Mærten van Heemskerck
Georg Klieber

34.02-Heemskerck-Klieber 240Da sich das von Mærten van Heemskerck (1498─1574) gemalte Portrait eines Kompaßmachers (Öl auf Holz 50 x 38,5 cm) früher in der Privatsammlung von A. F. Philips in Eindhoven befand, ist das Bild nicht öffentlich in Erscheinung getreten; dementsprechend wurde es auch nicht diskutiert. Es zeigt einen selbstbewußten jungen Mann vor einer Landschaft, in der im Hintergrund eine Burg auf einem Felsen aufragt (rechts oben). Er trägt einen »waarmede tabbard«, wie Hoogewerff (S. 337) beschreibt, und hält demonstrativ einen Kompaß vor sich in der rechten Hand. Seine kräftige Hand und sein kerniges Gesicht deuten nicht auf einen ratlosen Wanderer, der mittels Kompaß sich zu orientieren versucht, sondern eher auf einen talentierten Handwerker, der es sich leisten kann, einen pelzgefütterten Überrock zu tragen.

Über der Schulter des Porträtierten erkennt man in einem Landschaftsausschnitt zwei wandernde junge Männer. Es bietet sich an, sie als Handwerksburschen auf der Wanderung anzusehen. Auf jeden Fall sind die vorkommenden Personen nicht als Adlige einzustufen, aber auch nicht als arme Arbeitssuchende.

Doch welcher Schauplatz wird hier vorgestellt? In der Heimat des niederländischen Künstlers läßt sich der schroffe Fels mit der aufragenden Burg jedenfalls nicht finden. Die an Canossa erinnernde Szene weist nach Italien. Dieser Gedanke kommt auf, wenn man weiß, daß Mærten van Heemskerck ab 1532 Italien bereiste und bis Rom gelangte, wo er viele Ansichten gezeichnet hat, die heute von kulturhistorischem Wert sind, weil sie Orte in ihrem historischen Zustand zeigen.

So wie Heemskerck nach Italien reiste, um sich neue Kenntnisse anzueignen, waren viele nordeuropäische Handwerker dorthin unterwegs; man denke nur an die deutschen Buchdrucker-Gesellen, welche in Italien Druckereien einrichteten und betrieben u.a.in Subiaco. Ähnlich verhielt es sich mit den Kompaßmachern, einem Sondergebiet der Sonnen- und Uhrmacher ─ beide damals noch ein junges Berufsbild. Das Zentrum dieser Zunft lag in Augsburg, sodaß es sogar Literatur über die Alt-Augsburger Kompassmacher gibt. Da das Handwerk in der beginnenden Neuzeit in den Familien von Generation zu Generation weitergereicht wurde, vor allem der Werkstatt wegen, entstanden Familiendynastien. Eine davon war die Familie Klieber aus Augsburg, von der von sieben in dieser Weise tätigen Angehörigen noch Namen und Daten überliefert sind. Da Augsburg an den Transportweg nach Italien angeschlossen war, könnte es sein, daß Heemskercks Route über Augsburg führte, wo er sich vielleicht mit Georg Klieber (ca. 1494─ca.1562) angefreundet und ihn als Weggefährten gewonnen hat. Dann wäre dieses Portrait ein Dokument der Freundschaft Heemskerck/Klieber anzusehen. Der eindrucksvoll gestaltete Kopf des Portraits zeigt jedenfalls, daß der Künstler sein Gegenüber gut kannte und ihn wertschätzte. Die solide Garderobe (Pelz) signalisiert, daß der junge Mann wirtschaftlich gut situiert und nicht aus Not unterwegs war. Zudem ist das Gemälde eine Bestätigung für Heemskercks Michelangelo-Kenntnis, wie aus der muskulösen Gestaltung von Gesicht und Hand hervorgeht.

Verläßliche Einzelheiten von und zu Georg Klieber bzw. seiner Lebensgeschichte sind nicht mehr vorhanden. So bleibt es bei der Hypothese, daß hier ein Vertreter der namhaften Familie Augsburger Kompaßmacher dargestellt ist.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2021

Literatur
Maximilian Bobinger: Alt-Augsburger Kompassmacher. Augsburg 1966
G. J. Hoogewerff: Noord-Nederlandsche Schilderkunst. s’Gravenhage. Bd. III 1939 S. 336

Bildnachweis
G. J. Hoogewerff: Noord-Nederlandsche Schilderkunst. s’Gravenhage. Bd. III 1939 S. 336