Hans Krell
Ernst von Bayern

38.01-Krell-Ernst 240Aus der Sammlung Marcell von Nemes kommend tauchte 1979 bei einer Auktion von Christie’s in London dieses Portrait eines 22jährigen auf (Öl auf Holz, 48,2 x 33,8 cm) und verschwand anschließend in Privatbesitz. Dieter Koepplin zitierte es bei seiner Zuschreibung des Gemäldes Die Schlacht von Orsa an Hans Krell (S. 102), ohne jedoch auf die dargestellte Person einzugehen. Dabei verwundert, daß in den seither vergangenen Jahrzehnten niemand das Rätsel um die Person zu lösen vermochte. Die Inschrift im Hintergrund des Portraits ist jedoch so eindeutig zielführend wie selten sonst bei einem Renaissanceportrait.

Um den Kopf des eleganten jungen Mannes herum steht zu lesen

ETAT            IS
S                   VE
A                  NNOR
VM              XXII
15                22

Da Latein verwendet wurde, hat sich hier ein offenbar gebildeter Mann porträtieren lassen, weil er davon ausgehen konnte, daß die gebildeten Kreise bzw. die Nachwelt aus den Angaben zweifelsfrei auf seine Identität schliessen würden. Daß der Maler kein Latein verstand, zeigt sich daran, daß die Wörter zerpflückt wurden und der Betrachter die Wortabfolge mühsam wieder herstellen muß.

Erschwert wurde die Identifizierung jedoch, weil etliche Prominente gerade im Jahr 1500 geboren wurden, das sich aus den Angaben ergibt. Aber die feine, wertvolle Ausstattung des Mannes gibt sofort den Hinweis auf einen Vertreter des mittleren Adels. Daß er kein Schwert vorzeigt, läßt den Schluß auf einen nicht regierenden Fürsten zu, der wegen seiner edlen Ausgestattet offenbar vermögend war.

Das fast schulterbreit ausschwingende, schwarze Barett weist auf einen modebewußten Mann hin, zumal die goldenen Applikationen (etwa eine Anspielung auf die Dornenkrone?) und die Plakette über dem linken Ohr anzeigen, daß die Person das damalige gesellschaftliche Spiel des Adels mit Impresen (s. Essay Barrett, Plakette, Devise, Imprese von Christoph Wilhelmi) beherrschte. Bedauerlicherweise ist allerdings die Plakette so stark von der Seite gesehen, daß ihre bildliche Botschaft nicht zu erkennen ist. Ein breiter Pelz, 4 – 5 Ringe, ein besonders edles Hemd und seidige (?) Ärmel bieten insgesamt einen exquisiten Auftritt. Vom Gesamterscheinungsbild her hätte Yvonne Hackenbroch, sofern ihr das Portrait bekannt geworden wäre, dieses unter German Principalities bei den bayrischen Herzögen eingeordnet. Von daher ist es kein weiter Schritt, unter den Vertretern des Jahrgangs 1500 die zutreffende Person auszumachen. Es handelt sich zweifelsfrei um Herzog Ernst von Bayern-München, der am 13.6.1500 am Münchner Hof geboren wurde, ein jüngerer Bruder von Wilhelm IV und Ludwig X. An dessen Portrait durch Hans Wertinger von 1516 (Bayerisches Nationalmuseum Nr. 274) hat sich Krell offenbar in der Körperhaltung orientiert. Außerdem gibt es ein 38.01-Beham-Ernst 240 Barthel Beham: Ernst von Bayern 1533.
Öl auf Lw. 97 x 71 cm. Bayerische
Staatsgemäldesammlungen
Vergleichsportrait von Barthel Beham, das Herzog Ernst in seiner Klerikergarderobe zeigt.


Dieser ganz weltlich-herrschaftlich auftretende Wittelsbacher war von seinem Vater, Albrecht IV. dem Weisen, und seiner Mutter, der Kaisertochter Kunigunde, um eine Erbteilung des Herzogtums zu vermeiden, schon mit 14 Jahren zum Coadjutor des Bischofs Wiguleus (Fröschl) von Marzoll (1445─1517) bestimmt worden. Interessant daran: Herzog Ernst veranlaßte den Maler, ihn als Herzog mit seinen Brüdern nahezu gleichrangig auftreten und der Nachwelt überliefern zu lassen. Eigentlich wollten die Brüder ihn abschieben. Herzog Ernst begehrte nicht direkt auf und verstand, sich zunächst anzupassen. Als Enkel des Kaisers (Friedrich III.) wurde er wie sein Bruder Ludwig von dem Humanisten Johannes Aventinus (1477─1534), einem Celtis-Schüler, erzogen und gefördert. Dieser war nach Aufenthalten in Wien, Krakau und Paris an die Universität Ingolstadt zurückgekehrt. Auf der Italienreise der Brüder Ludwig und Ernst wurden sie von Aventinus begleitet. An der Universität Pavia hielt sich Ernst eine Weile auf und hörte Vorlesungen des Juristen Iason Magnus. Seinen Gesichtskreis erweiterte er zudem durch eine Reise nach Paris und an den sächsischen Hof in Dresden, der durch den Kurfürsten Friedrich den Weisen repräsentiert wurde.

Ernsts Bildung war offenbar nicht nur aufgesetzt, sondern auch ein persönliches Anliegen, denn als er sich an der jungen Universität Ingolstadt 1515 einschrieb, durfte er Teil an den Sitzungen der Sodalitas Angilostadensis nehmen, der regionalen Akademie der Humanisten unter dem Protektorat von Herzog Ernst. Die Akademie bestand nur bis 1520. Aventinus wurde nach Ausbildungsende 1517 von den Herzögen zum Hofhistoriograph ernannt. »Aventinus hatte sich zwar nicht förmlich der neuen Lehre angeschlossen, aber er sympathisierte in der Mehrzahl der Fragen mit der reformatorischen Bewegung« (Wegele S. 701).

Beim Tod von Bischof Fröschl mußte Ernst die Funktion des Administrators der Diözese Passau übernehmen, obwohl er nicht die Weihen besaß. In seiner Funktion machte er zur Besitzstandwahrung des Bistums Front gegen diejenigen, welche der Reformation anhingen. Bei dieser Initiative ergab sich eine erste Zusammenarbeit mit König Ferdinand, dem Bruder des Kaisers. Möglicherweise hat er an dessen Hof den Porträtisten Krell kennengelernt.

1534 kam es zwischen den Wittelsbachern und Österreich zum Vertrag von Linz. Die Brüder Wilhelm und Ludwig waren zeitweilig den Habsburgern gegenüber sehr reserviert gewesen, weil sie eine Umklammerung ihrer Territorien durch Österreich fürchteten. Durch die Zusammenarbeit der bayerischen Herzöge mit dem Erzbischof von Salzburg zur Bekämpfung der Bauernaufstände ergab sich aber für Ernst die Aussicht, zusätzlich Coadjutor in Salzburg zu werden. Doch der Papst lehnte den Antrag ab. »1540 folgte Ernst dem Erzbischof von Salzburg Matthäus Lang als Administrator, resignierte aber, da er sich nicht entschliesen konnte, die höheren Weihen zu empfangen« (von Zeißberg S. 249).

Für das Jahr der Datierung des Bildes ist zu vermelden, daß Ernst an der Provinzsynode von Mühldorf /Inn teilnahm. Wegen der bedrohlich werdenden Erneuerungsbewegungen im Lande kam es zwei Jahre später nach dem Reichstag zu Worms doch zu einer Allianz der bayerischen Herzöge mit Ferdinand. Im Zuge dieser Ereignisse wurde auf Anweisung von Herzog Ernst der Luther-Anhänger Leonhard Kaiser (ca. 1480) 1527 in Schärnding wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Die Differenz zwischen Ernst und seinen beiden regierenden Brüdern zog sich lange hin, führte aber schließlich unter Einschluß Ferdinands zu einem Kompromiß. Der bestand in einer Abfindung von 275.000 florins (250.000 Gulden) und dem erzbischöflichen Stuhl in Salzburg. Doch für diesen bestand die Auflage, sich innerhalb von zehn Jahren weihen zu lassen. Den Erlös steckte Ernst ganz unternehmerisch in böhmische Bergwerke, wo er auch Handel mit Erzen betrieb. Als aus seinen Salzburger Plänen nichts geworden war, weil er die Weihen ablehnte, nahm er die Gelegenheit wahr, von Johann III. von Pernstein (1487─1548, s. Beitrag Hans Krell (?): Adalbert von Pernstein) die Grafschaft Glatz in Schlesien zu erwerben. Dies wurde ihm möglich, weil er von seinen Brüdern eine weitere Abfindung von 150.000 Gulden bekommen hatte. Zu der Transaktion gehörte auch die Herrschaft Hummel. »Was Ernst speziell mit dieser Herrschaft vorhatte, wurde deutlich, als er zum 10.Dezember 1549 diese seinem Sohn Eustach und dessen Nachkommen verlieh. Eustach, der illegitime Sohn mit einer Bürgerlichen, der von Papst Julius III. legitimiert wurde, war 1547 auf Betreiben Ernsts von Kaiser Karl V. geadelt worden« (Arno Herzig S. 57).

Ernst selbst siedelte in die Grafschaft Glatz über und entwickelte dort »beachtliche ökonomische Aktivitäten im Vieh- und Getreidehandel, im Edelmetallbergbau und im Münzhandel» (Herzig S. 57). Er reorganisierte die Verwaltung und holte dazu aus Bayern und Salzburg Fachkräfte heran. Außerdem nutzte er das miterworbene Privileg, Münzen zu prägen.

Daß Ernst für sein Portrait nicht den Hofmaler seines Bruders Ludwig beauftragte, sondern den Maler Ferdinands vorzog, könnte Ernsts schrittweise Distanzierung von seinen regierenden Brüdern und den Übertritt in das Gebiet der Habsburger unterstreichen. Dieser Künstler, Hans Krell (nachweisbar 1522─1586), betrieb eine lukrative Werkstatt in Freiburg/Breisgau und später in Leipzig, in der Fürstenbilder in Serie hergestellt wurden. Das setzte ihren Wert für die Kunstgeschichte herab. Das hier analysierte Portrait jedoch beweist, daß er sein Handwerk verstand und in diesem Werk dem Dürer-Umkreis als gleichwertig anzusehen ist.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2022

Literatur
Arno Herzig. In: Schlesische Lebensbilder. Schlesien des 14. bis 20.Jahrhunderts. Neustadft a.d. Aisch 2004
Dieter Koepplin: Neue Werke von Lucas Cranach und ein altes Bild einer polnischen Schlacht ─ von Hans Krell, Basel 2003 wlb: LI 23950 53a/518 (53a/518)
Yvonne Hackenbroch: Enseignes. Florenz 1996
en.wikipedia.org/wiki/Ernest_of_Bavaria_(1500-1560) (4.4.2012)
von Zeißberg. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Berlin 1968

Bildnachweis
Christie’s Auctions. London█
.wikimedia.org/wiki/File:Barthel_Beham_-_Herzog_Ernst_in_Bayern,_Administrator_des_Bistums_Passau_-_2452_-_Bavarian_State_Painting_Collections.jpg (16.12.2021)