Erstveröffentlichung

Hans Baldung Grien
Jakob Villinger

17.04-B-Grien-Villinger 240Hans Baldung Grien:
Portrait of a young man bust/length,
with his head turned to the left. 1507
Verschiedentlich tauchte dieses kleinformatige Brustbild eines jungen Mannes im Halbprofil nach links (Öl auf Nadelholz, 46,5 x 33,7 cm. 1509) im Kunsthandel unter dem Titel Portrait of a young man auf und verschwand wieder in Privatbesitz, zuletzt infolge einer Restitution bei Christie’s in New York 2011. Verschiedene Kunsthistoriker haben sich mit diesem Frühwerk von Hans Baldung Grien (1484/85─1545) befaßt, ohne den Dargestellten identifizieren zu können. Kurt Löcher meinte, aus dem betont schief sitzenden Barett beim Selbstbildnis von Baldung (im Sebastiansaltar aus Halle an der Saale bzw. auf der Mitteltafel der Marter des Hl. Sebastian. Öl auf Tanne, 121,5 x 79,2 cm. 1507. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Nr. 344) schliessen zu können, daß auch dieses Portrait ein Selbstbildnis sei. »Baldung hat ein eigenes Bildnis in der Gestalt des eleganten jungen Mannes nächst dem Heiligen angebracht, in eben jenes von ihm bevorzugte Grün gekleidet, das ihn den Namen Grien Hans eintrug. Er trägt ein modernes Barett mit eingeschnittener und genestelter Krempe« (Germanisches Nationalmuseum S. 47).


Dagegen spricht zum einen der Ring an der vor der Brust gehaltenen linken Hand der Person, da Baldung wohl erst 1511 geheiratet hat. Zum anderen weicht die Physiognomie der beiden Männer erheblich voneinander ab; erst recht, wenn man das Selbstbildnis von Baldung auf dem Freiburger Hochaltar heranzieht. Zwar verfügen alle über ein energisch vorgewölbtes Kinn, aber das Gesicht des kleinen Portraits erscheint etwas gedunsen, während Baldungs genannte Selbstbildnisse keinerlei Verweichlichung erkennen lassen; seine beiden Gesichter sind sportlich straff. Außerdem fehlen dem kleinen Portrait die klaren, hellen Augen des Selbstbildnisses. Der Unbekannte hat eher einen Ansatz zu Basedow-Augen. Seine Nase hat eine rundliche Spitze, während dass Selbstbildnis an dieser Stelle schlank endet. Vor allem ist bei dem Unbekannten eine etwas wulstige Unterlippe auffällig, während das Selbstbildnis an dieser Stelle knapp verläuft. Schließlich fehlt dem Unbekannten die im Selbstbildnis angedeutete Falte von der Nasenmitte zum Mundwinkel. Der Unbekannte wirkt stattdessen in diesem Bereich etwas aufgeschwemmt. Kurzum, es ist erforderlich, sich nach einem zutreffenden Kandidaten umzusehen.

Aus den Portraits von Hans Baldung ist abzulesen, daß er sich im akademischen Umfeld des Städtedreiecks Basel, Freiburg, Straßburg bewegte, da er verschiedene Humanisten am Oberrhein porträtierte und die aus dem Geist der gelehrten Humanisten inspirierten Gerechtigkeitsbilder von 1531 (in Berlin und Dresden) malte. Dieses Indiz hat sich seit den jüngst erfolgten Identifikationen von anonymen Portraits von Baldung (s. Beiträge Sapidus, Spiegel, Vogler) noch verstärkt. Insofern lag die Suche nach einem Mann aus diesem Umfeld nahe. Allerdings ist die Garderobe des Unbekannten nicht so schlicht schwarz, wie auf den anderen Portraits. Ein breiter brauner Pelz und ein etwas extravaganter Hemdkragen betonen ein flottes Auftreten und den offenbar materiell bevorzugten Stand der Person. Der vom schiefen Barett bestimmte Gesamteindruck läßt auf einen Genießer schliessen, oder wie man zu späterer Zeit formulierte: einen Dandy.

Von dem Straßburger Humanistenkreis, der sich nach dem Vorbild der florentinischen Akademie organisiert hatte, ist bekannt, daß etliche jungen Akademiker darin stärker liiert waren, da sie schon von der Lateinschule in Schlettstatt her befreundet waren. Der stand Crato Hoffmann (ca.1450─1501) vor und verschaffte ihr als Leiter einen weitreichenden guten Ruf. Zu diesem Kreis gehörten auch Beatus Rhenanus (*ca.1485) und Jakob Villinger (+1529). Leider ist dessen Geburtsjahr nicht überliefert. Doch wird es nicht entscheidend abweichen von den genannten Personen. Demnach wäre er im Jahr der Portraitsitzung 23-26 Jahre alt gewesen sein.

Villinger wurde in Schlettstadt (knapp 50 km südlich Straßburg) geboren und besuchte die dortige Lateinschule. Ihm gelang es frühzeitig, eine Anstellung in der Finanzverwaltung des Kaiserhauses im Elsaß zu erlangen. Möglicherweise hatte sein Vater Beziehungen; doch ist beruflich über ihn nichts bekannt geworden. Nur aus dem Namen ist die Herkunft aus der Stadt Villingen im Schwarzwald abzulesen. Jakob Villinger jedenfalls entwickelte eine Begabung für Politik. Außerdem schlug er sich bei Regensburg im Baierischen Erbfolgekrieg tapfer in der Nähe des Kaisers Maximilian I., wofür er 1504 in den Adelsstand erhoben wurde. 1510 avancierte er sogar zum Kämmerer des Kaisers. So machte er zielstrebig Karriere, nicht ohne dabei auch an sein materielles Fortkommen zu denken. 1511 wurde er Bürger von Freiburg, wo er sich das aufwendige Haus Zum Walfisch leisten konnte, das auf die Bedürfnisse des Kaisers zugeschnitten war, der dort auch Wohnung nahm. Später lebte Erasmus von Rotterdam (1466/69─1536) von 1529-31 dort. Auf Grund seiner Vertrauensstellung zum Kaiser konnte Villinger aus dessen Vermögen das Anwesen Heilig Kreuz in der Umgebung von Colmar kaufen, wo er selbst ´residierte´.

Wenn ein Mann im besten Alter ein Portrait von sich selbst in Auftrag gab, war es in der Regel zur Brautwerbung gedacht. Die dabei oft aufscheinende rote Nelke fehlt aber in Villingers Bild; doch der gemalte Ring demonstriert die Absicht einmal nicht durch die Blume, sondern direkter. Seine Werbung war ─ wie seine Transaktionen ─ offenbar langfristig angelegt. Vom Vater der Braut wurde er anscheinend erst als standesgemäß akzeptiert, als er die genannten Immobilien vorweisen konnte. Nebenbei: Es gibt von Albrecht Dürer mehrere Portraits mit einem Verlobungsring, in Weimar ein Bildnis Hans Tucher, bei dem dessen rechte Hand am Daumen auch einen Ring, wohl für Felizitas Tucher gedacht, hält.

Villingers Auge war auf Ursula Adler gefallen (nachgewiesen 1512 ─ ca. 1542). Sie war die Tochter eines von Speyer nach Augsburg übersiedelten Unternehmers bzw. Bankiers, der nachweislich die höchsten Steuern in dieser Stadt der Kaufleute zahlte. 1512 gab Philipp Adler seine Tochter frei, und die beiden durften heiraten. Das Aussehen der Brautleute wurde im Freiburger Münster festgehalten, denn das Ehepaar war Stifter eines Glasfensters im Nordosten vom Chorumgang des Münsters mit der Darstellung des Hl. Jakobus d. Ä. (von Compostella). Das kniende Paar wird im Pilgergewand dargestellt. Im Hintergrund des Bildes befinden sich Szenen aus dem Leben der Hl. Ursula. Dieses Fenster des Glasmalers Hans von Ropstein von 1525/26, möglicherweise nach Entwürfen von Hans 17.04-Baldung-Villinger-NEB 240 Hans von Ropstein: Jacob Villinger
und seine Frau Ursula. Glasfenster
im Freiburger Münster (Villinger-Kapelle)
Augustiner/Museum, Freiburg/Brsg.
Baldung Grien, wird seit 1930 im Depot des Augustiner-Museums in Freiburg aufbewahrt. Zur Identifizierung trägt es nicht bei, denn Villinger wird bärtig wie ein Petrus dargestellt; seine Frau Ursula ist fast gänzlich verschleiert, und außerdem zieht sich eine Bleifassung durch ihr Gesicht.


Den Machtwechsel nach dem Tod des Kaisers 1519 bewältigte Villinger, ohne Schaden zu nehmen dadurch, daß er eine bedeutende Rolle in der Finanzierung der Wahl von dessen Enkel, Karls V., spielte. Dies war ihm dadurch möglich, daß er schon länger mit Jakob Fugger zusammen arbeitete. Damit erwarb er sich schnell auch bei dem neuen Herrscher Verdienste. Dieser stellte ihm 1520 einen Wappenbrief aus und überließ ihm den Titel eines Edlen von Schönenberg (Belmont) im Jura, da diese Adelsfamilie ausgestorben war. Aber er wurde später durch Gabriel de Salamanca (+ 1539, s. Beitrag Gossært, Damião de Goes) von seinem leitenden Posten verdrängt, dafür jedoch vom Kaiser verschiedentlich als Diplomat bis zu seinem Tod im Jahr 1529 eingesetzt. Zusammen mit seinem Landsmann Jakob Spiegel (s. Beitrag Baldung, Spiegel) gab er eine Edition von Schriften des italienischen Humanisten Pico della Mirandola (1463─1494) heraus.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2015

Literatur
Rüdiger Becksmann: Die mittelalterlichen Glasmalereien in Freiburg/Breisgau. Berlin 2010
ABB. aus Ruediger Becksmann S. 493/98 Bild S. 494

Peter G. Bietenholz. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
Georges Bischoff. In: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne. Strasbourg 2000 Vol. 8
Kurt Löcher. In: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Die Gemälde des 16. Jahrhunderts. Stuttgart 1997  S. 47
Old Master & 19th Century Paintings I. Christie’s New York. January 2011
Gert von der Osten: Hans Baldung Grien. Berlin 1983 S.54

Bildnachweis
Old Master & 19Century Paintings. I Christie’s New York 2011 Nr. 11
Rüdiger Becksmann: Die mittelalterlichen Glasmalereien in Freiburg/Breisgau. Berlin 2010 S. 494