Erstveröffentlichung

Franciabigio

Rosso Fiorentino


91.01-Franciabigio-Rosso 240In den Sammlungen des Liechtenstein Museums in Wien befindet sich ein attraktives, an Raffael orientiertes Porträt eines jungen Mannes (Öl auf Leinwand 55 x 40 cm. Inventar-Nr. GE 851) von Franciabigio (1484─1525), eigentlich Franceso di Cristofano. Im Sinne von E. Capretti handelt es sich um ein »nachdenkliches Portrait«, wie sie mehrfach bei dem Künstler vorkommen. Es zeigt einen noch jugendlichen Mann im Halbportrait ohne jeglichen Schmuck. Farblich ist das Bild sehr kalkuliert angelegt: Barett und Überrock sind in dem gleichen, seidig wirkenden Material in aubergin-farbenem Ton angelegt; der Hintergrund kontrastiert in monochromen Olivgrün. Ein plissiertes weißes Hemd tritt am Hals und am Ausschnitt hervor, der durch ein Band zusammengehalten wird. Es fällt auf, daß das Gesicht vergleichsweise fast bernsteinfarben getönt ist und zur Hälfte verschattet wurde. Um die geschlossenen Lippen ist ein bräunlicher Flaum zu erkennen. Obwohl auch die Augen etwas verschattet sind, richten sie sich aus den Winkeln konzentriert auf den Betrachter. In Höhe des Halses befindet sich links ein leicht gekrümmtes cartiglio oder cartellino, auf dem dreizeilig vermerkt ist: A·DM·D·XVII / D·X / S. Der erste Teil enthält die römische Datierung, wie sie in der Renaissance üblich war d.h. 1517. Der nachfolgende Teil konnte bisher aber nicht aufgeklärt werden, da es sich dabei offenbar nicht um römische Zahlen handelt.

Der Künstler betonte in seinem Portrait, daß der Dargestellte ein scharfer Beobachter ist. Außerdem ist aus dem Auftreten zu schliessen, daß es sich um einen intelligenten, zwar schlicht, aber mit Geschmack Gekleideten handelt. Daß derjenige ein Offizier, ein Kaufmann, ein Kleriker oder Jurist sei, läßt sich von der Garderobe her ausschliessen. So kommt die Vermutung auf, daß dieser Ästhet ein Künstlerfreund sein könnte.

Das Thema Freundschaft unter Künstlern in der Renaissance wurde außer bei Benvenuto Cellini selten erörtert, wohl weil zu wenig Aufzeichnungen existieren. Im Fall des deutschen Renaissancemalers Hans Baldung Grien konnte neuerdings die Freundschaft unter den oberrheinischen Akademikern und Künstlern thematisiert werden (s. Beiträge zu Hans Baldung Grien). Durch Vasaris Künstlerviten weiß man aber immerhin, daß Franciabigio kein ´Einzelkämpfer´ war, sondern mit ungefähr gleichaltrigen Künstlerkollegen eine Art Gruppe bildete: die Scuola d’Annunziata. Der Name rührt daher, daß er selbst 1513 für die Klosterkirche das Fresco Die Vermählung der Maria malte, den zweiten Auftrag des Klosters aber seinem jüngeren Freund Rosso Fiorentino (1494─1540) überließ. Außerdem hatte er mit Andrea del Sarto (1486─1530) eine Ateliergemeinschaft; sie schufen manche Fresken gemeinsam. Der vierte im Bunde war Pontormo (1494─1557).

Wer von den vier Beteiligten der Gruppe kommt nun für das Portrait infrage? Zwei sind Mitte der 80er Jahre geboren und waren 1517 bereits 33 Jahre alt, also zu alt für das Portrait. Insofern kommt nur einer der beiden Jüngeren in Betracht: Pontormo oder Rosso Fiorentino, beide 1494 geboren und 1517 23 Jahre alt. Das wäre für das Bildnis das passende Alter. Mißt man dem dunklen Teint des Dargestellten Bedeutung zu, kommt Rosso Fiorentino (= der rote Florentiner) infrage, der mit seinem ursprünglichen Namen Giovanni Battista di Jacopo di Guasparre hieß. Bei der Länge des Namens war es nur zu verständlich, daß er sich einen Künstlernamen wählte, der ─ so ist zu vermuten ─ auf einen Spitznamen zurückgeht, als Anspielung auf seine ´Rothaut´.

Die kunsthistorische Forschung hat Rosso Fiorentino auch eine Anlehnung an Albrecht Dürer nachgesagt. In der Tat spiegelt das Portrait die bei Dürer überwiegende Auffassung wider, eine Person vor einen schlichten Farbgrund zu setzen und auf Ausschmückungen der Portraits durch Beigaben zu verzichten ─ nach dem Prinzip: weniger ist mehr. Nur macht diese Methode leider das Identifizieren seiner unkommentierten Portraits damit fast unmöglich.

Schließlich fällt im Leben des Rosso Fiorentino auf, daß er 1517 sein erstes großes Gemälde erfolgreich beendete: das Fresco Mariä Himmelfahrt für SS. Annunziata in Florenz. Insofern scheint auf der Hand zu liegen, daß Franciabigio gerade 1517 das Portrait seines Freundes Rosso Fiorentino malte.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2016

Literatur
E. Capretti. In: Allgemeines Künstlerlexikon. Bd. 43 München/Leipzig 2004
Liechtenstein Museum Wien. Die Sammlungen. München u.a. 2004
Giorgio Vasari: Die Lebensbeschreibungen der berühmtesten Architekten, Bildhauer und Maler.
Hg. A. Gottschewski/G. Gronau. Bd. IV. Straßburg 1910

Bildnachweis
Liechtenstein Museum Wien. Die Sammlungen. München u.a. 2004