Erstveröffentlichung

Domenico Tintoretto

Rinaldo Corso

69.01Tinroretto-Dom-RinaldoErcole-Corso 240Bei den Portraits der Renaissance handelt sich überwiegend um Einzelportraits sowie um Portraitpaare von Ehepaaren. Nur sehr vereinzelt kommt das Motiv des Vater-Sohn-Portraits vor wie in diesem Fall. Der Neffe bzw. natürliche Sohn von Jacopo Tintoretto, Domenico Robusti, 1560 ─ 1635) hat es etwa nach 1580 gemalt (Öl auf Lw. 73 x 86 cm. Liechtenstein Museum, Wien G.E 230). Verlegenheitshalber wurde es als Porträt eines Edelmanns mit seinem Sohn betitelt. Es ist nicht das einzige; die Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden (Nr. 270) verfügt über ein weiteres Doppelbildnis. Allerdings ist die Autorschaft von Tintoretto dabei nicht völlig gesichert.

Die Verbundenheit von Vater und Sohn zu inszenieren ist Domenico Tintoretto in dem vorliegenden Doppelportrait gelungen. Der Vater nimmt 2/3 des Bildraums ein und bildet durch seine fast spanisch wirkende dunkle Kleidung deutlich das Schwergewicht, zumal auch der Hintergrund dunkel schraffiert ist. Das helle linke Bilddrittel gehört dem Sohn; sie wird zur Lichtgestalt (von der Kleidung her). Der 8-10jährige Sohn schaut recht ernsthaft nach rechts und hält mit der Rechten eine aufgeschlagene Ausgabe von Vergils Eklogen (früher Bucolica). Das geht aus der rechten Buchseite hervor. Damit demonstriert er, schon frühzeitig humanistische Bildung erhalten zu haben. Mit der Linken berührt er den Vater, der ihn vermutlich unterrichtet hat. Dieser legt ihm vertrauensvoll die rechte Hand auf die Schulter und ist offenbar stolz auf seinen gelehrigen Sohn. Im verbleibenden oberen Raum ist ein Fensterausblick gemalt. Vor sommerlich blauem Himmel wächst ein Weinstock mit Laub über den oberen Bildrand hinaus.

Als Halbportrait steht der Sohn aufrecht, während der Vater sich entspannt auf einem Lehnstuhl zurücklehnt. Tintoretto hat die Lehne dazu benutzt, eine Inschrift anzubringen. Sie enthält die Angabe AO.AETS XXXIII. Dco 56 T.tto pix. Bedauerlicherweise fehlt das Entstehungsjahr und erschwerte so bisher die Identifizierung.

Das Museum hat sich frühzeitig entschieden, in dem Vater einen Edelmann zu sehen. Das hängt vermutlich mit der in Italien freigebig verteilten Formulierung bzw. Einstufung als gentiluomo zusammen (analog dem österreichischen Herr Baron). Aber für einen Adligen fehlt die übliche goldene Kette, vor allem aber die Waffe, das Schwert an der Seite. Immerhin hatte die Person etwas Grundbesitz, wie der kleine Ring am linken kleinen Finger andeutet. Aber gerade in der Renaissance schafften es viele Männer, durch Bildung aufzusteigen, Ansehen und Vermögen zu gewinnen z.B. Juristen, die meist durch Handschuhe kenntlich gemacht werden.

Leider steht wenig an Materialien im Bild zur Verfügung, aus dem sich weiterführende Schlüsse ziehen lassen. So wird das aufgeschlagene Buch in der Hand des Knaben zum Schlüssel für die Identifizierung. Es wurde als Doppelseite aus Vergils Eklogen identifiziert. Diesem Werk galt schon im ausgehenden Mittelalter eine gewisse Verehrung, welche die katholische Kirche zuließ, weil die in der vierten Ekloge geäußerte Hoffnung auf einen göttlichen Knaben, der bessere Zeiten bringen werde, auf Christus umgedeutet wurde. In der Antike galt sie als Anspielung auf Octavian, den späteren Kaiser Augustus, der eine längere Friedenszeit eröffnete. Bei Tintoretto ist die Glorifizierung des Knaben natürlich die Rolle des Sohnes, von dessen Begabung für Alte Sprachen der Vater ganz deutlich begeistert ist.

Wegen des unklaren Geburtsjahrgangs waren längere Recherchen notwendig, um auf diese nicht ganz alltägliche Beziehung zu stoßen. Schließlich ergab sich dabei eine interessante literarische Gestalt, die sich frühzeitig einen eigenen Namen, Rinaldo Corso, gab, denn geboren wurde er 1525 als Sohn des Ercole Macone, eines condottiere, in Verona. Die Mutter war von Adel: Margherita Merli da Correggio. Corso spielte längere Zeit im römischen Literaturbetrieb eine zentrale Rolle und pflegte damals ein Verhältnis mit einer römischen Autorin, Giulia della Molara Ruffini, mit der er zwei Kinder hatte. Der Sohn, um den es sich im Bild handelt, hieß Ercole und war anscheinend recht sprachbegabt. Von Giulia della Molara ist bekannt, daß der Autor Muzio Manfredo ihr 1575 seine gesammelten Gedichte dedizierte.

Diese Konstellation erklärt zugleich, daß auf dem Gemälde keine Familiensituation dargestellt ist, denn die Mutter des Knaben fehlt auf dem Bild. Man weiß allerdings, daß der Vater 1580 Ercole hat legitimieren lassen. Rinaldo Corso hat sich im Rahmen seiner Übersetzertätigkeit selbst intensiv mit Vergil beschäftigt und 1564 eine Übersetzung der Pastorali in Ancona herausgegeben.

Das Lebensablauf des Rinaldo Corso umfaßt bei G. Romei allein sechs Spalten und kann hier nur gerafft wiedergegeben werden. Der Vater sorgte für eine gute Schulbildung und ließ Rinaldo an der Spitzenuniversität Bologna Jura studieren, wo er 1546 seinen Abschluß machte. Bologna gehörte zum Kirchenstaat. So lag es nahe, daß er auf Grund seiner guten Zeugnisse vom Notariat der Kurie eingestellt wurde.

Nebenher aber scheint Corso sich intensiv für Poesie interessiert zu haben, denn schon 1542 legte er den ersten Teil und 1543 den zweiten Teil einer Kommentierung der Rime di Vittoria Colonna vor, der mit Michelangelo befreundeten Fürstin von Pescara (1490─1547) und Petrarkistin. Diese Ausgabe dedizierte Corso der verehrten Poetin Veronica Gambara (1485─1550) und fügte der Ausgabe zwei eigene Sonette hinzu. Sein Motiv: Er durfte an der von Veronica Gambara (1485─1550) geführten Akademie teilnehmen. Nach deren Tod war Corso der Gründer der nachfolgenden Akademie di Filogariti (Amanti della Grazie).

Als sein Vater starb, bemühte sich Corso in Venedig beim Senat der Serenissima um die Erlaubnis, ein Grabmal für seinen Vater mit dem Wappen der Republik zu errichten, weil der Vater im Dienste Venedigs gestanden hatte und im Kampf gefallen war. Er selbst hielt sich um die Zeit in Correggio auf, der kleinen Herrschaft, in der auch Veronica Gambara lebte und er etwas Grundbesitz außerhalb der Mauern hatte. Der Ort war während des Kampfes der Heiligen Liga sehr mitgenommen worden. Corso lieferte dem kleinen Hof der conte de Correggio zur Unterhaltung kleine Singspiele. 1551 dedizierte er Isabella Gonzaga (1537─1579), der Marquesa di Pescara, die Tragödie Panthia.

1562 zog Corso nach Rom und begab sich in den Dienst des Kardinals Girolamo da Correggio (1511─1572), des Sohnes von Veronica Gambara. Um die Zeit scheiterte seine Ehe, u.a. weil seine Frau 1557 nach Reggio Emilia zog. Den Kardinal mußte Corso nach Ancona begleiten, weil der Kardinal dort das Kommando übernahm. In Ancona publizierte Corso seine Übersetzung der Pastorali von Vergil und dedizierte die Ausgabe Ersilia Cortese del Monte. 1550 erschienen seine Fondamenti del Parlar Thoscano im Sinne Pietro Bembos. 1566 veröffentlichte er auch ein biographisch-historisches Werk über Giberto II. di Correggio. 1568 brachte Corso außerdem ein zivilrechtliches Fachbuch in lateinischer Sprach heraus. Sein Dialogo dell ballo von 1555 wurde sogar 2006 nachgedruckt. Insgesamt umfaßt seine Literaturliste dreizehn Titel.

Es scheint auch so, daß der kleine Hof in Correggio eine Neigung zur Kirchenreform im Sinne Martin Luthers gehabt hat, insofern vergleichbar dem Hof von Ferrara, zumal es einige Verse von Veronica Gambara gibt, die Bezug zu Gedanken der Reformer aufweisen. Auch gingen nicht alle Manuskripte von Corso in Druck. So findet sich in der Universitätsbibliothek von Bologna die Schrift Discorso a pittori, sopra l’honestà delle imagini, in der er mit Nachdruck bei Übersetzungen metaphorische Zuspitzung fordert.

1579 wurde Corso sogar zum Bischof von Strongoli/Kalabrien berufen, konnte dieses Amt jedoch nicht lange wahrnehmen. Umstände und Zeitpunkt des Todes von Rinaldo Corso sind nach wie vor unklar. Die vorhandenen Unterlagen melden sowohl 1580, als auch 1581 und 1582. Das Doppelportrait ist daher wohl als Abschiedsbild anzusehen In der Kathedrale von Strongoli ist Corso in der Sakristei beerdigt.

Angesichts der späten Karriere von Corso zum Bischof ist zu überlegen, ob der Weinstock im Fensterbild nicht doch eine metaphorische Bedeutung hat. In Johannes 15 wird der Weinstock zum vielzitierten Symbol: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben… denn ohne mich könnt ihr nichts tun«. Allerdings wäre es anmaßend gedacht von Corso, wenn er diesen Ausspruch für sich vereinnahmt hätte. Wahrscheinlicher ist, daß er auf den ersten Vers zielte: »Ich bin der rechte Weinstock und mein Vater der Weingärtner«. Jedenfalls bildet sich darin die von Tintoretto dargestellte Rolle des Sohns ab.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2021

Literatur
Veronica Gambara: Rime. Florenz 1995
G. Romei. In: Dizionario Biografico degli Italiani. Vol. 29 Roma 1983
Paola Rossi: Tintoretto. I Ritratti. Venezia 1972 S. █

Bildnachweise
Liechtenstein Museum Wien. Die Sammlungen. München o. J. S. 174
wikipedia.org/wiki/Girolamo_da_Correggio#/media/File:Girolamo_da_Correggio.jpg (21.7.2018)
www.musicologie.org/Biographies/c/corso_rinaldo.html (6.5.2021)