Erstveröffentlichung

Anthonis van Dyck

Pierre Peckius

104.01-A-van-Dyck-Peckius-240Die »frühreife Selbständigkeit« (Thieme-Becker) des Anthonis van Dyck (1599─1641) erweist sich an dem 1618 entstandenen Portrait of a Man (Öl auf Holz 105,8 x 73,5 cm. Schloß Liechtenstein, Vaduz Nr. GE 70). Zwei Jahre vorher war van Dyck in die Werkstatt von Peter Paul Rubens (1577 ─ 1640) eingetreten. Die Äußerung von Robert Darmstaedter, »im Bildnis ein scharfer Beobachter und dabei von vornehmster Haltung«, gilt auch für das vorliegende Portraitpaar (s. Beitrag A. van Dyck, Mme Boonen). Ein robuster, selbstbewußter Würdenträger tritt hier barhäuptig auf; er trägt eine gesteifte Halskrause, welche ihm zusätzliche Würde verschafft. Unter dem schwarzen Koller trägt er ein Gewand aus blauer Atlasseide. Zum höheren Adel scheint er nicht zu gehören; aber offenbar handelt es sich um einen hochrangigen Vertreter der Habsburger Niederlande. Als Zeichen seiner Bedeutung hält er ein Schriftstück in der Rechten. Demnach hatte er die Kompetenz, Verträge abzuschließen. Da weitere berufsspezifische Details fehlen, gelang es bisher nicht, die Person zu identifizieren, obwohl sein Bildnis und das seiner Frau jeweils oben links 1618 datiert sind; bei dem Mann wurde rechts mit AET 57 auch das Alter angegeben. Insofern kommt nur eine Person des Jahrgangs 1561/62 infrage.

Da die Hafenstadt Antwerpen damals die wichtigste Stadt der südlichen Niederlande war, scheidet ein calvinistischer Minister wie Philippe van Lansberge (1561─1632) aus. In der engeren Wahl verblieben der Jurist und Politiker Rombout Hogerbeets (1561─1625), der als Remonstranten-Anhänger ebenfalls nicht infrage kommt, und Pierre Peckius (Pecquius). Dieser einflußreiche Mann wurde 1562 als Sohn eines angesehenen jurisconsulte in Leuven geboren und war mit Peter Paul Rubens verwandt. Peckius trat in die Fußstapfen seines Vaters und habilitierte sich bald. Promoviert hatte er über ein strafrechtliches Thema. Die Kontakte des Vaters ermöglichten ihm eine Position beim Obersten Rat in Mecheln. Der spanische Statthalter in den Niederlanden, Erzherzog Albrecht, wurde durch seine Analysen auf ihn aufmerksam und setzte ihn bald für diffizile Missionen ein. Dabei wurde er vom Präsidenten des conseil privé, Jean Richardot, protegiert, der ein Freund seines Vaters war. Dieser setzte Peckius als Botschafter in Paris ein. Frankreich wurde damals von König Henri Quatre regiert. Da dieser zwar konvertiert, aber im Herzen Protestant geblieben war, handelte es sich um eine heikle Mission, denn Henri Quatre sympathisierte mit den holländischen Dissidenten und war gegen Spanien und dessen ´Besatzung´ der Niederlande orientiert.

Peckius vertrat einen vergleichsweise kleinen Staat. Aber die Lage komplizierte sich, als die französisch-oppositionelle Prinzessin Condé Zuflucht in Belgien suchte. In dieser Situation mußte Peckius viel Fingerspitzengefühl entwickeln; das gelang ihm durch seine sprichwörtliche ´flämische Artigkeit´, mit der er auftrat. Seine intensive Korrespondenz mit den Statthaltern Albert (1559─1621) und Isabella (s. Beitrag Unbek. Künstler, Isabella von Österreich) ist größtenteils erhalten 104.01 NEB  Filips Galle -Pierre Peckius. KupferstFilips Galle: Pierre Peckius. Kupferstichund eine Fundgrube zu den Hintergründen. Sie macht die unter den Konfessionsspannungen leidende Politik nachvollziehbar.

Als überraschend Erzherzog Albert 1621 starb, entwickelte Peckius einen kühnen Plan, der vorsah, daß eine französische Prinzessin einen niederländischen Infanten heiraten sollte und auf diese Weise ─ sozusagen nach französischem Vorbild ─ einen konfessionellen Ausgleich bewirken sollte. Da dazu aber der Vatikan eingeschaltet wurde, scheiterte die Verwirklichung, denn dieser lehnte Kompromisse rundweg ab. Dabei wirkte auch Kardinal Barberini (ab 1623 Papst Urban VIII. s. Beitrag Unbek. Künstler, F.Barberini) mit, weil er Nuntius in Paris gewesen war und von daher die Verhältnisse genau kannte. Insgesamt dauerte der Aufenthalt von Peckius in Paris 12 Jahre, in welchen die zwischenstaatlichen Spannungen nicht abrissen.

Einiges von der Korrespondenz von Peckius wurde schon zu seinen Lebzeiten gedruckt und zwar 1608 in Antwerpen mit dem aufschlußreichen Titel Petri Pecki pro studiishumanitatisvotum. Aber die Ermordung Henri Quatres 1610 beendet die Mission von Peckius. 1614 wurde er zum beigeordneten Kanzler von Brabant ernannt, weil das Amt des Ministerpräsidenten 1609-14 vakant geblieben war. Das lag daran, daß Erzbischof Bentivoglio in den katholischen Niederlanden den Ton aus dem Hintergrund angab. 1618 rückte Peckius dann zum Kanzler von Brabant auf, und dieser Zeitpunkt war der Anlaß für ihn, sich porträtieren zu lassen. Vielleicht wurde sein Portrait auch offiziell gewünscht. Erstaunlich daran ist jedoch, daß sich der schon 57jährige Peckius von einem noch nicht 20jährigen Jüngling malen ließ. Denkbar ist, daß der mit Aufträgen überhäufte Rubens dem Auftraggeber seinen Mitarbeiter van Dyck nahegelegt hatte, zumal er diesen überaus schätzte.

Das neue Amt brachte Peckius neue Schwierigkeiten, zumal der seit 1580 andauernde Krieg der beiden Landesteile nicht nur ein Kostenproblem war, sondern auch zur Abwanderung vieler nach Norden bzw. bis nach Köln führte. Außerdem wirkten sich gegen Ende seines Lebens die europäischen Probleme bis in sein Land aus, insbesondere die Revolten in Böhmen gegen die österreichische Herrschaft. Deswegen wurde unter Führung Maximilians von Bayern (1573─1651) eine neue Liga zur Rückeroberung gebildet, die sich gegen die Pfalz richtete. Damals wurde von ihm Heidelberg erobert. Die berühmte Bibliothek Palatina von Kurfürst Ottheinrich gelangte so über Maximilian in den Vatikan.

Insgesamt gelang Peckius »eine brillante Karriere« (V. Brants). Er kam aus dem Ritterstand, nannte sich später aber Herr von Bouchaut, Borsbeke, Hove u.a. Wann er seine Frau, Barbe-Marie Boonen (s. Beitrag A. van Dyck, B.-M. Boonen), heiratete, ist nicht überliefert. Das vorliegende Bilderpaar ist jedenfalls nicht als Hochzeitsbild anzusehen. 1618 hatten beide schon mehrere erwachsene Kinder.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2023

Literatur
V. Brants. In: Biographie Nationale de Belgique. Vol. VI. Bruxelles 1901

Bildnachweis
liechtensteincollections.at/en/pages/artbase_main.asp?module=browse&action=m_work&lang=en&sid=87294&oid=W-1472004121953420112 (14.7.2017) http://portraits.hab.de/werk/24784/ (2.5.2023)