Erstveröffentlichung
Rosso Fiorentino
Pietro Griffi
Anläßlich der Ausstellung Diverging Path of Manierism in Florenz tauchte aus einer Privatsammlung das eindringliche Portrait of a Man Holding a Letter (Öl auf Holz 80,6 x 57,5 cm. ca. 1514) von Rosso Fiorentino (1494─1540) auf. Es zeigt einen selbstbewußten Mann zwischen 40 und 50 Jahren vor einer grünen Portière. Er ist streng in Schwarz gekleidet und trägt dazu ein zugespitztes schwarzes Barett, das an beiden Seiten ausgeweitet ist. Der Spatenkragen läßt ein edles, plissiertes weißes Hemd erscheinen, aber der Mann weist keinen Schmuck auf. Das läßt vermuten, daß er in kirchlicher Mission unterwegs ist, zumal er mit beiden Händen ein entfaltetes, aber gesiegeltes Schriftstück vor sich hält. Im Hintergrund erscheint ein skulptierter Putto auf einem Sims mit einer Andeutung eines Wappenschilds, der aber nicht identifizierbar ist. Er wird sichtbar, weil die Portière zurückgeschlagen ist ─ ob er ein Wappen hält, bleibt undeutlich.
Es geht nun darum, einen Juristen bzw. Diplomaten zu finden, der um 1470 in der Toskana geboren ist und sich offenbar unter den Künstlern in Florenz auskannte. Da jedoch der Beruf eines Diplomaten weder einer Norm unterlag, noch eine Berufskleidung erforderte, gestaltete sich die Suche schwierig, bis nach neun gleichaltrigen Personen, die sich jedoch als ungeeignet erwiesenen, Pietro Griffi (1469─1516) auftauchte. Seinen Name variierte er auch mit Grifus, Grifius und Gryphus. Sein Vater hieß ebenfalls Pietro und lebte im Umkreis von Pisa, der späteren Universitätsstadt von Florenz. Dort begann er ein Jurastudium und promovierte 1494 in kanonischem und in Zivilrecht. Damals hatte Pisa gerade seine Selbständigkeit zurückgewonnen und setzte ihn in der Stadtverwaltung ein. Dazu gehörten auch externe Verhandlungen. Eine seiner frühen Amtshandlungen war die Beteiligung an einer Eskorte des nach Oberitalien eingedrungenen französischen Königs Charles VIII von Florenz nach Pisa. Seither liefen die Kontakte zwischen Pisa und dem französischen König über Griffi. Offenbar konnte er zu der Zeit materielle Belastungen für seine Stadt abwenden, denn als er sich 1500 noch in Mailand bei Charles VIII aufhielt, wurde er in Pisa zum gonfaloniere bzw. Stadtoberhaupt gewählt. 1502 sandte Pisa ihn als Botschafter zu Papst Alexander VI., der ihn für den Vatikan abwarb. In Rom erhielt er die priesterlichen Weihen und wurde zum päpstlichen Pronotar ernannt.
Damit erklärt sich auch Griffis durchgehend schwarzes Gewand. Eine Karriere dieser Art war übrigens nicht ungewöhnlich, denn um die Zeit gab es mehrere Päpste, die eigentlich Juristen waren und dennoch zum Papst und damit zum ´Präsidenten´ des Kirchenstaats gewählt werden konnten. Soweit gelangte Griffi nicht; er blieb seiner Heimatstadt auch in Rom treu und setzte sich u.a. 1508 für Pisas Unabhängigkeit ein ─ mit Rückendeckung des Papstes.
Zeitweilig agierte Griffi als Botschafter des Vatikans in Venedig sowie am Kaiserhof; 1506 wurde er mit einem Beglaubigungsschreiben nach London geschickt. Damals ging es um das päpstliche Alaun-Monopol, das er gegen die türkische Konkurrenz zu verteidigen versuchte. Doch diese Mission schlug fehl; Heinrich VIII. stimmte nicht zu.
1507 folgte ein weiterer, besonders schwieriger Auftrag. Die nördlichste Stadt des Kirchenstaats und älteste Universität, Bologna, wurde bisher als Lehen von der Familie Bentivoglio regiert. Da Bologna zum Kirchenstaat gehörte, war der dortige Kardinal das Stadtoberhaupt; dieser, Antonio de Ferreri, war gerade wegen Korruption in Ungnade gefallen. Der Papst war mit dieser Situation unzufrieden und setzte zur Reorganisation einen päpstlichen Gouverneur ein, Lorenzo Fieschi (ca.1466─1519); diesem stellte der Papst Griffi als Jurist an die Seite.
1509 brach Griffi erneut nach England auf, diesmal um Heinrich VIII. für päpstliche Pläne zu gewinnen. Zur Belohnung wurde er von Julius II. 1512 zum Bischof von Forli ernannt. Als solcher nahm er am 5.Lateran-Konzil teil. Von dessen Nachfolger, Leo X., wurde er zum päpstlichen referendarius erhoben und zwar im Jahr 1514. Dieser, für Griffis Rang bedeutsame Vorgang ist hier offenbar durch die Bestallungsurkunde in dem Portrait herausgehoben ─ ein seltenes Beweisstück. Diese Anerkennung konnte er nicht lange genießen, denn er starb schon 1516 in Forli.
Während bisher nur von der politischen Karriere von Griffi die Rede war, sollen seine Aufgeschlossenheit und juristische Versiertheit nicht unerwähnt bleiben. Durch seine Kontakte in England hatte er sich mit John Colet (1467─1519) angefreundet, einem bedeutenden Humanisten mit literarischen Neigungen, der in Oxford lehrte. Durch Colet lernte Griffi Erasmus von Rotterdam kennen. Während seines Englandaufenthalts schrieb Griffi mit De officio ein Handbuch über die päpstlichen Steuern, welches zeigt, wie versiert Griffi im Umgang mit dem kanonischen Recht war. Das Werk wurde 1973 sogar nachgedruckt.
© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2016
Literatur
Peter G. Bietenholz. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
Bildnachweis
Pontormo and Rosso Fiorentino. Diverging Path of Manierism. Florenz 2014 S. 147