Erstveröffentlichung

Bartholomäus Bruyn d. J.

Andreas Gail

13.01-Bruyn-H.-Gail 240In Kansas City (Nr. 46-9/1) hängt ein dunkel gehaltenes Portraitpaar (Öl auf Holz, jeweils 58 x 42 cm. 1558 datiert) von Bartholomäus Bruyn, das bei Westhoff-Krummacher nicht vorkommt, weil es von der Datierung her von seinem Sohn (*um 1530─1607/10) gemalt sein müßte; das Nelson Atkins Museum of Art vermutet, es handle sich um eine Werkstattarbeit. Dafür ist es aber zu qualifiziert.

Das linke Portrait zeigt einen energiegeladenen Mann, der auch vermögend zu sein scheint. Jedenfalls trägt er zum dunklen, flachen Barett einen besonders breiten Pelzkragen über der schwarzen Schaube. Aus dem Dunkel seiner Gestalt stechen nur das helle Gesicht mit Schnurr- und Backenbart sowie die beiden Hände hervor. Die Linke umklammert rot gefütterte Handschuhe; die Rechte ruht auf einem gemalten Sims und zeigt demonstrativ einen Ring am Zeigefinger. Um das Handgelenk ist ein wenig von einem edel gearbeiteten weißen Hemd sichtbar, wie auch unter dem rechten Ohr.

Die Partnerin dieses Mannes ist ebenfalls schwarz gekleidet und trägt ─ farblich kontrastreich ─ eine niederländische weitgeschweifte Haube und an den Ärmeln eine weite weiße Fütterung des Gewandes. Beide Handgelenke umfassen gehäkelte Manschetten, die am linken Arm übergehen in einen tizianroten Ärmel, der vor Weiß und Schwarz einen Blickfang erzeugt. Er soll offenbar den Blick auf die drei, mit Steinen besetzten Ringe der linken Hand lenken, die wiederum wie ein Hinweispfeil auf die geballte Rechte zeigt, welche demonstrativ eine violette Nelke hält. Um die Hüfte ist diesmal nicht der sonst bei Bruyns Frauenportraits fast obligatorische breite Gürtel geschnallt, sondern eine grobe, aber schlichte goldene Kette, deren Ende mittig nach unten fällt.

Das so auffällig sich zur Schau stellende Paar wurde bisher nicht identifiziert, obwohl Bruyn neben der Datierung ─ jeweils oben mittig in den flachen Bogen 1558 ─ bei jedem der beiden Personen auch das Alter angibt: links AETASTIS SVAE 38 und rechts 32. Aus den Gegebenheiten läßt sich ein Mann des Jahrgangs 1526 ermitteln, der sich offenbar in gehobener Stellung befindet, Verhandlungen zu führen hatte (deshalb die Handschuhe als Anspielung) und auf Grund seines Erbes bzw. Erfolges vermögend war.

Diese Kombination trifft nur auf Andreas Gail (1526─1587) zu, denn er stammte aus einer Kölner Patrizierfamilie. »Sein Vater Philipp wurde von Kaiser Karl V. in Anerkennung seiner Verdienste um die Stadt und den Erhalt des Katholizismus 1545 in den Adelsstand erhoben« (Kloosterhuis S.578). Diese Ehrung wollte er ganz offensichtlich durch den vorgestreckten Ringfinger hervorheben, als wolle er sagen: Seht her!

Andreas Gail erhielt eine gute Ausbildung von seinen Eltern d.h. sie schickten ihn auf die Stiftsschule in Emmerich. Durch die Entscheidung für ein Jurastudium trat Andreas Gail in die Fußstapfen seines Vaters. Dieser schickte ihn 1544 nach Leuven, da sich dort die alte Kirche hatte behaupten können, während in Köln um die Zeit spannungsreiche Verhältnisse herrschten. 1547 kehrte er nach Köln zurück, weil die verlorene Schlacht der Protestanten bei Mühlberg Karl V. freie Hand gab, Köln in seinem Sinn zu organisieren. Andreas Gail zog es aber in das benachbarte Ausland nach Orléans, zu der Zeit eine juristische Eliteuniversität.

Ganz offenbar hat Gail in Leuven eine junge Frau aus Brabant kennengelernt, Anna Clouven, lt. Bildinschrift 1526 geboren. Leider ist nicht bekannt, in welchem Jahr die beiden geheiratet haben, denn Gail vervollständigte sein Studium noch in Italien. Jedenfalls hielt er sich 1555 in Rom und Bologna auf, wo er zum Doktor weltlichen d.h. römischen Rechts promovierte. »Nach seiner Rückkehr siedelte er mit Frau und dem inzwischen geborenen Sohn nach Köln über«, teilt Kloosterhuis (S. 578) mit, ohne die Heirat selbst zu erwähnen. Insofern muß angenommen werden, daß das Portraitpaar nicht, wie sonst, aus Anlaß der Eheschliessung, sondern 1558, wenige Jahre später, aus Repräsentationsgründen gemalt wurde, als Gail vom Trierer Erzbischof und Kurfürsten zum Assessor am Reichskammergericht engagiert wurde, wo er bis 1568 blieb. Damals war seine Frau bereits 32 Jahre. Insofern ist Kloosterhuis (S. 62) zuzustimmen: »Nicht die Hochzeit war ─ wie wir ermittelt haben ─ unmittelbarer Porträtanlaß, sondern der Hochstand materieller Besitzverhältnisse. In Köln machte man ganz kaufmännisch „eine gute Partie“, und im Glanz seines Besitzes ließ man sich selbst mit seiner „betuchten Hausfrau“ im Gattenbildnis porträtieren«.

Andreas Gail blieb trotz seiner Zugehörigkeit zu den Erasmianern, die in der Nachfolge von Erasmus von Rotterdam eine moderate Reform innerhalb der katholischen Kirche anstrebten, bei der altgläubigen Partei und stieg mit deren Erstarken weiter auf. Kaiser Maximilian II. (1527─1576) ernannte ihn zusätzlich zum Hofpfalzgrafen, eine Ehrung. »Ab 1569 weilte Gail als Reichshofrat in Wien« (Kloosterhuis S. 578). An verschiedenen europäischen Höfen wurde er als Gesandter eingesetzt. Die Handschuhe im Bild bestätigen gerade diese Funktion. Ab 1583 war er als kaiserlicher Kommissar bei Visitationen des Reichskammergerichts tätig. Andreas Gail starb 1587 an den Folgen eines Schlaganfalls in Köln.

Als Humanist war Gail zugleich auch Publizist. »Gail war gemeinsam mit Mynsinger, mit dem er sich wissenschaftlich auseinandersetzte, Begründer der Kammergerichtsjurisprudenz und wie dieser einer der Wenigen, die aus der damaligen Stofffülle des juristischen Alltags das Dauernde auswählten und zur Bildung allgemeiner Grundsätze verwerteten. Unter Gails Werken standen an erster Stelle seine 1578 veröffentlichten Observationen« (Kloosterhuis S. 578).

Nicht von ungefähr erinnert die dunkle Gestalt Gails in seinem Portrait in ihrem Habitus an das berühmte Gemälde Tizians Kaiser Karl V. in der Alten Pinakothek in München (1548. Nr. █). Ganz offenbar hatte sich Gail als vom Kaiser Begünstigter ganz dem spanischen Stil von Strenge in Haltung und Kleidung angeglichen. 

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2014

Literatur
Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. VIII Berlin 1968
Burton L. Dunbar: German & Netherlandish Paintings 1450─1600. Kansas City 2005
Elisabeth M. Kloosterhuis: Erasmusjünger als politische Reformer: Humanismusideal und Herrschaftspraxis am Niederrhein im 16. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2006

Bildnachweis
Burton L. Dunbar: German & Netherlandish Paintings 1450─1600. Kansas City 2005 S. 98ff
Nelson Trust, The Nelson-Atkins Museum of Art. Kansas City/USA S. 100/101