Erstveröffentlichung
Domenico Tintoretto (?)
Cesare Negri
Die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden enthalten in der Gemäldegalerie Alte Meister (Nr.270) ein relativ selten gemaltes Motiv, ein Doppelbildnis mit dem Motiv ´Vater und Sohn´, von Domenico (?) Tintoretto (Öl auf Lw. 99,5 x 121 cm). Im Unterschied zu oft starren Einzelportraits ist dieses Doppel durch ihre Interaktion erstaunlich aussagekräftig. Allerdings fehlen im Bild Beigaben als Hinweise auf Beruf und Lebensweise nahezu vollständig, weswegen offenbar auch keine Identifikationsversuche gewagt wurden. Ansätze dazu sind in der Tat äußerst schwierig. Es läßt sich nur sagen: Für die Hauptfigur kommen keine Kleriker infrage. Auch um ein Bild von Adligen scheint es sich nicht zu handeln, da die schwarze Kleidung sich an der damaligen spanischen Mode orientiert und sich weder eine Waffe, noch eine goldene Kette abgebildet findet. Die Handschuhe in der rechten Hand des Vaters könnten allenfalls darauf hindeuten, daß er ein Jurastudium absolviert hat.
Da das Bild nicht datiert ist, erweist sich die Identifizierung noch zusätzlich problematisch. Aushilfsweise wurde die Entstehung des Gemäldes auf ca. 1575 geschätzt. Dementsprechend kann man von einem Mann der Jahrgänge um 1535 ausgehen. Dementsprechend wurden fünfzehn Kandidaten aus den Jahren 1535 bis 1541 aus Italien herangezogen. Mehrere davon waren aber Kleriker oder wiesen in ihren Viten keine Angaben zu Familienangehörigen auf. Daher kommt der um 1536 in Mailand geborene Cesare Negri (+ 1604) in Betracht, obwohl in seinem frühen Lebenslauf wichtige Angaben zu vermissen sind. Für sein Geburtsjahr wurde aus Urkunden auf bis zu 1542 zurückgeschlossen. Ob er zunächst Jura studierte, wird von den Historiographen leider nicht erwähnt. Seine überlieferten Lebensdaten setzen erst 1554 ein, als er zusammen mit seinem Lehrer Pompeo Diobono, der in Mailand eine scuola di coreografia leitete und dessen Tanzgruppe von den dortigen spanischen Machthabern, u.a. dem Duca di Sessa, engagiert wurde. Aber auch der damalige französische Gouverneur des Piemont, Charles de Cossé, conte di Brissac (1505 ─ 1563) wird auf ihn aufmerksam, der bei Negri Kompositionen bestellte. Offenbar erregten Negris Darbietungen Aufsehen, denn 1561 interessierten sich selbst die Großherzöge der Toscana (Cosimo und Francesco sowie deren Schwiegersohn Paolo Giordano Orsini) für seine Veranstaltungen.
Negri selbst spielte ein Instrument, die Posaune, und war mit ihr so verwachsen, daß diese zu seinem Spitznamen gemacht wurde: il Trombon. Auch sein späteres Haus trägt diese Bezeichnung: Casa del Trombone. Als 1561 Herzog Guglielmo Gonzaga seine Hochzeit mit Eleonore von Habsburg in großem Stil in Mantua feiert, wird Negri mit dem Festprogramm betraut. Dieses Fest wurde zum Treffpunkt des Hochadels von Italien. Ähnliches spielt sich 1563 ab, als die beiden Söhne des Kaisers Maximilian II. auf ihrer Reise nach Spanien in Mantua Halt machen, und wiederholt sich 1571, als ein prachtvolles Bankett in Genua gegeben wird, und der Befehlshaber der kaiserlich-vatikanischen Flotte, Don Juan d’Austria (der natürliche Sohn Kaiser Karls V.), an Bord ging, um bei Lepanto die große Seeschlacht gegen die türkische Flotte zu befehligen.
1574 ergeht an Negri der Auftrag seitens des Marquis d’Ayamonte, Antonio de Guzmán, der in Vigevano das Herzogtum Mailand für den Kaiser verwaltete, das Fest zur glanzvollen Rückkehr von Don Juan d’Austria auszurichten: eine mascherata in 25 Abschnitten. Das ganze kulminierte in einer Szene mit 85 Ballettänzern. Außerdem wurden dabei Zwerge und Wildtiere eingesetzt.
Hier können nicht alle Festprogramme geschildert werden; einige fanden in Beisein des französischen Königs Henri II statt, weil Diabono mittlerweile zu dessen Kammerherr berufen wurde. Als Regisseur für verschiedene Höfe war Negri häufig abwesend von seiner Familie. Seine Frau in Mailand, Isabella di Nava, gebar ihm vier Kinder, drei Töchter und einen Sohn, Jacobo Filippo. Dieser soll bald erblindet sein. Inwieweit auch dieser etwas von der väterlichen Begabung geerbt hat, wird leider nicht erwähnt. Offenbar verstanden sich Vater und Sohn durchaus, wie die Dialog-Szene beweist: Der Vater hört den Ausführungen des Sohns jedenfalls aufmerksam zu.
Immerhin ist zur Stützung der Identifizierung ein Vergleichsbild von Cesare Negri von einem Frontispiz verfügbar. Im Stil des Manierismus besteht es aus einer Art Bühnendekoration ─ vielleicht eine Anspielung? Es soll Negri im Alter von 66 Jahren vorstellen. Demnach wäre es auf 1602 bzw. 1608 zu datieren d.h. das Geburtsjahr 1542 wäre demnach ohnehin unzutreffend. Aber obwohl Tintorettos Portrait und der Stich 27 Jahre auseinanderliegen, ist eine weitgehende Übereinstimmung beider Physiognomien zu erkennen, die andere Lücken in der Beweisführung kompensieren kann.
© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2021
Literatur
Katherine Tucker McGinnis. In: Dizionario Biografico degli Italiani. Roma
Bildnachweise
tripadvisor.de/LocationPhotoDirectLink-g187399-d207201-i223280047-Gemaldegalerie_Alte_Meister-Dresden_Saxony.html (19.5.2021)
Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Porträtsammlung, Inventar-Nr. PORT_00116000_01