Mikuláš Medek: Portraits
Mikulás Medek: Hláva Projektanta Vezí
Soukr. SbirkaEs ist etwas Eigenartiges mit dem Begriff Portrait: In der umfangreichen Sammlung von Sprichwörtern und klugen Sentenzen, dem über hundert Jahre alten Spruchwörterbuch von Lipperheide (1907), kommt dieses Stichwort nicht einmal vor. War das Portrait damals in Leben und Alltag etwa nicht wichtig? Dabei hat das Portrait eine Geschichte von mehreren tausend Jahren, allerdings noch nicht in der Zeit der Höhlenmalerei.
Zunächst ist interessant, daß das Wort Portrait aus dem Französischen stammt. Also gelangte es erst im 18. Jahrhundert in unseren Sprachschatz. Aber die vorherigen Perioden, Renaissance und Barock, waren Blütezeiten des Portraits in Europa. Vorher sprach man vom Bildnis, dementsprechend ist sogar der Fachartikel im Lexikon der Kunst am Wort Bildnis aufgehängt. Es umfaßt sowohl das gemalte, als auch das skulptierte Bildnis. Dieser Begriff ist allerdings in den Hintergrund getreten. Zuvor gab es in der Spätgotik ─ also zu Beginn der Portraitmalerei in Europa ─ noch das Fremdwort Konterfei, eine Wortschöpfung, die auf das Kirchenlatein zurückgeht. Damals spielte die Urheber als Handwerker noch keine Rolle; man behalf sich mit einer Hilfskonstruktion wie im Fall des Ulmer Kontervetter.
Daß sich ab Ende des 15. Jahrhunderts überhaupt die Portraitmalerei herausbildete, hängt mit dem durch die Prinzipien der Renaissance entwickelten Selbstgefühl, besser gesagt Selbstbewußtsein, zusammen, das einen ersten künstlerischen Höhepunkt in Albrecht Dürers Selbstbildnissen fand. Es ging nicht mehr nur um den Erinnerungswert von vergangenen Herrschern (Ahnengalerien), sondern erstmals um Selbstvergewisserung der Person.
So ist es nicht verwunderlich, daß sich zum Thema Portrait bei Goethe gleich mehrere Aussagen finden, war doch Goethe ein Meister der Reflexion, der lebenslang an seinem ´Selbstbildnis´ arbeitete. Da er nicht nur Schriftsteller war, sondern auch über eine gewisse zeichnerische Begabung verfügte, ist sein Aussage aufschlußreich: »Man ist niemals mit einem Porträt zufrieden von Personen, die man kennt. Deswegen habe ich die Porträtmaler immer bedauert. Man verlangt so selten von den Leuten das Unmögliche, und gerade von diesen fordert man’s«. Während uns Heutigen oftmals Goethes Sentenzen etwas zu hoheitsvoll erscheinen, als spräche hier eben der Geheimrat, fällt seine Beurteilung von Porträtmalern seiner Zeit recht anerkennend aus
Daraus geht hervor, daß Goethe beim Portrait von einem lebensnahen Abbild ausging. Bekanntlich hat sich diese Auffassung seit dem Aufkommen der Photographie grundlegend verändert; allerdings mit dem Ergebnis, daß gemalte Portraits zwar in reduzierter Anzahl noch gearbeitet werden, ihre Anzahl aber sehr stark zurückgegangen, ja heute geradezu als marginal anzusehen ist.
Nach diesem einführenden Rückblick ist es an der Zeit, auf Mikuláš Medek zu sprechen zu kommen. Was unbefangenen Betrachtern entgeht, ist die Tatsache, daß ein beträchtlicher Anteil am Werk von Medek Portraits sind, allerdings in einer anderen, ihm spezifischen Auffassung. Werden Portraits üblicherweise beauftragt, hat Medek eigenverantwortlich und eigensinnig Werke als Portrait bezeichnet.
Blättert man im Medek-Katalog von 2002 zurück, finden sich bereits Portraits bei Medek um 1945 (2x2=5) und häufen sich nach seiner an Dalí orientierten Phase ab 1952 (Emilia a mouchy). Ab 1558 deklariert er seine Arbeiten fast durchweg als Portraits, vermeidet allerdings eine abbildhafte figürliche Erscheinung anzusteuern. Diese Entwicklung bedarf einer Erklärung. Medek hatte damit sein durchgehendes Thema gefunden: Portraits von Personen, ohne daß Portraitähnlichkeit beabsichtigt war. Er sieht völlig ab von einer Wiedererkennbarkeit und konzentriert sich auf Gegenstände und Material, vor allem Tücher. Medek spielt z. B. in Muj Portret von 1960 mit Orden, die einen schemenhaften Kopf umschwirren. Man fragt sich: Ist Medek selbst gedanklich in eine Generalsuniform geschlüpft? Als Junge vielleicht, denn sein Vater, Rudolf Medek (1890─1940), war General und Poet. Er hatte in der tschechischen Legion in Rußland gekämpft und bekleidete diesen Rang auch in der Zwischenkriegszeit in der ČSR; damals publizierte er auch zur Geschichte der Tschechoslowakischen Legionärsgemeinde. »Im Zyklus Gäste ohne Gastgeber [seit 1950] drang M. zu einem neuen Begriff vom Menschenbild vor. Neuerdings malt er [etwa seit 1965] Porträts, jedoch Portraits derjenigen Gegenstände, welche die jeweiligen Menschen symbolisch vertreten… So berührt er im Zyklus Turmkonstrukteure direkt die naturwissenschaftliche Realität von heute, d.h. mit einem dieser Konstrukteure ist Wernher von Braun gemeint, vertreten durch einen Turm [als Plan einer Abschußrampe]« (Bohumír Mráz 1969). Mráz stand in engem Kontakt mit Medek und arbeitete an einer Monographie des Künstlers, die leider fragmentarisch geblieben ist.
Zur erwähnten Serie gehört auch Hlava projektanti vĕži von 1969, einer schwungvollen Turmkonstruktion, die im Mittelfeld einige technische Teile auf dem ´Plan´ vorweist. Hier finden sich auch die aus den Vogelschnäbeln weiterentwickelten ´Scharniere´ und die Ringe einer Schießscheibe. Ähnlich wie in Pan enterprise ragen unten sieben ´Sonden´ heraus, die den ´Meeresboden´ absuchen wie ein Minensucher.
Mehr und mehr nutzte Medek in den 60er Jahren die Einflüsse des Informel für sich in Bezug auf die Oberflächenbehandlung. So wandte er die von Max Ernst entwickelte Décalcomanie an (z.B. in den Sensitive Signale betitelten Bildern) und verwandte Emaillefarben, um Verkrustungen im Gemälde haptisch darzustellen. Sehr oft kommt sozusagen geronnenes Blut in Gemälden mit Verletzungen vor bzw. bei Explosionsmotiven. Längst war er der Staffelei überdrüssig und bearbeitete die Leinwand von allen Seiten in der Horizontale und mit unterschiedlichen Kratzern bzw. Spachteln. Die Leinwand als sensitive Fläche war ein Schauplatz für ihn. Viele Partien zeigen daher auch geschundene Haut, und wie bei Max Ernst ist auch für Medek der Heilige Nackte in den Dornen ein Thema. Selbst überaus empfindsam wollte er Körperreaktionen bildlich umsetzen. Die Flächen werden strukturiert zu sensitiven Signalen.
Dabei grenzt Medek nicht auf ein Thema ein; es finden Überlagerungen von Motiven statt, wohl weil so viele Einflüsse gleichzeitig auf ihn einstürmten. In der Sequenz der Inquisitoren finden sich ´Gesichter´, die in der Fülle der Einfälle an Skizzenblätter von Leonardo erinnern. Auch die ´Papierrollen´ der Türme sind nicht monochrom glattgestrichen, sondern stark strukturiert; sie fordern das Auge heraus, genauer hinzuschauen. Selbst eine Tischplatte, wie in Tiefer Schlaf von 1965/66 wird zu einem Schlachtfeld aus Resten aller Art (u.a. mit einem Fischgerippe).
Diese Anspielungen hängen damit zusammen, daß Medek seit eh und je Abdrücke, Spuren von Menschen, faszinierten und beim ´Porträtieren´ herausforderten, ganz besonders deutlich in dem als Portrait zu bezeichnenden Werk Blaue Venus von 1958/59. Diese Tendenz steigerte sich in den Folgejahren durch die immer stärker mit ´Spuren´ übersäten Oberflächen. Der Gefahr des Verfließens beim Informel wehrt er, in dem sich Umrisse und Formen herausbilden, welche dem Gemälde im Sinne eines Bildaufbaus Halt geben. Ab 1966 tritt vielfach monochromes Schwarz im Hintergrund auf und steigert damit die Eindringlichkeit seiner Botschaft wie im Kastenteufel/Křik projektanta vĕjzí von 1969, diesem unterdrückten, stummen Schrei.
Als vielseitig Interessierter nahm Medek unzählige Einflüsse auf, die er auf eigentümliche Weise für sich abwandelte und umsetzte. Er stammte aus einer großbürgerlichen und katholischen Familie Mährens. Ihn formten die Jahre, als das Land besetzt wurde, und die Umbrüche nach dem Zweiten Weltkrieg. So geriet er nach der Befreiung der ČSR als Student in den Sog zum stalinistischen Kommunismus, ließ sich aber nicht vereinnahmen. Beachtlich ist, daß er in der atheistisch orientierten Zeit bereit war, Gemälde für Kirchen zu schaffen; allerdings nicht in Anpassung an die Tradition, sondern als eigenständige Werke. Dementsprechend wird jetzt eine Werkauswahl in einer Kirche in Horovice/Beroun gezeigt. 1968 schuf er eine Sequenz Studien für ein Altarbild, bei der kein herkömmliches christliches Symbol vorkommt, sondern eine glutrote Sonne (?) mit Dornenkranz, verbunden mit einer Anspielung auf die fünf Erdteile (fünf roten Quadern).
Medek konnte sehr unterschiedliche Sichtweisen auf Leben und Tradition künstlerisch miteinander verbinden. Er war in Prag an zwei Gruppierungen von surrealistischen Künstlern beteiligt zu einer Zeit, in der die Obrigkeit private Denkmuster als verdächtig auszuschalten versuchte. Solche Gruppen galten als subversiv, da den französischen Surrealisten vorgeworfen wurde, Anhänger Trotzkis zu sein; dieser Vorwurf wurde undifferenziert auf die tschechischen Surrealisten übertragen. Medek und seine Frau Emila blieben bei ihren Freunden, aber immer eigenständig.
Durch seine gute Ausbildung war Medek mit der Historie des Landes vertraut und schätzte den für die tschechische Kunstgeschichte überaus wichtigen Meister Theoderich (+1381). Er hat die von Kaiser Karl IV. erbaute Kapelle auf Burg Karlstejn mit lauter Portraits ausgestaltet ─ für einen kirchlichen Raum eine ungewöhnliche Version. Theoderichs kultivierte Farbgebung und Maltechnik waren für Medek prägend ─ überraschend eigentlich ─ denn solch ein Bezug nach rückwärts ist für einen modernen Künstler eher unbegreiflich. Aber durch die Verschmelzung gotischer Technik mit zeitbezogener Thematik gelangte Medek zu einer unvergleichlichen malerischen Qualität und Ausstrahlung seiner Bilder. Man ist geneigt, eine Parallele zum Werk von Hieronymus Bosch zu ziehen, der inmitten der Spätgotik ebenfalls eine Sonderstellung einnimmt, da er als Vorläufer der Surrealisten auftritt.
Ab 1967 verfestigte sich bei Medek mehr und mehr der Bildaufbau. Zugleich steigert er durch total schwarze Flächen den Kontrast der Farben erheblich. Außerdem konzentriert er sich jeweils auf farbliche ´Dreiklänge´: Schwarz, Rot, Gelb, alternativ Schwarz, Rot Bau. Er bleibt gedanklich bei dem Grundkonzept des Portraits. Oft tritt ab jetzt ein Kopf auf einer Stange in Erscheinung, wobei kein Hinrichtungsgedanke damit verbunden ist. In Tři události ist eine der ersten Ausformungen dieses sich variierenden Motivs, wobei Kreisformen an Stangen, verwendet werden, wie Scharniere, die mit stilisierten Vogelköpfen ´schnäbeln´. Man sollte sich dabei jedoch nicht zusehr an diesen, aus dem Titel geschlossenen Begriffen aufhalten. Es schwirren eben die Gedanken wie ein Vogelschwarm, sich streitend durch den Kopf. Aber dieses Motiv findet sich zugleich in dem Hauptwerk Pan Enterprise und steht dort für das Katapult startender Kampfflugzeuge auf dem Flugzeugträger.
An dieser Stelle zeigt sich, wie heikel eine 1:1-Interpretation von Symbolen sein kann. Die Gefahr besteht bei Symbolen, sie als Versatzstücke zu verwenden, die man hier und da auch in anderem Zusammenhang einsetzen kann. Vielmehr stand vermutlich bei Medek der Bedrohungscharakter im Vordergrund, weswegen er so unterschiedlich erscheinende Teile einsetzte. Medeks Bilderwelt war/ist viel zu kompliziert, als daß der Künstler zur Entstehungszeit seiner Bilder offizielle Entsprechungen hätte liefern wollen. Der damalige Staat der ČSSR befand sich in einer ideologisch angespannten Situation und mißtraute ihm, teils wegen des schwierigen Zugangs seiner Werke, teils weil Medek Verbindung zu den ´Abweichlern´, den Surrealisten´, beibehielt, und ließ deshalb auch nur selten eine Ausstellung seiner Werke zu, allenfalls in der Provinz. In der Hauptstadt durfte er nur mit einzelnen Werken an Sammelausstellungen teilnehmen. Diese Situation wird im Text Inkvisitori erörtert ─ Menschen, die sich ihrerseits in Ängsten befanden und Zwängen unterlagen.
Mehrfach taucht bei Medek ein Motiv auf, bei dem existentielle Bedrohung und die Reaktion darauf handgreiflich werden: der Schrei. Obwohl dieser eine ganz häufige menschliche Antwort ist, tritt er als künstlerisches Thema nicht allzu oft in Erscheinung ─ in der neueren Kunstgeschichte u.a. bei Goya, Munch, Beckmann, Kirchner, Meidner und Picasso. Bei Medek wird die Person von einer roten Kugel getroffen; fällig wäre ein gellender Schrei. Aber die Person schreit bei ihm mit zusammengebissenen Zähnen. Also unterdrückt sie zugleich die menschlichste Reaktion, wie sie doch an Kleinkindern zu beobachten ist.
Wie sich zeigt, zeichnen sich im Werk Medeks immer wieder Verbindungslinien bzw. Sequenzen ab; hier können nicht alle erörtert werden. Aber in einer Zeit, in der sich das Design in der Kunst stark in den Vordergrund geschoben hat ─ und das schon seit Jahrzehnten, ─ ist ein Stück weit auch die Sensibilität für die verborgenen Bedeutungsschichten in seinen Gemälden verloren gegangen. In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts erlangten intellektuelle Künstler vom Schlage Willi Baumeisters, Wassilij Kandinskys u.a. eine Vorrangstellung in der Kunstgeschichte, analog zu den stilistischen ´Meistern´, welche die Kunstgeschichte seit Beginn der Neuzeit gern hervorhob. Neben den Intellektuellen galten die impulsiven Künstler des Expressionismus und nachfolgender Strömungen wie Otto Dix und Max Ernst u.a. als Leuchttürme in der Entwicklung. Man tut sich schwer, in der zweiten Jahrhunderthälfte ähnliche geeignete Namen zu nennen. Es gibt zwar Auktionserfolge; aber die sind in diesem Zusammenhang kein Gradmesser. Umso stärker fällt daher Medeks Alleinstellungsmerkmal ins Gewicht. Sein gedanklicher Tiefgang, seine thematische Aktualität und seine überragende malerische Begabung machen ihn in diesem Sinne zu einer Koryphäe.
Allerdings spielten die politischen Verhältnisse in Europa im Fall Medek mehrfach eine negative Rolle d.h. sie verhinderten durch den Eisernen Vorhang, daß Publikum auf ihn aufmerksam wurde und Kunstvermittler sowie Historiographen seine Werke zu Gesicht bekamen. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs hat Medek nicht mehr erlebt; er starb schon 1976. Danach war sein Land mit internen Streitigkeiten befaßt, sodaß erst 2002 Václav Havel den Anstoß für eine Gedenkausstellung Medeks gab (also erst 26 Jahre nach seinem Tod). Im neuen Jahrhundert gehörte er zu den früheren Malern und wurde somit übergangen. Eine Ausstrahlung über die Landesgrenzen hinaus kam nie zustande, weil u.a. die staatliche sozialistische Kunstorganisation Art Centrum ihn nicht als förderungswürdig eingestuft hatte. Medek gelangte zwar in die Propyläen-Kunstgeschichte und ist im Handbuch der Symbole in der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts repräsentativ vertreten; aber das sind Ausnahmen. Kurz: Mikuláš Medek ist trotz seiner überragenden Befähigung noch immer nicht als Koryphäe des ausgehenden 20. Jahrhunderts im Allgemeinwissen verankert.
© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2020
Literatur
Bohumír Mráz: Mikuláš Medek. Praha 1970

Soukr. SbirkaEs ist etwas Eigenartiges mit dem Begriff Portrait: In der umfangreichen Sammlung von Sprichwörtern und klugen Sentenzen, dem über hundert Jahre alten Spruchwörterbuch von Lipperheide (1907), kommt dieses Stichwort nicht einmal vor. War das Portrait damals in Leben und Alltag etwa nicht wichtig? Dabei hat das Portrait eine Geschichte von mehreren tausend Jahren, allerdings noch nicht in der Zeit der Höhlenmalerei.
Zunächst ist interessant, daß das Wort Portrait aus dem Französischen stammt. Also gelangte es erst im 18. Jahrhundert in unseren Sprachschatz. Aber die vorherigen Perioden, Renaissance und Barock, waren Blütezeiten des Portraits in Europa. Vorher sprach man vom Bildnis, dementsprechend ist sogar der Fachartikel im Lexikon der Kunst am Wort Bildnis aufgehängt. Es umfaßt sowohl das gemalte, als auch das skulptierte Bildnis. Dieser Begriff ist allerdings in den Hintergrund getreten. Zuvor gab es in der Spätgotik ─ also zu Beginn der Portraitmalerei in Europa ─ noch das Fremdwort Konterfei, eine Wortschöpfung, die auf das Kirchenlatein zurückgeht. Damals spielte die Urheber als Handwerker noch keine Rolle; man behalf sich mit einer Hilfskonstruktion wie im Fall des Ulmer Kontervetter.
Daß sich ab Ende des 15. Jahrhunderts überhaupt die Portraitmalerei herausbildete, hängt mit dem durch die Prinzipien der Renaissance entwickelten Selbstgefühl, besser gesagt Selbstbewußtsein, zusammen, das einen ersten künstlerischen Höhepunkt in Albrecht Dürers Selbstbildnissen fand. Es ging nicht mehr nur um den Erinnerungswert von vergangenen Herrschern (Ahnengalerien), sondern erstmals um Selbstvergewisserung der Person.
So ist es nicht verwunderlich, daß sich zum Thema Portrait bei Goethe gleich mehrere Aussagen finden, war doch Goethe ein Meister der Reflexion, der lebenslang an seinem ´Selbstbildnis´ arbeitete. Da er nicht nur Schriftsteller war, sondern auch über eine gewisse zeichnerische Begabung verfügte, ist sein Aussage aufschlußreich: »Man ist niemals mit einem Porträt zufrieden von Personen, die man kennt. Deswegen habe ich die Porträtmaler immer bedauert. Man verlangt so selten von den Leuten das Unmögliche, und gerade von diesen fordert man’s«. Während uns Heutigen oftmals Goethes Sentenzen etwas zu hoheitsvoll erscheinen, als spräche hier eben der Geheimrat, fällt seine Beurteilung von Porträtmalern seiner Zeit recht anerkennend aus
Daraus geht hervor, daß Goethe beim Portrait von einem lebensnahen Abbild ausging. Bekanntlich hat sich diese Auffassung seit dem Aufkommen der Photographie grundlegend verändert; allerdings mit dem Ergebnis, daß gemalte Portraits zwar in reduzierter Anzahl noch gearbeitet werden, ihre Anzahl aber sehr stark zurückgegangen, ja heute geradezu als marginal anzusehen ist.
Nach diesem einführenden Rückblick ist es an der Zeit, auf Mikuláš Medek zu sprechen zu kommen. Was unbefangenen Betrachtern entgeht, ist die Tatsache, daß ein beträchtlicher Anteil am Werk von Medek Portraits sind, allerdings in einer anderen, ihm spezifischen Auffassung. Werden Portraits üblicherweise beauftragt, hat Medek eigenverantwortlich und eigensinnig Werke als Portrait bezeichnet.
Blättert man im Medek-Katalog von 2002 zurück, finden sich bereits Portraits bei Medek um 1945 (2x2=5) und häufen sich nach seiner an Dalí orientierten Phase ab 1952 (Emilia a mouchy). Ab 1558 deklariert er seine Arbeiten fast durchweg als Portraits, vermeidet allerdings eine abbildhafte figürliche Erscheinung anzusteuern. Diese Entwicklung bedarf einer Erklärung. Medek hatte damit sein durchgehendes Thema gefunden: Portraits von Personen, ohne daß Portraitähnlichkeit beabsichtigt war. Er sieht völlig ab von einer Wiedererkennbarkeit und konzentriert sich auf Gegenstände und Material, vor allem Tücher. Medek spielt z. B. in Muj Portret von 1960 mit Orden, die einen schemenhaften Kopf umschwirren. Man fragt sich: Ist Medek selbst gedanklich in eine Generalsuniform geschlüpft? Als Junge vielleicht, denn sein Vater, Rudolf Medek (1890─1940), war General und Poet. Er hatte in der tschechischen Legion in Rußland gekämpft und bekleidete diesen Rang auch in der Zwischenkriegszeit in der ČSR; damals publizierte er auch zur Geschichte der Tschechoslowakischen Legionärsgemeinde. »Im Zyklus Gäste ohne Gastgeber [seit 1950] drang M. zu einem neuen Begriff vom Menschenbild vor. Neuerdings malt er [etwa seit 1965] Porträts, jedoch Portraits derjenigen Gegenstände, welche die jeweiligen Menschen symbolisch vertreten… So berührt er im Zyklus Turmkonstrukteure direkt die naturwissenschaftliche Realität von heute, d.h. mit einem dieser Konstrukteure ist Wernher von Braun gemeint, vertreten durch einen Turm [als Plan einer Abschußrampe]« (Bohumír Mráz 1969). Mráz stand in engem Kontakt mit Medek und arbeitete an einer Monographie des Künstlers, die leider fragmentarisch geblieben ist.
Zur erwähnten Serie gehört auch Hlava projektanti vĕži von 1969, einer schwungvollen Turmkonstruktion, die im Mittelfeld einige technische Teile auf dem ´Plan´ vorweist. Hier finden sich auch die aus den Vogelschnäbeln weiterentwickelten ´Scharniere´ und die Ringe einer Schießscheibe. Ähnlich wie in Pan enterprise ragen unten sieben ´Sonden´ heraus, die den ´Meeresboden´ absuchen wie ein Minensucher.
Mehr und mehr nutzte Medek in den 60er Jahren die Einflüsse des Informel für sich in Bezug auf die Oberflächenbehandlung. So wandte er die von Max Ernst entwickelte Décalcomanie an (z.B. in den Sensitive Signale betitelten Bildern) und verwandte Emaillefarben, um Verkrustungen im Gemälde haptisch darzustellen. Sehr oft kommt sozusagen geronnenes Blut in Gemälden mit Verletzungen vor bzw. bei Explosionsmotiven. Längst war er der Staffelei überdrüssig und bearbeitete die Leinwand von allen Seiten in der Horizontale und mit unterschiedlichen Kratzern bzw. Spachteln. Die Leinwand als sensitive Fläche war ein Schauplatz für ihn. Viele Partien zeigen daher auch geschundene Haut, und wie bei Max Ernst ist auch für Medek der Heilige Nackte in den Dornen ein Thema. Selbst überaus empfindsam wollte er Körperreaktionen bildlich umsetzen. Die Flächen werden strukturiert zu sensitiven Signalen.
Dabei grenzt Medek nicht auf ein Thema ein; es finden Überlagerungen von Motiven statt, wohl weil so viele Einflüsse gleichzeitig auf ihn einstürmten. In der Sequenz der Inquisitoren finden sich ´Gesichter´, die in der Fülle der Einfälle an Skizzenblätter von Leonardo erinnern. Auch die ´Papierrollen´ der Türme sind nicht monochrom glattgestrichen, sondern stark strukturiert; sie fordern das Auge heraus, genauer hinzuschauen. Selbst eine Tischplatte, wie in Tiefer Schlaf von 1965/66 wird zu einem Schlachtfeld aus Resten aller Art (u.a. mit einem Fischgerippe).
Diese Anspielungen hängen damit zusammen, daß Medek seit eh und je Abdrücke, Spuren von Menschen, faszinierten und beim ´Porträtieren´ herausforderten, ganz besonders deutlich in dem als Portrait zu bezeichnenden Werk Blaue Venus von 1958/59. Diese Tendenz steigerte sich in den Folgejahren durch die immer stärker mit ´Spuren´ übersäten Oberflächen. Der Gefahr des Verfließens beim Informel wehrt er, in dem sich Umrisse und Formen herausbilden, welche dem Gemälde im Sinne eines Bildaufbaus Halt geben. Ab 1966 tritt vielfach monochromes Schwarz im Hintergrund auf und steigert damit die Eindringlichkeit seiner Botschaft wie im Kastenteufel/Křik projektanta vĕjzí von 1969, diesem unterdrückten, stummen Schrei.
Als vielseitig Interessierter nahm Medek unzählige Einflüsse auf, die er auf eigentümliche Weise für sich abwandelte und umsetzte. Er stammte aus einer großbürgerlichen und katholischen Familie Mährens. Ihn formten die Jahre, als das Land besetzt wurde, und die Umbrüche nach dem Zweiten Weltkrieg. So geriet er nach der Befreiung der ČSR als Student in den Sog zum stalinistischen Kommunismus, ließ sich aber nicht vereinnahmen. Beachtlich ist, daß er in der atheistisch orientierten Zeit bereit war, Gemälde für Kirchen zu schaffen; allerdings nicht in Anpassung an die Tradition, sondern als eigenständige Werke. Dementsprechend wird jetzt eine Werkauswahl in einer Kirche in Horovice/Beroun gezeigt. 1968 schuf er eine Sequenz Studien für ein Altarbild, bei der kein herkömmliches christliches Symbol vorkommt, sondern eine glutrote Sonne (?) mit Dornenkranz, verbunden mit einer Anspielung auf die fünf Erdteile (fünf roten Quadern).
Medek konnte sehr unterschiedliche Sichtweisen auf Leben und Tradition künstlerisch miteinander verbinden. Er war in Prag an zwei Gruppierungen von surrealistischen Künstlern beteiligt zu einer Zeit, in der die Obrigkeit private Denkmuster als verdächtig auszuschalten versuchte. Solche Gruppen galten als subversiv, da den französischen Surrealisten vorgeworfen wurde, Anhänger Trotzkis zu sein; dieser Vorwurf wurde undifferenziert auf die tschechischen Surrealisten übertragen. Medek und seine Frau Emila blieben bei ihren Freunden, aber immer eigenständig.
Durch seine gute Ausbildung war Medek mit der Historie des Landes vertraut und schätzte den für die tschechische Kunstgeschichte überaus wichtigen Meister Theoderich (+1381). Er hat die von Kaiser Karl IV. erbaute Kapelle auf Burg Karlstejn mit lauter Portraits ausgestaltet ─ für einen kirchlichen Raum eine ungewöhnliche Version. Theoderichs kultivierte Farbgebung und Maltechnik waren für Medek prägend ─ überraschend eigentlich ─ denn solch ein Bezug nach rückwärts ist für einen modernen Künstler eher unbegreiflich. Aber durch die Verschmelzung gotischer Technik mit zeitbezogener Thematik gelangte Medek zu einer unvergleichlichen malerischen Qualität und Ausstrahlung seiner Bilder. Man ist geneigt, eine Parallele zum Werk von Hieronymus Bosch zu ziehen, der inmitten der Spätgotik ebenfalls eine Sonderstellung einnimmt, da er als Vorläufer der Surrealisten auftritt.
Ab 1967 verfestigte sich bei Medek mehr und mehr der Bildaufbau. Zugleich steigert er durch total schwarze Flächen den Kontrast der Farben erheblich. Außerdem konzentriert er sich jeweils auf farbliche ´Dreiklänge´: Schwarz, Rot, Gelb, alternativ Schwarz, Rot Bau. Er bleibt gedanklich bei dem Grundkonzept des Portraits. Oft tritt ab jetzt ein Kopf auf einer Stange in Erscheinung, wobei kein Hinrichtungsgedanke damit verbunden ist. In Tři události ist eine der ersten Ausformungen dieses sich variierenden Motivs, wobei Kreisformen an Stangen, verwendet werden, wie Scharniere, die mit stilisierten Vogelköpfen ´schnäbeln´. Man sollte sich dabei jedoch nicht zusehr an diesen, aus dem Titel geschlossenen Begriffen aufhalten. Es schwirren eben die Gedanken wie ein Vogelschwarm, sich streitend durch den Kopf. Aber dieses Motiv findet sich zugleich in dem Hauptwerk Pan Enterprise und steht dort für das Katapult startender Kampfflugzeuge auf dem Flugzeugträger.
An dieser Stelle zeigt sich, wie heikel eine 1:1-Interpretation von Symbolen sein kann. Die Gefahr besteht bei Symbolen, sie als Versatzstücke zu verwenden, die man hier und da auch in anderem Zusammenhang einsetzen kann. Vielmehr stand vermutlich bei Medek der Bedrohungscharakter im Vordergrund, weswegen er so unterschiedlich erscheinende Teile einsetzte. Medeks Bilderwelt war/ist viel zu kompliziert, als daß der Künstler zur Entstehungszeit seiner Bilder offizielle Entsprechungen hätte liefern wollen. Der damalige Staat der ČSSR befand sich in einer ideologisch angespannten Situation und mißtraute ihm, teils wegen des schwierigen Zugangs seiner Werke, teils weil Medek Verbindung zu den ´Abweichlern´, den Surrealisten´, beibehielt, und ließ deshalb auch nur selten eine Ausstellung seiner Werke zu, allenfalls in der Provinz. In der Hauptstadt durfte er nur mit einzelnen Werken an Sammelausstellungen teilnehmen. Diese Situation wird im Text Inkvisitori erörtert ─ Menschen, die sich ihrerseits in Ängsten befanden und Zwängen unterlagen.
Mehrfach taucht bei Medek ein Motiv auf, bei dem existentielle Bedrohung und die Reaktion darauf handgreiflich werden: der Schrei. Obwohl dieser eine ganz häufige menschliche Antwort ist, tritt er als künstlerisches Thema nicht allzu oft in Erscheinung ─ in der neueren Kunstgeschichte u.a. bei Goya, Munch, Beckmann, Kirchner, Meidner und Picasso. Bei Medek wird die Person von einer roten Kugel getroffen; fällig wäre ein gellender Schrei. Aber die Person schreit bei ihm mit zusammengebissenen Zähnen. Also unterdrückt sie zugleich die menschlichste Reaktion, wie sie doch an Kleinkindern zu beobachten ist.
Wie sich zeigt, zeichnen sich im Werk Medeks immer wieder Verbindungslinien bzw. Sequenzen ab; hier können nicht alle erörtert werden. Aber in einer Zeit, in der sich das Design in der Kunst stark in den Vordergrund geschoben hat ─ und das schon seit Jahrzehnten, ─ ist ein Stück weit auch die Sensibilität für die verborgenen Bedeutungsschichten in seinen Gemälden verloren gegangen. In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts erlangten intellektuelle Künstler vom Schlage Willi Baumeisters, Wassilij Kandinskys u.a. eine Vorrangstellung in der Kunstgeschichte, analog zu den stilistischen ´Meistern´, welche die Kunstgeschichte seit Beginn der Neuzeit gern hervorhob. Neben den Intellektuellen galten die impulsiven Künstler des Expressionismus und nachfolgender Strömungen wie Otto Dix und Max Ernst u.a. als Leuchttürme in der Entwicklung. Man tut sich schwer, in der zweiten Jahrhunderthälfte ähnliche geeignete Namen zu nennen. Es gibt zwar Auktionserfolge; aber die sind in diesem Zusammenhang kein Gradmesser. Umso stärker fällt daher Medeks Alleinstellungsmerkmal ins Gewicht. Sein gedanklicher Tiefgang, seine thematische Aktualität und seine überragende malerische Begabung machen ihn in diesem Sinne zu einer Koryphäe.
Allerdings spielten die politischen Verhältnisse in Europa im Fall Medek mehrfach eine negative Rolle d.h. sie verhinderten durch den Eisernen Vorhang, daß Publikum auf ihn aufmerksam wurde und Kunstvermittler sowie Historiographen seine Werke zu Gesicht bekamen. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs hat Medek nicht mehr erlebt; er starb schon 1976. Danach war sein Land mit internen Streitigkeiten befaßt, sodaß erst 2002 Václav Havel den Anstoß für eine Gedenkausstellung Medeks gab (also erst 26 Jahre nach seinem Tod). Im neuen Jahrhundert gehörte er zu den früheren Malern und wurde somit übergangen. Eine Ausstrahlung über die Landesgrenzen hinaus kam nie zustande, weil u.a. die staatliche sozialistische Kunstorganisation Art Centrum ihn nicht als förderungswürdig eingestuft hatte. Medek gelangte zwar in die Propyläen-Kunstgeschichte und ist im Handbuch der Symbole in der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts repräsentativ vertreten; aber das sind Ausnahmen. Kurz: Mikuláš Medek ist trotz seiner überragenden Befähigung noch immer nicht als Koryphäe des ausgehenden 20. Jahrhunderts im Allgemeinwissen verankert.
© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2020
Literatur
Bohumír Mráz: Mikuláš Medek. Praha 1970