Palma Vecchio
Luigi Alamanni
Bisher gelang es nicht, eines der elegantesten Portraits der Renaissance, A portrait of a poet (Öl auf Lw. auf Holz 83,8 x 63,5 cm. National Gallery, London. NG 636) von Palma Vecchio (ca. 1480─1528), zu identifizieren. Das hatte seinen Grund darin, daß weder das Entstehungsjahr gesichert ist, noch das Portrait durch abgebildete Gegenstände Hinweise gibt, wer etwa dieser Schöngeist sein könnte.
Der noch sehr junge Mann um die 20 ist dunkel gekleidet. Anscheinend trägt er schulterlanges Haar und einen knappen schwarzen Vollbart. Hals und Nacken liegen frei. Ein plissiertes Hemd kontrastiert scharf mit dem Gewand. Die Unterarme sind in weinroten Stoff gehüllt, der ornamentiert ist. Die Linke ruht angewinkelt auf einem, im Hintergrundsdunkel unsichtbaren Tischchen. Das Handgelenk ist mit einem Armband aus Bernstein-Medaillons geschmückt. Um den Hals liegen fünf feine Goldkettchen. Die Herkunft des Mannes aus vermögenden Kreisen wird damit bestätigt. Die rechte Hand unten steckt in einem Handschuh und zeigt damit an, daß die Person über eine juristische Ausbildung verfügte. Gespenstisch taucht oben über und neben dem Kopf ein Gebinde aus Lorbeerzweigen auf, verschattet aus dem Dunkel des Hintergrunds. Dieses und der verträumte Blick des Mannes gaben den Anlaß, in der Person einen Poeten zu vermuten.
Das jugendliche Alter und die Schätzung der Datierung auf ca. 1516 führten zu Luigi Alamanni (1495 Florenz ─ 1556 Amboise). Aus dem Familiennamen geht hervor, daß der namensgebende Vorfahr ein Deutscher war. Luigis Vater Piero di Francesco wurde in den Jahren 1490 und 1512 von den Florentinern zum gonfaloniere (Bannerträger) bestimmt, eines der höchsten Ehrenämter des Stadtstaats. Er gehörte der Oberschicht an, dem Patriziat. Dementsprechend erhielt Luigi Francesco eine ausgezeichnete Ausbildung bei dem Humanisten Niccolò Angelio da Buccine am studio fiorentino. Dort nahm er teil an Kursen von Francesco Cattani da Diacetto. Doch der eigentliche Impuls für seine Karriere war offenbar die Möglichkeit, auf Grund seiner Herkunft an der società degli Orti Oricellari teilzunehmen, dieser hochrangigen, privaten Kaderschmiede der Medicis, in der Diacetto eine zentrale Rolle spielte. Luigis Vater war noch ein Parteigänger der Medici. Außerdem war für Luigi die Freundschaft mit Zanobi Buondelmonte und mit Niccolò Machiavelli prägend. Wie eng diese war, zeigt an, daß Machiavelli seine Schrift Vita di Castruccio Castracani ihm widmete.
Alamanni schätzte besonders die griechisch-römische Literatur und nahm sich vor, die Antigone des Sophokles zu übersetzen. Außerdem fertigte er eine Kopie der homerischen Dichtung an (über das Manuskript verfügt heute das Eton College), die auf eine Ausgabe von 1488 zurückgeht. Außerdem schrieb er frühzeitig Eklogen, ausgelöst durch den Tod von Cosimo Rucellai.
Nun stellt sich aber die Frage, wieso die Wahl eines prominenten Florentiners auf einen venezianischen Porträtisten fiel? Zugleich fragt sich, ob 1516 wirklich der Zeitpunkt der Entstehung ist, da Luigi damals erst 21 Jahre alt war. Zunächst schien es so, als habe Luigi das Portrait vermutlich als Brautwerbebild in Auftrag gegeben, denn er heiratete gerade in diesem Jahr Alessandra di Battista Serristori. Doch sein weiterer Lebensverlauf legt eine davon abweichende Datierung nahe.
Die Orti Oricellari waren im ersten Jahrzehnt der mediceischen Restauration ein Sammelbecken der Opposition. Dadurch gehörte Luigi zusammen mit seinen beiden oben genannten Freunden zu einer Verschwörung gegen Kardinal Giulio de’Medici (1478─1534). In der Folge wurden Iacopo da Diacetto und Luigi di Tommaso Alamanni (ein Verwandter) 1522 enthauptet. Buondelmonte und Luigi Alamanni aber konnten entkommen und tauchten zunächst in Venedig und danach in Lyon unter. Das spricht erheblich für eine Datierung auf 1522. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war das Gemälde tatsächlich für seine Frau als Botschaft gedacht und sollte sein Heimweh nach ihr und Florenz ausdrücken. Erst als Folge der Vertreibung der Medici aus Florenz 1527 konnte Luigi zurückkehren. »Beim Tode Leos X. verschwören sich einige von Machiavellis jungen Freunden gegen den Mann, der als zweiter Mediceer-Papst die Ketten schmieden sollte, die Florenz endgültig an die unselige Dynastie fesselten. Kardinal Giulio entgeht dem Komplott, aber zwei der Verschwörer enden unter dem Henkersbeil und einige andere entscheiden sich fürs Exil« (Edmond Barincou S. 72).
Dementsprechend läßt sich auch der Lorbeerbusch besser in seiner Bedeutung erfassen. Eine Bekränzung mit einem Lorbeerkranz blieb Luigi vorenthalten. Er war aber von seiner literarischen Leistung so überzeugt, daß er die Lorbeeren zum Greifen vor sich sah, nur eben in dunkler Zukunft.
In Venedig blieb er nicht untätig, sondern nahm Verbindung zum Hof Franz I. von Frankreich auf und erhielt auch eine Einladung dorthin. Aber als er Graubünden durchquerte, nahmen ihn die Schweizer fest und verlangten ein Lösegeld. 1523 schloß er sich dem Armeekorps von Marschall de Montmorency an. Um die Zeit erhielt er die Nachricht, daß sein Widersacher, Kardinal Giulio de’Medici zum Papst namens Clemens VII. gewählt worden sei. Daraufhin verharrte er in Aix-en-Provence und verliebte sich in eine Genuesin, Batina Larcara Spinola, die er als Ligura Planta in einer canzone besang.
Inzwischen hatte Franz I. in Pavia 1525 gegen Kaiser Karl V. verloren und befand sich in spanischer Haft. Luigi Alamanni war zum Berater des Königs in Fragen Florenz aufgerückt und begleitete die französische Königstochter Marguerite zu Schiff im Verband der Flotte des früheren kaiserlichen Admirals Andrea Doria, der in die Dienste Frankreichs getreten war, zur toskanischen Küste in Richtung Neapel. Danach traf er in Florenz ein und erfuhr dort, daß sein enger Freund Buondelmonte an der Pest gestorben war.
Franz I. war den schönen Künsten sehr zugeneigt und schätzte den Umgang mit Alamanni. So erhielt dieser als klassischer Hofmann ein kleines Lehen in Südfrankreich und befristet auch den Jardin du Roi in Aix-en-Provence. Außer seinen diplomatischen Reisen hatte er Zeit für seine literarischen Ambitionen. 1532/33 erschien in Lyon die Edition Opere toscane, welche in zwei Bänden Alamannis bisherige Schriften vorstellte, dediziert an Franz I. 1539 machte er eine Rundreise an italienischen Höfen und hatte dabei Gelegenheit, Kontakte zu seinen Schriftstellerkollegen herzustellen bzw. aufzufrischen, darunter auch Pietro Bembo und Vittoria Colonna.
Als 1542 seine Frau starb, heiratete er im Folgejahr Elena Bonaiuti; die Stanze für seine Frau publizierte er jedoch erst sehr viel später. 1544 wurde er zum Maître de Hôtel befördert. Als Franz I. starb, bediente sich auch Henri II der diplomatischen Dienste Alamannis. Seine letzte Dienstreise machte er nach England anläßlich der Krönung von Mary Tudor. Kurz vor seinem Tode 1556 beendete er seine Komödie Flora, die sich stilistisch an Terenz orientiert. »In 12 Satiren scharfer Angriff auf den Hof in Rom und die Korruption des Klerus. Er führte als einer der ersten Epigramme in die moderne Dichtung ein« (Gero von Wilpert).
Die vorhandenen Vergleichsbilder von ihm zeigen durchweg den gealterten Alamanni und sind daher wenig aussagekräftig.
Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2023
Literatur
Edmond Barincou: Niccolò Machiavelli. Hamburg 1958
Roberto Weiss. In: Dizionario Biografico degli Italiani. Vol. I Roma 1960
Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Stuttgart 2008
Bildnachweis
Burlington Magazine. Sept. 2019 S. 719
/www.nationalgallery.org.uk/paintings/palma-vecchio-portrait-of-a-poet (20.1.2023)
Luigi Alamanni
Bisher gelang es nicht, eines der elegantesten Portraits der Renaissance, A portrait of a poet (Öl auf Lw. auf Holz 83,8 x 63,5 cm. National Gallery, London. NG 636) von Palma Vecchio (ca. 1480─1528), zu identifizieren. Das hatte seinen Grund darin, daß weder das Entstehungsjahr gesichert ist, noch das Portrait durch abgebildete Gegenstände Hinweise gibt, wer etwa dieser Schöngeist sein könnte.
Der noch sehr junge Mann um die 20 ist dunkel gekleidet. Anscheinend trägt er schulterlanges Haar und einen knappen schwarzen Vollbart. Hals und Nacken liegen frei. Ein plissiertes Hemd kontrastiert scharf mit dem Gewand. Die Unterarme sind in weinroten Stoff gehüllt, der ornamentiert ist. Die Linke ruht angewinkelt auf einem, im Hintergrundsdunkel unsichtbaren Tischchen. Das Handgelenk ist mit einem Armband aus Bernstein-Medaillons geschmückt. Um den Hals liegen fünf feine Goldkettchen. Die Herkunft des Mannes aus vermögenden Kreisen wird damit bestätigt. Die rechte Hand unten steckt in einem Handschuh und zeigt damit an, daß die Person über eine juristische Ausbildung verfügte. Gespenstisch taucht oben über und neben dem Kopf ein Gebinde aus Lorbeerzweigen auf, verschattet aus dem Dunkel des Hintergrunds. Dieses und der verträumte Blick des Mannes gaben den Anlaß, in der Person einen Poeten zu vermuten.
Das jugendliche Alter und die Schätzung der Datierung auf ca. 1516 führten zu Luigi Alamanni (1495 Florenz ─ 1556 Amboise). Aus dem Familiennamen geht hervor, daß der namensgebende Vorfahr ein Deutscher war. Luigis Vater Piero di Francesco wurde in den Jahren 1490 und 1512 von den Florentinern zum gonfaloniere (Bannerträger) bestimmt, eines der höchsten Ehrenämter des Stadtstaats. Er gehörte der Oberschicht an, dem Patriziat. Dementsprechend erhielt Luigi Francesco eine ausgezeichnete Ausbildung bei dem Humanisten Niccolò Angelio da Buccine am studio fiorentino. Dort nahm er teil an Kursen von Francesco Cattani da Diacetto. Doch der eigentliche Impuls für seine Karriere war offenbar die Möglichkeit, auf Grund seiner Herkunft an der società degli Orti Oricellari teilzunehmen, dieser hochrangigen, privaten Kaderschmiede der Medicis, in der Diacetto eine zentrale Rolle spielte. Luigis Vater war noch ein Parteigänger der Medici. Außerdem war für Luigi die Freundschaft mit Zanobi Buondelmonte und mit Niccolò Machiavelli prägend. Wie eng diese war, zeigt an, daß Machiavelli seine Schrift Vita di Castruccio Castracani ihm widmete.
Alamanni schätzte besonders die griechisch-römische Literatur und nahm sich vor, die Antigone des Sophokles zu übersetzen. Außerdem fertigte er eine Kopie der homerischen Dichtung an (über das Manuskript verfügt heute das Eton College), die auf eine Ausgabe von 1488 zurückgeht. Außerdem schrieb er frühzeitig Eklogen, ausgelöst durch den Tod von Cosimo Rucellai.
Nun stellt sich aber die Frage, wieso die Wahl eines prominenten Florentiners auf einen venezianischen Porträtisten fiel? Zugleich fragt sich, ob 1516 wirklich der Zeitpunkt der Entstehung ist, da Luigi damals erst 21 Jahre alt war. Zunächst schien es so, als habe Luigi das Portrait vermutlich als Brautwerbebild in Auftrag gegeben, denn er heiratete gerade in diesem Jahr Alessandra di Battista Serristori. Doch sein weiterer Lebensverlauf legt eine davon abweichende Datierung nahe.
Die Orti Oricellari waren im ersten Jahrzehnt der mediceischen Restauration ein Sammelbecken der Opposition. Dadurch gehörte Luigi zusammen mit seinen beiden oben genannten Freunden zu einer Verschwörung gegen Kardinal Giulio de’Medici (1478─1534). In der Folge wurden Iacopo da Diacetto und Luigi di Tommaso Alamanni (ein Verwandter) 1522 enthauptet. Buondelmonte und Luigi Alamanni aber konnten entkommen und tauchten zunächst in Venedig und danach in Lyon unter. Das spricht erheblich für eine Datierung auf 1522. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war das Gemälde tatsächlich für seine Frau als Botschaft gedacht und sollte sein Heimweh nach ihr und Florenz ausdrücken. Erst als Folge der Vertreibung der Medici aus Florenz 1527 konnte Luigi zurückkehren. »Beim Tode Leos X. verschwören sich einige von Machiavellis jungen Freunden gegen den Mann, der als zweiter Mediceer-Papst die Ketten schmieden sollte, die Florenz endgültig an die unselige Dynastie fesselten. Kardinal Giulio entgeht dem Komplott, aber zwei der Verschwörer enden unter dem Henkersbeil und einige andere entscheiden sich fürs Exil« (Edmond Barincou S. 72).
Dementsprechend läßt sich auch der Lorbeerbusch besser in seiner Bedeutung erfassen. Eine Bekränzung mit einem Lorbeerkranz blieb Luigi vorenthalten. Er war aber von seiner literarischen Leistung so überzeugt, daß er die Lorbeeren zum Greifen vor sich sah, nur eben in dunkler Zukunft.
In Venedig blieb er nicht untätig, sondern nahm Verbindung zum Hof Franz I. von Frankreich auf und erhielt auch eine Einladung dorthin. Aber als er Graubünden durchquerte, nahmen ihn die Schweizer fest und verlangten ein Lösegeld. 1523 schloß er sich dem Armeekorps von Marschall de Montmorency an. Um die Zeit erhielt er die Nachricht, daß sein Widersacher, Kardinal Giulio de’Medici zum Papst namens Clemens VII. gewählt worden sei. Daraufhin verharrte er in Aix-en-Provence und verliebte sich in eine Genuesin, Batina Larcara Spinola, die er als Ligura Planta in einer canzone besang.
Inzwischen hatte Franz I. in Pavia 1525 gegen Kaiser Karl V. verloren und befand sich in spanischer Haft. Luigi Alamanni war zum Berater des Königs in Fragen Florenz aufgerückt und begleitete die französische Königstochter Marguerite zu Schiff im Verband der Flotte des früheren kaiserlichen Admirals Andrea Doria, der in die Dienste Frankreichs getreten war, zur toskanischen Küste in Richtung Neapel. Danach traf er in Florenz ein und erfuhr dort, daß sein enger Freund Buondelmonte an der Pest gestorben war.
Franz I. war den schönen Künsten sehr zugeneigt und schätzte den Umgang mit Alamanni. So erhielt dieser als klassischer Hofmann ein kleines Lehen in Südfrankreich und befristet auch den Jardin du Roi in Aix-en-Provence. Außer seinen diplomatischen Reisen hatte er Zeit für seine literarischen Ambitionen. 1532/33 erschien in Lyon die Edition Opere toscane, welche in zwei Bänden Alamannis bisherige Schriften vorstellte, dediziert an Franz I. 1539 machte er eine Rundreise an italienischen Höfen und hatte dabei Gelegenheit, Kontakte zu seinen Schriftstellerkollegen herzustellen bzw. aufzufrischen, darunter auch Pietro Bembo und Vittoria Colonna.
Als 1542 seine Frau starb, heiratete er im Folgejahr Elena Bonaiuti; die Stanze für seine Frau publizierte er jedoch erst sehr viel später. 1544 wurde er zum Maître de Hôtel befördert. Als Franz I. starb, bediente sich auch Henri II der diplomatischen Dienste Alamannis. Seine letzte Dienstreise machte er nach England anläßlich der Krönung von Mary Tudor. Kurz vor seinem Tode 1556 beendete er seine Komödie Flora, die sich stilistisch an Terenz orientiert. »In 12 Satiren scharfer Angriff auf den Hof in Rom und die Korruption des Klerus. Er führte als einer der ersten Epigramme in die moderne Dichtung ein« (Gero von Wilpert).
Die vorhandenen Vergleichsbilder von ihm zeigen durchweg den gealterten Alamanni und sind daher wenig aussagekräftig.
Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2023
Literatur
Edmond Barincou: Niccolò Machiavelli. Hamburg 1958
Roberto Weiss. In: Dizionario Biografico degli Italiani. Vol. I Roma 1960
Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Stuttgart 2008
Bildnachweis
Burlington Magazine. Sept. 2019 S. 719
/www.nationalgallery.org.uk/paintings/palma-vecchio-portrait-of-a-poet (20.1.2023)