Erstveröffentlichung

Georg Pencz
Girolamo Parabosco

058.07 Pencz-Parabosco 240Über Generationen war dieses Portrait als Selbstbildnis von Georg Pencz (ca. 1500─1550) eingestuft worden. So lässig und leuchtend dieser Jüngling vor typischer Wanddekoration der Renaissance auftritt, so unklar blieb aber bislang, wer der Dargestellte eigentlich sein soll. Man weiß zwar von der Inschrift auf dem cartiglio oben links (AETATIS SVE XVIII 15 GP 44), daß der sportlich Gekleidete 18 Jahre alt ist und 1544 gemalt wurde. Seinem roten Gewand nach zu urteilen, könnte er zu einem fürstlichen Personal gehört haben. Doch er scheint selbst kein Adliger zu sei, da er keine Kette trägt. Das Gehänge zur Linken diente lt. Katrin Dyballa zum Tragen eines Dolchs.

Aus einem Rückseitenvermerk geht eine einzigartige Provenienz hervor: Dieses Portrait des deutschen Malers Pencz hing einst in der Villa Poggio Imperiale und zwar in der Selbstbildnis-Sammlung von Leopoldo de’Medici (1617─1675). Welchem anderen deutschen Künstler nördlich der Alpen wurde diese Ehre angetan? Oder galt etwa die Ehre dem Dargestellten? Man kann sich vorstellen, daß diese etwas irritierenden Umstände Ratlosigkeit auslösten. Für diese verwickelte Situation fand sich einfach keine Erklärung.

Immerhin ist die Datierung des Portraits (Öl auf Linde, 94 x 70 cm. Uffizien, Florenz Nr. 1890/91. Dyballa B 8) auf 1544 ein stabiler Ausgangspunkt. Seine 18 Jahre abgerechnet ergibt sich als Geburtsjahr des Dargestellten 1526. Von Pencz weiß man, daß er sich vermutlich 1525/26 in Italien aufhielt. Insofern kommt neben mehreren Ärzten für die Zeit 1524 bis 1526 auch Girolamo Parabosco infrage. Bisher ging man bei letzterem davon aus, daß der um 1524 geboren sei; sein eigentliches Geburtsjahr ließ sich jedoch nicht belegen. Beschäftigt man sich nun näher mit seiner Vita, ist anzunehmen, daß er doch erst 1526 geboren wurde.

Dadurch stellt sich sofort die Frage: Kann der im Sommer 1523 nach Nürnberg gezogene „aller Jörg Pentz“, der nach der Visierung von Albrecht Dürer an der Ausmalung des Rathaussaals in Nürnberg beteiligt war, dem Musiker Parabosco überhaupt begegnet sein? Pencz hatte sich mit den ebenfalls an den Fresken arbeitenden Brüdern Beham angefreundet, die alle drei wegen ihrer ´gotteslästerlichen´ Äußerung negativ aufgefallen waren. Daraufhin griff die Stadtverwaltung durch und wies alle drei aus der Stadt Nürnberg aus. Sie hielten sich eine Weile in München auf und durften aber im gleichen Jahr zurückkehren.

Offenbar rühmte Albrecht Dürer so nachhaltig Malerei und Leben in Venedig, daß Pencz den Drang hatte, sich ebenfalls dorthin auf den Weg zu machen. »Georg Pencz war nach dem Tod Albrecht Dürers im Jahr 1528 der angesehenste Künstler der Stadt Nürnberg« (Dyballa S. 10). Exakte Daten über Pencz Reisen gibt es nicht; aber es heißt auch, Pencz soll zweimal nach Venedig gereist sein. Dieses Gemälde ist offenbar ein greifbares Dokument seines zweiten Italienaufenthalts aus dem Jahr 1544. Daß in alter Zeit auf der Rückseite sein Name italienisiert zu Giorgio Penz wiedergegeben wurde, zeigt an, daß das Gemälde in Italien entstanden und verblieben ist. Dieser Vermerk gibt nur einen Sinn, wenn auch der Auftraggeber ein Italiener war.

Parabosco war der Sohn des Organisten Vincenzo Parabosco, der seine Engagements an verschiedenen Orten hatte, u.a. in Brescia. Auf Girolamo war offensichtlich die musikalische Begabung übergegangen, weswegen der Vater ihm die Grundlagen der Musik vermittelte. Dieser manövrierte sich jedoch beruflich verschiedentlich in Schwierigkeiten, weil er mit seinen Vorgesetzten in der Kirche oft respektlos umging.

Aber der Vater hatte die Begabung seines Sohns erkannt und stellte immerhin die wichtige Weiche in der Musikerziehung Girolamos: Er vertraute seinen Sohn der capella ducale di San Marco in Venedig an. Dieser Klangkörper verfügte über einen Knabenchor der einen erstklassigen Ruf hatte und zu dessen Leitung man den flämischen Komponisten Adrian Willært (ca. 1490─1562) hatte gewinnen können (s. Wilhelmi: Tintoretto. 40 Portraits aufgeklärt S. 158ff).

Girolamo Parabosco kam 1541 in die Seerepublik und den Umschlagplatz des damaligen Welthandels, zugleich aber auch der entwickelten Renaissance-Kultur. Hier konnte der junge Mann sich entfalten. Willært förderte ihn sehr, denn es lagen schon zwei ricercari-Kompositionen von Parabosco vor, im 16. Jahrhundert entwickelte Instrumentalstücke, deren Form bis zu Johann Sebastian Bachs Zeit beliebt war und eine Vorform der Fuge darstellen. Willært zu-58.07Adr.WillaertUnbekannter Künstler. Titelblatt zu
Adrian Willært: Musica Nova. Holzschnitt
erwies Parabosco die Ehre, diese in seine Anthologie Musica nova aufzunehmen, als Pencz in Venedig auftauchte.


Parabosco war nicht nur begabt, Instrumentalmusik zu schreiben, sondern auch Madrigale zu komponieren, eine damals geschätzte säkulare Liedgattung, die besonders im höfischen Musikleben eine Rolle spielte. So konnte schon 1541 sein Madrigal für drei Stimmen in der Anthologie von Costanzo Festa (1485/90─1545), einem Piemontesen, in Venedig im Druck erscheinen ─ ebenfalls eine besondere Auszeichnung, denn Musik gedruckt zu verbreiten hatte gerade erst begonnen. Venedig war im Buchdruck führend. Etwas Ungewöhnliches kam noch hinzu: daß auch die Liedtexte von Parabosco stammten. Parabosco erwies sich somit als eine Doppelbegabung. Er profilierte sich außerdem noch durch Komödien in Prosa.

Da die säkulare Musikpflege von den Höfen betrieben wurde, verbreiteten sich Neuerungen schnell, denn Besucher bzw. Gesandte berichteten nachhause nicht nur über Politik, sondern gern auch über Veranstaltungen. Also erreichten seine Kompositionen auch den Medici-Hof in Florenz und fanden dort Anklang. Somit schließt sich der Kreis und erklärt zugleich, daß das hier erörterte Gemälde nach Paraboscos Tod in Venedig (seine Frau Diana war seine Erbin) in die Sammlung der Medici-Fürsten überging. Parabosco selbst suchte Florenz 1546 auf als Gast des Kollegen und Madrigalisten Francesco Corteccia und ist damals sicherlich vom Hof zu einer Darbietung eingeladen worden.

Vermittelnd wirkte sich zudem aus, daß es unter den zahlreichen kulturellen Gruppierungen in Venedig Mitte des 16. Jahrhunderts auch einen Zirkel von fuoriusciti fiorentini in Venedig gab, d.h. Florentinern, die zeitweilig oder ständig, politisch oder geschäftlich, in Venedig lebten. Sie gruppierten sich um den namhaften Florentiner Poeten Roberto Strozzi (1520─1560). Vermutlich berichtete er nach Florenz von dem aufsteigenden Star Parabosco und machte dadurch seine Landsleute neugierig. Die Gruppe um Strozzi galt als propulsore (Förderer) des Madrigals.

058.07-Pencz-Para-NEBGiuseppe Calendi: Girolamo_ParaboscoEs gibt im Internet ein, allerdings sehr mäßiges Vergleichsbild unter wikipedia.org (s.u.).
Doch ist es wenig erhellend, denn es ist eine Arbeit von Giuseppe Calendi (1761-1831). Nach welcher Vorlage der posthume Stich entstand, läßt sich nicht sagen; nähere Angaben liegen dazu nicht vor. Hier ist sein Kopf weniger schlank und der Augenausdruck ein anderer. Es ist aber durchaus denkbar, daß Pencz im Gemälde seinen Auftraggeber etwas idealisiert hat; das war damals gang und gäbe. Im gekräuselten Haar stimmen beide Bilder durchaus überein.

© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2019

Literatur
Katrin Dyballa: Georg Pencz. Berlin 2014 S. 285ff
Mina Gregori: Uffizien und Palazzo Pitti. München 1994 S. 313

Bildnachweis
Katrin Dyballa: Georg Pencz. Berlin 2014 S. 173
Christoph Wilhelmi: Tintoretto. 40 Portraits aufgeklärt. Stuttgart 2019 S. 160
wikipedia.org/wiki/Girolamo_Parabosco#/media/File:Girolamo_Parabosco_by_Giuseppe_Calendi.jpg 12.5.2019)