Erstveröffentlichung


Jan Mostært

Jean d’Andelot

53.01-Mostaert-Gent 240Das kleine Portrait eines Mannes mit energischem Augenausdruck und rotem Barett, gemalt von dem niederländischen Maler Jan Mostært (ca. 1475─1555/56), gehört schon seit langem als Nr. 591 zum Bestand der Gemäldegalerie, Berlin (Öl auf Eiche 42 x 29 cm. um 1520), da es aus den königlichen Schlössern stammt. Ähnlich wie bei Mostærts im Rijksmuseum in Amsterdam befindlichen Bildnis des Afrikaners ist nicht ganz klar, wann die Gemälde entstanden, vor allem aber, wen sie präsentieren. Bekannt ist von Mostært jedoch, daß er für den Kaiserhof tätig war.

So blieb es über viele Generationen bei diesem attraktiven Stück niederländischer Malerei, ohne daß sich das Geheimnis lösen ließ, um wen es sich hier eigentlich handelt. Offenbar wurden keine Überlegungen angestellt, was das rote Barett signalisieren könnte; zu Lebzeiten des Mannes und des Afrikaners war jedoch für alle klar: Das ist ein Mann des Kaiserhofes.

Yvonne Hackenbroch hat sich vor Jahrzehnten (in Enseignes S. 239) um eine Lösung bemüht. Sie konstruierte eine Brücke von dem in den Knöpfen vorkommenden Buchstaben A zu den, die Maria in Hans Memlings Gemälde von ca. 1460 Onze Lieve Vrouwe ten Drooghen Boome (Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid) umgebenden Buchstaben A und folgerte daraus, der Unbekannte sei ein Confrater der Marienbruderschaft Onze Lieve Vrouwe ten Drooghen Boome in Brügge gewesen. Dabei ließ sie außer Acht, daß horizontal über dem A ein I liegt. Dementsprechend konnte sich ihr Vorschlag auch nicht durchsetzen.

Diesen sportlich wirkenden Mann in rotem Gewand zu einem Kleriker zu machen, überzeugt nicht recht. Die Voraussetzung dazu wurde jedoch in der Kokarde am Barett gesehen, die im dunklen Mittelfeld eine Verkündigung zeigt. Der umlaufende Text Ave Gracia Plena gehört als Devise zum Rosenkranz und damit zum alltäglichen Gebet. Religiöse Anspielungen in den Impresen kommen aber, wie sich gezeigt hat, gerade auch bei Militärs vor, die sich dadurch die Anrufung einen Schutz erhofften (vgl. Internet-Essay Barett · Plakette ·Devise · Imprese von Chr. Wilhelmi).

Der Dargestellte hat eine lange gerade Nase, einen entschlossenen Mund und einen Dreitagebart. Er trägt einen rötlichen Überrock mit Pelzkragen, der vorn im Ausschnitt geöffnet ist und den Blick auf ein plissiertes, weißes Hemd mit edlem goldbestickten Kragen freigibt. Nach Art eines Spatenkragens schließt ein samtrotes Wams an, das vorn mit ─ der Kokarde ähnlichen ─ Knöpfen besetzt ist, insgesamt vier, welche stilistisch der Kokarde entsprechen und die Textzeile wiederholen. Die rechte Hand ruht auf einem minimal angedeuteten Tischrand und ist mit einem weißen Handschuh bekleidet. Die linke Hand wurde zur Faust geballt, die den zweiten Handschuh umkrallt. Die Ausstattung weist auf einen ranghohen Mann hin; das Rot auf einen leitenden Diener bei Hofe.

Langwierige Recherchen waren erforderlich, um aus dem personalintensiven Hofstaat Kaiser Karl V. in Flandern die passende Person zu ermitteln. Zwar sind einige Sekretäre bekannt und z.T. auch porträtiert worden, aber natürlich nicht durchweg. So gab es für diese Person keine Vergleichsabbildung, die Klarheit hätte schaffen konnte. Auch war der Fachbereich des Mannes kaum Gegenstand der Historiographie, aber für die Mobilität bei Hofe von großer Bedeutung. Es handelt sich nämlich, wie sich herausstellte, um den grand ecuyer, den Oberstallmeister und Reitlehrer: Jean d‘Andelot (ca. 1480─1556). Daß ein Mann in dieser Funktion offiziell porträtiert wurde, hat eine Parallele: König Heinrich VIII. von England beauftragte Hans Holbein d. J., seinen Stallmeister Sir Henry Guilford malen. Das Gemälde hängt in Windsor Castle.

Der Nachweis dafür, daß es sich bei dem Porträtierten um diesen Mann handeln muß, versteckt sich in den speziell angefertigten Knöpfen des Mannes: eben dem großen A mit quer darüber liegendem I. Diese Kombination von Initialen führte innerhalb des umfangreichen Personals des Kaisers schließlich zum Ziel. Zum Vergleich: Der Hof König Franz I. von Frankreich umfaßte 540 Bedienstete und war in 60 Arbeitsgebiete aufgeteilt (J.R. Knecht S. 118). Es ist sogar zu vermuten, daß Andelot schon der Reitlehrer des jungen Prinzen Karl war, der das Reiten zusammen mit dem Pfalzgrafen Friedrich erlernte, als dieser seinen Hofdienst absolvierte (vgl. Internet-Beitrag Bartolomeo Veneto, Friedrich von der Pfalz). Was ist heute noch von diesem Mann bekannt?

Jean d’Andelot, seigneur de Myon, baron de Jonvelle, stammte aus burgundischem Adel und erhielt eine entsprechende ritterliche Ausbildung. 1525 nahm er an der Schlacht von Pavia teil. 1532 zog er im Türkenfeldzug Karls V. mit und war unter diesem 1535 und 1542 in Nordafrika aktiv. Um die Zeit wurde er Mitglied im Orden d’Alcantara. Als sich Karl V. 1543 im Geldernkrieg mit dem Herzog von Cleve auseinandersetzte, war Andelot an seiner Seite wie auch 1547 in der Schlacht von Mühlberg gegen die Protestanten unter dem Kurfürsten von Sachsen und 1552 im Kampf gegen die Franzosen.

Offensichtlich war Andelot ein bedingungsloser Gefolgsmann des Kaisers. Der beförderte ihn zum baillie und Kapitän von Dôle und übertrug ihm auch Besitzungen in Italien. Viele Jahre war er zudem maitre d‘Hôtel du Roi. Andelot ging für seinen Herrn, wie man so sagt, durch dick und dünn. Seine Karriere endete mit der Abdankung des Kaisers; noch im Dezember 1556 starb Andelot. Sein Bruder ließ ihn in Pesmes (Haute-Saône) in der Familienkapelle bestatten und errichtete dort ein prächtiges Grabmal für ihn. Andelot war zweimal verheiratet, zunächst mit Philipotte du Bois, später mit Guillemette d’Igny, die aus der Franche-Comté stammte. Aber einer seiner Söhne, Pierre d’Andelot, seigneur de Fleurey, nahm erstaunlicherweise an der Adelsrevolte gegen die spanische Besatzung der Niederlande teil ─ für den Vater undenkbar ─ und kam deswegen aufs Schafott.

© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2019

Literatur
Karl Brandi: Kaiser Karl V. München 1964
Yvonne Hackenbroch: Enseignes. Florenz 1996
R. J. Knecht: Renaissance Warrior and Patron: The Reign of Francis I. Cambridge/UK 1994
M. Prinet. In: Dictionnaire de Biographie Française. Vol. XII Paris 1936
Internet: www.renaissance-port.de

Bildnachweis
Yvonne Hackenbroch: Enseignes. Florenz 1996 Abb. 235