Erstveröffentlichung

Jan Gossært
Jean de Marnix


29.03-Marnix 240Ein für den niederländischen Maler Jan Gossært (ca.1478─ca.1532) charakteristisches Portrait eines Unbekannten (Portrait of a Man) hängt innerhalb der Friedsam Collection im Metropolitan Museum in New York (Öl auf Holz, 47 x 34,9 cm, Nr. 32.100.62). Es befand sich übrigens vor über 200 Jahren im Besitz des Malers Joshua Reynolds. Zeitweilig wurde ihm das Etikett angehängt, Herzog Johann von Flandern darzustellen. Seine Besonderheit: Von den überkommenen Portraits von Gossært ist es das einzige mit Signatur des Malers. Das Bild zeigt einen etwa 30jährigen Mann im Dreiviertelportrait nach links, allem Anschein nach kein Kleriker und auch kein Militär. Ainsworth vermutet daher im Portrait einen Humanisten. Er hält in der Rechten eine Schriftrolle und könnte ein homme de lettre sein, womit jedoch kein Literat, sondern in diesem Fall eine Person gemeint ist, die von Berufs wegen mit Schriftlichem umzugehen gewohnt ist.

Es handelt sich im Bildnis nicht um ein leeres Papier, sondern ein beschriftetes Blatt, das allerdings schwer lesbar ist. Als Text wird vom Museum angegeben: »… omrpses J[o]annes… malbodius… pingeba[t]«. Bei dem Namen handelt es sich um den Porträtisten bzw. dessen Namensvariante Mabuse, in der sein Geburtsort Maubeuse enthalten ist. Die restlichen 7 Buchstaben des Anfangs vermochte bisher niemand aufzulösen. Allenfalls wäre daraus herauszulesen homme ipse, da über dem ´m´ ein Verdoppelungsstrich angebracht ist. Mit etwas Phantasie könnte man darin eine Bestätigung sehen, daß der Maler den ´Menschen selbst … gut gemalt´ (getroffen) hätte. Solche Bestätigungen finden sich z.B. auch bei Hans Baldung Grien (s. Beitrag Baldung, Sapidus). Aber die Mischung aus Latein und Französisch läßt an dem Ergebnis auch zweifeln.

Die deutlich modellierte Physiognomie des Unbekannten sowie das plissierte Hemd im Ausschnitt stechen aus dem sonst dunkel gehaltenen Gemälde wirkungsvoll hervor und scheinen, die Energie und Tatkraft der Person betonen zu sollen. Immerhin war sie gut situiert, wie sich aus der Garderobe ablesen läßt, wenn auch nicht verschwenderisch gekleidet. Die rechte Hand zeigt keinen Ring mit einem Edelstein, wie sonst üblich, sondern einen unterbrochenen Ring nach Art einer Spange. Der Kopf ist mit dem damals modischen burgundischen Barett geschmückt, an dem auf der linken Unterseite eine Plakette befestigt ist. Das Museum gibt an, daß darauf die Initialen ´I M´ zu lesen sind. Diese werden als Johan Malbodius gelesen und das Gemälde daher teilweise auch als Selbstbildnis bezeichnet. Aber würde ein Künstler sein Portrait gleich zweimal signieren?

Nun gibt es um 1500 in Flandern und den angrenzenden Ländern eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, auf welche die Initialen zutreffen: Joachim Martens (Gent), Jean de Marnix (Mecheln), Jacques Merlin (Paris), Jacob de Montfoort (Haarlem) etc. Doch überprüft man deren, z.T. fragmentarische Lebensläufe, scheiden drei Kandidaten aus; übrig bleibt Jean de Marnix.

Obwohl Jean de Marnix (1483 Moutiers/Savoyen ─ 1532) als Jurist eine einflußreiche Person bei Hofe war ─ auch Dürer traf ihn auf seiner Niederländischen Reise ─, haben die Historiker fast nur seine politischen Ämter übermittelt. Entscheidend für ihn war, daß Margarete von Österreich (1480─1530) ihn nach ihrer Heirat mit Philibert de Savoie als einen seiner Sekretäre kennenlernte, gut mit ihm zusammenarbeitete und nach Philiberts Tod mit nach Mecheln nahm, als sie dort die kaiserliche Statthalterschaft antrat. Marnix‘ Frau stammte aus Brügge und war als Hofdame bei der Statthalterin tätig gewesen. Margarete schickte ihn als ihren Vertreter zum Reichstag nach Augsburg. 1525 rückte er zum 1. Sekretär und conseiller (Dagmar Eichberger S. 85) sowie Generalsteuereinnehmer auf.

Jean de Marnix war für die Kaisertochter ein verläßlicher Mitarbeiter, zu dem sie lebenslang Vertrauen hatte und ihm auch die Privatkanzlei übertrug. Später bestimmte sie ihn zum Schatzmeister und receveur général (1514) und schließlich zu ihrem Testamentsvollstrecker sowie als Aufsicht für das Mausoleum von Philibert und Margarete in Brou. Als solcher hatte er auch mit den Kunstschätzen der Fürstin und Mäzenin zu tun. Jean de Marnix ging offenbar so in Organisation und Verwaltung auf, daß nichts Auffälliges über ihn zu berichten war. Nach Margaretes Tod wurde er 1531 Staatssekretär im Raad van State.

Es überrascht, daß ein Mann wie Jean de Marnix keine goldene Kette trägt. Offenbar stammte er aus niederem Adel. Vielleicht war er aber auch nicht so eitel wie manche seiner Zeitgenossen. Daß er aber die Dokumentenrolle in der Rechten hält, paßt unmittelbar zu seiner Stellung: Anordnungen zu treffen, Verhandlungen zu führen, Verträge zu schließen. In manchem Portrait der Renaissance findet sich bei entsprechenden Amtspersonen ein vergleichbarer Gestus. Leider ist die Plakette am Barett vom Künstler nicht so detailliert ausgearbeitet, daß man aus der Imprese auf die Person schließen könnte.

Gossært arbeitete nach 1503─07 in Antwerpen; danach war er an verschiedenen Orten tätig, so in Utrecht und Middelburg. Nimmt man an, der 1483 geborene Jean de Marnix ließ sich 1514 als Schatzmeister malen, entspräche das Alter dem Dargestellten. Tatsächlich war Gossært bei Hofe geschätzt und hat etliche Prominente aus dem Umkreis der Statthalterin porträtiert wie Floris van Egmont, Heinrich III. von Nassau-Breda u.a. Als Albrecht Dürer 1520 die Niederlande bereiste, verhandelte er auch mit ihm und hat eine Kohlezeichnung von ihm gemacht, die sich bedauerlicherweise nicht erhalten hat. Der Humanist Gerard Geldenhouwer bezeichnete ihn als »Apelles nostrae aetatis« (Strelka S. 25).

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2018

Literatur
Dagmar Eichberger: Leben mit Kunst. Brepols 2002
Jan Gossært’s Renaissance. The Complete Work. Hg. Maryan Ainsworth. New Haven/London 2010
Ariane Mensger: Jan Gossaert. Berlin 2003
Nieuw Nederlandsch Biografisch Woordenboek. III. Leiden 1914
Josef Strelka: Der burgundische Renaissance-Hof Margarethes von Österreich und seine literaturhistorische Bedeutung. Wien 1957
Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Graz 1995

Bildnachweis
Metropolitan Museum in New York █