Unbekannter Künstler
Johann Poppenreuter

71.06-Popp-240In den Kunstsammlungen der Stadt Salzburg hängt schon seit langer Zeit das Bildnis eines 34jährigen Mannes (Öl auf Lindenholz, 39,2 x 26,3 cm). Es ist datiert auf 1491 und wird bisher, auch von Ernst Buchner, einem bislang namenlosen Nürnberger Meister zugeschrieben. Dieser beherrschte offenbar die Perspektive noch nicht so recht.

Das Gemälde verfügt über einen Fensterausblick (links), ein Bild im Bild, wie es auch u.a. Albrecht Dürer bei seinem Selbstportrait von 1498 einsetzte. Rechts gegenüber erscheint ein verschlungenes, aufsteigendes Schriftband in Fraktur, das meldet: ANNO ETATIS SVE 34. Da das Bild auf 1491 datiert ist, ergibt sich für die Person daraus der Geburtsjahrgang 1457. Einfach wäre die Identifizierung, wenn es zu der Zeit in Nürnberg schon Geburtsregister gegeben hätte; das ist jedoch nicht der Fall. Auch in dem Werk von Christoph von Imhoff Berühmte Nürnberger findet sich keine passende Person dieses Alters. Daher erschien bisher die Aufklärung des Falls als nicht lösbar.

Der Dargestellte legt den linken Arm auf eine gemalte Brüstung, wobei die rechte Hand mit einer Nelke auf dem linken Unterarm ruht. Demnach ist es ein zur Brautwerbung gedachtes Portrait, das wie etliche andere der Art diese Anspielung benutzt. Der Ausblick in die Landschaft erfolgt von oben, wie aus einem Turmfenster. Auffällig ist ein hoher, starker Baum. Diese Metapher wurde damals gern für einen durchsetzungsfähigen Mann in Portraits eingeblendet. Außerdem erkennt man links ein großes Mühlrad, wie es sowohl zu einer Mühle als auch zu einer Hammerschmiede benutzt wurde. Rechts daneben sieht man einen ausreitenden Mann. Auf seiner Straße geht entweder ein Knecht zu Fuß voraus, oder ein Mann verlegt dem Ausreitenden den Weg. Vielleicht ist es eine Anspielung auf ein Reiseerlebnis des Porträtierten? Es läßt sich aus der Szene nur allgemein schließen, daß der Dargestellte häufig auf Geschäftsreisen war. Da er keinen Schmuck und kein Schwert trägt, handelt es sich offenbar um einen Handelsherrn bzw. Unternehmer aus Nürnberg und damit einen Mann bürgerlicher Herkunft. Außerdem sind links und rechts oben zwei Wappen wiedergegeben. Auch diese konnten jedoch nicht identifiziert werden. Das rechte Wappen könnte der Familie Derrer/Dörrer zugeordnet werden, die zu den Patriziern in Nürnberg zählte, wäre dann aber wohl das Wappen der Braut.

Nur ein Zufall machte es möglich, die Person auf dem Gemälde zu identifizieren und zwar in einem biographischen Lexikon allein auf Grund der Jahreszahl 1457. Demnach handelt es sich bei dem Porträtierten um den Nürnberger Bürger Johann Poppenreuter (auch Poppenruyter, bisher ca. 1457 ─ + vor dem 24.1.1534). Ursprung der Familie ist wahrscheinlich der Ort Poppenreut bei Waldkirchen in Niederbayern. Leider ist nur wenig über diesen Nürnberger überliefert. Immerhin muß er über eine gewisse Bildung verfügt haben, denn er wird auch latinisiert als Popparuterius erwähnt, und auch der Altersvermerk ist auf Latein angebracht. Als Sohn eines Schmiedes erlernte er die Herstellung von Kanonen und spezialisierte sich mit diesem Wissen auf die Produktion und den europaweiten Vertrieb der begehrten Waffe. Seine eigene Gußwerkstatt, 1498 gegründet, war bald für ihre Qualität über die Grenzen hinaus bekannt. So bekam er z. B. von König Louis XII. von Frankreich einen Großauftrag über 52 Kanonen.

Da über Generationen Spannungen zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich wegen der Grenzen des Herzogtums Burgund bestanden, war auch der Herzog von Burgund, der Sohn Kaiser Maximilians I., König Philipp der Schöne (1478─1506), an seiner Arbeit interessiert und machte ihn 1503 zum Chef der kaiserlichen Kanonenherstellung in Mecheln/Flandern.

In die Zeit fällt seine Heirat mit Katrijn van Osseghem (Oxenen). Da Poppenreuter sein Bild datieren ließ, erfahren wir daraus, daß er mit seiner Brautwerbung erst 12 Jahre später Erfolg hatte. Er besaß damals ein repräsentatives Haus an der Olde Brusselstraat und erwarb ─ so erfolgreich war offenbar sein Geschäft ─ fast jährlich ein neues Haus in der Stadt hinzu. Darüber hinaus hatte er Grundbesitz in vier anderen Städten, z.B. auch in Antwerpen. Am Rüstungswettbewerb in Europa war auch der englische König Henry VIII beteiligt und orderte bei ihm zwölf besonders lange Kanonenrohre. Kaiser Karl V. erneuerte 1515 den Vertrag seines Vaters und setzte Poppenreuter ein jährliches Salär aus; wahrscheinlich beabsichtigte er damit, Poppenreuter stärker an sich zu binden.

In Flandern blieb Poppenreuter offenbar lebenslang ein Ausländer, obwohl er das Bürgerrecht in Mecheln schon seit 1514 besaß. Das blieb er über seinen Tod hinaus, denn selbst die Biographie Nationale de Belgique des 19. Jahrhunderts widmet ihm keinen eigenen Artikel, sondern versteckt die biographischen Angaben über ihn in einem Artikel von Fernand Donnet, der aber Gérard van den Nieuwenhuysen gilt. Wie kam es dazu?

Die 1420 von Jacques de Harnes gegründete Gießerei vor dem Brüsseler Tor in Mecheln nahm erst durch Poppenreuter beachtlichen Aufschwung, weil er durch seine europaweiten Geschäftsbeziehungen größere Stückzahlen erzielte. 1520 wurde er sogar zum fondeur du roi (Geschützmeister) ernannt, um ihn durch Ausfuhrgenehmigungen der Kontrolle des Herrschers zu halten.

Poppenreuters zweite Heirat erfolgte 1526 mit Heylwige van den Nieuwenhuysen gen. Campfort. 1533 veranlaßte ihn sein Gesundheitszustand, im Dezember sein Testament zu machen; er starb im folgenden Februar. Seine Witwe erbte offenbar die Gießerei und heiratete 1536 den Vicomte de Bergues-Saint Winoc, den Kapitän im Regiment Montmorency, der auf diese Weise zum Direktor der Gießerei wurde. In seiner Lebenszeit wurde die Produktion weiter erhöht. Bei seinem Tod 1562 war er verpflichtet, die Gießerei dem Bruder seiner Frau, Gérard van den Nieuwenhuysen ( 1588) zu vermachen. Dieser weitete das Geschäft noch aus durch Exporte nach Spanien, Portugal und Italien. Der Herzog von Parma erhob ihn in den Ritterstand als Gerardus de Novodomo. Aber er widmete sich auch anderen Geschäftsfeldern, indem er eine Buchdruckerei leitete.

Aber auch Poppenreuter spielte im damaligen Kulturbetrieb eine Rolle. Am 7. Juni 1521 machte ihm deshalb Albrecht Dürer seine Aufwartung in Mecheln. Wahrscheinlich hat Dürer ihn schon vorher gekannt, denn die Eisenradierung Die große Kanone ist 1518 datiert, als sich Dürer längere Zeit in Augsburg aufhielt. Man vermutet in der Radierung eine Kanone aus Nürnberg; ob es sich um ein Fabrikat der Firma Poppenreuter handelt, läßt sich heute nicht mehr klären. Sein Besuch bei Meister HansPoppenreute, wie Dürer notierte, wird in seinem Reisetagebuch (S. 98) erwähnt. Selbst Erasmus von Rotterdam (1466/69-1536) ließ es sich nicht nehmen, Poppenreuter 1515 zu besuchen, dem er sogar sein Enchiridion dedizierte. Offenbar hatte ihm Poppenreuter vorher finanzielle Zuwendungen zukommen lassen.
Poppenreuter war nicht der einzige, der sich als Kanonenfabrikant porträtieren ließ, allerdings der erste. Im Jahr 1512 ließ der Kulmbacher Andreas Pegnitzer ( 1554) bei Georg Fennitzer ein Schabkunst-Blatt mit seinem Portrait anfertigen. Es befindet sich in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel (A 27502).

(c) Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2022

Literatur
Ernst Buchner: Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit. Berlin 1953 S. 210
Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
Fernand Donnet. In: Biographie Nationale de Belgique. Vol. 15. Bruxelles 1899 Sp. 727
Albrecht Dürer: Schriften und Briefe. Leipzig 1973

Bildnachweis
Ernst Buchner: Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit. Berlin 1953 S. 210