Erstveröffentlichung

Anthonis Mor

Anna van Hamme

50.01-Mor-Hamme 240Das von Anthonis Mor (ca.1520─1576/77) geschaffene Portrait (Öl auf Linde 77 x 53 cm. Eremitage, St. Peterburg Nr. 398) zeigt eine elegante Dame der flämischen Oberschicht. Sie trägt ein bis zum Kinn schwarzes Obergewand, das mit einer Knopfleiste durchgehend geschlossen ist. Am Kragen wird der ondulierte Rand eines weißen Hemdes sichtbar, von dem vier spiralig gekräuselte Bänder herabhängen. Unter dem Obergewand trägt sie ein elegant gemustertes Gewand, dessen Ärmel ebenfalls mit ondulierten weißen Manschettchen abschließen. Über dem streng nach hinten gekämmten dunklen Haar ´schwebt´ eine weiße Haube, deren vorderer Rand aus einer durchbrochenen Stickerei besteht. Das Gewand wird in der Taille gehalten von einer goldenen(?) Kette, von der zwei Stränge über den Bildrand hinaus herabzuhängen scheinen. Ein dritter Strang zeigt knapp über dem Bildrand eine Riechkugel ─ Zeichen vornehmer Bürgerinnen (vgl. Essay Bartholomäus Bruyn d.Ä.). Während die rechte Hand sich scheinbar am unteren Bildrand abstützt, ist der linke Arm angewinkelt. Die Hand hält offenbar einen Teil der Kette und ist am Zeigefinger mit einem Ring geschmückt.

Nach der Ausstattung ist zu schliessen, daß die Dame aus vornehmem bzw. reichem Hause stammt. Doch wäre das Gemälde ein Einzelstück, wäre ihre Identität nicht zu ermitteln gewesen (und wurde es auch nicht), weil die vom Künstler als Verständnishilfe gelieferte Inschrift

ÆTATIS · XXV
ANNO · 1543

wohl durch die Verschmälerung der Tafel beschädigt ist. Vom Museum wurde sie ergänzt. In wie weit die Angabe zutreffend ist, ist fraglich, denn warum sollte sie schon drei Jahre früher als ihr Mann gemalt worden sein? Es besteht aber kein Zweifel, daß sich bei beiden Tafeln um Partner handelt, denn sie weisen die gleiche Höhe auf: beim Mann 76,8 cm, bei der Frau 77 cm). So besteht kein Zweifel mehr, daß die Dame die Frau von Andreas Vesalius (s. Beitrag Anthonis Mor, Andreas Vesalius) ist. Schließlich haben beide lt. An Delva im Jahr 1545 geheiratet.

An van Hamme war die Tochter eines Brüsseler Ratsherrn, der selbstverständlich zur vermögenden Oberschicht der Stadt gehörte. Ihre gemeinsame Tochter hieß Anna (*1546). Aber darüber hinausgehende persönliche Angaben zum Lebensablauf dieser Frau sind nicht überliefert, will man nicht üble Nachrede für wahr halten. Zedler hält aber, ob er »wegen seiner bösen Frau davon gegangen… für ein blosses Gedichte seiner Feinde, welche seinen grossen Ruhm und Ansehen nicht vertragen können, und vermuthlich selbst die vornehmste Ursache gewesen, daß er aus Verdruß… sich vom Hofe wegbegeben«.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2018

Literatur
siehe Beitrag A. Mor: Andreas Vesalius

Bildnachweis
Nikolai N. Nikitin: Netherlandish Painting. Moskau 1989 S. 172