Unbekannter Künstler
Herrmann Ygel

71.11-UK---Ygel 240In einer Auktion bei Sotheby, New York tauchte 2007 das Portrait eines vornehmen Mannes auf (Öl auf Holz, 31,7 x 58,7cm), dessen Alter lt. Inschrift AETATIS SVAE XL mit 40 Jahren angegeben wurde ─ und verschwand wieder in einer Privatsammlung. Stilistisch wurde es vom Kunsthandel als North German School eingestuft, da keine Signatur verriet, von wem das Bild geschaffen wurde.

Der Dargestellte erscheint als stattliche Halbfigur und ist fast mittig platziert. Er hat seine Hände gefaltet, wobei alle zehn Finger zu sehen sind. Sein Kopf ist mit einem flachen Barett bedeckt, dessen Krempe schwach ausgebildet ist. Da es nicht unmittelbar als Barett eines Humanisten anzusprechen ist, gestaltet sich die berufliche Zuordnung schwierig. Außerdem trägt der Mann einen langen Bart und steckt in edler Kleidung d.h. einem dunklen Obergewand, das mit einem breiten braunen Pelz besetzt ist. Diese Tatsache führte zur vorläufigen Benennung Portrait of a gentleman.

Ob der Dargestellte von Adel ist, erscheint zweifelhaft, da er weder eine goldene Kette um den Hals trägt, noch als Ritter ein Schwert. Das Auktionshaus vermutete einen vermögenden Kaufmann, der ein Wappen gekauft hatte. Dieses ließ sich bisher nicht aufklären. Aber der unbekannte Maler hat die Fläche über beiden Schultern dazu benutzt, sachdienliche Hinweise auf den Weg zur Identifikation zu geben; nur sind sie leider nicht so eindeutig, als daß sie direkt zu einer Lösung führen würden.

Durch die Niederländer und Dürer wurde es Mode, das Porträt durch ein ´Fenster´ zu öffnen.

Links im vorliegenden Bild ist auch ein Ausblick zu sehen. Der Blick in die Landschaft zeigt am Horizont zackige Felsen. Auf einem vorgelagerten Plateau ist eine befestigte Anlage zu sehen. In der Ebene vorn ist ein kleines Kastell erkennbar, das als Wasserschloß gekennzeichnet ist, auf das ein gewundener Pfad zuführt. Auf ihm schreitet ein Mann mit einem geschulterten weißen Sack. Ohne die Vita zu kennen, sind diese Anspielungen leider nicht deutbar.

Rechts oben ist, fast wie ein Epitaph, ein gemalter Rahmen angebracht. In dessen Bildfeld steht zuoberst die Zahl 1556 d.h. die Datierung des Portraits. Am unteren Bildrand befindet sich die schon erwähnte Altersangabe. Dazwischen erscheint ein Wappenschild mit einer Helmzier darüber. Das Wappen ist horizontal dreigeteilt. Im oberen und unteren Feld ist ein Klammerhaken zu sehen, einem Maueranker verwandt. Das Feld dazwischen bringt zwei Lilien auf Rot und zwar spiegelbildlich.

Diese Ausstattung läßt wieder die Vermutung auf adlige Abkunft aufkommen. Doch ist nach 1500 kunsthistorisch auffällig, daß Altadlige in Porträts oft auf ihre Wappen verzichten und dafür andere Charakteristika – vor allem kostbare Garderobe – malerisch betont werden. Arrivierte Bürger dagegen, insbesondere Handelsherren wie die Fugger und Welser, wollten im Porträt jedoch ihren neuerworbenen Wappenbrief zur Geltung bringen. So könnte hier ein zu Geld gekommener Stadtbürger infrage kommen. Nachforschungen in heraldischen Werken haben jedoch zu keinem Lösungsweg geführt. Zwei Lilien tauchen bei Neubecker auf und sind der Familie Rode zuzuordnen. Ein prominenter Vertreter der Familie mit dem Geburtsjahr 1516 (wie es sich aus der Datierung 1556 minus 40 Jahre ergibt) ließ sich jedoch nicht ermitteln.

Sotheby fügte überraschenderweise hinzu: probably Hamburg. Doch der Fensterausblick zeigt keine Elblandschaft und schon gar keine Marschebene, sondern im Hintergrund Mittelgebirge. Die rustikal erscheinende Gestalt, deren Physiognomie breit und flächig angelegt ist, liefert keine Anhaltspunkte. Es gibt jedoch noch ein weiteres Detail, das auf den, von der linken Hand umschlossenen bestickten Handschuhen platziert ist: zwei Querovale mit Buchstabenkürzeln: links(vermutlich) B Y H und rechts B M H auf rotem Feld. Anfangs wollte sich dafür keine Aufschlüsselung anbieten. Latein als Sprache für ein hinterlegtes Motto scheidet wegen des Y aus. Eher ist an Initialen der Namen des Mannes und der Frau zu denken, zumal sich diese als Anspielungen auf den Besitz vermuten lassen Ferner ist zu vermuten, daß das Portrait, wie damals so oft, aus Anlaß einer Brautwerbung in Auftrag gegeben wurde.

Doch wo soll man anfangen zu suchen? In der Enzyklopädie von Zedler gibt es mit Y nur sehr wenige Erwähnte, darunter ein offenbar vermögender Mann namens Herrmann Ygel, wahrscheinlich bürgerlicher Herkunft. Nun gibt es unweit Trier einen Ort Ygel, sodaß derjenige auch von dort stammen könnte. Leider weiß Zedler nur sehr wenig über Ygel zu berichten, gibt aber immerhin einen wichtigen Hinweis auf Oybin, eine historische Stätte in Sachsen, nach Tillmann »eine großartige Burg«. Diese Perle der Oberlausitz (Baedeker) hat ihre eigene Geschichte. »Der gantze Berg ist felsicht, und hat allenthalben hervorragende Klippen und Steine, lieget abgesondert und frey mitten unter dessen im Böhmischen Walde befindlichen Bergen« (Carpzov S. 150). Der Lexikoneintrag von Jakob Christoph Iselin (1749) trifft die Feststellung, daß »dieses der beste Ort, einsam zu leben, seyn würde«.

1346 fielen Berg und Umgebung an Kaiser Karl IV., König von Böhmen, der im Norden des Plateaus ein langgestrecktes Kaiserhaus errichten ließ. Damals wurde die schon vorher existierende »Burg zur Festung ausgebaut und den Zittauern zur Verwaltung übergeben. Zwei Jahre später siedelten Mönche aus Avignon auf dem Berg«. Ihnen soll sich der eigentümliche Name verdanken, als sie nach der Besichtigung ihrer künftigen Bleibe Est bien gesagt haben sollen. Nach Carpzov »hat Kayser Carolus IV. … die gesamten Brüder vermöge der Stifftung zu sonderbaren und privilegierten 71.11-Ygel-Burgund 240Burg und Kloster OybinHof-Priestern des Königreiches Böhmen erhöhet…« (S. 150). Aber auch dieses Kloster wurde von der Reformation erfaßt; die Mönche zerstreuten sich, und die Anlage verfiel. »Als nun angeführter massen die Mönche das Kloster verlassen, zog Ihro Königliche Majestät Ferdinand I. die Oybinischen Stiffts-Güter zur Königlichen Cammer… Denn als der König in damaligem Schmalcaldischen Kriege Geldes benöthiget war, schoß der böhmische Land-Hofmeister und Land-Voigt in Ober-Lausitz [Zdißlaus von Bercka von der Daube] …ein grosses Darlehn vor, und erhielt zur Versicherung solcher Schuld die Oybinischen Güter auf 5 Jahr lang … zu geniessen… Das Schloß und Kloster auf dem Berge, wie auch den Meyer-Hof unter demselben gelegen, hatte Benno von Soltza und nach ihm Herrmann Ygel innen« (Zedler Bd. 25, Sp. 2575).

71.11-UK---Ygel-NEB 240Oybin»Aus dem Kampf um das Erbe der Cölestiner[-Mönche] ging schließlich die Stadt Zittau 1574 siegreich hervor. Aber schon 1577 schlug der Blitz auf dem Oybin ein und machte Burg und Kloster mit der Klosterkirche zur Ruine, die vor allem im 18. und 19.Jahrhundert von Künstlern und Wissenschaftlern gerne aufgesucht worden ist«, schreibt Arno Kunze. Zedler schildert den Vorgang dramatischer: »Der Untergang des Schlosses und Klosters Oybin ereignete sich 1577 den 24. Mertz am Sonntage Judica, Abends um 6 Uhr, da durch ein hefftiges Donner-Wetter die vorhanden gewesene Gebäude angezündet, und weil damals viel Schieß-Pulver im Schlosse verwahrt lag, und daher sich niemand den Brand zu dämpffen, wagen kunte, fast der gantze Oybin durch die Flammen verderbet worden«.

Was spricht nun für den Pächter Ygel als Porträtierten? Die Oybinischen Güter »wurden von der Böhmischen Cammer durch Johann Haacken verwaltet, welcher sehr schlechte Wirtschafft trieb, und deswegen seinen Abschied bekam, hingegen der Rath der Stadt Zittau 1556 solche Güter-Pachts-weise 10 Jahr lang erhielte« (Zedler). Man kann davon ausgehen, daß Herrmann Ygel damals Pächter wurde und bis 1566 die dortigen Güter verwaltete, wenn es auch nicht ausdrücklich im Text erwähnt wird. Daher ist die Datierung des Bildes auf 1556 ein sprechendes Datum und der Fensterausblick informativer, als man zunächst annimmt. 1568 übernahm Siegesmund von Döbschütz die Verwaltung. Zwar läßt sich nicht eindeutig klären, ob das kleine Kastell vorn der erwähnte Meyer-Hof ist oder eines der anderen Vorwerke. Da einige Dörfer zu dem Komplex gehörten, könnten sich die zahlreichen Ringe auf diese Herrschaften beziehen. Die Berglandschaft im Hintergrund ist vor allem nicht bloße Phantasie, wie so oft, sondern hat einen realen Bezug, da die historische Burg tatsächlich auf einem abgeplatteten Berg von 513 m Höhe liegt, wenn auch nicht ganz so großzügig dimensioniert wie im Bild.

Von Hermann Ygel fand sich bisher sonst keine Spur. Ob sein Familienname wie so oft aus dem Namen der Herkunftsortschaft Ygel bei Trier hervorgegangen ist, läßt sich nicht beantworten. Eine Amtsperson scheint er nicht gewesen zu sein, denn er wird nicht in dem akribischen Werk von Christian Hesse erwähnt. So ist eher anzunehmen, daß er ein reicher Handelsherr war, der im West-Ost-Geschäft zu einem Vermögen gekommen war. Seine Aufmachung spricht jedenfalls dafür.

Im Bild gibt es noch weiteres zu besprechen. Auf dem unteren Fenstersims hat der Künstler zwei sich tummelnde Eidechsen gegenübergesetzt. Was könnte der Dargestellte damit für einen Sinn verbunden haben? In der Bibel kommt dieses Tier nicht vor; in der Antike bei Ovid wird es nur in Verbindung mit der Fähigkeit zur Häutung erwähnt. Symbollexika, die auf dem Wissenstand des Mittelalters basieren, helfen zudem nicht weiter, da die Eidechse in ihnen so gut wie nicht vorkommt. Lediglich Biedermann (S. 112) bietet eine Ausdeutung an: »In christlicher Zeit wurde die positive Wertung übernommen (Wiedergeburt, Verjüngung durch Häutung, Sehnsucht nach dem – geistigen Licht)«. Auf Ygel bezogen, könnte man jedoch annehmen, daß er damals eine Ehe eingegangen ist, die für ihn als Verjüngung aufgefaßt wurde. Jedenfalls kann mit den zwei Eidechsen auf die Paarbeziehung angespielt worden sein. Doch fehlt es an einer Bestätigung durch Fakten.

Wer Eidechsen beobachtet hat, weiß, daß sie gern auf der Lauer liegen, blitzschnell reagieren und züngeln, wenn sie Insekten fangen wollen. So ist die rechte Eidechse im Bild dargestellt; die zweite scheint die andere zu beschnuppern. Der Katalog EMBLEMATA erwähnt drei Deutungen. Sp. 337 steht: »Um das Gift des Hasses zu besiegen, ahme die Eidechse nach«. Sp. 663 findet sich in alter Orthographie: »Das Edexen Gschlecht ist so klein / Vnd in die höler sich versteckt / Ist ein bedintnuß abgebildt / Der verbunst [Mißgunst/Eifersucht]«. Sp. 664 stellt die Behauptung auf: »Die Eidechse ist ein Tier, dem es an Erinnerungsvermögen mangelt«. Doch keines der Zitate erscheint treffend. Könnte es nicht daher sein, daß Ygel ─ vom Mythologischen unbelastet ─ mit den Eidechsen wirklich nur die Andeutung eines spielerischen Umgangs eines frisch verheirateten Paares meinte?

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2022

Literatur
Baedekers Allianz-Reiseführer. DDR. Ostfildern-Kemnat 1990
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen. Halle 1892
Hans Biedermann: Knaurs Lexikon der Symbole. München 1989
Johann Benedict Carpzov: Analecta Fastorum Zittaviensium oder Historischer Schauplatz. Leipzig 1746
EMBLEMATA. Hg. Arthur Henkel/Albrecht Schöne. Stuttgart 1967
Christian Hesse: Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich. Göttingen 2005
Jakob Christoph Iselin (Hg.): Neu vermehrtes Historisch- und Geographisches Allgemeines Lexicon. V. Basel 1744istorisch- und Geographisches Allgemeines Lexicon. V. Basel 1749
HistorischHiastorischH
Arno Kunze. In: Handbuch der Historischen Stätten: Sachsen. Hg. Walter Schlesinger. Stuttgart 1965 S. 271
Sotheby Auction September 2007 S. 62
Curt Tillmann: Lexikon der deutschen Burgen und Schlösser. Stuttgart 1957 ff.
Johann Heinrich Zedler: Das Grosse vollständige Universal-Lexicon der Wissenschaften und Künste. Leipzig 1732-54

Bildnachweise
Sotheby’s Auctions. New York 2007
burgundkloster-oybin.com (20.12.2021)