Erstveröffentlichung

Jan Gossært

Damião de Goes

29.01-Gossaert-Damiao 240Es ist heikel, dem Mann mit den schönen Händen eine neue, historisch belegbare Identität zu geben, scheint es doch so, als sei diese längst geklärt. Die Kunsthandlung F. Kleinberger, Paris /New York, veröffentlichte o. J. (1927?) eine Werkmonographie unter dem Titel The Man with the Beautiful Hands by Jean Gossært called Mabuse (1472─ca.1535) von Albert Van de Put. Damit wurde der Versuch unternommen, einem besonders eleganten Renaissance-Porträt (Öl auf Leinwand, 64,8 x 50, cm), das einen eleganten Unbekannten darstellt, einen Titel zu geben. Das Gemälde gelangte 1968 mit der Lehman Foundation ins Sterling and Francine Clark Art Institute nach Williamstown/Mass. (Nr. 1968.298). Van de Put bot als Person den Finanzberater Erzherzog Ferdinands von Österreich an, den Grafen von Salamanca, der zur Zeit des Portraits schon die fünfzig überschritten hatte. Von Van de Put wird aber nicht erklärt, warum der Spanier sich eines französischen Mottos bediente, um vor 1533 Elisabeth von Durlach zu umwerben. Bezeichnenderweise wagte er auch nicht, die von ihm favorisierte Person auf dem Titelblatt zu nennen.

Sich mit dem Werk zu beschäftigen, wurde durch einen Ausstellungskatalog des Metropolitan Museum, New York, kompliziert. Das Titelblatt versichert, The Complete Work von Jan Gossært anzubieten. Doch in dem aufwendigen und voluminösen Werk fehlt der Mann mit den schönen Händen unter den ausgestellten Werken und wird von Maryan A. Ainsworth nur kurz und abwertend als eine Arbeit seines Schülers Jan Cornelisz Vermeyen (S. 306 oben) ausgewiesen, allerdings mit Fragezeichen. Zur Begründung (S. 22) erfährt man nur, daß »it is stylistically closely related to the Judith [von Vermeyen] and may also linked to Vermeyen«. Eine so folgenreiche Umwertung sollte jedoch argumentativ gründlicher abgesichert werden.

Da hier die Person und das Leben des Dargestellten zur Debatte steht, stellt sich aufs Neue die Frage nach Anknüpfungsmöglichkeiten für eine zuverlässige Identifizierung. Als Allererstes bietet sich die für 1534 fast schon barock gestaltete Plakette an der Krempe des Baretts an. Deretwegen wurde das Gemälde in den opulenten Bildband Enseignes von Yvonne Hackenbroch als Abb. 248 aufgenommen. In ihrer Mitte ist ein isoliert stehender Burgturm erkennbar, den eine männliche Figur zu umfassen versucht. Zusammen mit der als Schriftband umlaufenden Devise deutet Hackenbroch den Porträtierten als »unidentified love-struck gentleman« (mit Liebe geschlagenen Edelmann). Auch hier wird das Portrait als das eines Brautwerbers eingestuft. Diese Tendenz wird unterstrichen von der umlaufenden, etwas altertümlichen formulierten, französischen Devise:

A QVI PAR TROP ERBRACE EN VAIN SON BRACE LACE
(Wer zu viel umarmt, dessen Arm [wird] umsonst müde).

Das Werk ist rückseitig 1534 datiert, aber nicht signiert. Stilistisch war man sich bei dem Werk weitgehend sicher, daß es von Jan Gossært (*1478) stammt, wenn auch das Gemälde bei A. Mensger nicht vorkommt, weil die Autorin von seinem Tod in Breda um 1532 ausgeht. Exakte Angaben dazu sind leider nicht überliefert.

Die Suche nach einer passenden Persönlichkeit muß sich daher auf einen Adligen konzentrieren, der die französische Sprache beherrschte und sich an eine Dame dieses Sprachraums wandte. Dazu gehörte damals auch die Region des Malers, die südlichen Niederlande. Hier im nördlichen Teil des früheren Herzogtums Burgund war auch die Herrenmode in der Oberschicht besonders hoch entwickelt. Folgt man Hackenbroch, muß der Mann in der Seefahrt zuhause und im portugiesischen Überseehandel tätig gewesen sein, denn die Armillarsphäre gehörte zu den Kennungen des Königs Manuel I von Portugal, bekannt für seine Förderung der Schiffahrt und die von ihm forcierte Expansion des Handels nach Übersee.

Im frühen 16. Jahrhundert waren nicht nur die Kaufleute der Hanse in den Niederlanden mit Niederlassungen präsent, sondern auch die Portugiesen mit einer Faktorei in Antwerpen vertreten. Wir wissen davon u.a. durch Albrecht Dürers Tagebuch der Reise in die Niederlande. In Antwerpen lernte er die Faktoren João Brandão und Rodrigo Fernandez d’Almada, dessen ersten Sekretär, kennen. Letzterer beschenkte Dürer mit exotischen Dingen (kalkuttisch Tüchern, Moschuskugel u.a.). Doch beide kommen vom Alter her für das jugendliche Portrait nicht infrage. Da Dürer beide Herren gezeichnet hat, läßt sich auch überprüfen, daß beider Physiognomien für die porträtierte Person nicht in Betracht kommen. Einige Jahre später jedoch wurde Brandão durch einen anderen Vertrauten des portugiesischen Königs ausgetauscht; es handelt sich um Damião de Goes. Diese weltläufige Persönlichkeit und ihr ganzer Habitus entsprechen der hervorragenden malerischen Qualität des Portraits.

Damião de Goes (Goís), Sohn eines durch Seifenhandel reich gewordenen Flamen ( 1513) und einer portugiesischen Mutter, Isabel Gomes de Limi, kam am 2.2.1502 in Alenquer in Portugal zur Welt, wo er am 30.1.1574 auch starb. Bereits mit 9 Jahren gelangte er an den Königshof des tatkräftigen Dom Manuel I., o Venturoso (der Großartige/der Glückliche) genannt, wo er weltoffen erzogen wurde und bei dem er sogar als Kammerherr diente. Manuel war stilprägend: »Im Manuelischen Baustil, einem überschwänglichen Dekorationsstil, finden die Eindrücke, die die Seefahrer aus den neu entdeckten Welten mitbrachten, ihren künstlerischen Ausdruck« (Gudrun und Alexander Decker S. 17).

De Goes zeichnete aus, daß er keine Vorurteile gegen einfache Leute hegte. Am Hof erlebte er 1514/15 den Besuch des äthiopischen Gesandten Mateus mit, der in Portugal den Kaiser Lebna Dengel (Negus Dawit II.) vertrat. Sein Auftreten faszinierte de Goes lebenslang. Durch ihn erfuhr er u.a. zu seinem Erstaunen, daß die Päpste das Christentum der Äthiopier vollkommen ignorierten. Dies irritierte de Goes und machte ihn aufgeschlossen für das Denken anderer Völkerschaften.

Schon in relativ jungen Jahren wurde de Goes von seinem König als Sonderbotschafter in verschiedenen Ländern eingesetzt, u.a. in Rußland; später war er einige Zeit portugiesischer Geschäftsträger im Staatenbund Polen-Litauen und sollte die polnische Königstochter Jadwiga für den portugiesischen Infanten Luis gewinnen. Dort nutzte er die Gelegenheit und machte sich über den Mitarbeiter von Kopernikus, Tiedemann Giese (1480─1550), mit den neuen astronomischen Erkenntnissen vertraut, die von großer Tragweite für die Seefahrt waren. Portugal wollte weitere Absatzmärkte gewinnen. Für diese kosmopolitischen Menschen galt, was Lisa Jardine (S. 347) schreibt: »Ein gemeinsames Merkmal war ihre Mobilität. Beruflich waren sie in ganz Europa unterwegs… Für diese Leute war das gedruckte Buch als Hilfsmittel ihrer diversen Forschungen und Tätigkeiten von überragender Bedeutung«. Diese Tätigkeit führte de Goes auch dazu, daß er durch Empathie für andere Völker und deren Sitten und Gebräuche viel Verständnis aufbrachte.

Von seinem musikliebenden König übernahm de Goes das Interesse für die Künste. Im Bereich der Musik betätigte er sich selbst aktiv (Clavichord, Cembalo, Flöte, Harfe, Spinett, Violine und Zither), aber auch komponierend (Motetten und Madrigale flämischer Art). Er bevorzugte die Polyphonie nach dem Vorbild von Josquin de Près (ca.1450─1521) und Johannes de Ockeghem (ca.1430─1495). Der Humanist Henricus Glareanus (1488─1563), dessen Sympathien er gewann, bezeichnete ihn als eques magnifice (großartigen Ritter). Seine wertvollen Geschenke sicherten ihm Freundschaften.

Bereits mit 19 Jahren wurde er auf ein hohes politisches Amt berufen; doch der König Manuel starb unerwartet 1521; sein Nachfolger Dom João III (1521─1557), principe piedoso (frommer Prinz), setzte de Goes weiterhin als Botschafter ein, zugleich als Sekretär der Niederlassung in Antwerpen. Der Hafen dieser Stadt bildete für die Portugiesen den Schlüssel für ihren Osthandel. Viele der in Lissabon angelandeten überseeischen Güter wurden nach Antwerpen weitergeleitet, um von dort aus den europäischen Binnenmarkt mit hochpreisigen Luxusgütern aller Art zu versorgen.

Damião de Goes ließ es sich während seines Aufenthaltes in Antwerpen trotz seiner exponierten Stellung nicht nehmen, den Gedankenaustausch mit den humanistischen Kreisen Flanderns zu pflegen. Auf diese Weise erfuhr er von den Überlegungen zur Kirchenreform. In der Person von Cornelis Graphæus (1482-1558), zeitweilig einer der meesters van het stadsbestuur von Antwerpen (s. Beitrag Gossært, Graphæus), stieß er auf einen Intellektuellen mit den Interessengebieten Dichtung und Geographie. Dieser wurde 1523 auf Veranlassung der Inquisition wegen lutherischer Häresie zeitweilig verhaftet. Nach der Haftentlassung gab er dem wissbegierigen de Goes Lateinunterricht, der damaligen lingua franca der Wissenschaften. Möglicherweise finanzierte de Goes in der schwierigen Zeit der Verdienstlosigkeit dessen Lebensunterhalt. Das von Graphæus geweckte Interesse an der geistigen Situation der Zeit ging sogar soweit, daß de Goes 1531 auf einer Dienstreise über die Ostsee nach Polen und Rußland Halt in Wittenberg machte, um Luther persönlich kennenzulernen. Doch dem feingliedrigen, empfindsamen de Goes stand Philipp Melanchthon wesensmäßig näher. Diesen bezeichnete er als »eine geistige Säule Deutschlands«. Beide korrespondierten in den folgenden sieben Jahren immer wieder miteinander.

Allmählich geriet de Goes in eine Zerreißprobe zwischen der politischen Aufgabe für seinen König und seinem starken eigenen Interesse für die Wissenschaften und die Kirchenpolitik. Bei einem Stellenangebot des Königs, die Leitung der größten Wirtschaftszentrale des Landes, der Casa das Indias, zu übernehmen, rang er sich durch abzusagen. Als Ausflucht schrieb de Goes ihm von einer Pilgerfahrt nach Santiago, er habe ein Gelübde getan. Joao III war immerhin so verständnisvoll, daß er ihm immerhin gestattete, ein Studium in Leuven/Louvain aufzunehmen.

Hier im Collegium Trilingue traf er nun mit Erasmus von Rotterdam (1466/69─1536) zusammen, dem Exponenten des Humanismus. Dieser schrieb später über ihn: »Er ist ein Leben in Luxus gewöhnt, obwohl er sehr bescheiden ist«. Sofort entwickelte sich eine gegenseitige Zuneigung. De Goes gab ihm ein Exemplar seines Buches Legatio… (Antwerpen 1532), welches die Botschaft des äthiopischen Kaisers an die europäischen Christen enthielt ─ ein allererster Versuch eines Süd-Nord-Dialogs). Außer für die benachteiligten Afrikaner setzte sich de Goes für mehr Verständnis für die Lappen in Finnland ein – eine Sympathie, die der aus Schweden nach Danzig vertriebene Bischof Johannes Magnus (1488─1544) in ihm geweckt hatte.

Erneut sollte er ein königliches Amt übernehmen; wiederum gelang es de Goes, beim König die Fortsetzung seines Studiums zu erreichen. Dieser hatte auf de Goes Berichte hin sogar den Plan, Erasmus an die neugegründete Universität von Coimbra zu berufen. Doch mit Rücksicht auf seine Gesundheit lehnte Erasmus das Angebot ab.

War Erasmus äußerst bedachtsam, was die Auswirkung seiner Texte anging, äußerte sich de Goes ungeniert und ohne Selbstzensur, so daß er bei einem Aufenthalt in Freiburg/Breisgau (als Gast von Erasmus) wegen zu kühner kritischer Äußerungen die Stadt verlassen mußte. Seine liberale religiöse Auffassung tat er in Fides, religio moresque Aethiopium (Leuven 1540) kund, in der er sich dezidiert für religiöse Toleranz einsetzte.

Auf Erasmus‘ Empfehlung wandte sich de Goes 1534 nach Italien und setzte seine Studien in Padua fort. Kontaktfreudig, wie er war, besuchte er dortige Größen des Humanismus wie den Kardinal Jacopo Sadoleto (1477─1547); der bezeichnete ihn als homo doctissimus. Mit einem Empfehlungsschreiben von Erasmus stellte sich de Goes auch bei dem Dichter und Kardinal Pietro Bembo (1470─1547) vor. In dem Empfehlungsschreiben werden seine Bescheidenheit und seine noble Haltung gerühmt. Einem Vorschlag von Erasmus folgend übersetzte de Goes Ciceros De senectute (über das Altern) ins Portugiesische (Venedig 1538) und gab 1544 eine eigene Essay-Sammlung heraus (gedruckt in Leuven).

In Padua lebte er in einer Wohngemeinschaft mit zwei Kommilitonen (seinem besten Freund Splinter van Hargen und Joachim Polites) zusammen. Sie harmonierten ausgezeichnet, obwohl sie theologisch differierende Standpunkte vertraten. De Goes verstand sich damals sogar mit Ignatius von Loyola (1491─1556), dem Gründer des Jesuiten-Ordens, der eigens nach Padua kam, um sich bei de Goes für eine Attacke eines seiner Ordensbrüder gegen ihn zu entschuldigen.

In den Semesterferien muß ihn wohl der coup de foudre getroffen haben, aus dessen Anlaß er den Auftrag für das Gemälde gegeben hat (sofern die Datierung echt ist, denn man nimmt an (s.o.), daß Gossært 1532 gestorben ist). Bei der Braut handelt es sich um die Schwester seines Freundes, Isabella van Hargen (ca. *1515). »Sie war schön, gebildet, reich und aus bester Familie« berichtet Wolfgang Ploch (oeko.net.de). Die Eleganz der Bildauffassung erscheint italienisch, erklärlich dadurch, daß sich Gossært zeitweilig in Rom aufgehalten hatte, aber gepaart mit der Perfektion der Niederländer. Vergleichbar ausdrucksvolle Hände finden sich auf dem Portrait Kaiser Karls V. von Jan C. Vermeyen (Öl auf Holz 23,5 x 18 cm. Musées Royaux des Beaux-Arts, Brüssel).

Daß de Goes inzwischen selbst zum Humanisten gereift war, zeigt die Zugabe zum Portrait: Auf der Rückseite der ursprünglichen Holztafel befindet sich eine Grisaillemalerei. Hinter einem Tisch ist die antike Lucretia mit entblößter Brust dargestellt, wie sie sich das Schwert ins Herz stößt. Die auf dem Tisch verbliebene Scheide trägt die Jahreszahl 1534. Ob die Vorderseite gleichzeitig gemalt wurde oder früher, läßt sich eben nicht mehr klären. Auf welche Art die Vorgeschichte zu diesem Portrait im Einzelnen verlief, bleibt ebenfalls dunkel, da die Angebetete (Y. Hackenbroch) ihn wohl bei der ersten Werbung abwies und für ihn damit das attraktive Portrait erforderlich machte. Diesen Vorgang kann man allerdings nur aus dem Lucretia-Mythos rückschließen, der durch die Zeitdifferenz bis zu der dann doch geglückten Heirat 1538 bestätigt wird.

In diesem Jahr wurde de Goes akzeptiert, bekam die königliche Erlaubnis und heiratete Johanna van Hargen aus prominenter katholischer Familie Utrechts. Das Paar lebte die ersten Jahre in Leuven. Doch als 1542 die Stadt von den Franzosen angegriffen wurde, nahm de Goes, selbst kein Kämpfer, als Hauptmann der Studenten an der Verteidigung der Stadt teil und geriet so in französische Gefangenschaft. Nur durch hohes Lösegeld kam er frei. Bald darauf forderte König Joao III ihn wieder an und machte ihn zum königlichen Archivar im Torre do Tombo. In den letzten Lebensjahren des Erasmus hatte sich de Goes vergeblich angeboten, diesem ein Werkverzeichnis zu erstellen. Das wurde erforderlich, da auch von den Erasmus-Schriften bereits Falsifikate in Umlauf waren. Generös, wie er war, bot er an, dies sogar auf eigene Kosten zu tun. Doch dazu kam es nicht mehr; nun wurde de Goes mit der Ordnung und sachgerechten Einrichtung des nationalen Archivs Portugals betraut. Gleichzeitig schrieb er Chroniken über die Regierungszeit von João III und Manuels als offizieller Historiograph.

Doch was der überaus aktive de Goes offenbar nicht bemerkte: Die Zensur hatte ihr Ohr überall. Der Jesuiten-Provinzial von Portugal, Simon Rodrigues, erfuhr von Gesprächen, in denen de Goes über seine persönlichen Kontakte zu den Reformern in Wittenberg berichtet hatte, und denunzierte ihn bei der Inquisition. Zum Glück hielt der König Zeit seines Lebens seine schützende Hand über ihn. Die Inquisition wartete daher den Tod von João III 1568 ab und ließ de Goes kurz danach verhaften. Er wurde zu Kerker verurteilt und sein Vermögen konfisziert. Seine Haft mußte er im Kloster Batalha zum Zweck der Umerziehung absitzen. Zwei Jahre später starb er.

So überzeugend diese Lebensgeschichte für den Porträtierten auch ist, seiner Identifizierung scheint aber folgendes im Wege zu stehen: Auf den wenigen Publikationen über de Goes prangt nämlich das gemütliche Gesicht eines ganz anderen Mannes mit Vollbart. Die Vorlage sei eine Zeichnung von Albrecht Dürer – so hieß es lange Zeit. Elisabeth Feist-Hirsch II, S. 240ff) war vorsichtiger: »possivelmente executado por Dürer« (Damião de Goes S. 33).

29.01 Gossaert Damiao-S.19 240Unbekannter Künstler:
fälschlich Damião de Goes. Handzeichnung.
Dürer-Umkreis: Unbekannter Kaufmann.
Zeichnung. Albertina, Wien
Aber die heutige Besitzerin dieser Vorlage, die Albertina in Wien (Inventar Nr. 3166), erwähnt im Beschreibenden Katalog der Handzeichnungen, Wien 1933, den Namen des Künstlers nur in Klammern (S. 26) und führt aus: »Wir hingegen sind aus zeitlichen und stilistischen Gründen der Ansicht, daß die Identität des Dargestellten durch den noch zu Lebzeiten erschienenen Stich gesichert ist, daß aber Dürer als Zeichner ausscheidet.« Die Begründung ist schlagend: Dürer kann nicht mit de Goes in Antwerpen zusammengetroffen sein, da de Goes erstmalig 1523 dort eintraf.


In der Fachliteratur bestehen also Zweifel, daß die vorgebliche Dürer-Handzeichnung wirklich de Goes darstellt. Aus heutiger Sicht kommt für sie als Urheber eher ein Künstler aus dem Dürer-Umkreis wie Hans Burgkmair oder aber Lucas van Leyden in Betracht; das durchschnittliche Aussehen des Bärtigen und das Fehlen von sonstigen Anhaltspunkten macht eine Identifizierung dieser Person aber nahezu unmöglich.

Da Dürers Graphik schon zu Lebzeiten zum Markenartikel geworden war, erschienen sehr bald Imitate seiner Werke auf dem Markt, wobei die Nachahmer sich gern seiner Art zu signieren bedienten. Vieles deutet darauf hin, daß es sich auch mit der angeblichen Zeichnung von de Goes so verhält.

Sein Lebenslauf und sein Charakterbild scheinen dem von Gossært gemalten Portrait ideal zu entsprechen. Doch der eigentliche Beweis dafür steht noch aus. Er ist nach Lage der Dinge nur über Indizien wie ein Puzzle zusammen zu fügen:
 - Die schönen Hände von de Goes halten links ein Paar Handschuhe. In der Portraitmalerei der Renaissance treten diese zumeist in Darstellungen von Gesandten und Juristen auf; noch heute spricht man von mit ´Samthandschuhen verhandeln´. Diese Funktion hat de Goes tatsächlich vielfach ausgeübt.
- Die sensiblen Hände sprechen für einen verbindlich und liebenswürdig agierenden Mann wie de Goes.
- Die noch jugendliche Physiognomie des Porträtierten spricht, wie schon gesagt, für Damião de Goes, der bei der Portraitsitzung 32 Jahre alt war.
- Auch die flandrische Devise (A qui …, s.o.) ist bei seiner Herkunft einleuchtend.
- Der Inhalt der Devise paßt überzeugend in den Lebensverlauf von de Goes und nicht zur Standesheirat des Grafen von Salamanca bzw. Ortenburg.
- Auch die Einschätzung von Erasmus von Rotterdam entspricht dem Habitus des Porträtierten, zumal einem in der flämisch-burgundischen Tradition stehenden Edelmanns wie de Goes, der von seinem ererbten Vermögen generös austeilte.
- Halsketten zu tragen, stand damals nur Adligen zu, nicht dagegen einem reichen Kaufmann. Den ererbten Rang wußte de Goes durch sein Auftreten als Höfling zu steigern. De Goes stand Manuel offenbar nahe, besonders in der Zeit von Manuels Krankheit. Die Ausgabe einer Schrift von de Goes von 1546 bezeichnet ihn übrigens, wie schon 1542 in einer rein typographisch gelösten Titelei zu Hispania (Leuven 1542) im Zusatz zu seinem Namen als Equitis Lusitani (Ritter Portugals, in der Genetivbildung).


29.01-DamiaoTitelTitelseiten der landesgeschichtlichen Publikationen von Damião de Goes











- Die gestickte Borte des Hemds weist vorn, links wie rechts, eine Armillarsphäre auf.
Das Auftreten einer solchen veranlaßte schon (s.o.) Hackenbroch, in dem Portrait einen Mann portugiesischer Herkunft zu erkennen. Als Zeichen für die Seeherrschaft tauchte diese auf vielen königlichen Dokumenten wie Bauten auf, besonders demonstrativ an der Kirchenburg des Ordens der Christusritter in Tomar. Die Armillarsphäre wird von de Goes auch auf dem Titelblatt seiner Chronica do Principe Dom Ioam, Rei… aus dem Jahr 1566 angebracht.

29.01 Gossaert Damiao-S.109 240Heraldisches Sandsteinrelief in Alenquer- Über der Tür zur Sakristei der Kirche Unserer lieben Frau von Várzea in Alenquer hat sich als eine Art Epitaph ein heraldisches Sandsteinrelief erhalten. Es zeigt links eine Abwandlung des königlich-portugiesischen Wappens, das de Goes offenbar als Kammerherr führen durfte. Es besteht aus 5 Rundformen, die dem Vierpaß ähnlich sind, angeordnet wie bei einem Würfel. Jede einzelne zeigt einen silbernen Halbmond; je vier sind zusammengefügt, wobei die Spitzen aufeinandertreffen. Der Untergrund war blau. Das Wappen schmückt
- die Titelei einer Publikation (s.o.) von de Goes, 1546 in Lissabon gedruckt.
- die Titelei der erwähnten Publikation von 1566
- die Titelei der Neuauflage der Chronica do Felicissimo Rey Dom Emanuel da Gloriosa Memoria von de Goes aus dem Jahr 1617.
Am sorgfältigsten ist das Wappen des Reliefs ausgeführt. Aus den 5 Vierpässen sind sozusagen 5 vierblättrige Rosen geworden. Das Wappen hatte ihm Kaiser Karl V. für seine Verdienste verliehen; es wurde erst 1567 vom portugiesischen König anerkannt.
- Während das portugiesische Wappen durch den umgebenden Zierrat etwa 2/3 der Fläche einnimmt, verbleibt für das zweite, zierliche und an einer Maske wie mit einem Faden aufgehängte Wappen nur das restliche Drittel. Abweichend von der Schildform ist es ähnlich einem Rhombus, auf der Spitze stehend geformt, aber in üblicher Weise in vier Felder aufgeteilt; das 1. zeigt im:  1.und 3. Quartier: einen Wappenschild bestehend aus 3 Ringen
2. und 4. Quartier: horizontale Sägezahnreihen (?) und links davon einen nach links schauenden Vogel.
Im 2. Feld darunter befindet sich ein gerade startender Greifvogel; dabei ließe sich an einen Falken denken. Im 3. Feld sind 3 quadratische Gewichte mit jeweils einer Öse oben zu sehen. Im 4. Feld ist ein halbierter romanischer Bogen abgebildet.

Wappen aus der Zeit zu identifizieren, ist eine diffizile Angelegenheit. Da es sich aber um ein nicht landesübliches Wappen handelte, bekam der Bildhauer den Auftrag, den Umraum für eine erklärende Beschriftung zu nutzen. Sie lautet:

HARGEN E GOES / TERWI ICI / SVIIS / BURCH / GESTRVM

Läßt sich auch der Text nicht einleuchtend übersetzen, weswegen sich die regionalen Historiker über den Inhalt ausschweigen, so gehen dennoch wichtige Informationen daraus hervor:
- Die Familiennamen beider werden gemeinsam genannt; demnach wurde der Stein wohl nach de Goes Tod gesetzt.
- Es schließt sich vermutlich der Ortsname der Familie van Hargen an: Tervueren? Bedauerlicherweise konnte das Archiv in Utrecht über die Familie van Hargen keinerlei Angaben machen.
- Darauf folgt eine Burg. Der Vater von Isabella soll den Rang eines Burggrafen gehabt haben. In Planches de l’Armorial Général von J.-P. Rietstap findet sich auf Tafel LXIV das Wappen einer Familie des Gois. Es enthält in der heraldisch linken Hälfte einen ganz ähnlichen Turm mit Zinnen.
- Das letzte Wort bleibt leider unklar.
Dennoch besteht kein Zweifel, daß dieses Relief Damião de Goes und Isabella van Hargen gilt. Als Bekrönung befindet sich in einem Medaillon ein schlafender Puttokopf mit Flügeln, möglicherweise eine Darstellung der Seele des Verstorbenen (nach humanistisch-platonischer Auffassung war der Tod als ein Schlafzustand anzusehen). Unter ihm tritt bezeichnenderweise wieder ein Vogel auf; dieser formal eher an einem Pfau gleichend. Daraus ließe sich folgern: Der aufschauende Vogel steht für die Witwe Isabella, denn aus ihrem Wappen stammt der Greifvogel.

Die entscheidende Verbindung zu dem Gossært-Gemälde stellt folgende Tatsache her: Neben den zwei Armillarsphären (s.o.) tritt viermal ein Vogel in der Borte auf, dessen Schnabel auf eine vierblättrige Rose (?) pickt – je zwei jeweils seitenverkehrt ein Paar bildend, allerdings voneinander wegschauend. Dieser Zierrat kommt sonst in Renaissance-Portraits nicht vor und ist daher ein überzeugender Hinweis auf den Urheber bzw. den Auftraggeber des Portraits: Damião de Goes. In der Halsborte finden sich sowohl der Hinweis auf seine Herkunft, besser noch: seinen königlichen Auftrag in Form der Armillarsphäre, als auch, und das viermal, der Hinweis auf die Paarbeziehung: Der Vogel für Isabella – die vierblättrige Rose für Damião. Diese antizipierende Metapher verstärkt noch einmal die Funktion dieses Gemäldes als Brautwerbung.

Nicht zu umgehen ist nun ein merkwürdiger Fall von vermutlicher Geschichtsklitterung.
Womit die portugiesischen Historiker bisher nicht zurechtgekommen sind, ist die Existenz eines weiteren Sandstein-Epitaphs für Damião de Goes in der Kirche S. Pedro in Alenquer. Der schlanke, schlichte Stein wird bekrönt von einem stark beschädigten Kopf eines bärtigen Barett-Trägers. Soweit noch erkennbar, ähnelt die Physiognomie der vorgeblichen Dürer-Zeichnung. Daraus ist auch zu erklären, daß Damião de Goes bisher in Portugal nur so dargestellt wurde.

Befremdlich daran ist, daß dieses Epitaph nicht in der Kirche aufgestellt ist, welche von der Familie benutzt wurde und die sie mit einem heraldischen Stein des Ehepaars schmückte. Vollends irritierend daran ist, daß ─ in Stein gemeißelt ─ für Damião de Goes das Todesjahr 1560 genannt wird. Um die Zeit war er noch als Archivar und Historiograph tätig. Daher ist undenkbar, daß der Stein zur Zeit des genannten Datums aufgerichtet wurde, sondern wahrscheinlich erheblich später. Es kommt sogar der Verdacht auf, daß nach dem Tode des gelehrten Mannes die Inquisition den tragischen Verlauf seines Lebens umdeutete, indem sie, in scheinheiliger Verehrung seiner Bedeutung von de Goes als Humanist, das Epitaph errichtete, aber auf diese Weise 14 Jahre seines Lebens, das mit dem Tod in der Haft endete, so annullierte. Man rechnete wohl damit, daß Kirchgänger nur ein kurzes Gedächtnis haben und nicht gegen die Verfälschung aufbegehren würden.

29.01-Damiao NEBJan Gossaert Damiao de Goes (?)
um 1530. National Gallery. London
PS. Nach Abschluß des Beitrages fiel bei anderweitigen Recherchen der Blick auf ein Gemälde in der
National Gallery London (Öl auf Holz, 24,4 x 16,8 cm. NG 946), das große Ähnlichkeit mit dem hier diskutierten Portrait von Gossært hat. »NG 946 is regarded as a very late work by the artist« schreibt dazu die Nationalgalerie. Sie gibt an, das Werk sei von Gossært und stamme aus der Sammlung von King Charles I, wie ein Brandmal auf der Rückseite vermuten läßt. Doch es wird kein Bezug zu dem erheblich, hier diskutierten größeren, wohl originalen Werk von Gossært in Williamstown/Mass. genommen. Daß auch diese kleinere Variante von Gossært stammt, ist als sehr fraglich anzusehen und bedürfte einer eingehenden Untersuchung. Immerhin läßt sich aus dem dort mit Fragezeichen versehenen Titel Damião de Goes schliessen, daß in London der personale Bezug noch über Jahrhunderte erhalten blieb ─ im Gegensatz zum Original, das vermutlich durch verschiedene Hände ging, ehe es in die Lehman Foundation gelangte. Insofern liefert dieser Vorgang unverlangt den schlagenden Beweis der Identität.


© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2018

Literatur
Damião de Goes. Uma Antologia de Textos Biograficos. Alenquer. o. J. (eine Blütenlese derportugiesischen Literatur über Damião de Goes)
Gudrun und Alexander Decker: Portugal. München 1986
Albrecht Dürer: Schriften und Briefe. Leipzig 1973
Elisabeth Feist Hirsch: The Life and Thought of a Portuguese Humanist. s’Gravenhage 1967
Elisabeth Feist-Hirsch (zu D. de Gois). In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003. Vol. II p.163ff
Yvonne Hackenbroch: Enseignes. Firenze 1996
Lisa Jardine: Der Glanz der Renaissance. München 1999
Man, Myth, and Sensual Pleasures. Jan Gossaert’s Renaissance. The Complete Work. Hg. Maryan W. Ainsworth. New Haven/London 2010
Ariane Mensger: Jan Gossaert. Berlin 2003
Wolfgang Ploch. oeko.net.de (25.3.2016)
Albert Van de Put: The Man with the Beautiful Hands by Jean Gossaert Called Mabuse. Paris/New York o.J. (ca.1927/28)
J.-P.Rietstap: Planches de l’Armorial Général. Hg. V. Rolland. III. Paris 1909
Achille Segard: Jean Gossaert dit Mabuse. Bruxelles/Paris 1923

Bildnachweise
Man, Myth, and Sensual Pleasures. Jan Gossært’s Renaissance. Metropolitan Museum New York. 2010 S. 306
http://www.kunstkopie.de/a/albrecht-duerer.html&pgn_page=9&INCLUDE=LIST&pgn_items=50 (14.1.2014)
Damião de Goes. Uma Antologia de Textos Biograficos. Alenquer. o. J. S. 49,61,73,91,109
The National Gallery Cat. London 2001