Erstveröffentlichung

Joos van Cleve
(?)
Leonard Casembroot

21.04-Cleve-casem-240Das Ashmolean Museum, Oxford/UK, verwahrt das Jan Cornelis Vermeyen zugeschriebene Portrait of a man holding a peach (Öl auf Holz 33 x 25 cm. Nr. 1047) sowie das zugehörige Portrait of a woman (Nr. 1048). Die beiden Bildnisse sind bedauerlicherweise nicht datiert; man vermutet ihr Entstehen mit Ende der 1520er Jahre. Aber kann man wirklich Vermeyen als den Urheber für sie annehmen? Die Portraits fanden keine Aufnahme in die Monographie von H. J. Horn ─ zu Recht, denn stilistisch sind sie viel eher mit dem Œuvre von Joos van Cleve in Verbindung zu bringen. So ähnelt das Frauenportrait stark dem Portrait einer 38-jährigen Frau (Öl auf Eiche 64 x 49 cm. 1525 datiert. Gemäldegalerie Alter Meister, Kassel Nr. GK 21). Bildaufbau, Hintergrund Ausrichtung der Person und Handhaltung lassen daher auf Joos van Cleve (ca.1490─1540/41) schließen. Jan Vermeyen neigte eher dazu, die Personen schräg ins Bild zu setzen.

Nun gibt es Gründe anzunehmen, daß der Mann identisch ist mit Leonard Casembroot (1495─1558). Dieser Mann war Vertreter einer angesehenen Familie aus Brügge. Dazu paßt die gediegene Kleidung ─ in diesem Fall ein gefleckter Pelzkragen ─, die ansonsten schlicht ist. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Casembroot mit lateinischem und griechischem Sprachunterricht. Zu seinen Schülern gehörten auch die Söhne von Guillaume de Moscheron. Er beauftragte Casembroot, seine Söhne nach Padua zum Studium zu begleiten. Casembroot nahm in der Zeit die Gelegenheit wahr, an dieser Spitzenuniversität Zivilrecht zu hören. Darin promovierte er 1527/28.

Zurückgekehrt nach Flandern engagierte ihn die Stadtverwaltung von Brügge und stellte ihn Leistungen 1542 und 1557 zum Bürgermeister bestimmt wurde. Privatim betrieb er weiterhin humanistische Studien und schrieb Gedichte, vermutlich neulateinische. Wann er seine erste Frau, Maria Reyvært, heiratete, ist nicht vermerkt, jedoch daß er nach deren Tod 1530 erneut heiratete und zwar Godelieve Brest (s. BeitragCleve,Godelieve Brest). Es spricht einiges dafür, daß sie die in dem zugehörigen Frauenportrait Gemalte ist.

Im Titel des Gemäldes wird erwähnt, daß der Mann einen Pfirsich hält und zwar mit der rechten Hand. Es ist jedoch anzunehmen, daß es sich bei der Frucht um einen Granatapfel handelt. Damals hatte er die metaphorische Bedeutung von Fruchtbarkeit. Er macht Sinn, wenn man voraussetzt, daß Casembroot Kinder von seiner ersten Frau hatte, welche die zweite Frau übernehmen bzw. annehmen sollte. So ist nämlich die Gestik der linken Hand im Portrait zu verstehen, deren Zeigefinger auf den Granatapfel deutet. Damit wird dieses Bild zum Präzedenzfall für eine spätere Portrait-Situation (s. Beitrag Lucas Cranach d. J.: Philipp von Waldeck). Auch hier stiftet der Granatapfel erst den Sinn für die Lebensgeschichte des Wittwers. Sofern der Sachverhalt überzeugt, ergibt sich daraus die Heirat des Paars 1530, die zugleich Anlaß für den Portraitauftrag war. ─ Übrigens war ein Verwandter, Johann Casenbrod van Backerzeel, Sekretär beim Grafen Egmont, der zu den Köpfen in der Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande (Friedrich Schiller) gehörte und auch im gleichnamigen Drama von Goethe vorkommt.

Leonard Casembroot war Neuerungen gegenüber aufgeschlossen und daher auch Anhänger des großen Humanisten Erasmus von Rotterdam (1466/69─1536), den er durch Vermittlung seines Freundes Marcus Laurin(us) in Basel kennenlernen konnte, als er nach Paduas reiste. Daraus entstand eine Korrespondenz, deren Briefe noch erhalten sind. Casembroots Beschreibung der illustren akademischen Gesellschaft in Padua sind für die Nachwelt kulturgeschichtlich sehr aufschlußreich.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2020

Literatur
Peter G. Bietenholz. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
Peter van den Brink (Hg.): Joos van Cleve. Stuttgart 2011 S. 99
Dutch, Flemish, and German Paintings. Oxford 1999
Hendrik J. Horn: Jan Cornelisz Vermeyen. I/II Doornspijk 1989

Bildnachweise
The Ashmolean Museum. Oxford 2004 S. 232
Peter van den Brink (Hg.): Joos van Cleve. Stuttgart 2011 S. 99
Dutch, Flemish, and German Paintings. Oxford 1999 S. 156/157