Jehan Bellegambe (?)
Selbstbildnis des Jehan Bellegambe mit seiner Frau

Im 15. Jahrhundert war es bei Paarbildern noch üblich, die Darstellungsweise des Diptychons zu wählen. In diesem Fall übernahm der Mann die linke Tafel und schaute nach rechts; die Frau erhielt die rechte Tafel und schaute nach links wie bei Albrecht Dürers Portraits von 1499 Hans und Felicitas Tucher im Weimarer Schloß.

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Dieses Prinzip liegt hier noch dem Bildaufbau zugrunde (Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen Nr. 5096. 1496. Öl auf Holz, 38 x 26 cm, oben geschweift Nr. 5096). So wirken beide Personen etwas steif aneinandergefügt. Im Blick jedenfalls sind sie nicht recht aufeinander bezogen. Eher wachsen sie durch die Farbe Schwarz in der Oberbekleidung zusammen. Die Zusammengehörigkeit wird schüchtern durch die Fingerspitzen der linken Hand des Mannes in der Achsel der Frau angedeutet. Ben Van Benden schrieb im Museumsbook: »The painter has placed his arm lovingly around her«. Dabei fixiert der Mann fast mißtrauisch den Betrachter; die Frau blickt starr nach links aus dem Bild heraus. Sie stehen am Vespertisch, der links mit einer Zinnkanne und rechts mit einem Blumenstrauß geschmückt ist. Vor sich haben sie einen Zinnteller mit roten Kirschen, zwei Wecken und eine geschlossene Dose. Die Frau überreicht ihrem Mann eine Blüte, ein Vergißmeinnicht, wie bei einem Brautbild.

Es ist davon auszugehen, daß es sich hier um ein Selbstbildnis eines Malers handelt, da es sich offenbar nicht um reiche Bürger handelt. Der Mann trägt ein schwarzes Barrett mit hochgeschlagener Kante und einen braunen Rock mit aufgeschlagenem Revers. Sie ist schlicht in Schwarz gekleidet und trägt dazu ein steifes weißes Tuch, welches als Haube gefaltet ist.

Ausnahmsweise hat der Künstler sein Alter auf dem Bilderrahmen eingekerbt: 36. Zugleich wird unten mittig auf dem Rahmen auch das Entstehungsjahr angegeben: 1496. Demnach wurde er 1460 geboren.

Doch wer ist als der Maler anzusehen? Darüber besteht nur bedingt Einigkeit in der Fachwelt. Es gibt bisher für ihn immer noch den von Heinrich Weizsäcker 1909 vorgeschlagenen Hilfsnamen, und der irreführenderweise lautet: Meister von Frankfurt. So nennt ihn (auf Englisch) auch sogar das Museum in Antwerpen. Anton Legner jedoch formulierte moderner: Antwerpener Meister. In der Stadt soll der Künstler zwischen 1480 und 1515 tätig gewesen sein. Da ein erster Eindruck einen flämischen Maler vermuten läßt, irritiert diese deutsche Bezeichnung. Aber eines der Hauptwerke dieses Künstlers ist der Annenaltar aus der Dominikanerkirche in Frankfurt/Main, der sich im Historischen Museum der Stadt befindet. Lange ging man davon aus, daß der Maler ein Deutscher sei, der wie Memling nach Flandern wechselte. Es scheint eher umgekehrt gewesen zu ein.

Max J. Friedländer (1869 ─ 1969) hat eine Liste von 40 Nummern des unbekannten Künstlers zusammengestellt, von denen etliche sich in deutschen Museen befinden. So kam es zu dieser nicht recht überzeugenden Benennung, obwohl die Stilmerkmale eindeutig nach Flandern weisen. Jochen Sander urteilt über die Qualität, daß er mit »schablonenhaft eingesetzten Einzelmotiven wie Motivgruppen und mit standardisierten Brokatmustern [...] die Bildherstellung bis hin zur Massenproduktion« vereinfachte. Dem steht gegenüber, daß das vorliegende Doppelportrait ein nahezu seltener Fall ist, vergleichbar allerdings mit dem deutlich innigeren Doppelportrait des Meister des Hausbuchs, dem sog. Gothaer Liebespaar. Ähnlich geschweifte Rahmen kommen noch bei Lucas van Leyden (1494 ─ 1533) z. B. dem Jüngsten Gericht (Museum de Lakenhal, Leiden), und Bartholomäus Bruyn d. Ä. (1493 ─ 1555) vor,

Läßt man die Biographien im belgischen Künstlerlexikons Revue passieren und hält dabei Ausschau nach Personen, die vor 1500 geboren wurden, stößt man sehr bald auf den Maler Jehan Bellegambe (ca. 1470 Douai ─ 1535/36 Douai), den Stammvater einer Malerdynastie. Da es offenbar nur noch wenige ihm zugeschriebene Gemälde gibt, gehört er zu den unscheinbaren Flamen der an Talenten reichen Zeit. Manche vermuten, Bellegambe sei der Nachfolger von Simon Marmion (1449 ─ 1489 aktiv) gewesen. Zwei Altäre von Bellegambe besitzt das Musée des Beaux-Arts in Lille. Daß er bisher nicht als Meistervon Frankfurt in Betracht gezogen wurde, liegt möglicherweise daran, daß seineGeburtsstadt Douai heutzutage auf französischem Boden liegt; dementsprechend bezeichnet ihn wikipedia auch als französischen Maler. Doch gehörte Douai zum burgundischen Staat bzw. den habsburgischen Niederlanden, damals beherrscht von König Philipp dem Schönen ( 1506). Douai liegt südlich Lille und damit in der flämisch-wallonischen Provinz, die ans Artois angrenzt.

78.01-Mitteltafel des Triptychon von Cellier. Metropolitan Museum New York 240 Cellier Triptychon. Mitteltafel. Tempera und
Öl auf Holz, 40 x 24 cm. 1508/09
Metropolitan Museum, New York
Für Jehan Bellegambe sprechen einige starke Argumente. Zwar weiß man von seiner Familie kaum Einzelheiten, immerhin aber den Namen seiner Frau, mit der er fünf Kinder hatte: Margherite Lemaire. 1504 wurde er urkundlich erwähnt. »He may have spent time in Antwerp« mutmaßt das Metropolitan Museum, das das Triptychon von Cellier 1509 besitzt. Seine datierten Werke sind rar. Max J. Friedländer dokumentierte auf 20 Tafeln das Bellegambe zugeschriebene Werk. Verschiedene Klöster im Umkreis von Douai erteilten ihm Aufträge.


Formal präzise zu arbeiten war für ihn kennzeichnend, wie sein Selbstbildnis beweist. Margarete von Österreich, die Kaiserschwester und Regentin der Niederlande, erwarb deshalb Bilder von ihm. Ihr Maßstab für Gemälde war »au plus près du vif que possible«. Diese Orientierung fand sie bei den sog. Antwerpener Manieristen. Daß er zu dieser Richtung zu rechnen ist, zeigt Bellegambe Spiel mit den Fliegen; eine hat auf der frisch gestärkten Haube seiner Frau Platz genommen.

Françoise Baligand bescheinigt Bellegambe »strenge Ordnung, Symmetrie und Klarheit«, aber auch Steifheit. »Seine Natürlichkeit macht einen Teil seines Charmes aus«. Lt. Francesco Guicciardini gehörte er zu den Maîtres des couleurs. Auffällig ist außerdem, daß er geschweifte Rahmen bevorzugte wie im Altar von Anchin (musée de la Chartreuse de Douai), seinem erhaltenen Meisterwerk, und diese Rahmen stark profilieren ließ. Eine vergleichende Untersuchung der verwendeten Farbsubstanzen beider Gemälde wäre daher wünschenswert, lag aber außerhalb des Möglichen. Ferner kommt im Triptyche Cellier im Metropolitan Museum, New York, ähnliches Rankenwerk vor wie im Selbstbildnis.

Jehan Bellegambe wurde früher irrtümlich für einen Deutschen gehalten, wie Hans Memling, der nach Flandern überwechselte. Er wird »nächst Massys der Hauptmeister in der Zeit der Jahrhundertwende« bezeichnet. Genau diese Tatsache wird oben im Bild dadurch bestätigt, daß sich im Rankenwerk der Wappenschild der St. Lukas-Gilde Antwerpens befindet, erkennbar an der Devise der Gilde De Violieren: Wt lonsten veræmt (verbunden in Freundschaft). Ein amüsantes Detail dabei ist, daß die Frau des Malers mit der Linken ein Veilchen (frz. violet) vorzeigt und der Strauß in der Vase unten rechts aus Veilchen besteht. De Violieren nannten sich die Maler der Antwerpener Zunft. Heute heißt ein kleines Sprechtheater in der Stadt noch so.

Sehr hilfreich sind die chronologischen Eckdaten des Paars, links 36 für ihn und rechts 27 für sie. Zieht man 36 von der Datierung des Bildes ab, ergibt sich das Geburtsjahr 1460 für ihn, wie es bisher Grundlage für den Meister von Frankfurt bildete. Die eingangs genannte Zahl ca. 1470 war lediglich eine bisher benutzte vage Angabe auf Grund mangelnder Kenntnis vom Lebensverlauf Bellegambes.

Es zeigt auch, daß 1496 nicht unbedingt das Hochzeitsjahr des Paares sein muß; das wäre für die damalige Gesellschaft ein unüblich später Termin, der aber mit dem etwas zerfurchten Gesicht des Mannes konform geht. Andererseits findet sich kein Hinweis auf die zahlreichen Kinder des Paares, so daß man den späten Hochzeitstermin wohl akzeptieren muß. Die Ausbildung zum Künstler war damals lang (bei Dürer 10 Jahre) und erst recht die Chance zum Eintritt in die Gilde. Da diese hier so betont angebracht ist, liegt es nahe, den Anlaß für die Entstehung des Bildes mit dem Eintritt in die Gilde in Zusammenhang zu bringen.

Wie später der Blumen-Breughel hat Bellegambe zwei Fliegen als amüsanten Akzent ins Bild gesetzt: eine auf der Haube seiner Frau, eine auf dem Bilderrahmen unten. Will er damit den Realismus seiner Bildauffassung unterstreichen, oder steckt eine heute nicht mehr nachvollziehbare Anspielung dahinter? In Christliche Ikonographie in Stichworten (S. 180) steht bei dem Wort Fliegen nachzulesen: »Den Kirchenvätern galt die Fliege auch als Sinnbild des gottesfernen Menschen und des Ketzers«. Da zur Zeit der Entstehung des Bildes die reformatorischen Umbrüche noch nicht begonnen hatten, führt diese Interpretation nicht weiter, will man nicht annehmen, daß der Künstler sich in dieser versteckten Weise outen möchte.

Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2022

Literatur
Françoise Baligand. In: Allgemeines Künstlerlexikon. Bd. 8 München/Leipzig 1994
Christliche Ikonographie in Stichworten. Von Hannelore Sachs, Ernst Badstübner und Helga Neumann. Leipzig 1980
W. Cohen. In: Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler. Bd. 37. Leipzig 1950 (Meister von Frankfurt)
Le Dictionnaire des Peintres Belges du XIVe Siècle à nos Jours. Bruxelles 1925
Dagmar Eichberger: Leben mit Kunst. Wirken durch Kunst. Turnhout 2002
Max J. Friedländer. Jan van Scorel und Pieter Coeck van Aelst. Leiden/Brussels 1975
Anton Legner: Der artifex; Künstler im Mittelalter. Köln 2009 S. 509
The Museumbook. Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen. Antwerpen 2003
Renaissance in the North. Metropolitan Museum. New York o.J.
Jochen Sander: Niederländische Gemälde im Städel 1400-1550. Mainz 1993 S. 283

Bildnachweise
wikipedia.org/wiki/Meister_von_Frankfurt#/media/Datei:Frankfurt_master-artist_and_wife.jpg (9.8.2022)
www.steveartgallery.se/picture/image-88444.html
(20.1.2014)