Andreas Haider
Wilhelm Putsch

30.01 Haider-Putsch240Seit der Eröffnung der Johanniterhalle in Schwäbisch Hall ist das Portrait eines vornehmen Unbekannten wieder zugänglich, das früher zur Fürstenbergischen Sammlung in Donaueschingen gehörte (Öl auf Lindenholz, 43 x 34 cm. Nr. 107), 2004 jedoch in den Besitz der Sammlung Reinhold Würth (Nr. 6558) überging.

Das Gemälde zeigt das
Bildnis eines Mann mit rotem Barett und Pelzkragen als Halbportrait. Aus dem Schnitt eines ähnlichen Baretts bei Hans Holbein d. J., dem Porträt des Basler Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen, schloß Kurt Löcher (in: Alte Meister in der Sammlung Würth), daß »man das Bildnis nicht nach 1516/17 datieren« kann, und führte aus: »Die verschiedenen Versuche, einen Künstlernamen für das Porträt zu finden, befriedigen nicht. Konrad schrieb es [Andreas] Haider zu, von dem man weiß, daß er auch Porträts malte« (Rezension von Kurt Löcher). Haider entstammt einer Familie von Bildschnitzern aus dem Bodenseeraum (Konstanz); seine Biographie liegt jedoch im Dunklen. Er kommt nicht einmal in Nachschlagewerken wie Thieme-Becker vor.

Über die dargestellte Person sind keine Angaben bekannt; es lassen sich nur Vermutungen anstellen. So könnte die rote Kappe eventuell ein Indiz für einen Juristen sein; die Frage ist jedoch: in wessen Diensten? Es läßt sich aber denken, daß auch der Auftraggeber des Portraits aus dieser Landschaft stammte, und somit schließen, er sei in den vorderösterreichischen Alpen zuhause gewesen. Dafür würde der Hintergrund sprechen. Das rechte Massiv trägt eine zweitürmige Burg mit einer Brücke zu einem Burgturm auf einem Felsen nebenan. Zu Füßen der Berge ist rechts ein befestigter Ort zu sehen, dessen einzige Kirche mit gedrungener Spitze hinter Mauern und Häusern aufragt. Doch die Angaben sind zu wenig charakteristisch, um eine Identifizierung zu ermöglichen. Diese ist bei Burgen aus der Renaissance ohnehin schwierig, weil viele durch die Zeitläufte (u.a. den Bauernkrieg) geschleift wurden. Daher kann lediglich der Schluß gezogen werden: Der Dargestellte hatte eine berufliche Bindung an eine Burg bzw. wollte sich im Portrait als Burgbesitzer ausweisen.

Die dargestellten steilen Felsen lassen sich nicht als Mittelgebirge einstufen; sie sind auf jeden Fall als alpin anzusehen. Da für die Wiedergabe der Bodenseeraum wohl nicht infrage kommt, da es dort keine schroffen Felsen gibt, ist in Erwägung zu ziehen, daß der Auftraggeber auf der Alpensüdseite (z.B. Tirol) über Grundbesitz verfügte, denn dort steigen an einigen Partien die Felsen ohne Vorgebirge auf. Doch aus dieser Annahme zu schließen, für das Werk einen oberitalienischen Maler als Autor in Betracht zu ziehen, ist nicht plausibel. Dazu ist die Typähnlichkeit zu den frühen Wiener Humanistenporträts von Lucas Cranach d. Ä. zu stark. Einen Hinweis auf die Identität können daher, wenn überhaupt, nur die wenigen verbleibenden Details des Gemäldes erbringen.

Der Pelzkragen des edlen Rockes ist, wie zur Winterszeit, hochgeschlossen, d.h. er läßt nur wenig von der Bekleidung darunter erkennen. Immerhin fehlen unter dem Kinn ein oder mehrere Glieder einer goldenen Kette. Diese würden den Porträtierten sonst als Ritter ausweisen.

Der Abgebildete fügt seine Hände, wie fröstelnd, zusammen und läßt dabei gezielt auf dem linken Zeigefinger (laut Löcher) einen Siegelring (?) erkennen sowie einen vierfach eingekerbten goldenen Reif darüber. In dem minimalen Feld für den Stein im Ring stehen haarfein drei Buchstaben: PUT, darunter ein hochspringendes Tier (Löcher vermutet einen Geißbock), vielleicht also ein Gamsbock oder Steinbock, naheliegend für einen im Alpengebiet Beheimateten.

Dieser Sachverhalt ist hintergründig. Wäre der Ring eines von vielen Details des Porträtierten, wären die Buchstaben, der Petschaft entsprechend, seitenverkehrt und evtl. nur in Andeutung erkennbar. Hier aber sind sie ─ abweichend von der Realität ─ in Klarschrift für den Betrachter zu lesen. Das bedeutet: Sie sind vom Auftraggeber als dezenter und für Kenner eindeutiger Hinweis auf den Dargestellten gedacht. Damals genügten in Österreich dafür noch drei Buchstaben.

Bleibt man bei der Datierung und nimmt man an, daß das rote Barett als ein Hinweis auf einen Juristen oder Verwaltungsbeamten zu verstehen sind, liegt es nahe, entsprechende Register um 1500 nach einem Namen mit den drei vorfindlichen, wenig gängigen Anfangsbuchstaben daraufhin durchzusehen. Doch in der Darstellung der juristischen Fakultät der Universität Wien (Klaus Wolf: Hof ─ Universität ─ Laien. Wiesbaden 2006) taucht keine Person eines Namens mit den drei Anfangsbuchstaben auf. Fündig wird man dagegen in der mehrbändigen, umfangreichen Biographie Kaiser Maximilians I. von Hermann Wiesflecker: »Wilhelm Putsch hat sich durch Neuordnung der [kaiserlichen] Archive in Innsbruck und Wien ein Denkmal gesetzt« (Bd. V, S. 292). »In Innsbruck als der heimlichen Hauptstadt, wurden auch das Archiv und die Registratur des Reiches und der österreichischen Länder eingerichtet. Der Kaiser befahl im Hinblick auf das riesenhafte Anwachsen der Papiermassen eine neue Ordnung der Archive, die der Registrator Wilhelm Putsch in zwanzigjähriger, mühsamer Arbeit durchführte« (S. 308). »Damals [1499] wohl begann Putsch mit seiner umfassenden Neuordnung des Archivs für die österreichischen Erbländer und das Reich« (Wiesflecker Bf. III).

Maximilian starb 1518; das Gemälde wurde bisher auf 1516/17 datiert. Obwohl sonst eine Datierung im Bild um diese Zeit vielfach vorkam, fehlt in diesem Portrait ein Zeitvermerk, der gegen diese Person sprechen würde. Wilhelm Putsch käme daher als Auftraggeber des Portraits infrage. Die wenig charakteristische Mimik des Porträtierten läßt immerhin erkennen, daß er über Ausdauer und Entschlossenheit verfügte, wie sie für diese Aufgabe vorrangig wichtig war und ihn daher über die vielen anderen Sekretäre des Kaisers stellte. Einen Kämpfer auf dem Schlachtfeld kann man sich bei dieser Person jedenfalls nicht vorstellen.

Nun sind drei Buchstaben noch keine Sicherheit bei der Identifizierung, obwohl die zeitlichen und geographischen Parameter stimmen. Das von Andreas Haider wiedergegebene Gebirge ähnelt etwas der Nordkette bei Innsbruck, wo Putsch hauptsächlich tätig war. Wiesflecker schildert Putsch als einen für den Kaiser und die Hofhaltung wichtige Person: Seine Beraterkollegen »pflegten [beim Kaiser] einen Blitzableiter vorzuschicken… etwa den witzigen Putsch, der den Kaiser zu nehmen verstand. Wer die Wahrheit mit einem Witz zu würzen wußte, hatte im allgemeinen keinen ungnädigen Kaiser zu gewärtigen« (S. 206). Dennoch kommt sein Name in österreichischen, biographischen Nachschlagewerken merkwürdigerweise nicht vor. Auch die Enzyklopädie von 1732 ff, die Johann Heinrich Zedler in Halle/Leipzig verlegte, erinnert sich schon nicht mehr an Putsch. Seine immense Arbeitsleistung geschah also im Stillen und wurde daher nur von den Auftraggebern und Nutzern geschätzt.

Zu diesen gehörte nach dem Tod Maximilians I. 1518 Erzherzog Ferdinand, der spätere Kaiser (Nachfolger Karls V.). »Wenn Erzherzog Ferdinand 1524 den Innsbrucker Sekretär u. Registrator »in etlichen gehaymsachen und sonderlich zu besichtigung etlicher brief, so hie im schatzthurm ligen« nach Wien kommen läßt, so kann man daraus erschließen, daß P. sich wie kaum ein zweiter in das Lesen und Verstehen alter Schriften eingearbeitet hatte« (Franz Huter S. 63).

Für die nachfolgenden Historiker war diese Tätigkeit nicht nur eine intelligente Lösung, sondern vor allem von unschätzbar hohem Wert für die Akteneinsicht, denn der »5bändige Innsbrucker Putsch (samt Indexband) und dem 4bändigen Wiener Putsch (ebenfalls mit Registerband) sowie das Görzer Repetitorium« (Huter S. 65) bildeten fortan den einzigen Zugang zum vordem unübersichtlich gelagerten Aktenberg der kaiserlichen Verwaltung. Putsch arbeitete so konsequent und so intelligent, daß seine Arbeitsweise vorbildlich für andere Höfe wurde. »O. Stolz u. insbes. O. H. Stowasser [haben] ausführlich berichtet u. außer dem Umfang der Leistung auch der Ausdauer des Bearbeiters u. der epochemachenden Anlage u. Ausführung dieser geradezu modern anmutenden Repetitorien Anerkennung gezollt« (Huter S.65). »Es blieb dem fast legendären ´ersten´ österreichischen Archivar Wilhelm Putsch vorbehalten, die Feinarbeit der Separierung, Inventarisierung und Registrierung durchzuführen« (Gerhard Rill II S. 265).

Um Putschs Leben zu überblicken, ist es angebracht, die wichtigsten Etappen zu erwähnen. Putsch war nach Jahren im Rang eines kaiserlichen Sekretärs seit Sommer 1511 auf die Registratur der kaiserlichen Akten angesetzt. Von 1513 existiert ein Vermerk, wonach er inzwischen als Registrator bezeichnet wurde. »Für die in Innsbruck zusammengezogenen Archivalien taucht nun – noch unter Maximilian I. – die Benennung ´Kaiserisch Registratur´ auf« (Huter S. 66). Bei den Kollegen Sekretären in der Verwaltung erweckte selbstverständlich die stufenweise Aufbesserung und Bevorzugung von Putsch Neid. Aber Putsch »verwies darauf, daß er 2 Ämter versorgen müsse u. auch Latein und Italienisch (welsch sprach) beherrsche« (Huter S. 63).

Jahrelang pendelte Putsch zwischen Wien und Innsbruck hin und her, zumal er den Austausch von Archivalien zugunsten der Übersichtlichkeit selbst durchführte. »Möglicherweise geht sogar auf ihn der Gedanke der Zusammenlegung der landesfürstlichen Archive zu Wien, Wiener Neustadt und [Nieder]Wallsee zu einem einheitlichen Corpus im Schatzarchiv u. des Austausches von Archivalien zwischen Wien und Innsbruck nach den Bedürfnissen der Verwaltung zurück« (Huter S. 64). Durch die zusätzliche Eingliederung des Archivs in Görz kam Putsch erst 1546/47 zum Abschluß seines so gewissenhaft durchgeführten Registrierungsauftrags. Unter dem Datum vom 26.10.1527 existiert noch ein Brief der oberösterreichischen Kammer an König Ferdinand, »daß die Kanzlei in Innsbruck gegenwärtig so viel zu tun habe, daß sie Putsch nicht entbehren könne« (Ankwicz S. 256).

30.01-Haider---W.Putsch 240Eduard Widmoser:
Rekonstruktion der Burg Gernstein/Tirol
Neben einem schrittweise angehobenen Salärs wurde seine Arbeit durch König Ferdinand auch mit Immobilien gewürdigt. »1535 erhielt P. die 1529 von den Türken zerstörte Feste Sacking an der Wien zum Lehen« (Huter S.65). Putsch besaß in der Hofgasse zu Innsbruck ein 1533 erbautes Haus, bekam seit 1538 Erträge aus Gütern in Feldkirch und aus Bozen seit 1528. 1521 wurde er »mit dem Lehen der Raphael de Montanis im Bezirk Görz belehnt« (Huter S. 65). Es wäre denkbar, daß der Hintergrund des Gemäldes darauf Bezug nimmt (mit der Folge einer entsprechend späteren Datierung).


Die verhaltene, aber durchaus selbstbewußte Mimik würde dem Porträtierten entsprechen. Er hat aber trotz seiner extensiven Arbeit mit Akten ein Familienleben geführt. Löcher schließt aus der Haltung des Porträtierten, daß die Bildtafel (sie ist im Format 43 x 34 cm auf Lindenholz gemalt) einst ein Pendant seiner Frau Dorothea Muller entsprochen hat, das möglicherweise als namenloses Porträt noch irgendwo lagert.

Daß wir über Putsch und sein familiäres Umfeld überhaupt etwas wissen, verdanken wir seinem Sohn Christof Wilhelm Putsch (1512 ─ 1572). Er war als Historiograph tätig (Jos. Egger). Dieser hatte einen (möglicherweise unehelichen) jüngeren Bruder Johann (1516 ─ 1542), der als Dichter hervortrat und kaiserlicher Rat gewesen sein soll. Doch mit den beiden Brüdern starb die Familie Putsch aus. Unter den Vorfahren von Wilhelm Putsch ist ein Bischof Ulrich in Brixen (von 1427 ─ 1437) und ein Abt Heinrich in Wilten (von 1413 ─ 1428) zu nennen.

Daß Wilhelm Putsch der gehobenen bürgerlichen Schicht in Wien angehörte, läßt sich aus seiner Verwandtschaft ablesen: Der namhafte Wiener Gelehrte der Zeit, Johannes Cuspinianus (1473 Schweinfurt ─ 1529 Wien), war über seine erste Frau Anna mit Putsch verwandt (sie war seine Kusine). Cuspinian ließ sich in frühen Jahren von Lucas Cranach d. Ä. porträtieren (1503). Putsch wird dieses Portrait gekannt haben, denn die Bildauffassung beider Portraits ist ähnlich. So ist es durchaus möglich, daß sich Haider an dieser Vorlage zu orientieren hatte.

Cuspinian hat ihm ein literarisches Denkmal gesetzt (u.a. in seiner Biographie Philipp des Schönen bzw. Austria p. 649) und zwar in Humanisten-Latein: »tamen hoc anno MDXXVII affinis meus Guilhemus Putschius, regis Ferdinandi à secretis, antiquitatis zelator studiosus, ex archivis principium Austriae vetera diplomata recognoscens, quorum mihi copiam fecit, reperit…« Cuspinian bezieht sich dabei auf Urkunden Ludwigs von Bayern, die Putsch in den Aktenbergen entdeckte, welche für die biographische Arbeit von Cuspinian wichtig waren« (Ankwicz-Kleehoven S. 256).

Wilhelms Onkel Ulrich Putsch hatte die Funktion des Kammerdieners und Leibbarbiers bei Maximilian I. inne. Er hinterließ seinem Neffen Schloß Gernstein (auch Garnstein) bei Klausen (heute Chiusa) in Südtirol. Dieser Sachverhalt wird von der Beschreibung von Schloß Garstein (in: Baudenkmäler in Südtirol. Bozen 1991 S. 170) bestätigt: »Burganlage aus dem ausgehenden 12.Jahrhundert, seit dem 16.Jahrhundert verfallen, um 1800 in historisierender Form wieder aufgebaut. Zwei Türme, Palas mit Doppelbogenfenstern, Balkone mit Kragsteinen, Zinnenmauer«. Aus Zeit- oder Geldmangel hat leider Putsch den Verfall begünstigt. Die Erwähnung der zwei Türme ist aber ein wichtiges Indiz (s.o.).

Es liegt daher nahe anzunehmen, daß seinem Erbonkel die Einführung des Neffen am kaiserlichen Hof um 1500 zu verdanken ist. 1504 wird Wilhelm Putsch erstmalig als Kanzleischreiber erwähnt. Die Vertraulichkeit Maximilians zu Ulrich Putsch übertrug sich auf seinen Neffen: »Öfter schalt er [Maximilian] sich einen Narren, was ihm sein Registrator Wilhelm Putsch, der sich etwas erlauben durfte, einmal bestätigte; der Kaiser gab ihm lachend recht« (Wiesflecker V, S. 357).

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2023

Literatur
Alte Meister in der Sammlung Würth des ehemaligen fürstlich Fürstenbergischen Bilderschatz. Schwäbisch Hall 2004, S. 67. (# 6558 Bildnis eines Mannes mit rotem Barett)
Hans Ankwicz-Kleehoven: Der Wiener Humanist Johannes Cuspinian. Graz/Köln 1959
Jos. Egger: Die älteren Geschichtsschreiber Tirols. Im: Programm der Innsbrucker Realschule 1867
Franz Huter: Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte Tirols. Innsbruck 1977, S.61 ff.
Kurt Löcher in: Kunstchronik, Heft 7/Juli 1991 S. 384ff
Gerhard Rill: Fürst und Hof in Österreich. Wien/Köln/Weimar 2003
Hermann Wiesflecker: Maximilian I. München1977 Bd. III S. 236

Bildnachweise
Alte Meister in der Sammlung Würth des ehemaligen fürstlich Fürstenbergischen Bilderschatz. Schwäbisch Hall 2004, S. 67