »Man möchte daher eher vermuten, es sei ein Angehöriger einer vornehmen Familie, die sich in dieser recht aufwändigen Aufmachung porträtieren ließ« (S. 119). Da sein Aussehen weniger einem Italiener, als einem jungen Mann nördlich der Alpen entspricht, könnte es sich bei dem Mann um einen Offizier eines der in Oberitalien wiederholt kämpfenden schweizerischen Heerhaufen handeln, der Ambrosius Holbein bekannt war. Daß die Annahme eines Offiziers zutreffend ist, bestätigt der Schwertknauf in der Rechten. Die Schweizer Einheiten bestanden zumeist aus Söldnern, die sich von den kriegführenden Parteien gegen gutes Geld anheuern ließen.

Ambrosius Holbein bietet nun einen Hinweis zur Identifizierung, nämlich die Schmuckform an dem schief sitzenden, dunklen Barett über dem rechten Auge des Mannes. Es sind sich überlagernde Buchstaben, die leider nicht eindeutig zu lesen sind. Hes ermittelte FG, während Lewinson u.a. FC oder GJE vorschlagen. Diese Unklarheit erschwerte ein Weiterkommen in der Frage der Identifizierung.

Um den toten Punkt zu überwinden, bietet sich ein Abgleich mit einer Namenliste an, die italienische Historiker unter dem Titel condottieri di ventura ins Internet gestellt haben. Chronologisch geordnet nach Schlachten sind hier die Hauptleute und Truppenführer verzeichnet, soweit die Namen aus alten Berichten rekonstruierbar waren. Dort kann man nachlesen, wer alles z.B. bei Bicocca 1518 beteiligt war. Doch bei diesen Namen läßt sich in den Anfangsbuchstaben keine Übereinstimmung mit den drei Initialen feststellen. Dagegen taucht bei der Schlacht von Pavia 1525 auf französischer Seite ein Giacomo di Erlach auf.

Die namhafte Schweizer Familie von Erlach läßt sich weit zurückverfolgen. Ihr Stammsitz befand sich auf einem Hügel am oberen Ende des Bieler Sees. Bei dem Gefecht von Dornbühl 1298 gegen die Freiburger wird auf Berner Seite Rudolf von Erlach als Feldherr erwähnt, dessen Nachruhm im Kanton so stark war, daß für ihn noch 1849 eine Statue in Laupen aufgestellt wurde. Zudem wohnte ein Zweig der Familie in Baselstadt. Lt. Hans Eppens gab es in der St. Johannvorstadt 15/17 den Erlacherhof und in der Utengasse 29 ein Erlacher’sches Haus. Insofern könnte der Kontakt zu Ambrosius Holbein auc h in Basel selbst zustande gekommen sein, zumal Ambroisus Holbein im Jahr der Entstehung des Porträts das Bürgerrecht in Basel erlangte. Ambroß Holbein, wie er sich auch nannte, erhielt Aufträge von dem Drucker/Verleger Johann Froben (ca. 1460─1527), darunter das Titelbild für die Utopia-Ausgabe von Thomas Morus (1477/78─1535).

Im 15. Jahrhundert orientierte sich die Familie Erlach nach Frankreich, »nachdem Bern 1474 im Zuge der Fehde mit Herzog Karl dem Kühnen von Burgund die Herrschaft Erlach besetzt und 1476 endgültig in Besitz genommen hatte« (Hans Ulrich von Erlach S. 74). Die Familie stellte verschiedentlich Schultheissen, von denen Johannes von Erlach (1474─1539) auch als Heerführer der Tagsatzung in die oberitalienischen Kämpfe zwischen Mailand und Frankreich verwickelt war. Ein Vetter, Ludwig von Erlach, kaufte, als condottiero vermögend geworden, für 23.800 Pfund die Herrschaft Spiez. Bezeichnenderweise wählte er sich eine französische Devise: EN LVI EST MON ESPOIR. Sie befindet sich auf einem Allianzwappen im Historischen Museum Basel und meint mit LVI Christus.

Um 1500 machte dieser Vetter, Ludwig von Erlach (*1470 Bern ─ 1522 bei Bicocca gefallen), von sich reden. »Durch die Habsucht mächtiger Verwandten in der Jugend seines ererbten Vermögens beraubt und verbittert, wurde er ein Söldner von Beruf, der jedem Herrn diente, der ihn bezahlte« (Blösch). »1507 zeichnete er sich aus bei der Belagerung von Genua [für die Franzosen]; 1513 kämpfte er - im Dienste des Herzogs Maximilian Sforza – in der Schlacht bei Novara mit und wurde zum Befehlshaber der Stadt ernannt« (Blösch). Hier und in der Folge war er auf Seiten der Franzosen, die in Oberitalien eingedrungen waren, wechselte dann aber zu den päpstlichen Truppen und wird für die große Niederlage der Schweizer Einheiten bei Marignano 1515 verantwortlich gemacht. »Er zog sich wiederholte Strafen für seinen verbotenen Kriegsdienst zu, erwarb jedoch auch hohe Ehren und großen Reichthum« (Blösch). Ludwig selbst kommt jedoch für den Bildauftrag nicht in Frage, sondern sein Neffe, der schon in jungen Jahren bei den schweizerischen Truppen war. Das sich aus der Datierung des Bildes und des genannten Alters von XX (20) sich ergebende Jahr 1498 könnte auf ihn zutreffen.

Über die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Eidgenossenschaft und mit den Nachbarn in Nord und Süd sind wir gut orientiert, weil der Rat der Stadt Bern 1505 einen gebürtigen Rottweiler, der in Krakau und Tübingen studiert hatte, als Rektor an die Lateinschule in Bern berief. Er hieß Valerius Anshelm [Ryd] (+ 1546/47), war Humanist und vor allem Stadtarzt. Der vielseitig gebildete Mann begann 1510 ein lateinisch abgefaßtes Kompendium der Weltgeschichte. Als der Rat auf seine historiographische Fähigkeit aufmerksam wurde, beauftragte er ihn, die städtische Chronik fortzuschreiben. Doch der mit der Reformation ausbrechende Streit zwischen den Konfessionen veranlaßte ihn, sich vorsichtshalber nach Rottweil zurückzuziehen. Als er mit der Einführung der Reformation 1526 nach Bern zurückkehrte, nahm er seine Funktion als Chronist wieder auf. Diese Arbeit ist eine einzigartige Quelle für die Nachwelt.

Durch sie wissen wir, daß der Schultheiss Johannes von Erlach einen condottiero als Sohn hatte, der zeitweilig bei seinem Onkel Ludwig engagiert war. Die Berner Chronik bestätigt auf S. 425, daß »im Romandiol« von einem »hoptmann junkher von Erlach« die Rede ist. Dieser trug den Vornamen Jakob. Leider ist über sein Leben nicht viel zu berichten, da es kurz war d.h. daß er nach Angabe von condottieri di ventura 1525 bei Pavia bereits den Tod fand. Damals war er erst 27 Jahre alt. Es heißt, daß er seine Ausbildung am Hof bzw. im Heer Karl V. erhalten hat und sowohl in Spanien als auch in den Niederlanden gedient hat. Das erscheint insofern sonderbar, als die Familie bekanntlich mit Frankreich sympathisierte und Jakob bei Pavia auch auf französischer Seite gefallen sein soll. »Schultheiss Hans von Erlach verlor seinen ältesten Sohn Jakob am 24.2.1525 bei Pavia und beinahe auch den zweiten, Hans Rudolf, der in derselben Schlacht verwundet in Gefangenschaft geriet« (Hans Ulrich von Erlach S. 114).

Offenbar hatte Jakob Erlach die hochfliegenden Pläne eines Glücksritters, wenn er mit 20 Jahren sich schon als Besatzer, Kommandant oder Erbauer einer so aufwendigen Architektur malen ließ. Es gibt um die Zeit kaum ein architektonisch vergleichbar reich ausgestattetes Portrait. Doch schien aber das vom Vater zu erwartende Erbteil ihm entsprechende Aufwendungen zu ermöglichen.

Wenn Erlach seinen Porträtisten diese Kulisse für sich malen ließ, sah er sich in seinen Träumen nicht mehr in seiner Schweizer Heimat zuhause, sondern residierte in einem üppigen oberitalienischen Palazzo. Sofern ihn nicht nur die Italiener Giacomo di Erlach nannten, war seine Assimilation in Italien weit fortgeschritten. Diese Pläne haben jedoch infolge seines frühen Todes nie Gestalt angenommen. »Der Verschleiß an Kriegsknechten auf den Schlachtfeldern in der Lombardei und in der Picardie forderte dauernd Nachschub« (Hans Ulrich von Erlach S. 97).

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2023

Literatur
Blösch (Hg.): Die Berner Chronik des Valerius Anshelm [Ryd]. Bd. I-III. Bern 1888
Hans Eppens (Hg.): Baukultur im alten Basel. Basel 1968
Hans Ulrich von Erlach: 800 Jahre Berner von Erlach. Bern 1989
Willy Hes: Ambrosius Holbein. Straßburg 1911
Die Malerfamilie Holbein in Basel. Basel 1960 S. 118 ff
(Kat.Nr. 84: Bildnis eines zwanzigjährigen Jünglings in reicher Renaissance-Architektur)
Meisterwerke aus der Eremitage. Malerei des 14. Bis 16. Jahrhunderts. Leningrad/Prag 1965

Bildnachweis
Die Malerfamilie Holbein in Basel. Basel 1960 S. 118