Dirck Jakobsz
Justus Velsius

35.01-Jakobz---Velsius-240Ein in mehrfacher Hinsicht verschwiegenes Portrait ist Dirck Jakobz.s (1496─1567) Mansportret mit Zandlooper (Öl auf Lw. 64,5 x 50 cm. 1548). Es wurde bisher nur selten abgebildet, da es sich früher in einer Stockholmer Privatsammlung befand; wo es heutzutage hängt, ist nicht bekannt.

Um wen es sich bei diesem Portrait handelt, wurde nicht überliefert. Doch da es sich nicht um ein alltägliches Portrait handelt, reizt die Ermittlung. Ein Mann mit stattlichem Vollbart, flachem Gelehrtenbarett, aber bescheidener (vielleicht sogar defekter) Kleidung hat seinen energischen Blick auf den Betrachter gerichtet. Er will offenbar eine Mitteilung machen. Diese findet sich auf dem diagonal angeschnittenen Tischchen vor ihm in Form eines cartiglio, eines Schildchens. Darauf steht mit zum Betrachter hin orientierter Schrift in Versalien:

Alst glas is verlopen,            Übersetzung: Da das Glas durchgelaufen ist,

So mach ment om keren.                            So könnte man es umkehren.

Niemant mach tijt copen,                            Niemand kann Zeit kaufen,

In tijts wilt sterven leren.                            Zur Zeit sollte man sterben lernen.

Unten wird das Blatt vom Rahmen angeschnitten, doch ist die Datierung A DNI 1548 deutlich zu erkennen. Rechts in der Ecke neben dem Blatt hat der Künstler eine stabil gebaute Sanduhr postiert, auf die sich der Text bezieht. Sie wird von dem Dargestellten mit der Linken gehalten, während seine Rechte mit starkem Gestus auf die Sanduhr weist und damit den mahnenden Text noch unterstreicht.

Den Mann hat der Künstler in einen offenen Raum gesetzt, eine Art Loggia, von der man hinter und etwas über den breiten Schultern die nach außen abgrenzende Mauer sehen kann. Auf dieser ist zweigeteilt das Lebensjahr des Mannes wiedergegeben: links AETATIS und rechts SVAE 38. Daraus ergibt sich eindeutig das Geburtsjahr des Mannes mit 1510.

Trotz dieser klaren Daten gestaltete sich die Suche nach der Person schwierig; im Ausleseverfahren mit einem Glasmaler und einem Rüstungsfabrikanten blieb Justus Velsius übrig, dessen unstetes Leben nur buchstückhaft bekannt ist. Seine Geburt erfolgte ca. 1510 in s’Gravenhage, dem Regierungssitz der Grafschaft Holland. Er studierte Medizin und ging zur Weiterbildung nach Bologna. Offenbar belegte er dort Mathematik und Philosophie. Für ein solches Auslandsstudium muß er materiellen Rückhalt von Haus aus gehabt haben. 1538 promovierte er in Bologna und ließ sich 1540 als praktischer Arzt in Antwerpen nieder. Aber im Folgejahr wechselte er bereits in die Universitätsstadt Leuven, wohl weil er den Anschluß an die akademische Gesellschaft suchte.

Offenbar war Velsius (auch Velsen bzw. Welsens) ein Mann, der sich eine religiöse Sendung zutraute. 1545 wird er als Kanoniker an St. Thomas in Straßburg genannt. Dort nahm er Kontakt mit Martin Bucer (1491─1551) auf, dem Reformator der Stadt. Obwohl beide reformorientiert waren, gingen die Ansichten der beiden Männer bald auseinander. Velsius nahm das von Kaiser Karl V. verordnete Interim an, während es Bucer und die Reformierten rundweg ablehnten. So mußte er Straßburg verlassen.

In dieser Zeit hat Velsius wohl seinen inneren Kompaß geändert, denn der ehemalige Kanoniker heiratete 1548 Beatrix van Steenhoven. Es ist das Jahr des Portraits. Somit bekommt dies den Charakter eines Brautwerbebilds, auch wenn die obligate Nelke fehlt. Doch die Botschaft auf dem cartiglio macht sein Portrait zu diesem Zeitpunkt zu einer Ausnahme. Denkbar wäre jedoch, daß seine Braut aus anabaptistischen Kreisen stammte.

Velsius gelang es, 1550 einen Lehrstuhl für Philosophie und Griechisch an der Universität Köln zu bekommen. Man war an ihm wegen seiner Herkunft interessiert, weil er die Universität Leuven kannte, und man wollte nach deren Vorbild in Köln ein Collegium trilingue aufbauen. Doch bald kam er in Verdacht, ein Häretiker zu sein; die Universität Köln war nämlich eine Bastion der Altgläubigen, die der spätere Kardinal Johann Gropper (1503─1559) anführte.

Man warf Velsius, dem Suchenden, vor, an Anabaptisten-Treffen in der Buchbinderhalle in Köln teilgenommen zu haben. Diese hatten besonders in Handwerkerkreisen der Stadt Anhänger gefunden. Gropper sorgte nun dafür, daß Velsius im März 1555 aus dem Lehrkörper ausgeschlossen wurde. Der Rat der Stadt beugte sich dem Druck des Episkopats wie meist. Velsius wurde außerdem vorgeworfen, in Köln den Sieg des reinen Evangeliums verlautbart zu haben. Zweifellos hatte sich Velsius nicht dem Lavieren der Kollegen in Köln angeschlossen und für die Reformation Farbe bekannt. Aber die Gegenreformation nahm vor allem nicht linien- d.h. papsttreue Bücher aufs Korn. Die 1554 in Köln mit einem griechischen Titel erschienene (also nicht massenwirksame) Schrift Κρισις/Krisis (Verae Christianaeque Philosophiae) von Velsius wurde auf den Index prohibitorum librorum gesetzt. Zwar unternahm Velsius von Basel aus den Versuch, bei dem als toleranter geltenden Kaiserbruder Ferdinand I. (1503─1564) durch einen gedruckten Brief Schützenhilfe zu erlangen, aber vergeblich. Er reiste widerstrebend nach Frankfurt/Main ab, wo er 1556 mit Johannes Calvin (1509─1564) öffentlich disputierte, aber es kam zu keiner Übereinstimmung der beiden. Velsius sah die Prädestination Calvins als nicht mit dem freien Willen eines Christenmenschen vereinbar an. Nur der später von Stefan Zweig rehabilitierte Sebastian Castellio (1515─1563) scheint ihm gedanklich nahegestanden zu haben.

Danach wird der Lebenslauf von Velsius unübersichtlich. Wohin seine Frau und er sich wandten, wie er seinen Lebensunterhalt verdiente und wann er starb (vermutlich nach 1581), blieb unerforscht. Bekannt sind jeweils kurze Aufenthalte in Heidelberg, Zürich, Basel und Marburg, wo er zeitweilig als Ausbilder für Mediziner arbeitete. 1563 versuchte er, in England Fuß zu fassen, was ihm mißlang. 1566 wurde er in Groningen inhaftiert, weil seine Ansichten dort nicht toleriert wurden. Da er in seiner Heimatprovinz sich keine Verdienste erworben hatte, fand seine Person auch keine Erwähnung im Nieuw Nederlandsche Woordenboek.

Es könnte nun der Einwand kommen, daß man in seinem Portrait keinen Hinweis auf seinen Beruf als Arzt finden kann. Auch spricht der Appell zur religiösen Umkehr nicht unbedingt für einen Arzt. Andererseits gibt es mehrere Portraits von Ärzten, welche als Mahnung einen Totenkopf halten (s. Beitrag Unbekannter Künstler: Reinarus Solenander). Insofern ist eine Sanduhr eine gleichwertige Mahnung an die Einsicht in die Endlichkeit des menschlichen Lebens und entspricht auch philosophischem Denken, in dem Velsius ausgebildet war.

Als kompositorisches Gegenstück zur Sanduhr ist oben links auf der Brüstung der Schaft einer tuskischen Säule zu sehen. Sie könnte eine Anspielung auf seine akademische Ausbildung in Bologna sein, während die im Hintergrund wiedergegebene schlichte Landschaft weitgehend Flachland ist und damit wohl seine Heimat zitiert.

Unbekannter Künstler: Justus Velsius. Tusche

Trotz seines unruhigen Lebens war Velsius publizistisch eifrig. 1541 erschien in Antwerpen sein Hippokrates-Kommentar. 1556 veröffentlichte er eine Apologia der Anabaptisten gegen den Häretikervorwurf. Weitere Schriften sind im wikipedia-Beitrag verzeichnet. Diese sind noch in einigen deutschen Bibliotheken anzutreffen. In der Österreichischen Nationalbibliothek fand sich ein Vergleichsportrait d.h. die Tuschvorlage für einen Stecher.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2023


Literatur
G. J. Hoogewerff: Noord-Nederlandsche Schilderkunst. s’Gravenhage. Bd. III 1939 S.547
Nederlandsch Woordenboek. Leiden 1911

Bildnachweis
G. J. Hoogewerff: Noord-Nederlandsche Schilderkunst. s’Gravenhage. Bd. III 1939 S.547

wikipedia.org/wiki/Justus_Velsius#/media/Datei:Porträt_Justus_Velsius.jpg (20.4.2023)
Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Wien. Porträtsammlung, PORT_00083533_01. (20.4.2023)